In der Geschichtswissenschaft, aber auch in der öffentlichen Wahrnehmung, gibt es einen breiten Konsens dahingehend, daß der Umbruch vom 18. auf das 19. Jahrhundert, daß die Erschütterungen im Gefolge der Französischen Revolution und der napoleonischen Umwälzungen, daß vornehmlich das Ende des Alten Reichs und der ständischen Ordnung sowie die Festlegungen des Wiener Kongresses den Begriff und das Wesen der Monarchie in ihrem innersten Kern veränderten. Bevor davon zu reden ist, wie das Haus Wittelsbach mit diesen Erschütterungen umging und wie es mit den neuen Verhältnissen fertig wurde, sind kurz die vier zentralen Elemente dieses Umbruchs zu rekapitulieren, insoweit davon die Monarchie als Staatsform und als Verfassungstypus betroffen war.
1. Die göttliche Legitimationsvorstellung, die mit einer höchsten weltlichen Gewalt zumindest seit dem frühen Mittelalter verbunden war, gerät in eine existentielle Krise. Zwar titeln auch noch die bayerischen Könige des 19. Jahrhunderts mit «von Gottes Gnaden», aber nicht nur der Historiker Heinrich von Treitschke hat ironisierend umformuliert und im Blick auf die deutschen Königreiche des 19. Jahrhunderts, und vor allem im Blick auf das Königreich Bayern, als «von Napoleons Gnaden» gesprochen. – Die religiöse Konnotation des monarchischen Gedankens, verbunden mit allen Konsequenzen, wie sie die europäische Verfassungsentwicklung vom mittelalterlichen Königsheil und Herrschercharisma bis zur Ausprägung des frühneuzeitlichen Gottesgnadentums kennt, bricht am Beginn des 19. Jahrhunderts zusammen. Man kann zwar danach fragen, ob diese Zäsur in den rationalen Begründungszusammenhängen des so bezeichneten aufgeklärten Absolutismus präfiguriert erscheint; an der Schärfe des Umbruchs ändern solche Überlegungen jedoch wohl nichts, vor allem auch deshalb, weil sich mit diesem Säkularisierungsvorgang im monarchischen Bereich ein Säkularisierungsprozeß verbindet, der graduell alle Teile der Gesellschaft erfaßt.
2. Die Monarchie als Idee, Prinzip und Staatsform befindet sich seit 1789 in der Defensive. Ein dergestalt harsches Urteil darf sich nicht täuschen lassen vom Glanz des monarchischen und höfischen Zeremoniells, den das 19. Jahrhundert – nicht zuletzt in München – noch zu entfalten wußte, auch nicht von den vielfältigen Formen einer Verehrung für die Person des Monarchen, wie sie uns idealtypisch etwa bei Prinzregent Luitpold begegnen wird. Seit 1789 galt die antimonarchische Revolution nicht nur als ein gedanklicher Potentialis, sondern als eine reale, wenn man so will, bereits praktizierte, Möglichkeit. Daraus erklärt sich die Defensive der monarchischen Idee, in diesem Verlust des ehedem schlechterdings Selbstverständlichen einer monarchischen Ordnung wurzeln Revolutionsangst und Restaurationsbestrebungen in gleicher Weise. Wahrscheinlich haben diejenigen Autoren sogar recht, die allein schon den Begriff «monarchisches Prinzip» für ein Defensivphänomen halten. In der Tat ist ja die Argumentation in den Kategorien eines monarchischen Prinzips gedanklich nur in Opposition zu anderen, eben nicht-monarchischen Prinzipien vorstellbar.
