Wie sich herausstellte, war das Badehaus ziemlich hübsch.
Es war nicht so riesig wie die Spas und Saunen, die man in großen Städten zu sehen bekam, und auch nicht so elegant wie einige der Bäder, mit denen sie ihre Crew nach langen Beutezügen belohnt hatte. Von außen sah das Badehaus des Five-Hop so aus, als könnte es vielleicht sechs Leuten Platz bieten; innen war es ruhig, einladend und blitzsauber. Die Wände waren mit preiswertem Silizium-Imitat gefliest (das seinem Vorbild einigermaßen nahekam), und dazwischen hatte jemand buschiges Moos dazu gebracht, spiralförmig zu wachsen. Der Boden war so glatt, dass sich Pei beinahe darin spiegeln konnte, und so zauderte sie nicht lange und zog die Stiefel aus. Sie stellte sie in einen der zu diesem Zweck bestimmten großen Behälter am Eingang, und gleich darauf folgten ihre Kleider.
Auf der anderen Seite des Flurs waren zwei Reihen automatischer Seifenspender in die Wand eingelassen, beschriftet mit Pixelmustern. Es gab alle möglichen Seifen und Peelings und Öle, und Pei lächelte bei der Vorstellung, wie Ouloo sich schier überschlagen hatte, um herauszufinden, welche Schuppenreinigungsmittel-Duftnote unter Aandrisk am beliebtesten war oder welches Gesichtswasser die meisten Harmagianer hoffentlich brauchbar finden würden. Die bewegten Bilder auf den Spendern sahen wirklich verlockend aus, aber Pei beschloss, sich zuerst die Räumlichkeiten anzusehen.
Genau wie das vollgeschriebene Schild am Eingang verkündet hatte, bot das Badehaus eine breite Vielfalt kulturspezifischer Badewannen, die alle in einem einzigen, großen Raum mit hüfthohen Trennwänden standen. Um jede von ihnen zog sich eine Vorhangstange, deren Funktion klar ersichtlich war: Wer mit anderen Besuchern plaudern wollte, hatte dazu die Möglichkeit, aber man konnte auch für sich bleiben. Mach dein Ding, drückte Ouloos Werk aus.
Pei ging durch den Raum und genoss die Kühle der Fliesen unter ihren nackten Fußsohlen. Sie blieb vor einem Gerät stehen, mit dem sie sich auskannte: eine äluonische Düse. Es war die traditionelle Art, sich zu säubern – ein feuchter Dampfstoß, der Keime abtötete und Schmutz löste, gefolgt von einem kalten Wasserguss, der aus einem Tank herunterplatschte. Pei benutzte diese Düsen schon ihr Leben lang, aber sie war nicht im Badehaus, um sich zu reinigen. Sie war hier, um die Zeit totzuschlagen und sich zu entspannen, und es gab eine Spezies, die so etwas besser draufhatte als die meisten anderen.
Sie wandte sich von der Düse ab und nahm stattdessen das Dampfbad im Aandrisk-Stil in Augenschein – eine ovale steinerne Kabine, so groß, dass man sie aufrecht betreten konnte, und mit Fenstern versehen. Zur Sicherheit der Harmagianer war sie von einer Absperrung umgeben. Harmagianer hätten zwar ohnehin nicht gewagt, eine solche Vorrichtung zu betreten, aber wenn sich die Tür öffnete, hätte der herausströmende Dampf ihrer schleimigen Haut geschadet. Pei war selbst nicht für die von Aandrisk bevorzugten Temperaturen gemacht, aber aus Erfahrung wusste sie, dass ein Dampfbad eine Wohltat sein konnte, wenn man den Knopf mit dem Reskitkish-Wort für Kindereinstellung drückte (jahrelang hatte sie geglaubt, die Beschriftung würde lauwarm bedeuten – eine kleine, aber verschmerzbare Verletzung ihres Stolzes).
Sie ging zu den Spendern im Gang zurück und fand einen, der duftende Dampf-Tabs enthielt. Sie zog das Handgelenk über den Scanner, und eine runde Kapsel fiel heraus, die zwei Scheiben aus gepresstem Pulver mit getrockneten Kräutern enthielt. Sie beschloss, ganz den Aandrisk zu folgen, und kaufte zusätzlich ein winziges Döschen Schuppenpaste – mit Salzmoos-Duft, eine Vorliebe, die sie als Andenken von ihren Reisen mitgebracht hatte. Die Schuppenhaut der Aandrisk war zwar viel dicker und rauer als ihre, aber Schuppen waren Schuppen, und sie hatte festgestellt, dass eine ganz kleine Menge Paste, vorsichtig aufgetragen, ihr einen schönen Schimmer verlieh.
