Speaker

Irgendetwas war seltsam an Ouloos Wohnung, aber Speaker kam nicht darauf, was es war. Zuerst dachte sie, es läge an den Möbeln, die niedrig und geschwungen waren und sich von allen anderen Einrichtungsgegenständen unterschieden, die sie je gesehen hatte. Aber das konnte es nicht sein, denn auch auf einem multispeziären Markt war Speaker mit Dutzenden von Dingen konfrontiert, die sie noch nie gesehen hatte. Nein, da war noch etwas, das ihren Nacken kribbeln ließ. Sie wusste nur nicht, was es war.

»Entschuldigen Sie bitte die Unordnung«, sagte Ouloo resigniert. Vorsichtig stieg sie um die im Gang verstreuten Habseligkeiten herum, wobei sie das Kuchentablett hin und her schwenkte, um das Gleichgewicht zu halten. »Ich habe Tupo heute Nachmittag gesagt, dass ser die Sachen aufheben soll. Nicht weil ich jemanden hätte einladen wollen, es geht einfach ums Prinzip.«

»Das macht nichts«, sagte Speaker. Geschickt bediente sie die Schalter und bemühte sich, ihren Anzug auf nichts treten zu lassen. »Ich habe schon Schlimmeres gesehen.«

»Trotzdem«, murrte Ouloo, während sie weiter Richtung Küche ging. »Ich möchte nicht, dass Sie denken, ich würde hier keine Ordnung halten.«

Speakers Hand erstarrte über den Schaltern. Das war es. Das war es, was seltsam war. Sie war noch nie in einer planetarischen Behausung gewesen.

War sie schon einmal auf einem Spacerschiff gewesen? Ja, natürlich. Sie hatte nie woanders gelebt. In einem Shuttle wie dem von Roveg? Nicht in einem wie seinem, das nicht, aber in Schiffen, die auf langen Flügen vorübergehend zu einem Zuhause wurden, ja. In Gebäuden: natürlich. Schon oft. Immer, wenn sie auf einem Planeten gewesen war.

Aber noch nie in einem bewohnten Haus.

»Zur Küche geht es hier entlang«, rief Ouloo. »Können Sie sich einigermaßen bewegen? Reicht der Platz für Ihren Anzug? Ich weiß, dass unsere Decken für Zweifüßler ein bisschen niedrig sind.«

»Ja«, sagte Speaker. »Alles bestens.« Sie schüttelte den Kopf und ging weiter hinter ihrer Gastgeberin her.

Es war witzig, wie sehr sich eine Küche von dem unterscheiden konnte, was sie gewohnt war, und dennoch eindeutig als Küche erkennbar war. Mit den meisten Geräten konnte Speaker nichts anfangen, und sie hatte noch nie einen Herd in dieser Form gesehen, aber es war ohne Zweifel ein Herd, oder zumindest etwas, auf dem man kochen konnte. Es gab auch eine Art Arbeitsplatte, sie war voller Mehl und mit Füllung verschmiert – Spuren der heutigen Backaktion. Speaker war ein wenig traurig darüber, wie viel Mühe sich Ouloo gemacht hatte, nur um in einen Streit zwischen den Leuten zu platzen, denen sie etwas Gutes hatte tun wollen.

Natürlich bereute Speaker nicht, was sie zu Captain Tem gesagt hatte. Nicht im Geringsten. Dafür gab es keinen Grund. Sie hatte schließlich nur die Wahrheit gesagt.

Ouloo stellte ihr Kuchentablett in die Stase (wenigstens dieses Gerät erkannte Speaker). »Ich nehme Ihnen das mal ab«, sagte die Laru und nahm ihr das Tablett aus den Anzughänden. »Vielen Dank.«

»Keine Ursache«, sagte Speaker.

