Kapitel 11

img13.png

 

ALS BEN am nächsten Morgen aufwachte, glaubte er noch zu träumen. Schließlich lag Travis neben ihm, und die Kurve seiner Schulter und seines Arms sahen genauso aus, wie er sie sich vorgestellt hatte. Er spürte, wie Travis sich an seine Morgenlatte presste. Ben griff sich ein Kondom vom Nachttisch. Er ließ seinen Schwanz in Travis‘ Arsch gleiten und sie stöhnten gemeinsam auf.

„Der perfekte Morgen”, sagte Travis.

Es war kein Traum.

„Guten Morgen”, flüsterte Ben.

„Wie spät ist es?”

Ben schaute auf seinen Wecker.

„Zwei Minuten nach sieben.“

„Wann wachen deine Brüder auf?”

„Cade wird immer zuerst wach. Wir haben noch etwa eine Stunde.“

„Gehen sie nicht mehr in die Kirche?“

„Nein. Aber das war ihre Entscheidung.”

Ben fickte Travis sanft, während sie weiterredeten.

„Sollen wir ihnen was sagen?“

Ben hatte noch nicht wirklich darüber nachgedacht. Travis’ Arsch hatte seine Gedanken die ganze Nacht über zu sehr gefesselt.

„Was willst du ihnen denn sagen?“

Travis keuchte und griff nach ihm, packte Ben am Hintern und zog ihn an sich.

„Du treibst mich zur Verzweiflung, weißt du das? Ist dir eigentlich klar, dass du alle Fragen mit Gegenfragen beantwortest?“

„Habe ich mir im Jurastudium angewöhnt.“

„Tja, es ist verdammt nervig.”

Ben begann sich zurückzuziehen.

„Oh nein, das machst du nicht“, befahl Travis und hielt ihn fest. „Wehe, du hörst auf. Ich bin doch nicht verrückt. Das heißt nicht, dass ich irgendwas an dir ändern will. Nur, dass ich dir manchmal die Ohren langziehen möchte.“

Ben lächelte und küsste ihn auf den Hals.

„Also“, fuhr Travis fort, „was sollen wir ihnen sagen?“

Ben musste nicht lange über die Antwort nachdenken. „Wir sagen ihnen die Wahrheit.“

„Und was ist die Wahrheit? Bist du bereit, dem Kind einen Namen zu geben?“

„Dem Kind einen Namen zu geben?“

„Unsere Beziehung öffentlich zu machen.“

Ben kicherte und rammte seinen Penis tiefer hinein. „Nein, dazu bin ich noch nicht bereit. Wäre es für dich in Ordnung, es noch eine Weile geheim zu halten?“

Travis schwieg einen Moment, dann sagte er, „Ist in Ordnung. Für eine Weile.“

 

 

ZWEI WOCHEN lang hielten Ben und Travis ihr Verhältnis geheim. Da sie kaum die Finger voneinander lassen konnten, nutzten sie jede nur mögliche Gelegenheit. Travis kam fast jeden Tag in der Mittagspause vorbei. Jeden Abend warteten sie, bis die Jungs im Bett waren, und taten es dann wieder. Morgens erwachte Ben häufig schon mit einem Kondom auf dem Schwanz, das Travis ihm übergestreift hatte, weil er ihn besteigen wollte, ehe er sich aus dem Haus schlich. Bei jeder Gelegenheit fickten sie. Mit Blowjobs oder irgendeiner Art von Vorspiel hielten sie sich nicht auf. Wenn Travis Sex wollte, und das wollte er quasi immer, hieß das, dass er Bens Schwanz in seinem Arsch haben wollte. Wenn er einmal drin war, experimentierten sie mit Geschwindigkeiten und Stellungen. Aber wenn Ben versuchte, ihn herauszuziehen, protestierte und jammerte Travis. Ben musste zugeben, dass ihn das anmachte, insbesondere weil Travis stundenlang durchhielt. Häufig führten sie ausführliche Gespräche, während sie bumsten und Ben seinen Penis gemächlich in Travis bewegte. Manchmal machten sie es wie Hunde, im wahrsten Sinne des Wortes, denn Travis hatte Gefallen daran gefunden, sich auf allen vieren nehmen zu lassen. Wenn Ben ihm zum Abspritzen bringen wollte, musste er nur in einem bestimmten Winkel zustoßen, und sehr bald spritzte Travis alles voll.

