A
ls ich aufwache, weiß ich sofort, dass sie fort ist.
Nicht nur der Platz neben mir ist leer, auch ich fühle mich leer. Die Musik ist längst verklungen und der Mond ist Regenwolken gewichen, die ihren Saft hart auf die gläserne Scheibe über mir schlagen.
Nachdem ich irgendwann aus ihr hinausgeglitten war, hatte ich sie vor mir abgelegt, meine Arme um sie geschlungen und sie hatte sich an mich gekuschelt wie ein Baby. Meine Augen waren so schnell zugeschlagen und ich eingeschlafen, wie ich es selten erlebt habe. Und jetzt … jetzt fühle ich mich schlechter als jemals zuvor … denn sie ist weg.
Ich gehe hinüber zum Bad, stelle mich unter das Wasser und schließe die Augen. Sofort sehe ich sie wieder vor mir. Wie ich in ihr war. Was sie mir von sich gegeben hat. Wie ich mich dabei gefühlt habe, ihr all diese Emotionen zu entlocken. Und wie es war, zu spüren, dass sie mir vollkommen die Kontrolle über alles gegeben hat. Aber wenn ich ehrlich bin, wusste ich da bereits, dass es heute anders sein würde. Obwohl nahezu alles perfekt war, habe ich doch gespürt, dass da etwas ist, dass sie immer noch von mir fernhält. Ich weiß nicht, ob es ihre Erfahrungen als Mädchen sind oder was sie sonst noch vor mir zu verbergen hat. Alleine der Gedanke, dass sie mir nicht
vollkommen vertraut, dass sie nach dieser Nacht noch anzweifeln könnte, dass etwas zwischen uns ist, treibt mich in den Wahnsinn.
Ich habe niemals auch nur im Entferntesten daran geglaubt, dass nur eine Frau mir reichen könnte. Aber Mila ist alles. Dass ich ihr begegnet bin, fühlt sich wie Schicksal an. Und dieses Schicksal teilt mir unmissverständlich mit, dass ich sie schützen muss. Dass sie nur mir gehört. Aber das Schicksal ist ein mieses Arschloch.
Als ich wieder auf die Rasenfläche trete, steht diesmal kein Teller dort, aber mein Magen knurrt für zehn. Kaum, dass ich den Gedanken zu Ende gebracht habe, öffnet sich neben mir die andere Eisentüre und jemand, den ich kenne, tritt zu mir.
»Gut geschlafen?« Tiff zwinkert mir zu und geht, nachdem sie die Tür hinter sich zugetreten hat, mit dem Tablett auf die Liege zu.
»Soll ich mich darüber wundern, dass du auch involviert bist?«, frage ich und ziehe im Gehen mein Shirt über.
Sie streckt mir ihren Arsch entgegen, der in einer viel zu engen Hose steckt und setzt das Tablett ab. »Du bist nicht nur eine Wucht im Bett, Jared, du bist auch nicht dumm. Oder?« Sie dreht sich und ihre Brüste fallen beinahe aus ihrer Bluse. Nur heute belastet mich das nicht im Geringsten.
Ich sehe nur Mila.
»Wo ist sie?«, will ich wissen, gehe an ihr vorbei und schnappe mir einen der Bagels.
»Beschäftigt.«
»Ich könnte dich als Geisel nehmen«, sage ich und sehe ihr Grinsen.
»Kannst du. Es gibt bestimmt schlechtere Geiselnehmer. Es wird dir nur nichts bringen.« Sie lässt sich auf den Stuhl sinken und begutachtet ihre Fingernägel.
»Was wollt ihr von mir? Was ist der Sinn hinter eurer Vereinigung?«
»Wir wollen wissen, für wen du arbeitest. Mehr nicht, Jared-Boy.« Ihr Blick gleitet zu meinem Schritt und sie leckt sich über die Lippen.
