»Tut mir leid, dass ich so spät komme. Es gab einen kleinen Zwischenfall auf der Arbeit. Oder eine verdammte Katastrophe, um ehrlich zu sein. Ich habe deine Nachricht erst vor einer halben Stunde abgehört.«
Nach zweistündigem sinnlosem Warten war Sara endlich vom Meisterdetektiv Eger Nilsson gecleart worden und hatte ihr Handy und ihren Computer zurückbekommen. Vermutlich saßen die letzten Kollegen immer noch dort herum und warteten darauf, endlich arbeiten zu können. Leo war nach einem überwachten Notbesuch auf dem Klo mit dem Schwanz zwischen den Beinen und dem Hut in der Hand in den Raum zurückgekehrt. Wenn sonst niemand Heidi für diese Art von Razzia bei den eigenen Mitarbeitern anzeigte, dann würde Sara es garantiert tun.
Die leitende Ermittlerin Hitler hatte erklärt, dass sie noch auf die Ergebnisse von Egers Untersuchung wartete und deshalb keine Zeit hätte, sich Saras Gedanken zu dem Mordvideo und der Mitteilung anzuhören, die mit ihm gekommen war. Vielleicht war es nur angesichts der Frustration auf dem Arbeitsplatz dazu gekommen, dass Sara zugesagt hatte, als Tom Buréns Frau zu ihrer Verwunderung eine Nachricht bei ihr hinterlassen hatte, dass sie gerne mit ihr zu Mittag essen würde.
»Kein Problem. Nehmen Sie doch bitte Platz.«
Die Wahl der Veranda des Grand Hôtels für den Mittagsimbiss sagte schon das meiste über Lovisa Burén. Und den Rest reimte man sich anhand ihrer Gucci-Kleider und des geschminkten, fotomodellhübschen Gesichts zusammen, das kleine, aber deutliche Spuren chirurgischer Eingriffe zeigte.
Kronleuchter unter dem Dach, diskretes Personal, Leinentücher, Leinenservietten und eine großartige Aussicht auf das Schloss und die Oper. Es hatte eine Zeit gegeben, da hätte Sara sich geweigert, an einem solchen Ort zu essen, in einer Art trotziger Weigerung, den Reichtum ihres Ehemanns zu akzeptieren. Doch jetzt kümmerte sie sich nicht mehr darum. Aber sie würde ja auch nicht mehr lange mit einem reichen Mann verheiratet sein.
»Sie sind also Toms Frau«, sagte Sara. »Tom ist hoffentlich nichts zugestoßen?«
Plötzlich prickelte es vor Unbehagen in ihrem Bauch, etwas, das Anna Intuition genannt hätte, aber eigentlich nur eine lebhafte Fantasie war. Sara ermahnte sich selbst zur Gelassenheit und trank einen Schluck Mineralwasser.
»Nichts außer einer Midlife-Crisis«, sagte Lovisa und zog die Mundwinkel hoch, was wohl ein Lächeln darstellen sollte, aber eher an einen Hilferuf erinnerte.
»Ich nehme an, dass Sie wissen, wen er … trifft«, sagte Sara.
»Ja. Und sehen Sie mal, da haben wir sie schon.«
Sara drehte den Kopf und sah Ebba mit abwartender Miene zwischen den Tischen herankommen.
»Was machst du denn hier?«, sagte Ebba zu Sara, als sie am Tisch angekommen war. Heute war ihre Bluse beige und das Kostüm braun, mit einem Jackett und einer langen Hose. Das aktuelle Kostüm sah ebenso sorgfältig genäht und teuer aus wie alle anderen. Bevor sie antwortete, fragte sich Sara noch, ob Tom oder Ebba die Kleidung bezahlte.
»Lovisa Burén wollte mich sehen«, sagte sie und schielte zu ihrer Tochter. »Aber sie hat nichts davon gesagt, dass du auch kommen würdest.«
»Jetzt bin ich aber hier«, sagte Ebba zu Lovisa und streckte fragend die Arme aus. »Worum geht es denn? Sie meinten, es sei wichtig?«
»Setzen Sie sich doch.«
»Nein, danke. Und ich werde auch nicht um Entschuldigung dafür bitten, dass Tom und ich zusammen sind. Oder ihn aufgeben.«
»Darum werde ich Sie auch nicht bitten. Ich wollte Sie nur warnen. Damit Sie wissen, worauf Sie sich einlassen«, sagte Lovisa ruhig.
