Einleitung

Damals wie heute? So geschehen in einer Schreinerei in Hessen

Oder – es könnte heute noch genau so passiert sein …

2014 irgendwo in Südhessen. Eine kleine Schreinerei, familiengeführt, macht sich Gedanken darüber, wie sie ihren freien Ausbildungsplatz mit einem Auszubildenden zum Schreiner besetzen kann. Zudem ist der Wunsch vorhanden, den Bekanntheitsgrad im Ort und im Umkreis von 20 km zu erhöhen oder sich mal wieder bei den Menschen ins Gedächtnis zu rufen.

Kurzerhand wurde ein Projekttag mit einer ortsansässigen Schule vereinbart und eine Woche später sollte ein Tag der offenen Tür stattfinden. Beide Vor-Ort-Veranstaltungen sollten Begeisterung wecken und ein Update des Handwerks aufzeigen. Mit viel Liebe und Engagement hat sich die Familie an die Planungen gemacht und zwei besondere Tage kreiert.

Am Schülerprojekttag haben 60 Schülerinnen und Schüler teilgenommen. Sie haben unterschiedliche Bereiche durchlaufen und ab Mitte der Zeit auch Eigenes erstellt. So entstanden Namensanhänger aus Holz oder hochwertige Untersetzer für zu Hause.

Die Begeisterung unter den jungen Menschen war enorm. Die Zeit verging wie im Flug und einige der Kids im Alter zwischen 13 und 15 Jahren wollten sogar überhaupt nicht mehr nach Hause.

Eine sichtlich platte, aber überglückliche Schreiner-Familie blickte auf einen besonderen Tag zurück.

Doch es folgte der nächste Morgen und um 07:24 Uhr klingelte das Telefon – der erste von weiteren folgenden Anrufen, der den Vortag zunichtemachen sollte. »Hier ist der Vater von Tobias Meier, der gestern an ihrem Schülerprojekttag in Ihrer Schreinerei teilgenommen hat. Was fällt Ihnen ein, meinem Sohn den Floh ins Ohr zu setzen, er solle Schreiner werden. Dies wird ein Nachspiel haben. Schließlich soll mein Sohn was Gescheites lernen.« Rumms aufgelegt.

Der Inhaber und Schreinermeister war fassungslos. Es klingelte erneut und ein ähnlicher Anruf ging ein. Er ließ das Getöse auch dieses Anrufers über sich ergehen und legte auf. Bevor es ein weiteres Mal klingeln konnte, rief er mich, seine Marketingberaterin, an, die beide Formate mit der Familie zusammen konzipiert und tatkräftige Unterstützung geleistet hatte. Zunächst beruhigte ich ihn und ließ ihn wissen, dass er alles auf mich – seine Beraterin – schieben sollte. Als Zweites erhielt ich alle Namen und Telefonnummern, um die betroffenen Eltern zurückzurufen. Ich stellte mich kurz vor, nahm alle Schuld auf mich und die Familie in Schutz und lud abschließend alle Eltern zu dem Tag der offenen Tür ein. Nicht selten hörte ich, dass wir uns auf etwas gefasst machen müssten.

Eine Woche später, an einem Samstagmorgen standen wir in Reih und Glied vor der Schreinerei, um die Besucher unseres Formates »Tag der offenen Tür« zu begrüßen. Der Weg zum Betrieb war leicht abschüssig und so konnten wir unten anhand der Gestik der Kommenden schon erkennen, wer sich als wütende Eltern outen würde.

Wir hatten uns für diesen Tag viele Gedanken gemacht. Mehrere Stationen waren im Konzept vorgesehen. Es gab ein altes Zeichenbrett noch vom Urgroßvater, der darauf noch Schränke und Sideboards mit der Hand gezeichnet hatte, und eine Verpflegungsecke mit Bierzeltgarnituren, deftigem Essen, Sekt und Bier. Das Büro mit den drei IT-Arbeitsplätzen war auf Hochglanz poliert und auf den Bildschirmen lief in Dauerschleife ein 3-D-CAD-Programm mit attraktiven Küchen- und Schlafzimmerdesigns. Auf dem Weg in den Arbeitsbereich und der 5-Achsen-CNC-Fräsmaschine war noch der Messestand von Lufthansa aufgebaut, der im Jahr zuvor speziell angefertigt worden war.

Ich übernahm den Rundgang mit unseren »Problem-Eltern«, wiederholte immer wieder, dass die Familie gänzlich unschuldig an diesem Schülerprojekttag war, und gewährte wie ganz nebenbei Einblicke in die spannenden, innovativen und sich wandelnden Gegebenheiten des Schreinerberufs. Bei jedem Elternpaar bemerkte ich, dass sich die anfängliche Wut und Abneigung immer mehr in Neugier und Begeisterung verwandelte. Spätestens nach den IT-Arbeitsplätzen und dem Lufthansa-Messestand waren alle Zweifel rund um den Beruf in Vergessenheit geraten. Und mehr als die Hälfte der Eltern stellten abschließend die Frage, wo sie sich denn bei der Schreinerfamilie für ihr Verhalten entschuldigen dürften.

