Sarah
» D anke, dass Sie mich so schnell aufnehmen konnten.« Doktor Ludmila hat sich mit mir in eine der Sitzecken gesetzt. Sie ist wirklich eine wunderschöne Frau, wenn auch ihr Gesicht völlig leer wirkt. Ich muss Jared vollkommen recht geben. Sie ist irgendwie anders.
»Sie hatten Glück, Miss Stewart. Ein anderer Patient ist ausgefallen. Wie kann ich Ihnen also helfen?«
»Dann ist es gut. Ich dachte schon, dass meine großzügige Spende jemand anderen von Ihrer Liste schmeißt.«
»Das hätte Sie gestört?«
»Sicher!«
»Warum haben Sie dann so viel gespendet? Das war doch ein Aspekt, über den Sie vielleicht vorher nachgedacht haben.«
»Sie haben recht«, sage ich getäuscht verlegen. »Trotzdem hätte ich mich nicht damit wohlgefühlt.«
Sie greift nach dem Klemmbrett auf dem kleinen Tisch und nimmt den Stift in die Hand. »Ich kann Sie beruhigen. Es ist mir gar nicht gestattet, auch wenn ich eine Privatpraxis bin, meine Termine nach der Höhe einer Zahlung zu vergeben. Trotzdem bin ich natürlich über jede Kaffeekassenspende glücklich. Aber hier war es einfach Zufall, dass ein Termin freigeworden ist.«
Ich weiß gerade nicht, ob ich Sympathien für diese Frau habe oder nicht. Definitiv hat sie Jareds und auch meinen Termin nur so schnell vergeben, weil wir eine beachtliche Summe in ihre Kaffeekasse gesteckt haben. Und Jared hat sie ja nun mal eiskalt abserviert, nachdem er seine Finger in ihr hatte. Sicher hat Jared auch in Wahrheit ein paar dunkle Schubladen, aber Ludmila muss doch davon ausgehen, dass er dasselbe erlebt hat wie sie. Und ihn dann einfach zu canceln, ist aus rein ärztlicher Sicht schon hart.
»Worüber wollen Sie sprechen, Miss Stewart?«
»Ich weiß nicht, ob Sie vor ein paar Monaten von der Sache gehört haben. Es stand in allen Zeitungen.«
Sie sieht mich an und unter ihrem Blick, mit diesen dunklen Augen, fühlt man sich wie eine Gefangene. Ich mag keine Gefängnisse. Dabei muss ich sofort an Doktor Moets Gefängnis denken, in dem ich einige Zeit war.
»Robert Shetby und seine uneheliche Tochter. Ein Zuhälter wurde erschossen und …«
»Die Sache mit den Shetbys, ja, davon habe ich gehört«, sagt sie.
»Ich bin die uneheliche Tochter.«
Wieder bleibt ihr Ausdruck starr und ich frage mich allmählich, was Jared so besonders an ihr findet. Klar, sie sieht verdammt heiß aus, obgleich sie offensichtlich versucht, dies durch ihre Kleidung zu kaschieren. Aber ansonsten wirkt sie wie ein Zombie. Sie erinnert mich ein wenig an mich selbst. Bevor ich Sam begegnet bin. Bevor Burt tot war. Aber da ist noch etwas anderes an ihr. Ich kann es nur nicht benennen.
»Geht es Ihnen heute besser, Miss Stewart?«
»Viel besser. Wobei ich immer noch ab und an von Albträumen gequält werde.«
»Träume wollen uns meist etwas vermitteln, das wir entweder noch nicht verarbeitet haben oder das wir uns mit aller Macht wünschen.«
»Was träumen Sie so?« Die Frage rutscht mir einfach raus.
Sie wirft mir kurz einen befremdlichen Blick zu. Immerhin eine Regung. Doch sofort erstarrt ihr Gesicht wieder. »Gerade erinnern Sie mich an einen Patienten.«
»Ach ja?«
»Er stellte auch immer Gegenfragen.«
»Und?«
»Wie meinen Sie?«
»Haben Sie ihm Antworten gegeben?«
»Es geht hier nicht um mich.« Jetzt erscheint plötzlich ein Lächeln auf ihrem sonst starren Gesicht und beinahe sieht sie nett aus.