3. Die Defensive, in die die Monarchie seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts gedrängt ist, evoziert, verschärft durch die andauernde Revolutionsfurcht, einen durchgängigen Rechtfertigungsdruck, dem die monarchische Idee und deren Träger und Protagonisten ausgesetzt sind. Die vorrevolutionäre Akzeptanz der Monarchie als Idee und Ordnung wird abgelöst von einer Tendenz zur permanenten Evaluation der Inhaber der monarchischen Gewalt. – Eine solche Umorientierung ist eine Folge des erwähnten Rechtfertigungs- und Qualifikationsdrucks, sie hinterläßt tiefe Spuren in der monarchischen Selbsteinschätzung, im Profil monarchischen Handelns, dessen Wirkungen und Ergebnisse zu Beurteilungskriterien werden. Von hier aus ist es nur ein kleiner Schritt zu dem Befund, daß im Blick auf das 19. Jahrhundert – in der Zeit selbst und in der nachfolgenden wissenschaftlichen Literatur – weit weniger vom Prinzip der Monarchie, denn von den Akteuren der monarchischen Szene gehandelt wird. Ein solcher Befund schlägt sich nieder in Forschungslücken hinsichtlich struktureller und funktionaler Bedingungen der Monarchie im 19. Jahrhundert, er läßt sich verknüpfen mit der Fülle biographischer Publikationen aus dem 19. und 20. Jahrhundert und noch mit der relativen Häufigkeit von Regentschaftseinsetzungen angesichts tatsächlich oder vermeintlich regierungsunfähiger Monarchen.
4. Nicht die Frage nach den konkreten Machtbefugnissen steht im Vordergrund, wenn man die spezifische Signatur der Monarchie im 19. Jahrhundert greifen will. Und dennoch ist an diesem Punkt nochmals anzuknüpfen, wenn man das Tableau der Umbrüche und Innovationen des monarchischen Gedankens im 19. Jahrhundert auch nur einigermaßen zutreffend skizzieren will. – Ausgehend von der kryptischen Festlegung des Wiener Kongresses, daß in den einzelnen Staaten des Deutschen Bundes landständische Verfassungen «stattfinden» werden, setzt damit eine Entwicklung ein, die zuerst im süddeutschen Frühkonstitutionalismus konkrete verfassungsmäßige Bindungen der monarchischen Gewalt definiert. Die allmähliche, wenn auch in einem Süd-Nord-Gefälle zeitlich verzögerte, Ausbildung des Typus der konstitutionellen Monarchie in den deutschen Staaten und schließlich noch auf der Ebene des Kaiserreichs von 1871 macht den Monarchen, bei allen Unterschieden im einzelnen und bei aller Polarisierung der diesbezüglichen staatsrechtlichen Literatur, zum Organ des Staates. In dem – faktisch existierenden und durch keinerlei autokratische Ansprüche weg zu diskutierenden – Machtdreieck von Monarch, Volksvertretung und Ministerium wird man das eigentliche Spezifikum der deutschen Verfassungsordnungen des 19. Jahrhunderts erblicken. Dieses Machtgefüge beinhaltet etwas grundsätzlich anderes als etwa die Rolle starker Premiers in den Zeiten des Ancien Régime. Dieses Machtgefüge weist dem Monarchen einen – nach Konstellation und Persönlichkeit durchaus unterschiedlich ausfallenden – Platz innerhalb der staatlichen und verfassungsmäßigen Ordnung des 19. Jahrhunderts zu. Der Monarch braucht, wenn er denn seine Vorstellungen durchsetzen will – was unter den skizzierten Vorzeichen des Nachweises individueller Leistung dramatisch an Wichtigkeit gewinnt – der Monarch braucht Verbündete. Diese Verbündeten konnte er nach Lage der Dinge, wollte er nicht gleichzeitig den Schritt zur Parlamentarisierung oder zu einem plebiszitären Bonapartismus gehen, eben nicht bei den Volksvertretungen finden, er suchte und fand sie in den Ministerien, in den Staatsverwaltungen des 19. Jahrhunderts.