Schließlich, eines Freitag morgens, zufällig am Valentinstag, wachte Travis auf und wollte sich nicht wegschleichen. Er rollte sich in Bens Armen zusammen und kuschelte sich in die Kuhle zwischen seinem Hals und seiner Schulter.

„Ich muss dir was gestehen. Ich habe keine Lust, mich hinauszuschleichen, bevor deine Brüder aufwachen. Nicht mehr. Heute ist Valentinstag. Wäre es nicht schön, wenn wir zusammen frühstücken könnten? Wir müssen ihnen sagen, was los ist.”

Ben stimmte zu. „Tun wir das. Bleib zum Frühstück und wir sagen es ihnen. Sie werden es besser schlucken, wenn sie nebenbei Pfannkuchen futtern.“

Das Gespräch verlief erwartungsgemäß gut. Ben ging ohne Umschweife auf das Thema Sex ein. Er erklärte, dass Travis in Zukunft in seinem Zimmer schlafen würde. Dabei warf er Travis einen Seitenblick zu, da er nicht für ihn sprechen wollte. Seinem Lächeln nach zu schließen hatte Travis damit jedoch kein Problem.

Quentin zeigte sich natürlich kein bisschen überrascht von diesen Neuigkeiten. Ben legte fünf Zwanzig-Dollar-Scheine auf den Tisch und schob sie ihm zu.

„Danke“, sagte Quentin, sammelte die Scheine ein und stopfte sie in die Tasche. „Schön für euch, ihr Turteltäubchen. Willkommen in der Familie, Travis. Nochmal.”

„Wofür war das denn?“, fragte Travis.

„Erzähle ich dir später”, sagte Ben.

Cade verstand nicht, wie Travis sein Leben lang auf Mädchen stehen konnte und jetzt plötzlich auf Jungs. Ben erklärte sich darüber auch verwundert, aber Travis zufolge war das Leben eben voller Überraschungen.

„Manche Dinge sind einfach so, wie sie sind. Auch wenn man sie nicht erklären kann.“

„Ich weiß nicht“, sagte Cade. „Dieses Haus wird immer schwuler. Aber wenn ihr glücklich seid, ist das okay für mich. Glaube ich.“

Jason hatte nicht viel zu sagen, und Ben wusste, dass er mit ihm reden musste. Aber das würde warten müssen. Mal wieder. Ben hatte einen Plan für den Valentinstag, sein erstes offizielles Date mit Travis, und dafür musste er noch proben. Daher setzte er sich, nachdem er seine Brüder in die Schule gefahren hatte und Travis zur Arbeit gegangen war, im Wohnzimmer ans Klavier seiner Mutter und frischte seine Kenntnisse auf. Das Kulturamt von Austin hatte in der ganzen Innenstadt Klaviere aufgestellt. Eins davon stand auf der Fußgängerbrücke an der Lamar Straße. Ben hatte in der Highschool bei einigen Musicals mitgemacht und konnte ein wenig Klavier spielen. Er sah die Notenblätter seiner Mutter durch, die sie unter dem Sitz der Klavierbank aufbewahrt hatte. Er fand den Klassiker „My funny Valentine“ von Rodgers und Hart. Perfekt. Er spielte das Stück einige Male durch, seinem Können entsprechend mit vereinfachten Akkorden.

Weil am Valentinstag alle Welt essen ging, holte Ben stattdessen für sich und Travis etwas aus einem Grillrestaurant zum Abendessen. Inzwischen wusste er, dass nichts Travis so glücklich machte wie ein Teller voll Rinderfilet und Grillwürstchen. Als Travis von der Arbeit kam, führte Ben ihn in den Garten, wo er zwischen den beiden Gartenstühlen einen kleinen Tisch für sie gedeckt hatte.

