Äluonische Einrichtung ergab einfach keinen Sinn, wenn man Angehörige anderer Spezies hineinsetzte. Sie war überaus funktionell, für jede Art von Körper. Man konnte sich in einem äluonischen Wohnraum bewegen. Man konnte ihre Möbel benutzen. Man konnte sich dort rundum wohlfühlen. Aber das Aussehen eines äluonischen Wohnraums – egal ob Schiff oder Gebäude oder etwas anderes – ergänzte wirklich nur diese eine Spezies. Für die Äluoner war ihre Umgebung ein Accessoire, ein Hintergrund für ihre Mode und die Ästhetik ihrer Biologie. Äluoner passten immer in die Räume, die sie bewohnten, und wenn man sie mit anderen Wesen ersetzte, war die Wirkung einfach nicht die gleiche.
Nirgends war diese Regel augenfälliger als bei Ouloo, die so aussah, als würde sie etwa genauso sehr in Peis Bett gehören wie Roveg. Ihr roter Pelz breitete sich auf dem makellosen weißen Polymer aus wie ein alter Wollteppich – ein gepflegter, frisch gewaschener Wollteppich, aber dennoch ein Wollteppich. Roveg hatte noch nie eine Laru in Rückenlage gesehen, und er gab sich alle Mühe, nicht neugierig die pechschwarze Haut anzustarren, die zwischen den inneren Fellschichten hervorlugte, oder den Umriss der Bauchtasche, in der Tupo einmal gelebt hatte. Er dachte an die Keratintaschen, die sich über seinen eigenen Unterleib zogen und einst vier kugelrunde Eier beherbergt hatten, zwei auf jeder Seite. Er hatte sie kaum gespürt, aber er war sich ihrer überaus bewusst gewesen. Bei jedem Schritt, jeder Entscheidung, sich zu setzen, aufzustehen oder sich hinzulegen, hatte er ihre Sicherheit vor Augen gehabt.
Wie sich die Dinge doch ändern, dachte er grimmig.
Ouloo schlief nicht; er hatte auch nicht damit gerechnet. Er hätte unter diesen Umständen niemals schlafen können. Um sie nicht zu erschrecken, betrat er den Raum ganz leise, ein Tablett aus seinem eigenen Shuttle in den Vordergliedmaßen. »Ich habe dir etwas zu essen gebracht«, sagte er.
Die Augen der Laru waren geöffnet und zur Decke gerichtet. Sie sah ihn nicht an. »Ich habe keinen Hunger.« Ihre Stimme war nur ein Flüstern.
»Das dachte ich mir.« Er sah sich nach einem Tisch um oder irgendwas Äluonischem, das als Tisch herhalten konnte. Er entschied sich für eine Art Klumpen, der aus demselben Material zu bestehen schien wie das Bett, nur fester. »Aber Hunger oder nicht, ich fand, wir sollten auch mal nach dir sehen.« Er stellte das Tablett auf dem schicken Klumpen ab, der sich gehorsam zu einer Platte formte. Sterne, das Ding wirkte fast wichtigtuerisch.
Ouloo warf ihm nur einen kurzen Blick zu, aber dabei fiel ihr Blick auf das Tablett. Das genügte, damit ihr Hals sich hob. Roveg hatte ein paar für Laru geeignete Knabbereien zusammengestellt: gegrilltes Brennbrot, einen schnell zubereiteten Weißfischsalat, winzige Röllchen aus Pflanzenpapier, die mit Nussbutter und essbaren Blumen gefüllt waren, sowie der letzte Rest von seinem Räucheraal mit Kräckern.
»Hast … du das gemacht?«, fragte sie.
»Na ja, den anderen beiden kann ich ja nicht helfen«, sagte er und meinte dabei die zwei Wesen in der Krankenstation. »In einer solchen Lage sind meine Fähigkeiten kaum von Nutzen. Aber … wenigstens kann ich das hier beitragen.«
Ouloo setzte sich auf, wobei sie sich auf die Hinterbeine aufstützte. »Ich weiß gar nicht mehr, wann mir das letzte Mal jemand etwas zu essen gemacht hat«, sagte sie. Es war schwer zu sagen, ob die Geste sie so überwältigte oder ob es an diesem furchtbaren Abend lag.
»Dann wird es höchste Zeit«, sagte Roveg. Er nahm die Karaffe vom Tablett. »Minzlimonade? Ich hatte ja an Mek gedacht, aber ich nehme an, du willst einen klaren Kopf behalten.«
»Sterne, nein, ich will keinen Mek«, sagte Ouloo. Sie schwieg kurz. »Aber gegen ein bisschen Limo hätte ich nichts einzuwenden.« Sie betrachtete das Tablett. »Was ist das?« Sie deutete mit einem Zehballen auf etwas.
