Sam
» W as ist mit dieser verfluchten Ärztin?« Alle sehen mich ratlos an. »Wart ihr da?«, schreie ich Derrik und Zuzanna an.
»Waren wir«, nuschelt Zu und schnieft. »Sie ist auf einer Tagung, sagt ihre Sprechstundenhilfe.«
»Scheiße!« Ich räume mit einem Wisch die Gläser um, die vor mir auf dem Tisch stehen und Fire zuckt neben mir zusammen. Ich kann sie jetzt nicht in den Arm nehmen, trotz, dass sie seit achtundvierzig Stunden total von der Rolle ist. Achtundvierzig Stunden, in denen wir nichts mehr von Jared gehört haben. Achtundvierzig Stunden, in denen wir alle durch sind. Und erschwerend kommt hinzu, dass uns gestern der Alte der beiden Jugendlichen angerufen hat. Die, die eigentlich von den Germains angeheuert sein sollten. Aber: So ist es nicht. Die beiden sind wieder zu Hause und hatten einfach Bock darauf gehabt, ihren Alten zu ärgern. Ich hatte von dem Typ wissen wollen, wie er überhaupt auf die Germains gekommen war, wenn seine missratenen Gören jetzt überhaupt nicht bei dieser scheiß Gang waren. Als Fehlinformation hatte er das Ganze abgetan. Eine Fehlinformation! Und jetzt ist Jared bei diesen Wichsern, wegen einer Fehlinformation. »Das ist so was von abgefuckt«, schreie ich weiter und alle bis auf Frost, ducken sich. »Wir fahren heute noch mal ins Stars
»Was soll das bringen?«, fragt Derrik und er hat Glück, dass er auf der anderen Seite vom Tisch steht. »Die, die Jared gesehen haben, sagen, er ist in der Nacht mit zwei Tussis abgehauen und die kannte niemand.«
»Und wenn ich den Laden höchstpersönlich auseinandernehmen muss!« Ich wende mich ab, während mein Blick Fire streift. Scheiße! Ich ziehe sie in meinen Arm und sie vergräbt ihren Kopf an meiner Brust. »So eine Scheiße«, knurre ich etwas leiser. »Er kann doch nicht einfach wie vom Erdboden verschluckt sein.«
»Wir müssen das Quartier der Germains finden«, sagt Zuzanna, »ich bin mir sicher, dass sie damit zu schaffen haben.«
»Wenn das so einfach wäre, wären wir längst da«, bemerkt Frost.
»Du weißt doch sonst alles und findest alles übers Internet raus«, raune ich ihn an.
»Arschloch«, kotzt er zurück und Fire drückt sich fester an mich.
»Was machen wir jetzt?«, will ich wissen. Ich weiß verfickt noch mal nicht, wie wir ihn finden können. »Versuch es noch mal über das Handy, Frost.«
»Die Nummer lässt sich nicht zurückverfolgen«, sagt er, »was genau unser Ziel war.«
»Und woher sind wir so sicher, dass es nicht Jared selbst war, der auf das Handy angerufen hat, Frost?«, will Sid wissen.
»Weil er dann wahrscheinlich was gesagt hätte«, entgegnet Frost kühl.
Sarah drückt sich etwas von mir ab und dreht sich dann den anderen Jungs zu. »Was hat Milas Sprechstundenhilfe gesagt, wo sie auf Tagung ist?«
»Das hat sie überhaupt nicht gesagt«, antwortet Derrik.
Sarah fischt ihr Handy aus ihrer Potasche und wählt eine Nummer.
»Was wird das?«, will ich wissen.
Sie deutet mir mit der Hand, still zu sein, wofür ich ihr eigentlich den Hintern versohlen müsste. »Ja, hallo Tiff. Hier ist Sarah Stewart. Ich müsste unbedingt mit Ludmila sprechen.«
Was wird das? Was soll diese dämliche Arzttussi erreichen?
»Nein, es ist privat und Ludmila hat gesagt, dass ich sie jederzeit anrufen könnte.«
Ich lege meine Hand auf Fires Schulter und bedeute ihr, mich anzusehen, doch sie wendet sich ab.
»Und wann kommt sie zurück? Können Sie mir zumindest sagen, wo sie sich aufhält?«
Was wird das? Auch die anderen sehen mich fragend an.
»In Las Vegas? Okay, ich danke Ihnen Tiff.« Fire dreht sich uns wieder zu.
»Wozu war das gut?«
»Ich weiß auch nicht«, sagt sie, aber ich sehe den Blick, den sie Sid und Frost zuwirft.
»Haut alle mal ab«, fordere ich die Jungs auf. Keine zehn Sekunden später stehen Sarah und ich alleine in der Küche.
»Was?«, fragt sie frech.
»Fire, verarsch mich nicht. Ich will wissen, was hier vorgeht!«
»Hier geht gar nichts vor.«
Am liebsten würde ich sie gerade gegen die Wand drücken, und ihr die Wahrheit aus dem Mund ficken. Aber sie ist Fire. Meine Fire. Deshalb mache ich einen Schritt auf sie zu, umgreife mit meinen Händen ihre und drücke sie hinter ihren Rücken. »Fire, ich liebe dich wie nichts anderes auf der Welt, das weißt du. Aber wenn du mich jetzt anlügst, dann haben wir ein echtes Problem!« Ihr Blick richtet sich von meinen Augen zum Boden, und da weiß ich, dass ich richtig liege. »Sarah?«, frage ich sanft und doch mit Strenge.