„Was hast du getan, Obi-Wan?“

„Ich dachte, wir könnten hier draußen ein romantisches Picknick machen. Zur Feier des Tages. Weil wir’s den Brüdern gesagt haben.“

„Meine Güte. Dir ist es wirklich ernst, was?“

„So hast du es dir doch gewünscht“, antwortete Ben lächelnd. „Kein Versteckspiel mehr. Also bitte, da hast du’s.“

Travis fiel ihm um den Hals und küsste ihn. „Da hab‘ ich’s“, echote er. „Hast du mir etwa Rinderfilet und Würstchen geholt?“

„Es ist Valentinstag, Travis. Natürlich hab‘ ich dir beides geholt.“

Die beiden Männer setzten sich zu Tisch. Zum Abendessen gab es für jeden eine Flasche Shiner Bock, womit sie auf den Abend anstießen. Travis verputzte nicht nur alles, was er auf dem Teller hatte, sondern auch noch die scharfen Bohnen, den Kartoffelsalat mit Mayonnaise (nicht mit Senf, was in Texas ein wichtiger Unterschied ist), die Essiggurken, Zwiebeln und mehrere Scheiben Weißbrot.

„Du solltest mal in der Werkstatt vorbeischauen”, schlug er zwischen zwei Bissen vor.

„Bist du sicher, dass du bereit dafür bist?“

„Naja, gib mir noch ein-, zwei Wochen. Ich muss mir noch überlegen, wie ich es ihnen beibringe.“

„Wollen wir heute Abend in die Stadt fahren und einen Spaziergang um den See machen? Es ist ein schöner Abend.“

„Sieh an, der nächste Schritt.“

„Warum nicht? Wenn ich schon ein Date mit dir habe, will ich auch mit dir angeben.“

Travis errötete. „Also echt, Ben. Manchmal übertreibst du maßlos.”

Nach dem Essen fuhren sie im Pickup von Bens Vater in die Stadt und parkten an der Ecke von 7. und West Street. „Laufen wir zum Fluss“, schlug Ben vor. „Aber erst holen wir uns im Bioladen noch ein paar Erdbeeren mit Schokoladenüberzug. Wenigstens ein Klischee müssen wir doch heute Abend erfüllen.“

Nach dem Dessert steuerte Ben auf die Fußgängerbrücke an der Lamar Straße zu.

„Darf ich deine Hand nehmen?“, fragte Ben.

Travis lachte. „Geht das hier in Ordnung?“

„Ja. Du lebst in einer sehr schwulenfreundlichen Stadt. Nur damit du‘s weißt.“

„Das dachte ich mir schon. Ich hab‘ schon genug Jungs Hand in Hand hier rumlaufen sehen.“ Er atmete tief ein. „Also ja, du kannst meine Hand nehmen.“

Ben grinste von einem Ohr zum anderen, als er nach Travis’ Hand griff und ihre Finger ineinander verschränkte. Er wusste, dass die Leute sie anstarrten, aber das gehörte alles zu seinem Plan. Während sie auf die Brücke zugingen, hielt Ben schon von weitem nach dem Klavier Ausschau. Er stieß einen erleichterten Seufzer aus, als er feststellte, dass gerade niemand darauf spielte.

Als sie die Brücke betraten, deutete Ben auf das Klavier. „Siehst du das?”, fragte er.

„Was gibt’s da zu sehen? Die Fledermäuse?“, entgegnete Travis.

„Tut mir leid, Atwood. Fledermäuse fliegen nur im Sommer. Nein, ich meine das Klavier da drüben. Siehst du das?”

„Ja, ich seh’s.“

„Ich frag‘ mich, wozu das gut sein soll.“

Ben blieb stehen und sprach eine junge Frau an, die mit ihrem Freund am Brückengeländer lehnte. „Entschuldigung. Wisst ihr, warum dort ein Klavier auf der Brücke steht?“

„Davon stehen in der Innenstadt ganz viele“, antwortete der Mann. „Man kann sich einfach hinsetzen und darauf spielen. Ist echt cool.“

„Danke, Mann“, sagte Ben, ging weiter und zog Travis hinter sich her. „Kannst du Klavier spielen?“

Travis lachte. „Nein. Meine Mama hätte nie ihr sauer verdientes Geld für Musikunterricht ausgegeben. Wieso, kannst du’s etwa?“

Ben hob die Schultern. „Das werden wir ja gleich sehen.“

Er setzte sich ans Klavier und schlug versuchsweise ein paar Tasten an, um zu überprüfen, ob es gestimmt war. Dann legte er mit den ersten Akkorden von „My Funny Valentine“ los.