»Blumenröllchen«, sagte er, während er ihr einschenkte.
Sie nahm sich eines und biss davon ab. »Oh, köstlich«, sagte sie. Ihr Gesicht hellte sich kurz auf, nur um sich gleich wieder zu verdüstern. »Ich sollte mich nicht amüsieren.«
»Oh, glaub bitte nicht, dass ich das erwartet habe.« Er reichte ihr die Tasse. »Das ist für die Lebensgeister, keine Medizin. Vermutlich wirst du für immer gemischte Gefühle haben, was Blumenröllchen angeht. Und das ist eine Schande, denn sie sind wirklich köstlich, und ich freue mich, dass du sie magst.«
Ouloo steckte sich den Rest des Blumenröllchens in den Mund und rutschte herüber, um einen Schluck Limo zu trinken. Sie hielt inne. »Ist das eine von meinen?«, fragte sie und hob die Tasse.
»Äh, ja«, sagte Roveg. »Mein Trinkgeschirr hat ziemlich sicher nicht die richtige Form für dich, deshalb war ich so frei und habe mir die hier aus deinem Haus geholt. Ich hoffe, du verzeihst mir.«
Die Laru schnaubte. »Wenn das hier vorbei ist, könnt ihr drei mein Haus haben , wenn ihr wollt.« Die Worte wurden von einem staubtrockenen Lachen begleitet, aber sie ließ beim Sprechen den Hals durchhängen. Roveg musste nicht fragen, wieso. Niemand wusste, wie Wenn das hier vorbei ist aussehen würde.
Er klappte die Bauchbeine ein und setzte sich vor Ouloo auf den Fußboden. »Vermute ich richtig, dass du gehört hast, was ich den anderen in der Küche erzählt habe?«
»Ja«, sagte sie. »Ich wollte nicht neugierig sein, es ist nur – na ja –, das Schiff ist eben nicht sehr groß.«
»Keine Sorge. Ich hatte mir das schon gedacht.« So viel Offenheit bei diesem Thema war neu für ihn, erfüllte ihn aber auch mit Erleichterung. »Einer meiner Söhne heißt Segred, und er war von Anfang an ein Wildfang. Einmal musste ich wegen einer neuen Sim zu einem Produktionsmeeting – einem ach so wichtigen Meeting, wie immer in solchen Fällen. Eine Frage von Leben und Tod. Ich musste einfach hin. Mittendrin erfuhr ich per Anruf, dass Segred im Krankenhaus war. Er war mit seinen Dummköpfen von Freunden zu – es spielt keine Rolle, wo sie hingegangen waren. Zu dieser Lagune am Rand unserer Stadt. Sie hielten es für eine hervorragende Idee, dort die höchste Felswand hochzuklettern und abwechselnd ins Wasser zu springen. Nur dass es dort unter der Wasseroberfläche Felsen gab, mit denen sie nicht gerechnet hatten, und Segred knallte gegen einen davon, als er sprang. Sein ganzer Panzer riss auf – hier und da.« Er zeigte auf zwei Stellen an seinem Oberkörper.
»O weh«, sagte Ouloo und umklammerte ihre Tasse. »Das muss schlimm für euch gewesen sein.«
»Sehr schlimm, vor allem wegen des Lagunenwassers, das in seine Wunden drang.« Bei der schrecklichen Erinnerung atmete er heftig durch seine Atemlöcher aus. »Zwei Tagzehnte lang saß ich bei ihm im Krankenhaus, während er mit einer sehr ernsten bakteriellen Infektion kämpfte, die sich nur schwer behandeln ließ. Es war scheußlich. Ich erspare dir die Einzelheiten. Aber zuzusehen, wie mein Kind um sein Leben kämpfte, war das Schlimmste, was ich je erlebt habe.«
»Schlimmer als die Verbannung?«
»O Sterne, ja. Ich lasse mich gern hundertmal als kulturelle Bedrohung beschimpfen, wenn das bedeutet, dass ich so etwas nie mehr durchmachen muss.«
»Und … ist er …?«
»Er ist wieder gesund geworden. Äußerlich mit Narben, aber so viel weiser.«
Ouloo wippte mit dem Hals. »Hoffentlich … hoffentlich wird …« Sie konnte sich nicht überwinden, die Worte auszusprechen.