»Vergiss es«, sage ich und nehme mir den nächsten Bagel. »Wann kommt Mila zurück? Ich muss mit ihr sprechen.«
»Du sprichst mit mir! Ludmila hat keine Zeit.«
»Schon mal darüber nachgedacht, Sweetheart, dass ich mit dir nicht sprechen will?«
»Wir können es auch erst treiben, wenn dir das lieber ist, Baby«, flüstert sie und greift sich demonstrativ an die Titten. »Vielleicht wirst du ja dann gesprächiger. Ich kann gerne noch ein paar Mädels dazu holen.«
»Das kannst du gerne lassen«, knurre ich. »Entweder du holst jetzt Mila auf der Stelle hierher oder ihr lasst mich gehen. Der Spaß ist vorbei.« Langsam werde ich echt sauer. Nicht nur, weil Mila nach dieser Nacht einfach verschwindet, sondern weil diese Weiber-Truppe mich hier festhält und zum Narren hält.
Doch Tiff steht legere auf, wirft mir eine Kusshand zu und wackelt Richtung Ausgang. »Vielleicht ist sie am Abend zurück«, ruft sie mir über die Schulter zu. »Aber ich glaube nicht, dass sie sich noch mal die Zeit für dich nimmt. Zumindest war es das, was sie uns heute Morgen gesagt hat.« Sie tritt mit dem Fuß gegen die Tür und lacht. »Tja, Baby, nicht alle Frauen stehen auf das, was du zu bieten hast.«
Ohne dass sie es vorzeitig bemerkt hat, stehe ich schon hinter ihr und kralle ihren Hals mit meinem Arm ein. Sie keucht erschrocken auf, und als die Tür sich öffnet und Pat uns in die Augen sieht, kann ich nur lächeln. »Wenn ihr eure Lesbenfreundin unbeschadet wiederhaben wollt, gehst du mir aus dem Weg, Pat!« Ich meine es verdammt ernst und das spüren die beiden auch. Tiffs ganzer Körper zittert unter meinem Griff.
Doch völlig entgegen meiner Erwartung lächelt plötzlich
auch Pat, und als sie ihre Hand hinter dem Rücken hervorholt, weiß ich auch warum. Die Glock zielt mitten auf meine Stirn. »Tritt zurück, Cowboy, oder die Frage, was du von uns willst, ist hinfällig.«
»Wenn du die abfeuerst, ist Tiff auch Geschichte«, knurre ich und drücke ihren Hals so fest zu, dass sie röchelt.
»Acht bis zehn Prozent Verlust«, entgegnet Pat kühl und lädt die Glock durch.
»Fuck!« Ich stoße Tiff Pat entgegen, doch bevor ich durch die beiden brechen kann, fliegt die Tür vor meiner Nase zu. »Fuck, fuck, fuck!« Ich höre die beiden lachen und trete gegen die Tür. Seit wann bin ich so ein Weichei geworden?
Den restlichen Tag tigere ich durch mein Gefängnis. Irgendwann um die Mittagszeit fliegt wieder ein Karton über die Brüstung, in dem sich Wasser und Hotdogs befinden. Ansonsten zähle ich die Regentropfen, die den gesamten Tag auf das Glasdach fallen und verstehe nicht mal annähernd, was diese ganze Scheiße hier eigentlich soll!
Ich kann mir keinen Reim darauf machen, wie es angehen kann, dass Mila der Kopf der Germains ist. Verstehe nicht, warum eine Frau, eine Ärztin wie sie Drogen verkaufen muss. Begreife nicht, wie Mila es über sich bringen kann, junge Frauen ins Verderben zu ziehen, wo sie doch selbst in Scheiße aufgewachsen ist. Und noch weniger verstehe ich, wie das letzte Nacht zwischen uns passieren konnte und warum sie jetzt nichts mehr davon wissen will. Wobei ich mir nicht sicher bin, ob Tiff nicht bloß geblufft hat. Ich muss selbst mit Mila sprechen. Und ich muss wissen, für wen sie mich hält. Ich kann noch nicht mal sagen, wie lange ich schon hier bin, da ich nicht weiß, wie lange sie mich am Anfang unter Drogen gesetzt haben. Ich darf gar nicht darüber nachdenken, zu was Sam
gerade imstande ist, solange sie nicht wissen, wo ich bin.