„Was um alles in der Welt machst du da, Obi-Wan?“

Einige Leute waren bereits stehen geblieben, um Ben zuzuhören.

„Ladies and Gentleman“, begrüßte Ben mit lauter Stimme die ständig größer werdende Zuschauermenge, wobei er weiter die Einleitung klimperte. „Mein Name ist Ben und das ist mein Freund Travis.“

„Hallo, Ben“, und „Hallo, Travis“, schallte es vereinzelt aus dem Publikum zurück.

„Travis geht heute zum ersten Mal in seinem Leben mit einem Mann aus. Das heißt, dass ich heute das große Los gezogen habe.“

„Willkommen im Club, Travis“, rief ein junger Mann von ganz hinten in der Menge.

„Danke“, antwortete Travis mit hochrotem Kopf.

„My funny Valentine…” begann Ben zu singen. Travis lauschte hingerissen; er strahlte vor Freude und Stolz über das ganze Gesicht. „But don’t change a hair for me…” sang Ben weiter, während einige Zuschauer ihre Handys zückten, Fotos machten und das Ereignis über Twitter verbreiteten. Ben spielte den Mittelteil des Liedes leidenschaftlich, das Ende ruhig. Nachdem der letzte Ton verklungen war, fragte Ben: „Travis, willst du mein Valentinsschatz sein?“

Travis blickte sich um. „Naja, ich kann dich ja schlecht vor den ganzen Leuten blamieren, also sag‘ ich mal lieber ja.“

Alle klatschten und jubelten und Ben stand auf, um Travis einen Kuss zu geben.

 

 

AM SONNTAGABEND beschloss Ben, dass es Zeit für ein Gespräch mit Jason unter vier Augen war. Also ließ er Cade und Quentin bei Travis und ging mit Jason in einem Grillrestaurant essen.

„Wie läuft’s denn so bei dir?“, fragte Ben, nachdem sie sich gesetzt hatten.

Ein Hilfskellner stellte zwei Gläser Wasser auf den Tisch und verschwand wieder. Jason zuckte die Achseln.

„Ganz okay, denk‘ ich.”

„Quentin hat’s mir gesagt. Das mit dem Jungen in deinem Zimmer. Tut mir leid, dass ich dich nicht eher darauf angesprochen habe.“

Zuerst sagte Jason gar nichts. Dann fragte er: „Krieg‘ ich jetzt Ärger?“

„Nein, natürlich nicht.“

Ein junger Mann trat an ihren Tisch. Er stellte sich als „Joe“ vor. „Darf’s sonst noch was zu trinken sein, Jungs?“, fragte er.

„Ich nehme ein Dr. Pepper“, antwortete Ben.

„Ich auch“, schloss sich Jason an. „Und kann ich schon mal Pommes haben, bitte? Mit extra Sauce?”

„Aber sicher. Kommt sofort.“

Joe ging weg und Jason trank einen Schluck Wasser.

„Ich war‘s nicht, weißt du.“

„Was meinst du?”

„Ich hab‘ nicht angefangen. Er hat mich zuerst geküsst.”

„Macht das einen Unterschied?“

Erneut zuckte Jason die Achseln.

„Wer war dieser Junge?“

„Jake McAlister. Hat gerade angefangen zu studieren.”

„Wo hast du den denn kennen gelernt? Du bist noch in der Highschool.“

„Bei einem OutYouth-Picknick.“

„Du warst bei einem OutYouth-Picknick? Ganz allein?“

„Klar, wieso nicht? Ich kann ja wohl schlecht in eine Schwulenbar gehen.“

„Habt ihr euch seither nochmal getroffen?“

„Eigentlich nicht, nein. Als Mama so ausgeflippt ist, da ist er auch ausgeflippt, weil seine Mama kein Problem damit hat, dass er…na, egal. Er hat mir ein paar SMS geschrieben und ich hab‘ ihn nochmal bei der Weihnachtsfeier gesehen, aber viel zu sagen hatte er mir nicht. Nur ‚hey, wie läuft‘s? ‘ Langweilig.“

„Ist er süß?”