Roveg legte den Kopf schief, um ihren Blick aufzufangen. »Ich wollte damit nicht sagen, dass alles wieder gut wird«, sagte er. »Sondern dass ich verstehe, wie grässlich es sich anfühlt, wenn man nichts tun kann.«
Sie nahm sich noch ein Blumenröllchen. »Wie hast du das überstanden?«
»Es war nicht einfach. Aber seine Mutter und ich begannen damit, ein … man könnte es wohl ein Spiel nennen. Wir redeten darüber, was wir alles mit Segred unternehmen würden, wenn er wieder gesund war. Über all das, was wir ihm zeigen wollten. Zuerst jagte es mir Angst ein. Es fühlte sich an, als würden wir das Unglück heraufbeschwören. Aber je länger wir weitermachten, desto mehr war es, als würden wir eine Zukunft für Segred erzwingen. Je öfter wir es sagten, desto größer wurde die Gewissheit. Mir ist klar, dass das kein bisschen vernünftig oder logisch ist. Ich weiß, dass Segreds Wiederherstellung nichts damit zu tun hatte und nur den Immunobots und Antibiotika zu verdanken ist. Das Spiel hat meinem Sohn nicht geholfen. Aber es hat mir geholfen.« Er machte eine mitfühlende Geste mit seinen oberen Beinen. »Also. Worauf freust du dich bei Tupo?«
Ouloo umfasste die Tasse mit ihren Pfoten. »Ich freue mich riesig auf den Moment, in dem ser mir sagt, welches Geschlecht ser hat«, sagte sie. »Im Geiste plane ich schon seit Ewigkeiten eine Party. Pressbeeren mit Gruub-Marmelade, wenn ser ein Mädchen ist, Zehnbeerenkompott, wenn ser ein Junge ist, Zitruswölkchen, wenn ser keines von beidem oder etwas dazwischen ist. Ich habe die Rezepte auf meinem Scribus. Ich weiß, dass es vielleicht noch Jahre dauern wird – man kann nie wissen, wann ein Kind so weit ist, vielleicht wird ser dann schon erwachsen sein –, aber ich liebe es, mir die Party auszumalen. Jedes Mal wird sie etwas aufwendiger. Wir werden Lichter und Pixelwolken haben, und wenn ich zu dem Zeitpunkt genug Geld haben sollte, miete ich eine Band.«
»Das klingt phantastisch«, sagte Roveg. »Hast du irgendeine Vermutung, welches …«
Ouloo machte eine abwehrende Bewegung mit den Pfoten. »O nein, nein, nein«, sagte sie. »Das werde ich sihm nicht antun. Manche Leute – nicht alle, aber einige – finden es lustig, Wetten abzuschließen, aber in meinen Augen ist das Quatsch. Als ich kaum älter als Tupo war, habe ich gehört, wie meine – Verwandte hört sich seltsam für mich an, weil wir diese Begriffe nicht verwenden, aber das ist das Wort, dass ihr benutzen würdet. Jedenfalls redeten sie auf diese Weise über mich, und die meisten dachten, ich würde sagen, dass ich ein Junge bin. Ich war ganze Standards lang verstört deswegen. Nein, das tue ich Tupo auf keinen Fall an. Nur ser weiß, was ser ist.«
»Ich merke es mir, und ich finde das bewundernswert«, sagte Roveg. »Und ich fand schon immer, dass diese Party nach einer schönen Tradition klingt.«
»Bei den Quelin gibt es so etwas nicht, oder?«
»Nein, gar nicht. Falls die Eltern sich geirrt haben, sagt man ihnen Bescheid, korrigiert seine Akte, und alle leben so weiter wie zuvor. Es ist nichts Besonderes. Niemand mietet eine Band. Schade eigentlich.«
»Nun, egal, welches Rezept ich für …« Ouloo atmete zitternd ein.
Roveg winkelte mitfühlend die Beine an. Auch er hatte einst dieses Zögern gespürt. »Schon gut«, sagte er. »Erzwing es.«
Ouloos Augen verengten sich, und sie schob den Kiefer vor. »Egal, welches Rezept ich für Tupo zubereite«, sagte sie wild entschlossen, »ihr seid alle drei eingeladen.«
»Das würde ich mir nie entgehen lassen«, sagte Roveg. Kaum waren die Worte über seine Lippen, kehrten sie zurück, um ihn zu ohrfeigen. O nein, er würde sich nicht die Party für das Kind entgehen lassen, dass er erst seit vier Tagen kannte. Sterne, nein, niemals würde er das verpassen.
Ouloo betrachtete ihn, während er finster vor sich hin grübelte. Sie nahm einen der Aal-Kräcker, drehte die Pfote um und hielt ihn Roveg hin.
»Die sind für dich«, sagte er.
Beharrlich schob sie ihre Pfote vor. »Keine Medizin«, sagte sie. »Nur für die Lebensgeister.«
Die beiden brauchten nicht lange, um das Tablett zu leeren.