»Was ist so lustig?«
»Ihm musste ich auch immer sagen, dass es hier nicht um mich geht.«
Ich ringe wirklich mit mir, ihr einfach zu sagen, dass ich eine Freundin von Jared bin. Natürlich nichts, was den Auftrag angeht. Aber wenn ich ihr sagen würde, dass Jared nicht versteht, was los ist und ich nur seinetwegen hier bin … ob sie mit mir reden würde? Oder ob sie mich rausschmeißt? Immerhin scheint sie über ihn nachzudenken. Aber falls sie mich rausschmeißt, haben die Jungs ein Problem mit dem Auftrag. »Darf ich Sie Ludmila nennen?«
»Wenn Ihnen das hilft.« Plötzlich fängt sie laut an zu lachen und ich weiß nicht, ob diese Frau vielleicht mehr verrückt wie interessant ist. Wer weiß, was sie bei ihrem Vater alles erlebt hat, das geht nicht spurlos an einem vorbei. Sie lacht noch immer und ich beuge mich leicht vor. Lege vorsichtig meine Handfläche auf ihr Bein.
»Doktor?«
»Entschuldigen Sie«, sagt sie unter prusten. »Das ist einfach alles zu idiotisch! Ich kann mich gar nicht genug entschuldigen.« Langsam beruhigt sie sich wieder und ich ziehe die Hand zurück.
»Sollen wir meinen Termin vielleicht auf einen anderen Tag verschieben?«
Sofort ist sie wieder vollkommen ernst. »Das ist nicht nötig und ich muss mich entschuldigen. Ich habe gerade frisch eine Trennung hinter mir und auch sonst war viel los. Was meinen Sie, Miss Stewart, vielleicht bin ich die, die eine Therapie braucht.«
Ein Lächeln liegt jetzt auf ihrem Gesicht und sie strahlt eine solch unerwartete Wärme aus, dass ich fast nicht glauben kann, dass das dieselbe Person wie vorhin ist. »Ich kann mich nur noch einmal entschuldigen, Miss Stewart.«
»Ist schon okay«, sage ich. Ich weiß nicht, ob sie diesen Phil oder Jared mit der Trennung meint, aber ich weiß jetzt, dass diese Frau wirklich viele Probleme hat. Auch jetzt noch, nachdem sie längst nicht mehr im Haus ihres Vaters lebt. »Wenn Sie reden wollen, Mila, ich höre Ihnen gerne zu.«
»Mila?«, fragt sie erstaunt.
»Ich will ehrlich sein, denn ich denke, ich mag Sie. Ich bin zwar wirklich die, die ich gesagt habe, dass ich bin, und sicher gäbe es auch bei mir noch genug zu therapieren, aber eigentlich bin ich wegen meines guten Freundes Jared hier. Der Sie wirklich braucht, und der dazu, glaube ich, einen kleinen Narren an Ihnen gefressen hat.« Wie wird sie jetzt reagieren? Bitte, Mila. Schmeiß mich nicht raus! Die Jungs machen mir sonst die Hölle heiß.
Sie umgreift das Klemmbrett in ihrer Hand etwas fester und ich glaube sie überlegt, ob sie mich anschreien, umarmen oder rausschmeißen soll. Da ist jetzt so viel in ihrem Gesicht los, das es selbst für mich nicht greifbar ist. Und ich bin sonst recht gut in solchen Dingen.
»Ich habe mir schon so etwas gedacht, als Sie dieselben Fragen gestellt haben«, sagt sie leise.
»Werfen Sie mich jetzt raus?«
Wieder überlegt sie und mustert mich. Ihr Gesicht ist wieder zu Eis erfroren und doch erkenne ich in ihren Augen diese vorher nicht vorhandene Wärme. »Ich schmeiße Sie nicht raus, Miss Stewart.«
»Sarah«, sage ich und reiche ihr meine Hand.