Jason errötete.

„Aber sowas von. Ein totaler Justin.”

„Justin?”

„So nennen die Mädchen in der Schule einen süßen Typen.“

„So wie Justin Timberlake?”

„So wie Justin Bieber.”

Ben schüttelte den Kopf und lachte. Joe kam mit ihren Getränken und Jasons Pommes zurück. Die Pommes in diesem Lokal waren legendär; sie wurden erst in Teig getaucht, dann frittiert und mit einer besonderen Tartarsauce serviert. Joe stellte sie in der Mitte des Tisches ab. Ben aß eine. Er hatte vergessen, wie lecker sie waren.

„Du und Colin, ihr habt euch anscheinen auf Anhieb verstanden.“

Jasons Augen leuchteten auf, während er weiter kaute.

„OMG, endlich ein Onkel, den ich auch tatsächlich mag. Er hat mir angeboten, ihn Onkel Colin zu nennen. Ist das okay? Hast du gewusst, dass seine Familie eine Yacht hat?”

„Auf der war ich schon mal. Wirst du auch irgendwann.”

„Wirklich?”

„Klar. Wenn wir nach New York ziehen, wirst du mit Sicherheit sofort eingeladen.”

Ben nahm sich noch eine Pommes.

„Was ist mit Travis?”

„Was soll mit ihm sein?“, fragte Ben.

Jason sah verwirrt aus.

„Ihr seid doch jetzt ein Paar, oder nicht?“

„Ich… Ich weiß nicht, was wir sind. Aber kein Paar. Noch nicht.”

„Er hat mir erzählt, was du unten an der Brücke für ihn veranstaltet hast. In dich kann man sich wirklich verknallen, Ben. Aber wenn du findest, dass ihr kein Paar seid…na, sagen wir mal so: wird Zeit, dass ihr zwei euch mal gegenseitig klar macht, was Sache ist.“

„So weit sind wir noch lange nicht, besten Dank auch.“

„Ziehen wir ohne ihn nach New York?“

Ben schaute in die Karte. „Was gibt’s denn hier heute Feines?“

Jason aß eine Pommes. Er hatte den Wink mit dem Zaunpfahl verstanden und ging nicht weiter auf das Thema ein.

„Hast du eigentlich nicht daran gedacht, mich anzurufen?“ fragte Ben.

„Wann?”

„Als Mama und Papa es herausgefunden haben. Warum hast du da nicht zum Telefon gegriffen?“

Jason starrte in die Karte.

„Hab‘ ich ja.“

„Was soll denn das heißen?”

„Ich hab‘ dich angerufen. Du hast gesagt, du wärst gerade mitten in einer Besprechung oder so und würdest mich zurückrufen.“

Ben saß sprachlos da. Jetzt erinnerte er sich wieder an den Anruf.

„Und ich habe es nie getan.“

Jason schüttelte den Kopf.

„Es tut mir so leid.“

Jason nickte. „Schon okay.”

„Nein, ist es nicht. Ich bin wirklich nicht glücklich darüber, wie ich mich in den letzten Jahren so benommen habe. Ich hätte für dich da sein sollen.”

„Jetzt bist du ja da. Lass uns in den Frühlingsferien gehen.“

„Nach New York?“

„Ja. Und Travis sollte auch mitkommen. Vielleicht will er auch dauerhaft dort leben, wenn er es einmal gesehen hat.“

Ben dachte darüber nach.

„Das ist keine schlechte Idee. Colin hatte Recht mit dem, was er über dich gesagt hat. Du bist ein kleines Genie.”

 

 

ALS SIE nach Hause kamen, erklärte Ben Travis, er müsste Colin anrufen und ihm von dem Gespräch erzählen. Er ging in sein Zimmer und schloss die Tür.