Sie kehrte zum Dampfbad zurück, trat ein, schloss die Tür hinter sich, steckte die Tabs in den Wandbehälter und gab ihre Einstellungen in das Bedienfeld ein. Sogleich empfing ihr Implantat das Zischen von Wasser, das durch heißes Metall gepumpt wird. Sie blieb für ein paar Sekunden stehen, während das Implantat ihr auch weiterhin das Rauschen übermittelte, und dann machte sie etwas, das sie außerhalb der Mav Bre fast nie tat: Sie hob die Hand an die Stirn und schaltete das Implantat ab.
Pei hatte Sprachbox und Implantat bereits als Kind erhalten, und ihre Zeit ohne das Implantat lag so lange zurück, dass es sie immer verstörte, wenn sie den Prozessor abschaltete. Sie fühlte sich so wie vor zwei Tagen, als sie nach ihrer weggeschlossenen Waffe gegriffen hatte – verwirrt, weil etwas fehlte, das eigentlich kein Teil von ihr war, aber trotzdem immer dabei.
Nach ein paar Sekunden ebbte das seltsame Gefühl ab, und Pei ließ sich von der Stille einhüllen. Nicht von dem, was andere Spezies so bezeichneten. Wenn hörende Spezies von Stille sprachen, meinten sie damit »Ich kann nur den Wind und die Blätter hören«, oder »Niemand redet, aber die Geräusche der Stadt sind immer noch da«. Das war keine richtige Stille. Keine echte Stille, wie sie der Naturzustand ihrer Spezies war. Wie sehr es ihr Gehirn ermüdete, ständig eine Sorte Input zu verarbeiten, für die es nicht gemacht war, merkte Pei nur dann richtig, wenn sie diesen Input aktiv aussperrte.
Die Stille reichte zwar nicht aus, um das psychische Unbehagen zu vertreiben, das sie seit dem Aufwachen begleitete, aber wenigstens störte es sie jetzt nicht mehr so sehr, und das genügte fürs Erste.
In der Mitte des Dampfbads stand ein glatter Ruhestein, der Form nach dafür bestimmt, um bäuchlings darauf zu liegen, sofern man breite Hüften und einen langen Schwanz besaß. Pei hatte zwar beides nicht, aber sie legte sich trotzdem auf den Bauch, schlang Arme und Beine um den Stein und ließ Schienbeine und Unterarme in die dafür vorgesehenen Einbuchtungen gleiten. Duftender Dampf begann aus den winzigen, überall in Wände und Decke eingelassenen Düsen zu strömen. Sie beobachtete, wie der Dampf durcheinanderwirbelte, und spürte, wie sich ihre Atemwege weiteten. Während ihr Körper sich entspannte, begannen ihre Gedanken wie aufs Stichwort zu wandern und wurden dabei zu dem unvermeidlichen Thema hingezogen: Ashby.
Der Mann an sich war nicht das Problem. Er war es, der ihre Probleme erträglich machte, ihren Blick auf die Welt milder werden ließ und ihren Geist zur Ruhe brachte. Sie sahen sich zwar nur selten – meistens nur ein paar gestohlene Tage hier und da, übers Standardjahr verteilt –, aber wenn sie mit ihm zusammen war, kam es ihr vor, als wäre alles in Ordnung. Es gab keine Arbeit, keine Gefahr, keine Verwicklungen. Nur ihn und sie und das Bett unter ihnen. Die Gespräche mit ihm hatten eine Tiefe, die sie sonst bei niemandem fand; die mühelose Gewissheit, dass zwischen ihnen nur wahre Worte fielen und dass nichts – so unappetitlich oder unschmeichelhaft es auch sein mochte – verurteilt wurde. Und natürlich redeten sie nicht nur miteinander. Ein Ruck ging durch ihr Inneres, als sie daran dachte, wie er sich bewegte, wenn sie ihn berührte. Sie hätte sich ewig an ihrer gemeinsam erschaffenen Choreographie berauschen können, dem Tanz zweier Körper, die die Evolution nicht füreinander bestimmt hatte. Wenn sich die Tür hinter ihnen beiden schloss, fiel alles an seinen Platz.
