Pei

Pei verließ das Badehaus ein paar Stunden nachdem sie es betreten hatte, und genoss die kühle, gefilterte Luft. Auf ihrer Haut lag der Geruch nach Salzmoos, und ihre frisch geschrubbten Schuppen fühlten sich so glatt an wie weiches Metall. Sie hob den Arm und bewunderte das intensive Glitzern im Sonnenlicht. Sie konnte sich nicht erinnern, wann sie zuletzt so geleuchtet hatte seit ihrem frühen Erwachsenenalter – jener Phase in ihrem Leben, als ihr Körper noch in dem Bestzustand gewesen war, den ihr jüngeres Ich wohl kaum verdient hatte. Ouloo wusste eindeutig, wo man das gute Zeug bekam.

Als sich jemand dem Garten näherte, sah sie auf. Es waren Speaker, die Arme beladen mit irgendwelchem Technikkram, und Tupo, der ihr glücklich folgte und einen Karren schob, der offenbar mit sirem gesamten Hausstand beladen war: Kissen, Lampen, Bänder, eigentlich allem, was grell und bunt und nicht niet- und nagelfest war.

»Was sind das für Sachen?«, fragte Pei beim Näherkommen.

Tupo drehte den Kopf in ihre Richtung. »Speaker gibt ein Konzert!«

»Ein Konzert«, wiederholte Pei. »Das klingt cool.«

»Ja«, sagte Tupo. Das Kind war ganz aufgeregt – die Pfoten in wilder Bewegung, das Fell aufgeplustert. »Speaker hat alle ihre Sachen mitgebracht, und sie und ich werden unsere Lieblingsmusik spielen. Mom macht Snacks. Wollen Sie auch etwas spielen?«

»Ich glaube, ich werde einfach … nur zuhören«, sagte Pei. Zu dieser Veranstaltung konnte sie nicht viel beitragen, aber sie wollte dem Kind nicht die Freude verderben. Außerdem war ihr gerade jede Ablenkung willkommen.

Sie ging zu Speaker hinüber, die ihre Last gerade auf dem Rasen absetzte. Pei betrachtete die Ausrüstung. Sie hatte schon früher Sound-Technik gesehen – in Bars, auf Festen, im Zuhause anderer Wesen –, aber sie hatte keine Ahnung, wie man sie installierte, und hatte nie viel Aufmerksamkeit darauf verschwendet. Trotzdem fragte sie: »Kann ich helfen?«

Speaker sah sie an, dann drehte sie sich zu ihren Gerätschaften um; sie bewegte den Kopf, doch der Mech-Anzug blieb reglos. »Äh, ja, wenn Sie möchten. Könnten Sie vielleicht die Lautsprecher tragen?«

Pei betrachtete die Geräte. Lautsprecher waren im Prinzip Sprechboxen im Großformat; so viel wusste sie. Sie hob einen dicken, fassförmigen Gegenstand auf, bei dem sie sich ziemlich sicher war, dass es sich um einen Lautsprecher handelte, und als Speaker keine Einwände erhob, wusste Pei, dass sie richtiglag. »Ja, der ist nicht zu schwer«, sagte Pei. »Wo soll ich ihn hinbringen?«

Speaker richtete den Mech-Anzug so aus, dass sie sich auf der Rasenfläche umsehen konnte. Sie hob eine der Anzughände und sagte: »Stellen Sie ihn einfach dorthin und verteilen Sie die anderen gleichmäßig am Rand, so dass sie einen Kreis bilden.«

Pei schleppte das Ding zu der bezeichneten Stelle, und beim Absetzen stach ihr eine kleine Gravur in der äußeren Beschichtung ins Auge. »Sind Sie das?«

»Was?«, fragte Speaker.

Pei deutete auf die Gravur: die schlichte Zeichnung eines Akarak-Gesichts, das jemand mit etwas Dünnem, Scharfem in das Metall geritzt hatte. »Das sind doch eindeutig Sie.«

Speaker ließ den Anzug hinübergehen, beugte ihn vor, um sich die Sache anzusehen, und lachte. »Das muss Tracker gewesen sein«, sagte sie mit liebevoller Entnervtheit. »Solche albernen Witze sind typisch für sie.« Sie verstummte.