„Wir tun es”, sagte Ben, als Colin abhob.

„Was?”

„Ich und Travis. Wir ficken wie die Mormonen.”

„Seit wann?”

„Seit etwa zwei Wochen.”

„Meine Güte, Walsh. Was ist bloß in dich gefahren? Ich dachte, von Hetero-Typen lässt du die Finger.”

„Ich breche ständig meine eigenen Regeln. Abgesehen davon kommt er mir gar nicht so hetero vor, wenn er meinen Schwanz im Arsch hat. Mich hat‘s ganz schön erwischt, Colin. Ich kann die Hände nicht von ihm lassen.”

„Tja, ich kann nicht behaupten, dass ich überrascht bin. Das habe ich schon von weitem kommen sehen.”

„Am Valentinstag sind wir zum ersten Mal richtig miteinander ausgegangen. Was würdest du davon halten, wenn ich ihn nach New York mitbringen würde? Mit meinen Brüdern? Ich würde ihm in den Frühlingsferien gerne die Stadt zeigen.“

„Großer Gott, dich hat es tatsächlich schwer erwischt. Willst du etwa, dass er mit euch nach New York zieht?“

„Das habe ich nicht gesagt.“

„War auch gar nicht nötig. Du kannst ja nicht mal mehr klar denken. Aber ich unterstütze dich trotzdem auf jeden Fall.“

„Magst du ihn nicht?“

„Ich habe nicht gegen ihn. Aber warum musst du aus dieser Bilderbuchromanze eine echte Beziehung machen? Unter solchen Umständen funktioniert das mit dem Umziehen niemals. Irgendwann nimmt er es dir nur übel, dass du ihn verpflanzt hast.“

„Ich will ihn ja nicht zwingen. Ich habe es ihm noch nicht einmal vorgeschlagen. Ich dachte, ich bringe ihn erst mal mit und hoffe, dass die Stadt ihn in ihren Bann zieht. Dann kann er immer noch entscheiden, was er tun will. Was ist falsch daran, ihm eine Option aufzuzeigen?“

„Nichts ist falsch daran. Aber was, wenn er nicht tut, was du dir von ihm erhoffst?“

„Das überlege ich mir, wenn es so weit ist.“

„Ich hasse diesen Spruch. Der negiert das Konzept der Planung komplett. Apropos, Jason hat mir vorhin aus dem Lokal eine SMS geschickt. Er hat geschrieben, ihr würdet gerade das Gespräch führen. Das wurde ja auch Zeit.“

„Dieser Jake McAlister klingt seltsam.”

„Meiner Meinung nach klingt er nach einem Scheißkerl. Hat kaum mehr mit Jason geredet, seit eure Mutter sie erwischt hatte.“

„Der Kleine ist fünfzehn. Und wenn du je einen Ausraster von meiner Mutter miterlebt hättest, würdest du ihm keine Vorwürfe machen. Abgesehen davon dachte ich, du dürftest mir eigentlich gar nichts darüber sagen.“

„Oops. Also zurück zu dir und Travis. Wie ist er denn so im Bett?”

Ben konnte seine Begeisterung nicht verbergen. „Der absolute Wahnsinn.“

 

 

SPÄTER AM Abend, nach einer heißen Nummer, rollte Travis sich in Bens Armen zusammen.

„Soll ich dir ein Schlaflied singen?“, scherzte er und kitzelte Ben unter den Rippen.

„Kannst du überhaupt singen?“

Travis räusperte sich und stimmte Michael Jacksons „Ben” an. Er sang zwar nicht ganz richtig, hatte aber eine schöne Tenorstimme.

„Du weißt schon, dass es in diesem Lied um eine Ratte geht, oder?“, fragte Ben.

„Willst du mich verarschen?“

„Keineswegs. Hey, Jason hat heute Abend beim Essen einen Vorschlag gemacht.“

„Ach ja? Was für einen Vorschlag?”

„Dass wir doch alle zusammen in den Frühlingsferien nach New York fliegen könnten. Was meinst du? Ich würde dir gerne die Stadt zeigen.”