Sie ergreift sie und lacht wieder. »Du bist aber nicht zufällig mit Jared verwandt?«
»Nicht wirklich.« Ich atme erleichtert aus. »Warum hast du ihn von deiner Liste geworfen? Er hat sich noch nicht vielen vorher geöffnet.«
»Darf ich erst etwas fragen, bevor ich dir darauf antworte?«
»Klar.«
»Bist du wirklich nur eine Freundin oder eine seiner besonderen Freundinnen. Du weißt schon.«
Scheiße! »Ich bin wirklich seine Freundin.« Das ist ja nicht gelogen.
»Er hat dir erzählt, was vor meinem Haus vorgefallen ist?«
»Nicht im Detail«, flunkere ich, »aber grob.«
Eigentlich hatte ich damit gerechnet, dass sie rot anläuft, vor Scham, aber nein. Völlig geschäftig sagt sie: »Das ist das Problem. Ich kann keinen Menschen therapieren, mit dem ich intim war.«
»War es denn so intim?«
»Wenn jemand seine Finger in …«, sie bricht abrupt ab. »Das ist nicht professionell, Sarah. Und bei Jareds Problemen, sollte ihm ein Kollege zur Seite stehen, der völlig unvoreingenommen sein kann.«
»Das kannst du nicht?«
»Nein«, sagt sie sehr sachlich.
»Aber wenn du ihn nicht mehr behandeln willst, dann spricht doch nichts dagegen, wenn ihr euch trefft. Also anders.«
»Sarah. Ich habe gerade eine schwierige Beziehung hinter mir. Und ich glaube, das ist auch der einzige Grund, warum ich für zwei Minuten nicht nachgedacht habe. Jared ist so anders, als Phil es ist. Es hatte nichts zu bedeuten!«
Ich würde sie gerne fragen, ob es nichts zu bedeuten hatte, als Jared seine Finger in sie geschoben hat, denn ich bin mir sicher, dass sie gerade lügt. »Ihr müsst ja nicht gleich heiraten. Aber eigentlich ist Jared genau der Richtige, um auf andere Gedanken zu kommen.«
Sie schüttelt mit dem Kopf. »Warum wirbst du überhaupt so für ihn?«
»Weil er meine Familie ist, im übertragenen Sinne. Und er scheint dich zu mögen. Irgendwie.«
»Ist das so abwegig?«, will sie wissen.
»Ihr habt euch erst dreimal gesehen. Für Jared ist das ungewöhnlich.«
»Was hat er denn gesagt?«
»Er muss nichts sagen. Ich merke es an seiner schlechten Laune, seit sein Termin abgesagt wurde.«
»Du hältst mich sicher für spießig was?«, fragt sie mit dem Anflug eines Lächelns.
»Eher halte ich dich für verschwenderisch und ein bisschen gemein.«
Fragend sieht sie mich an.
»Gemein, weil du ihn aus deiner Liste streichst. Und das, obwohl dieser kurze Zwischenfall doch nichts zu bedeuten hatte, deiner Meinung nach. Verschwenderisch, weil keine andere zu Jared Nein sagen würde.«
»Und du?«, fragt sie herausfordernd.
»Ich bin in festen Händen.«
»Also hältst du mich nicht nur für langweilig und spießig, sondern auch für herzlos und prüde?«
»So könnte man es ausdrücken«, antworte ich mit einem Zwinkern.
Sie steht auf und wirft das Klemmbrett auf den Sessel.
»Was jetzt? Schmeißt du mich doch raus?«
»Ich schmeiße uns beide raus.« Sie geht hinüber zu ihrem Schreibtisch und drückt den Knopf der Freisprecheinrichtung.
»Tiff, sagen Sie alle weiteren Termine für heute ab. Ich habe etwas zu erledigen.«
»Doch Interesse, oder die Ablenkung?«, will ich wissen.
»Nichts davon. Ein schlechtes Gewissen, weil du an mein Versprechen als Arzt appelliert hast.« Sie sieht mich auffordernd an und ich weiß nicht, ob ich ihr das abkaufen soll.
»Also, Sarah, wo darf ich Jared als Wiedergutmachung eine Gratisstunde geben?«
Mit einem Grinsen stehe ich auf. Na, wenn die Jungs mich dafür mal nicht erschießen.