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Das Seil schnitt in die Handgelenke.

Die Haube erschwerte das Atmen.

Die intensive Hitze ließ den Schweiß den Rücken hinunterlaufen.

Solange sie nichts sah, schärften sich die anderen Sinne.

Alles wurde so deutlich.

Sie registrierte die schwachen Geräusche des menschlichen Atems, bildete sich ein, dass sie ihren Herzschlag hörte.

Die Haube, die sie ihr über den Kopf gezogen hatten, duftete leicht nach Kräutern, Schweiß und Rauch. Und nach etwas unvorstellbar Altem.

Sie hatten sich angestrengt, damit sie nicht erraten konnte, in welches Land sie sie geführt hatten, aber wenn die Berichte, die sie gelesen hatte, stimmten, dann ahnte sie, wo sie gelandet war. Es spielte ohnehin keine Rolle.

Sie war vollkommen präsent.

Sie hatte sich niemals so lebendig gefühlt.

Motivierter als jetzt war sie nie gewesen.

Ihre Lunge bettelte um mehr Sauerstoff, aber sie musste warten.

Alle mussten warten. Alle Sinne und alle Gefühle mussten sich unterwerfen.

Wann hatte sie das letzte Mal gegessen? Daran konnte sie sich nicht erinnern. Ein bisschen Fatut, als sie ankam, wann auch immer das gewesen war.

Ihr Körper hatte aufgehört, Ansprüche an sie zu stellen, Dinge wie Essen, Flüssigkeit und Schlaf zu fordern. Zu pinkeln. Der Körper war abgeschaltet.

Ihr Fokus lag auf etwas anderem.

Sie hatte sich vom Boden erhoben. Ihr altes Leben hinter sich gelassen. Jetzt war sie unüberwindlich.

Das Knistern eines Streichholzes auf einer rauen Oberfläche, dann ein Paffen, als würde man sich eine Zigarette anzünden.

Dann das Geräusch zweier Scheinwerfer, die eingeschaltet und auf sie gerichtet wurden. So stark, dass sie sie durch den dicken Stoff blendeten.

Jemand kam von hinten an sie heran, knotete das Seil auf und hob die Haube ab.

Sie hielt die Hand als Schutz gegen das starke Licht hoch, machte aber nicht den Fehler, unter dem Schatten der Hand denjenigen anzublicken, der ihr gegenübersaß.

»Spiel«, sagte eine Stimme, erst auf Arabisch, dann auf gebrochenem Englisch.

Sie sah sich um und entdeckte eine Geige, die auf einem kleinen Tisch direkt neben ihr lag.

Sie stand auf, wund und steif nach den vielen Stunden, die sie an den Stuhl gefesselt gewesen war. Danach nahm sie die Geige, legte das Instrument an die Schulter und setzte den Bogen auf die Saiten.

Aus der einfachen und schlecht gestimmten Geige strömte ein »Erbarme dich« von Johann Sebastian Bach. Das Stück, das sie in dem Video gespielte hatte, von dem sie wusste, dass er es gesehen hatte. Vom Abschlussabend der neunten Klasse. Seltsam, dass er dieses Video hier im Nahen Osten gesehen hatte, Tausende von Kilometern entfernt.

Sie wusste nicht, wie gut er sich mit Bach auskannte, sah aber zu, dass sie das Stück genau so spielte wie damals, als sie eine Teenagerin gewesen war. Mit einem jugendlichen Eifer, der glaubte, dass er mehr wisse, als tatsächlich der Fall war, mit einer eingebildeten Lebenserfahrung und einer gewissen pubertären Dramatik.

»Stopp!«

Sie hielt inne.

»Muttermal!«

Sie fummelte an dem Umhang herum, mit dem sie sie bekleidet hatten, konnte aber schließlich ein Stück Haut unter der linken Brust entblößen und das große, dunkle Muttermal zeigen, das sich dort befand.

»Okay.«

Er musste irgendeine Form von Zeichen gegeben haben, denn jetzt wurden die Scheinwerfer wieder ausgeschaltet.

Danach die Schritte, mit denen er sich entfernte, umgeben von seinem engsten Gefolge.

Aber sie lebte.

Also hatte sie den Test bestanden.

War akzeptiert.

Jetzt war es nur noch eine Frage der Zeit.

Dieses Mal sollte es ihr gelingen.

Und dieses Mal würde Sara ihre Strafe bekommen.

Lotta Broman würde Sara Nowak mit ihren bloßen Händen töten.