Tupo ließ die Kabel fallen, die ser versucht hatte zu entwirren, und tappte zu Speaker hinüber. »Es geht ihr sicher gut«, sagte ser und klopfte mit der Vorderpfote auf Speakers Anzug.

Speaker sah Tupo an. »Danke«, sagte sie.

Pei ging der Sache nicht weiter nach. Die Akarak war ihr immer noch ein Rätsel, eine lebendige, atmende Leerseite in Peis innerem Handbuch für die Galaxie. Aber so wenig sie mit Speakers Spezies auch vertraut war, einen wunden Punkt erkannte sie dennoch und hütete sich, darin herumzustochern, vor allem bei einer Fremden. Es ging sie schlicht und einfach nichts an.

Speakers Schweigen hatte die eben noch heitere Stimmung getrübt, und Pei begriff, dass sie nicht die Einzige war, die ein wenig Ablenkung gebrauchen konnte. »Hey, Tupo«, sagte sie. »Wie fandest du eigentlich das Video, das wir uns gestern Abend angesehen haben?«

Speaker warf ihr einen raschen Blick zu; es ließ sich zwar schwer sagen, aber es schien ein Hauch von Dankbarkeit darin zu liegen.

»Ähm, das war ziemlich gut.« Tupo rieb sich das Kinn mit dem unteren Ende sires Halses. »Allerdings fand ich es teilweise ziemlich langweilig. Ich mag lieber Videos, die spannender sind.«

Pei lehnte sich an einen der Pfosten für die Beleuchtung. »Ach ja? Welche denn zum Beispiel?«

Darüber musste Tupo nicht lange nachdenken. »Haben Sie schon Vertrauen und Rache gesehen?«, fragte ser, die Augen weit aufgerissen.

Durch Peis Sprechbox klang ein Lachen. »Hast du denn schon Vertrauen und Rache gesehen?«, fragte sie. »Das ist ein … ziemlich krasses Video.«

»Ja! Es ist so toll!« Eigentlich stand das Laru-Junge auf allen vieren, aber jetzt tanzten sire Füße so lebhaft durch die Luft, dass nie mehr als drei Pfoten gleichzeitig den Boden berührten. Das Kind drehte den Kopf in Speakers Richtung. »Speaker, haben Sie den Film gesehen?«

Speaker war gerade mit der Schaltung ihres Cockpits beschäftigt. »Nein«, sagte sie. »Es hört sich an, als wäre er ein bisschen zu heftig für mich.«

Tupo schnalzte missbilligend mit der Zunge. »Da verpassen Sie aber was.« Ser wandte sich wieder Pei zu. »Wissen Sie noch, wie der Schurke aus nächster Nähe von einer Plasmapistole getroffen wird und sich in ein Skelett verwandelt und dann explodiert?«

»Ja«, sagte Pei, unsicher, worauf das hier hinauslief.

»Kann so etwas wirklich passieren?«

Ah. Jetzt begriff sie. »Ganz sicher nicht «, sagte Pei.