Entsakralisierung der monarchischen Würde und eine aus Legitimationsdefiziten und Revolutionsfurcht geborene Defensivhaltung gegenüber den Tendenzen des Zeitalters, strukturelle und persönliche Rechtfertigungszwänge, konstitutionelle Bedingungen und eine ministerielle Einhegung der monarchischen Gewalt: Nach soviel struktureller Problematisierung müssen die Realitäten der wittelsbachischen Geschichte selbst wieder in den Vordergrund treten. Wenn man auch dabei mit dem Begriff des Umbruchs vom 18. auf das 19. Jahrhundert hantieren möchte, dann muß man mit dem Jahr 1777 beginnen.
Mit dem Tod des Kurfürsten Max III. Joseph am 30. Dezember 1777 war die ludovizianische, von Ludwig dem Bayern herrührende Linie des Hauses – die altbayerische Herzogs- bzw. Kurlinie – im Mannesstamm ausgestorben. Zu diesem Zeitpunkt blühte der rudolfinische, der pfälzische, von Rudolf dem Stammler ausgehende Zweig der Familie, nach dem Verlöschen diverser Äste, nur noch in den Linien Neuburg-Sulzbach und Birkenfeld-Zweibrücken. Infolge der 1761, 1766, 1771 und zuletzt 1774 erneuerten wittelsbachischen Hausverträge fiel die Nachfolge – in der Pfalz und in Bayern – an Kurfürst Karl Theodor (1724–1799) aus der Linie Neuburg-Sulzbach. Um den weiteren Gang der Entwicklung gleich vorwegzunehmen: Nachdem Karl Theodor seinerseits 1799 ohne legitimen männlichen Erben verstorben war, wechselte das Erbrecht auf die letzte verbliebene pfälzische Linie, auf Birkenfeld-Zweibrücken, in der die Erbfolge auf Max Joseph (1756–1825) überging. Mit ihm, der 1806 zum König – er nannte sich fortan Max I. Joseph – aufstieg, beginnt dann die wesentlich übersichtlichere Geschichte des Hauses Wittelsbach im 19. Jahrhundert. Bevor man sich dieser jedoch zuwenden kann, müssen einige Phänomene aus dieser wittelsbachisch-pfälzisch-bayerischen Umbruchsepoche angesprochen, einige Geschichten erzählt werden, und zwar weniger aus der Absicht der anzustrebenden Vollständigkeit heraus, als vielmehr deshalb, weil sich in diesen Konstellationen einmal mehr die enge Verwobenheit von Familiengeschichte und allgemeiner Geschichte, von individuellen Zufälligkeiten und strukturellen Gegebenheiten zeigt.
Das Herrschaftsgebiet Karl Theodors, der am 11. Dezember 1724 auf Schloß Drogenbusch bei Brüssel geboren wurde, wies erhebliche Dimensionen auf: Seit 1728 war er Markgraf von Bergen op Zoom, seit 1733 Herzog von Pfalz-Sulzbach, seit 1742 war er Kurfürst von der Pfalz, Herzog in Neuburg, Jülich und Berg und dann eben seit 1777 auch noch Kurfürst von Bayern. Mit Ausnahme des Besitzes der Linie Birkenfeld-Zweibrücken befanden sich nun alle wittelsbachischen Territorien in seiner Hand, und vornehmlich dieser Umstand war es, der Karl Theodor nicht wirklich eine bayerische Identität annehmen ließ, um absichtsvoll mit einer ganz modernen Begrifflichkeit zu laborieren. Im Gegenteil: Den Zugewinn Bayerns sah er in erster Linie als eine Besitzerweiterung an, die ihm dazu verhelfen mochte, seinen eigentlichen territorialpolitischen und dynastischen Traum verwirklichen zu können, die Schaffung eines wittelsbachischen Königreichs Burgund, das sich um Brüssel, Düsseldorf und Mannheim gruppieren sollte, wobei er die Abtretung der österreichischen Niederlande seitens des Kaisers diesem durch die Preisgabe Bayerns an Habsburg erleichtern wollte.