»Oh, oh – aber erst mal …« Ouloo stellte das Tablett in die geöffnete Stase und drehte sich dann suchend um. »Ich werde Ihnen ein bisschen davon zum Mitnehmen auf Ihr Schiff zurechtmachen.« Sie hielt kurz inne. »Glauben Sie, dass Sie das essen können?«

»Ich weiß nicht. Was ist da drin?«

»Mal sehen – Sonnenbohnen, Zucker, Maissirup, Tethmehl …«

»Ah«, sagte Speaker bedauernd. »Tethmehl kenne ich, und ich fürchte, das vertrage ich nicht.«

»O nein!« Die Laru verwandelte sich in den Inbegriff der Enttäuschung. »Ich bin so eine schlechte Gastgeberin für Sie gewesen.«

»Schon gut«, sagte Speaker. »Sie haben ja noch nie einen von uns getroffen.«

»Stimmt, aber das ist ein Grund , keine Entschuldigung.« Nachdenklich trommelte Ouloo mit der Pfote auf den Fußboden. »Kennt Ihre Spezies Desserts?«, fragte sie. »Als Konzept, meine ich?«

»Ja«, sagte Speaker. »Wir kennen Desserts.«

Ouloos Hals vollführte eine kleine Schraubbewegung hinter ihrem Kopf. »Können Sie welche zubereiten?«

»Oh«, sagte Speaker, verblüfft über die Frage. »Äh, ja, doch. Zwar nicht viele, aber …« Im Geist ging sie eine Liste von Rezepten durch, die ihr zuverlässig gelangen. »Eines könnte man wohl als Ausschlaf-Pudding übersetzen. Den kann ich machen.« Sie legte den Kopf schief. »Wollen Sie das Rezept?«

»Ja. Und wenn Sie ganz viel Lust haben, wäre es großartig, wenn Sie es mir zeigen könnten«, sagte Ouloo. »Nur für den Fall, dass noch mehr von Ihrem Volk hier vorbeikommen.« Sie sah Speaker lächelnd in die Augen. »Oder falls Sie zurückkommen.«

»Wenn ich mal in diese Richtung fliege, ganz bestimmt«, sagte Speaker. Sie meinte es ernst. »Also. Pudding. Die Zutaten werden Sie vermutlich nicht dahaben.«

Ouloos Pfoten tanzten aufgeregt durch die Luft, nicht ganz unähnlich der Art ihres Kindes. »Heißt das, Sie zeigen es mir?«

»Ja.« Speaker lachte. »Aber erst mal muss ich in mein Shuttle. Da werde ich wahrscheinlich auch nicht alles haben, was ich brauche, aber …«

»Ach, wir improvisieren«, sagte Ouloo. »Wir tun unser Bestes, und wenn es nichts wird, dann ist das eben so.«

Und so fand sich Speaker auf einmal draußen auf dem Weg zu ihrem Shuttle wieder, um Zutaten für ein Dessert zu holen. Was für ein seltsamer Tag, dachte sie. Sie hatte mit einem Quelin gespeist, einer Äluonerin gesagt, dass sie sich verpissen sollte, und würde gleich einer Laru beibringen, wie man den Pudding ihrer Mutter zubereitete. Es gab zwar andere, bessere, wichtigere Gründe, um mit Tracker zu sprechen, aber sie konnte es kaum erwarten, ihr alles zu erzählen, nachdem Wichtigeres abgehakt war. Vielleicht würde sie ihr nachher schreiben, damit sie nicht alles vergaß. Natürlich würde sie die Nachricht nicht abschicken – es war schließlich kein Notfall, und sie wollte nicht zu denen gehören, die die Comm-Verbindungen mit Nichtigkeiten verstopften. Während sie durch die Luftschleuse trat und darauf wartete, dass die Luft ausgetauscht wurde, begann sie im Geist, einen Text zu entwerfen. Schwester, du wirst nicht glauben, was ich heute alles erlebt habe«, dachte sie. Ich weiß ja, dass du Planeten nicht magst, aber ich wünschte, du wärst dabei gewesen …

Die Luke ging auf, und mit ihr verschwand die Nachricht, das Rezept, der Streit, das Frühstück und alles außer dem, was sie vor sich sah.

Auf dem Fußboden, die Gliedmaßen von sich gestreckt, der Hals verdreht, die Nasenlöcher in der nicht atembaren Luft verschlossen, lag Tupo. Reglos. Ohne zu atmen. Nicht ansprechbar.

Vor sihm, dort, wo ser sie hatte fallen lassen, lagen zwei Stück Kuchen.