»Mila«, haucht sie. »Ich kann das nicht erklären, es ist nur ein Gefühl.«
Ich greife mit meiner Hand unter ihr Kinn und hebe es an. »Was meinst du?«
»Sie war seltsam. Ich mochte sie und mochte sie nicht. Jared ging es ähnlich.«
»Und das heißt?«
»Dass sie etwas verbirgt. Ob das mit Jareds Verschwinden zu tun hat, weiß ich nicht. Vielleicht spinne ich auch. Aber wenn sie in Las Vegas ist, könnten Frost, Sid und ich uns doch mal in ihrem Haus umsehen.«
Ich muss grinsen, obwohl ich mich beschissen fühle, weil unser Kumpel verschwunden ist. »Und warum genau sollte ich davon nichts wissen?«
Sie stöhnt auf und sofort gräbt sich meine Hand fest in ihren Arsch, was sie lächeln lässt. »Ich hatte nur Angst, dass du es mir verbieten würdest.«
»Würdest du es dir denn verbieten lassen?«, frage ich und nehme ihren Geruch in mich auf.
»Nein, Sir«, sagt sie lockend und zieht mich zur Anrichte.
Die Gansvoort Street liegt nachts gegen vier Uhr fast verwaist vor uns. Wir haben am Ende der Straße geparkt, wobei das nicht mal nötig gewesen wäre. Milas Haus ist ohnehin das Letzte hier und die anderen Häuser stehen so weit entfernt, dass man uns wahrscheinlich sowieso nicht bemerkt hätte.
»Was ist jetzt?«, frage ich Frost, der mit Sid hinten sitzt.
»Gib mir noch eine Minute«, sagt er, ohne aufzusehen, und tippt weiter auf seinem Laptop herum.
Das Haus der Ärztin ist mit einem mannshohen Zaun umschlossen und sicher befindet sich im Haus auch eine Alarmanlage. Aber diese Dinge liegen Frost. Mein Blick fällt durch den Spiegel auf ihn und wieder denke ich darüber nach, dass man ihm den Nerd nicht im Mindesten ansieht. Zwar sind Jared und ich die Übelsten aus unserem Trupp, aber rein äußerlich übertrifft Frost uns um einiges. Er hat dieselben wachen Augen wie Sarah, nur dass seine so dunkel sind, dass man ihn für dauerbreit halten könnte. Aber davon ist er weit entfernt.
»Ich habs! Wir können rein!«
»Du willst mit?«, frage ich und Sid kichert.
»Sam«, sagt Fire warnend.
»Dann los.« Innerhalb kürzester Zeit haben wir das Tor passiert und rennen um das Gebäude herum. Wie erwartet ist die Hintertür verschlossen, doch nach einer Minute hantieren, gleitet sie auf. »Rein, los!«, weise ich die drei an und schiebe sie vor.
Sid schaltet die Taschenlampe ein und wir finden uns in einem Flur wieder. »Was ist das hier?«, fragt sie.
Auch ich schalte die Taschenlampe ein und jetzt zeigt sich noch mehr des Hauses. Ein Haus, so leergefegt als hätte niemals jemand hier gewohnt. »Habt ihr schon mal eine Frau erlebt, die keinerlei Deko in ihrem verschissenen Haus hat?«
Fire knufft mich in die Seite, reißt mir die Taschenlampe aus der Hand und marschiert vor. Sie hat Feuer, mein Mädchen.
»Hier ist auch nichts«, sagt sie, als wir ihr ins Wohnzimmer folgen.
Eine stinknormale braune Couch, dazu ein kleiner Glastisch und weiße Vorhänge vor den Fenstern. »Zumindest hat sie was zu trinken hier«, sage ich und greife nach der Flasche von dem Tischchen neben der Couch.
»Wir sollten das Büro suchen«, bemerkt Frost und wir folgen ihm vom Flur aus eine Treppe hinauf.
Hier oben existiert ein Schlafzimmer mit Schrank, Bett und Spiegel und weißen Vorhängen. Dazu ein Bad, in dem kaum Toilettenartikel stehen. Der dritte Raum ist eine Art Büro. Allerdings mit leerem Schreibtisch und Schubladen. Kein Computer, kein gar nichts.
»Das kann doch nicht sein«, sinniert Sarah und läuft wieder auf den Flur hinaus.
»Hier ist wirklich was faul«, bestätigt Sid.
»Verdammt noch mal warte, Fire!«
Sie ist schon wieder runter gelaufen und leuchtet den gesamten Flur aus. »Ich verstehe das nicht«, hören wir sie murmeln als wir zu ihr kommen.
Ich ziehe sie in meine Arme und küsse sie auf den Scheitel, als Sid und Frost noch mal in jeden Raum gehen. »Wir finden ihn«, versichere ich ihr und sie nickt unmerklich.
So verrückt Jared im Moment auch drauf ist, dass er sich gestern nicht zumindest kurz gemeldet hat, beweist ganz klar, dass etwas ganz und gar nicht in Ordnung ist.
Seit er mit dieser verschissenen Ärztin Kontakt hat, ist er nicht mehr er selbst. Ich kenne Jared in nahezu allen Situationen. Er, Frost, viele der anderen Jungs und ich sind quasi zusammen groß geworden. Und neben mir war Jared einer derjenigen, die immer über die Stränge geschlagen haben, wenngleich seine Prioritäten auf anderen Dingen lagen. Aber selbst wenn er es zu den Germains geschafft hat, dass er sich nicht meldet …
»Hier ist rein gar nichts«, murrt Frost, als er mit Sid zu mir und Fire zurückkommt. »Lasst uns nach Hause fahren.«