Travis antwortete nicht.

„Was ist los?”

„Nichts. Alles. Soll das etwa sowas wie ein Probelauf werden? Schon die Vorstellung allein ist verrückt, aber willst du mich etwa auf den Gedanken bringen, das ich mit euch nach New York ziehen könnte?“

„Ich habe dich eingeladen, mit uns einen Ausflug dorthin zu machen. Ganz unverbindlich. Aber komm schon, Travis. Ist es nicht offensichtlich? Hier geht’s nicht nur um Sex. Für mich zumindest. Und wenn wir im Mai immer noch so zueinander stehen und die Möbel auf dem Umzugswagen sind, dann wäre ich verdammt unglücklich, wenn ich dich hier zurücklassen müsste.“

„Naja, ich wäre auch ziemlich unglücklich.“

„Dann denk‘ doch wenigstens mal drüber nach. Das könnte unser gemeinsamer Weg sein. Eine Zukunft.”

„Okay, okay. Ich frag‘ mal bei der Arbeit, ob ich die Woche frei kriege. Aber meine Reisekosten bezahle ich selber. Ein Flugticket und ein Hotelzimmer kann ich mir leisten, ich hab‘ was gespart.“

„Behalt‘ deine Ersparnisse. Wir können bei Colins Familie wohnen.“

„Ich finde das keine so gute Idee.“

„Hör auf. Die wickelst du doch im Nu um den Finger.“

„Dass das bei dir geklappt hat heißt noch lange nicht, dass es auch bei der New Yorker High Society funktioniert.”

„So ein Quatsch”, sagte Ben und küsste ihn auf den Mund. „Du wirst meine persönliche kleine Molly Brown sein.”

„Wer zum Teufel ist Molly Brown?”

„Kathy Bates in Titanic.”

Travis sah verwirrt aus.

„Gab’s die in echt?“

 

 

AM ANDEREN Morgen erwachte Ben mit Halsweh, einem Hämmern im Kopf, Gliederschmerzen und Fieber. Er hatte sich eine Grippe eingefangen und musste im Bett bleiben. Letzten Herbst war er zu beschäftigt gewesen, um sich impfen zu lassen – im Gegensatz zu allen anderen im Haus. Denen ging es gut. Ben schlief fünf Tage lang. Er wusste, dass Travis ihn regelmäßig weckte, um ihm Suppe einzuflößen. Er stand auf, um aufs Klo zu gehen, schaffte aber häufig nicht alleine zurück ins Bett. Irgendwann verlor er sein Zeitgefühl. Er hatte Fieberträume, in denen er dieselben Anwaltsbriefe immer und immer wieder schrieb. Er fragte sich, ob sie ihn irgendwann ins Krankenhaus bringen würden. Dann wachte er eines Nachts auf und schaute auf den Wecker: 3 Uhr 14. Ben blickte aus dem Fenster in die dunkle Nacht hinaus.

Die Laken fühlten sich nass an und sein Kopf war klar. Sein Fieber war gesunken. Er sah sich um, aber Travis war nicht da. Er ging ins Bad, zog sein T-Shirt aus und rieb sich mit einem Handtuch trocken. Er ging zurück ins Schlafzimmer und zog sich ein frisches Shirt an. Er hörte Geräusche aus der Küche. Wer außer Travis konnte um die Uhrzeit wach sein? Er macht sich bestimmt riesige Sorgen, dachte Ben. Er machte sich auf den Weg in die Küche, um Travis die guten Neuigkeiten zu bringen.

„Hey, Trav“, sagte er und öffnete die Tür. Er erwartete, Travis beim Pfannkuchen backen oder so vorzufinden. „Ich fühle mich…“ er brach ab.

„Ben, habe ich dich geweckt? Das wollte ich nicht. Aber wo du jetzt schon mal hier bist… na was soll’s, komm, setz‘ dich. Ich mache gerade Migas und ich weiß ja, wie gern du das magst.“

Ben traute seinen Augen nicht. Das konnte nicht wahr sein.

Denn dort in der Küche, zwischen gewürfelten Tomaten und verquirlten Eiern, stand sein Vater.