»Mich warnen?« Ebba sah streitlustig aus. Sie war wohl doch eher die Tochter ihrer Mutter.
»Nicht vor mir«, sagte Lovisa. »Ich wäre die Letzte, die versuchen würde, jemanden zurückzubekommen, der mich nicht haben will. Und wir haben keinen Ehevertrag, ich werde also hervorragend zurechtkommen. Aber ich möchte Sie vor Tom warnen.«
»Sagen Sie nicht, dass er Sie schlägt, denn das würde ich niemals glauben.«
Ebba verschränkte die Arme vor der Brust und lächelte ihre ältere Rivalin höhnisch an.
»Natürlich nicht. Aber Sie werden ihn niemals allein für sich selbst haben.«
»Weil er mit der Arbeit verheiratet ist? Oder weil andere Frauen hinter ihm her sind?«
»Es ist nur eine einzige. Aber er liebt nur sie, so ist es schon seit vielen Jahren. Er macht sich zu jeder Zeit des Tages auf den Weg, sobald sie ihn ruft. Und sie telefonieren miteinander und schreiben sich lange Nachrichten. Viele Reisen und Hotelnächte und teure Geschenke. Leider muss ich auch erzählen, dass sie das Wichtigste in seinem Leben ist. Nicht Sie«, sagte Lovisa und nahm das Glas Wein, das gerade vor ihr gelandet war, in einen festen Griff.
Er verging eine Sekunde, bis Ebba antwortete.
»Mein Gott, klingen Sie bitter.«
»Überhaupt nicht. Ich habe mich mit dem Zustand der Dinge abgefunden. Ich möchte nur, dass Sie wissen, worauf Sie sich einlassen.«
Lovisa zog die Augenbrauen hoch, was normalerweise zu Falten in der Stirn geführt hätte.
»Und warum ist meine Mutter hier?«
»Weil ich ahnte, dass Sie so reagieren würden. Ihre Mutter Sara kann vielleicht ein vernünftiges Wort mit Ihnen reden, sie weiß bestimmt mehr über Männer als Sie. Mit allem Respekt.«
Die letzten drei Worte bedeuteten natürlich das genaue Gegenteil.
»Er hatte vielleicht eine andere, als er mit Ihnen gelebt hat«, sagte Ebba nach einer kurzen Phase des Schweigens. »Aber das sagt wahrscheinlich mehr über Sie als über ihn. Sie scheinen sehr zu leiden. Bei allem Respekt.«
Lovisa fertigte die Riposte der jüngeren Frau mit einem kalten Lächeln ab.
»Jetzt hat er mich getroffen«, fuhr Ebba fort. »Dann braucht er keine andere mehr.«
»Ja. Wir werden ja sehen. Aber merken Sie sich, was ich gesagt habe. Achten Sie auf Anrufe oder Nachrichten von Gloria.«
Ebba zuckte zusammen, unternahm aber alles, um es sich nicht anmerken zu lassen. Sara sah, dass sie darum kämpfte, etwas erwidern zu können, und beschloss, dass sie ihrer Tochter helfen musste.
»Entschuldigen Sie, aber ich bin ein bisschen neugierig geworden«, sagte Sara und beugte sich über den Tisch. »Welche Art von Frau handelt so?« Lovisa hob verwundert eine Augenbraue. »Verabredet sich im Grand, um die neue Frau ihres Mannes vor der Liebhaberin desselben Mannes zu warnen? Das klingt so geschäftsmäßig. Macht man es so in den feineren Gegenden von Djursholm?«
»Djursholm?«, entgegnete Lovisa und starrte Sara an. »Ich komme aus dem verdammten Rågsved. Fahr zur Hölle.«
Dann leerte sie das Glas, das vor ihr stand, stand auf und warf die Serviette auf den Tisch.
»Jetzt habe ich zumindest getan, was ich konnte«, lautete ihre Schlussreplik, bevor sie ging.
»Gloria?«, fragte Sara und betrachtete ihre Tochter.
Ebba zuckte mit den Schultern und versuchte, unbeschwert auszusehen.
Saras Handy brummte. Eine SMS von Anna: »Neues Video! Komm! Sofort!«
Ein etwa sechzigjähriger Kellner voller Furchen näherte sich dem Tisch und betrachtete mit mildem Lächeln Sara und Ebba und die Speisekarten auf dem Tisch.
»Also, haben wir uns entschieden?«, fragte er.
»Ja«, antwortete Sara. »Wir nehmen stattdessen den Burger King. Echte Flammen. Echter Geschmack.«