Aber danach folgte unweigerlich das, was sich auf der anderen Seite dieser Tür befand. Dort wurde sie zu einer anderen, und er tat zuverlässig so, als würde er sie nicht kennen, obwohl sie in seinen Augen sehen konnte, wie traurig ihn das machte. Dort fanden sie zu einem anderen Rhythmus, bestimmt von Heimlichtuerei und Verleugnung. Beiden fiel es immer schwerer, diese Realität auszuhalten, aber Pei hielt sie aus, musste sie aushalten, denn Ashby war ein Mensch. Ashby war ein Mensch, und Pei war nicht bereit, ihr Leben zu ruinieren.
Sie hatte keine Ahnung, wann genau sich das äluonische Tabu gegen interspeziäre Beziehungen kulturell etabliert hatte – sie wusste nur, dass es älter war als die GU und so selbstverständlich wie Regen an einem Wintertag. Sie wusste, dass es in liberaleren Teilen der Galaxis tolerantere Gemeinschaften gab – neutrale Planeten, Modderzentren und Ähnliches. Einmal hatte sie in einem Freiluftpark auf Port Coriol drei Aandrisk und eine Äluonerin gesehen, die am helllichten Tag nach Herzenslust vögelten, ohne sich darum zu scheren, dass sie für die Passanten auf der Straße unter ihnen deutlich zu sehen waren. Das wollüstige Treiben hatte sie neidisch gemacht – nicht wegen der öffentlichen Zurschaustellung, denn sie teilte die Einstellung der Aandrisk dazu nicht, sondern weil es der Äluonerin, die es da von einem Aandrisk besorgt bekam, schlicht egal war, wer davon wusste. Pei dagegen unterwarf sich endlosen Verrenkungen, um Ashby sauber vom Rest ihres Lebens zu trennen. Sie hatten ausgeklügelte Absprachen für ihre Treffen in Hotels und Gasthäusern, damit niemand darauf kam, dass sie im selben Zimmer übernachteten, und kommunizierten während der Trennungen so, dass ihre Nachrichten von Peis Crewmitgliedern unbemerkt blieben. Absurderweise war sie sogar so weit gegangen, ihm auf Papier zu schreiben und den Brief per Drohne zu schicken, und während er darin eine gewisse Romantik zu erblicken schien, konnte sie selbst nur sehen, wie lachhaft inzwischen alles war.
Ashby war ein Teil ihres Lebens, den sie betrauern würde, wenn er nicht mehr da wäre. Immer wenn sie so tat, als gäbe es ihn nicht, immer wenn sie den gut gemeinten Fragen ihrer Besatzungsmitglieder auswich, die wissen wollten, wieso man sie schon so lange nicht mehr mit einem Liebhaber gesehen hatte, war es, als würde sie ihm Dreck ins Gesicht werfen. Diese Täuschungsmanöver entwerteten, was er für sie war und was er ihr gab. Er hielt sich akribisch an jede ihrer Regeln, obwohl es in seinem Leben niemanden im Geringsten gekümmert hätte. Er machte das Versteckspiel mit und log und verleugnete sie, ihr zuliebe. Das alles war ihr aus tiefstem Herzen zuwider.
… und trotzdem.