Tupo ließ enttäuscht den Hals durchhängen. »Nicht einmal vielleicht?«

»Nicht einmal vielleicht«, sagte Pei. Tupos Frage machte ihr zwar nichts aus, aber sie teilte die Begeisterung des Kindes für das Thema nicht. Und sie konnte Tupo ja nicht sagen, dass sie genau wusste, weshalb jemandes Skelett nicht einmal vielleicht sichtbar war, wenn man ihn mit einem Plasmagewehr traf, denn dann hätte ser gefragt, was ein Plasmagewehr aus nächster Nähe sonst anrichtete, und mit so etwas sollte sich ein Kind nicht auskennen. Sie wusste nicht, wie sie Tupo vermitteln sollte, dass Krieg im Film und in der Realität nicht die geringste Ähnlichkeit miteinander hatten und dass echter Krieg nun mal keine elegante Aneinanderreihung heroischer Taten war, untermalt von grandioser Musik und geistreichen Erwiderungen. Krieg war hässlich, ermüdend und vor allem langweilig – was seltsam klang angesichts der Tatsache, dass es dabei zugleich mehr Explosionen und Adrenalin gab, als man verkraften konnte. Aber trotz aller strategischen Überlegungen und knappen Rettungsmanöver und Beinahe-Treffer war Krieg letzten Endes nichts anderes als ein Streit, bei dem den Leuten keine bessere Lösung einfiel, als einander umzubringen. Ab einem gewissen Punkt wurde das Leid alltäglich. Pei kam damit klar. Was sie erlebte oder tat, machte ihr nichts aus. Sie hatte einen robusten Magen, und ihr Gewissen war rein. Aber was sie manchmal verwirrte, war die Trennung zwischen hier und dort . Hier gab es ein Junges mit großen Augen und lebhaften Pfoten, für das Krieg eine spannende Geschichte war, die man sich vor dem Schlafengehen ansah – ein Zuckerrausch, eine Metapher. Dort gab es keine Kinder. Dort gab es nur erschöpfte Erwachsene, hoffnungslos auf eine Weise, wie Tupo es hoffentlich niemals erleben würde; Leute, die sich nach nichts mehr sehnten, als dass die triste Angelegenheit ein Ende nahm, damit sie nach Hause gehen konnten. Nur dass es niemals ein Ende nahm und viele von ihnen ihr Zuhause niemals wiedersehen würden.

»Woher kommen Sie gerade, wenn die Frage gestattet ist?«, fragte Speaker. Die Hände ihres Anzugs waren mit Gerätschaften beschäftigt, deren Namen Pei nicht kannte.

»Von der Rosk-Grenze«, sagte Pei. Tiefer durfte sie nicht ins Detail gehen, und sie kannte die üblichen Reaktionen darauf, sie hatte sie alle schon gehört. Sobald es um die Rosk ging, sagten die Leute »wow« oder »puh« oder »ach du Scheiße« oder irgendetwas in dieser Richtung. Manche waren beeindruckt. Andere mitleidig, auf eine ahnungslose Weise. Die meisten Leute, die nicht selbst gerade Militärs waren, gerieten kurz ins Stolpern, wenn der Krieg aufhörte, eine bloße Geschichte zu sein – ob sie nun spannend war oder nicht – und sie plötzlich mit jemandem sprachen, der Teil davon war.

Aber Speaker überraschte sie. »Ah«, sagte sie nur. Ah , als hätte Pei ihr erzählt, dass sie Obstbäuerin war oder gerade aus der Hauptstadt kam oder sich im letzten Tagzehnt neue Schuhe gekauft hatte. Ah , als hätte Pei etwas bestätigt, das für Speaker offensichtlich war. Pei hatte keine Ahnung, was es sein mochte, und Speaker lieferte ihr keinerlei Hinweis. Sie arbeitete weiter und sagte nichts mehr.

Zwar konnte Pei den offen neugierigen Reaktionen, die sie sonst erhielt, nicht viel abgewinnen, aber sie war so sehr daran gewöhnt, dass ihr Ausbleiben sie jetzt verwirrte. Na schön, dann war es der Akarak eben egal. Vielleicht wusste sie auch einfach nicht, was sie sonst sagen sollte. Höchstwahrscheinlich war sie einfach nur ein Alien, das Pei nicht lesen konnte. Na und?

Dennoch, der Wortwechsel pikste Pei an, wie ein einzelnes Sandkorn im Schuh, das ihr eigentlich hätte egal sein können, sie aber trotzdem nervte.

»O Scheiße«, sagte Tupo in exakt demselben Tonfall wie Ouloo am Vorabend, und Pei musste all ihre Willenskraft aufbieten, damit kein Lachen über ihre Sprechbox drang. Das Kind hielt eine Pfote voller Kabelgewirr hoch. »Ich weiß nicht, was ich da gemacht habe.«

Pei ging hinüber und setzte sich zu Tupo auf den Boden. »Ein Durcheinander, das hast du gemacht«, sagte sie freundlich. »Na komm, bringen wir es in Ordnung.« Sie nahm einen der Knoten auf und begann, sich hindurchzuarbeiten. Dabei blickte sie zu Speaker hinüber. Die Akarak sah sie zwar nicht an, doch sie hatte ihren Schnabel ganz leicht verschoben, als würde auch sie etwas anpiksen.