Irgendwann muss ich eingenickt sein, denn den Fuß, der gegen mein Bein stößt und mich weckt, nehme ich erst verzögert wahr. »Was zur Hölle«, raune ich. Doch als ich Mila vor mir sehe, mit derselben Glock in der Hand wie am Nachmittag Pat, richte ich mich auf und sehe sie an.
Da steht sie. Meine Mondgöttin. In voller Germains-Montur und einem Blick, der es mir eiskalt über den Rücken laufen lässt. »Was soll die Scheiße, Mila?«
Ihr Gesicht ist so ausdruckslos wie eh und je und ich bezweifle nicht, dass sie abdrücken würde.
»Wenn du nicht langsam den Mund aufmachst, lassen wir dich hier verhungern oder verdursten. Du kannst es dir aussuchen, Mister Clark.«
»Ist das dein Ernst?«, frage ich und richte mich auf. »Du verbringst die Nacht unseres Lebens mit mir und nicht mal vierundzwanzig Stunden später hältst du mir eine Waffe vors Gesicht?« Da ist nichts in ihr. Kein Funke. Nicht mal ein Hinweis darauf, dass sie irgendetwas von letzter Nacht noch in sich trägt.
»Ich wollte wissen, was dich so besonders macht«, sagt sie kalt. »Wollte wissen, warum meine Mädchen so hohe Töne über dich spucken.«
»Und?«, frage ich und lehne mich wieder zurück, während ich sie im Auge behalte. »Befriedigt?«
»Nicht der Rede wert«, antwortet sie.
Am liebsten möchte ich ihr gerade mit einem von Sams Spielzeugen aus seinem Zimmer den blanken Arsch versohlen. »Gequirlte Scheiße, Mila«, raune ich.
»Du denkst nicht wirklich, dass nur, weil du mich gefickt hast, mein Hirn weichgebrüht ist?« Ihre Stimme könnte nicht
gleichgültiger sein.
In meinen Adern kocht es. Ich weiß, dass sie lügt. Und überlege doch, ob ich ihr in die Falle gegangen bin. »Was denkst du, dass es für mich war, Icelady? Hast du mir wirklich abgenommen, dass du was Besonderes bist? Im Zweifelsfall warst du ein Experiment.« Meine Stimme klingt ehrlicher, als sie ist. Ich möchte ihr die Glock aus der Hand reißen und sonst was damit machen. Damit sie weiß, wer hier die Spielregeln aufstellt.
Sie macht einen Schritt vor und platziert die Mündung genau auf meiner Stirn. »Fordere mich nicht heraus, Jared Clark. Ich bin dir immer einen Schritt voraus!«
»Ach ja?«, frage ich gespielt desinteressiert und versuche, das Zittern ihres Fingers am Abzug zu ignorieren.
»Du bist ein Nichts!«
Hätte ich nicht alles von ihr in der letzten Nacht gesehen, würde ich ihr fast glauben. Aber das, was sie vorgibt zu sein, das kann sie nicht sein. Ich habe sie so gesehen, wie sie ist. Und sie ist alles, was ich will. Wenn ich dazu einhundert Nächte lang hier verrecken muss, dann tue ich das. »Ich bin Jared Clark, Icelady. Habe eine Menge Scheiße erlebt.« Ich hebe die Hand und umgreife die Mündung der Glock. Drücke sie fester gegen meine Stirn. »Vielleicht war nicht alles wahr, was ich dir in der Praxis gesagt habe. Aber alles, was ich dir letzte Nacht gegeben habe, war mehr und ehrlicher, als ich jemals zuvor jemandem gegeben habe.« Mein Blick liegt fest auf ihren dunklen Augen. Ihre Hand zittert leicht. Wäre ich nicht so ein guter Beobachter, würde es mir vielleicht nicht mal auffallen. »Und wenn du irgendetwas anderes von mir hören willst, eine Lüge, dann musst du mich entweder sofort abknallen oder mich hier verrotten lassen. Mila.«
Kurz schließt sie ihre Augen, sieht mich dann wieder an und ich glaube, Schmerz in ihrem Blick zu sehen. Bis sie einen Schritt rückwärts macht.
Und einen weiteren.
Und noch einen.
Und viele mehr, bis sie durch die Eisentür verschwindet und mich mit meinem Verlangen und meinen Gedanken alleine lässt.