Solche Tauschpläne lagen durchaus auf der Linie tradierten dynastischen Denkens der vorangegangenen Jahrhunderte, und doch zeigte es sich, daß die hohe Zeit solchen Länderschachers sich ihrem Ende entgegenneigte. Die Pläne Karl Theodors scheiterten: einerseits am machtpolitischen Widerspruch der europäischen Großmächte und vornehmlich Preußens, obwohl der entsprechende Vertrag schon paraphiert war, andererseits aber auch an der Verweigerung der Linie Birkenfeld-Zweibrücken, deren Einverständnis zu einer solchen Lösung hausvertragsgemäß zwingend erforderlich war, und schließlich an einer innerbayerischen Oppositionsbewegung, die sich selbst als patriotisch und im Interesse des Landes handelnd verstand, was in besonderer Weise auf den bevorstehenden Umbruch der Zeitverhältnisse verweist!
Neben einer Vielzahl unehelicher Kinder hatte Karl Theodor nur einen einzigen legitimen männlichen Erben, Franz Ludwig Joseph, der jedoch 1761, wenige Tage nach seiner Geburt verstarb. Dadurch zeichnete sich schon seit den 1770er, 1780er Jahren ab, daß die wittelsbachische Ländermasse dereinst an die Linie Birkenfeld-Zweibrücken fallen würde. Diese Perspektive war es nicht zuletzt, die deren vergleichsweise starke Stellung bei den erwähnten Verhandlungen um die Tauschprojekte Karl Theodors begründete. Zur Generation Karl Theodors gehörte in dieser Linie Pfalzgraf Friedrich Michael (1724–1767), auf dessen beiden Söhnen Karl August Christian (1746–1795) und Max Joseph (1756–1825) die Hoffnung auf das Fortleben der Linie und auf die nachmalige Erbschaft des gesamten wittelsbachischen Länderbesitzes ruhte. Tatsächlich verstarb der Sohn und potentielle Erbe des älteren Bruders noch als Kind im Jahre 1784, sodaß 1786 die Geburt von Max Josephs Sohn Ludwig von den patriotischen Kreisen in München schon als die des kommenden Kurfürsten gefeiert wurde. Bis 1795 mochte solche Aussicht überaus realistisch erscheinen, in diesem Jahr indes heiratete der bereits 71jährige Karl Theodor die 19jährige Erzherzogin Maria Leopoldine von Österreich-Este. 1799, beim Tod des Kurfürsten, blieb ihr die peinliche Frage, ob sie von diesem noch ein Kind erwarte, nicht erspart. Ihre ehrliche Antwort, daß sie vom Kurfürsten nicht schwanger sei (wiewohl sie, allerdings von ihrem Obersthofmeister, dem Grafen Ludwig von Arco, tatsächlich schwanger war!), entschied letztendlich den problemlosen Übergang der Kurwürde an Max Joseph von Birkenfeld-Zweibrücken; und dessen Sohn Ludwig, der nachmalige König Ludwig I., wurde nun in der Tat Kurprinz von Pfalz-Bayern.
Abbildung 10: Kurfürst Karl Theodor
Ein Nachtrag gehört noch zur Geschichte dieses Umbruchs: Bisher war immer nur die Rede von der pfälzischen Linie Birkenfeld-Zweibrücken. Tatsächlich gab es noch eine weitere, nachgeborene Linie: Birkenfeld-Gelnhausen, als deren Begründer Pfalzgraf Johann Karl (1638–1704) gilt, dessen Enkel Wilhelm in der Karl Theodor-Zeit effizient die Interessen der Birkenfelder in München vertritt, der in Landshut residiert, der der Kurfürstin Maria Leopoldine die erwähnte Schwangerschaftsfrage stellt, der den ungefährdeten Übergang der Kurfürstenwürde an Max Joseph sicherstellt, der noch im Februar 1799 zum Herzog Wilhelm in Bayern ernannt wird und damit die Linie der Herzöge in Bayern begründet, die bis zum heutigen Tag existiert.