Diese Erfahrungen haben mich nachhaltig beeinflusst. Das Handwerk sollte fortan die Spitze meines unternehmerischen Tätigkeitsfelds und des meines Teams bilden. Ich wollte eine Brücke bauen zwischen der Perspektive bzw. der Sicht der Eltern und des potenziellen Nachwuchses auf das Handwerk und der Wirklichkeit in einem Handwerksunternehmen.

Man könnte auch sagen: Der unbändige Wunsch war geboren, diese Wahrnehmungslücke zwischen dem Handwerk, dem Nachwuchs und dessen Eltern zu schließen.

Als 6-Jährige das erste Gericht selbst gekocht – Entdecken eines Berufsfelds aus dem praktischen Sektor!

In meiner Kindheit war es für mich normal, dass tagsüber meine Großmutter auf mich aufpasste und ab 17 Uhr meine Mutter von der Arbeit nach Hause kam. Manchmal holte ich sie vom Bus ab, denn wir wohnten in einem 1200-Seelen-Dorf, und manchmal wartete ich zu Hause auf sie. Was jedoch jeden Tag gesetzt war, war der Umstand, dass sie für uns – meinen Vater, mich und sie – Abendessen kochte. Und da die Zeit mit meiner Mum so begrenzt war, saß ich auf der Arbeitsplatte und schaute ihr zu.

Für mich war immer faszinierend, wie schnell sich Lebensmittel in leckere Mahlzeiten verwandelten und wie viel Spaß wir dabei hatten.

Wenn bei Kindern die Neugier geweckt ist, wollen sie es gleichtun. Sie wollen mehr erleben und verlangen nach mehr Wissen. So dauerte es auch keine drei Monate und ich konnte mein erstes Gericht selbst kochen: Filetspitzen in Eigelb gebacken.

Stolz und Freude lösten die fertig angerichteten Teller aus. Die Nacht war gelaufen, denn vor lauter Aufregung war an Schlafen an diesem Abend kaum zu denken.

Diese Tatsache machte in unserem Freundeskreis und in der Nachbarschaft die Runde: Die kleine sechsjährige Nicole konnte kochen.

Diese Erfahrungen vertieften sich in meiner Kindheit und Jugend. Regelmäßig war ich in unserer Familie für das Mittag- oder Abendessen zuständig. Gefühlt erhielt ich Verantwortung und konnte auch selbst entscheiden, was es Leckeres gab. Kochbücher wurden herangezogen und neue Kreationen ausprobiert.

Von Gulasch über Rouladen, selbstgemachte Nudeln bis zum Lachssteak – alles musste ausprobiert werden. Und was für andere Kinder und Jugendliche teilweise ein fremdes Feld war, existierte in meiner Welt als Selbstverständlichkeit – das Kochen, nicht nur zur Nahrungsaufnahme, sondern als wichtiger Teil des täglich stattfindenden Familienlebens.

Und so vergingen Kindheits- und Jugendjahre, in denen meine Kochkünste zunahmen, wenngleich ich diese Kompetenz-Entwicklung nicht bewusst als solche identifiziert habe.

Auf dem Gymnasium wurde zunehmend das Thema Berufswahl relevanter. Während meine Mitschüler sich über Studiengänge und daraus ergebende Berufsfelder Gedanken machten, hatte ich ein Erlebnis während eines Mauritius-Urlaubes, der meinen Weg vordefinierte. Ich wollte in die Hotellerie und Gastronomie, am liebsten mit der Ausbildung zur Köchin.

Diese Erkenntnis teilte ich irgendwann auch meinen Eltern mit. Sie waren angetan davon, dass mein Berufswunsch feststand, wenngleich die Reaktionen und ihr Ursprung unterschiedlich waren.

Meine Mutter freute sich, weil ich für mich etwas gefunden hatte, dass mir Spaß und Freude bereitete.

Mein Vater hingegen sagte: »Der Koch ist ein guter Beruf. Denn solltest du irgendwann einmal alleinerziehende Mutter sein, kannst du jederzeit in einer Kantine für dich und dein Kind sorgen.«

In dem Moment war es die Anerkennung meines Vaters, die mich glücklich machte. Denn ich hatte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wirklich realisiert, was die Aussage noch für Botschaften und Inhalte enthielt.

Heute weiß ich, dass meine Mutter immer an meiner Seite stand und steht und ich aus diesem Grund ihrer Aussage weniger Bedeutung beigemessen habe. Bei meinem Vater hingegen war es anders. Er war streitbar und wies mich des Öfteren in meine Schranken, wenn es nicht nach seinen Vorstellungen ging. Somit war die Tatsache, dass er befürwortete, die Ausbildung der Köchin anzustreben, zwar einerseits klasse, doch andererseits ging es ihm gar nicht darum, dass ich glücklich war, sondern »nur«, dass ich versorgt war.