Es war eine Sache, wenn ein Modder oder ein Künstler oder ein junger Bohemien auf Coriol auf die Tradition pfiff. Für jemanden wie Pei, die politisch nicht radikal war, es niemals gewesen war, und für die ihre Reputation die Grundlage ihres ganzen Lebens bildete, war es etwas völlig anderes. Sie hatte keine klare Vorstellung davon, was passieren würde, wenn ihre Beziehung mit Ashby öffentlich würde, konnte es sich aber ungefähr denken. Sie würde zwar nicht ihr Schiff verlieren – das war ihr Eigentum, sie hatte dafür bezahlt. Aber sobald es sich herumsprach, konnte sie ihre Arbeit vergessen. Die Verträge mit dem Militär würden sich in Luft auflösen, und die großen Aufträge, für die sich die Transportflüge am meisten lohnten, konnte sie sich dann ebenfalls abschminken. Sie könnte zwar anderswohin gehen, mehr Aufträge im multispeziären Raum annehmen, sich bei der Wahl ihrer Kunden vielleicht mehr auf Aandrisk oder Harmagianer spezialisieren. Aber das waren nicht die Netzwerke mit den besten Kontakten, und sich ganz neue Verbindungen zu erarbeiten wäre umso schwieriger, wenn sie sich parallel dazu auch noch nach einer neuen Crew umsehen müsste. Ein Teil der jetzigen Besatzung würde gehen, ohne jede Frage. Die meisten wahrscheinlich. Ihrem Piloten und ihrem Algäisten hatte Pei von Ashby erzählt, und sie hatten sie deswegen nicht im Stich gelassen, aber mit den beiden war sie auch viel enger befreundet als mit den anderen. Sie hatte keine Ahnung, wie der Rest ihrer Besatzung reagieren würde. Auf einen guten Ausgang wettete sie eher nicht.
Pei war durchaus einfallsreich. Wenn es eng wurde, konnte sie von vorn anfangen. Der Punkt war nur … sie wollte nicht von vorn anfangen. Aber sie wollte auch nicht weiter Versteck spielen. Sie wollte ihren Job behalten. Sie wollte in einem Park vögeln. Und sie sah nirgends eine Realität, in der sich diese beiden Wünsche miteinander vereinbaren ließen. Und so drehte sie sich im Kreis.
Bisher hatte sie Ashby nicht erzählt, wie zerrissen sie sich fühlte. Im Gegenteil, sie hatte ihm sogar geschrieben, es sei ihr inzwischen egal, wer von ihnen erfuhr, und wenn es jemand herausfände, dann sei das eben so. Damals hatte sie es so gemeint. Die letzte Lieferung war gefährlich gewesen, eine ihrer bisher schlimmsten. Pei war danach verstört gewesen, aber nicht halb so sehr wie in dem Moment, als die Nachricht aus Hedra Ka gekommen war und sie genau gewusst hatte, welches Zivilschiff die Toremi beschossen hatten. Ashby war alles andere als ein Soldat. Es ging nicht an, dass er in eine solche Lage geriet. Aber als sie allein in ihrer Kabine saß und ihren Scribus so fest umklammerte, dass sie das Display eindrückte, fragte sie sich, wie oft die Rollen schon vertauscht gewesen waren. Wie oft hatte er wohl die Nachrichten gesehen und versucht, zwischen den Zeilen herauszulesen, ob es ihr gutging?
In jenem Augenblick hatte sie genug von dem Versteckspiel gehabt.
Aber später war sie wieder ins Grübeln geraten.
Sie dachte an das, was sie ihm geschrieben hatte, Gekritzel auf einem Stück totem Holz, das sie durch die Leere schickte. Meiner Crew werde ich nichts sagen, aber kann sein, dass sie sich was zusammenreimen. Wenn ja, werde ich schon damit fertig. Mir ist das nicht mehr wichtig. Bis zu einem gewissen Grad stimmte das. Es war riskant für sie, den Landurlaub auf der Wayfarer zu verbringen. Sie wusste, dass ein paar Mitglieder ihrer Crew ihre Wahl seltsam fanden, da sie selbst dort gewesen waren und nur ein schlichtes Tunnelschiff gesehen hatten, auf dem man ihnen aushalf. Ein Teil von Pei wollte , dass die Crew ihr auf die Schliche kam, dass sie eins und eins zusammenzählten, die Bombe für sie platzen ließen. Normalerweise verabscheute sie es, nicht alles selbst in der Hand zu haben, aber auf eine verdrehte Weise schien ihr das der bestmögliche Ausgang zu sein. Sie hatte ganze Standards damit verbracht, um das richtige Verhalten, die richtigen Worte zu ringen. All diese Entscheidungen von jemand anderem zunichtemachen zu lassen, klang für sie fast wie eine Erleichterung.
Sie wollte nicht, dass es passierte.
Und wollte es doch.
Leise begann sie zu keuchen, eine unbewusste Maßnahme ihres Körpers, um sich abzukühlen. Langsam ließ das namenlose Ziehen in ihrem Bauch nach. Sie drehte den Kopf und presste die Wange fest an den Stein, tauchte in die schwindelerregende Wärme ein, um das unauflösliche Dilemma wegzubrennen.