17

Harald Moberg schrie alles heraus, während die Flammen ihn langsam verzehrten.

Dass das Video keine Tonspur hatte, machte es fast noch schrecklicher.

Die Ketten hinderten ihn daran, sich zu befreien, sich herumzudrehen oder zu versuchen, das Feuer mit den Händen zu ersticken. Die Panik in seinem Blick war grenzenlos.

Das Video zu betrachten war beinahe unerträglich, trotzdem saßen in der Polizeiwache von Solna alle mit aufgesperrten Augen davor, vollkommen still und mit revoltierenden Mägen.

Der Raum schien derselbe Bunker zu sein wie beim letzten Mal, stellten sie fest. Das Blut von Schildt und Sandin war noch dort.

Sara und Anna erkannten Harald Moberg als den Mann wieder, der das erste Video bei ihnen abgeliefert hatte.

Den zweiten Mann im Video konnte Peter identifizieren. Lars-Erik Thun, Geschäftsführer in der Versicherungsbranche und berüchtigt für ein viel diskutiertes und kritisiertes Bonusprogramm.

Dieser Lars-Erik Thun stand mit einem geleerten Benzinkanister in der einen und einem Zippo-Feuerzeug in der anderen Hand da und sah zu, wie Moberg brannte. Zuerst praktisch ausdruckslos, fast geistesabwesend, bevor er zu zittern begann und sich übergab, als das Feuer endgültig Mobergs Gesicht auslöschte und die Haut zum Schmelzen brachte.

Danach zuckte Thun zusammen und machte sich klein. Er drehte sich in die andere Richtung und heulte, bis die Tränen und der Rotz über sein Kinn herunterliefen. Dann streckte er seine Hand aus und griff nach der Pistole, die er auf die eigene Schläfe richtete. Er schien seine hoffnungslose Verzweiflung herauszubrüllen. Dann schoss er.

»Verflucht noch mal«, sagte Heidi Dybäck wütend zu den anderen Polizisten, die alle noch mitgenommen waren von dem, was sie sich hatten ansehen müssen. »Moberg war hier. Er kam zu uns und war bedroht, und es ist uns nicht gelungen, ihn zu schützen. Ist euch klar, was die Zeitungen darüber schreiben werden?«

»Habt ihr gesehen, dass er zusammengezuckt ist?«, sagte Sara und brach das Schweigen, das nach Heidis Aussage entstanden war. »Und dass ihm jemand die Pistole hingehalten hat?«

»Keine Spur von diesem Gustav?«, fragte Anna in den Raum hinein.

»Verschwunden«, antwortete Carro mit einem nach wie vor zu einer Grimasse verzerrten Gesicht.

»Also wie in einem Fünfecksdrama, meinst du? Ein Triangeldrama nur mit fünf?«, schlug Leo vor.

»Oder Gustav hat sich bei Sandin eingenistet, um an sie alle heranzukommen?«, überlegte Sara und schaute sich in dem Raum um.

»Wir müssen herausfinden, ob die Zeitungen dieses Video auch bekommen haben«, ließ Heidi vernehmen.

»Und mit ihren Angehörigen sprechen«, ergänzte Sara. »Anna und ich übernehmen Moberg. Nehmt ihr die anderen?«

Carro und Peter, die ungewöhnlicherweise keine Scherze geliefert hatten, nickten.

»Ich kann den Takt erhöhen, was die Fahndung nach Gustav betrifft«, sagte Leo.

»Gut«, quittierte Sara den Vorschlag mit einem Nicken.

»Die Zeitungen!«, wiederholte Heidi, die ganz vorne im Raum stand und mit einem knochigen Finger den Bildschirm bedrohte.

»Selbstverständlich«, sagte Sara, dann gingen sie alle.

Harald Mobergs Frau Peggy war gut sechzig Jahre alt, hatte rosa Nagellack, riesige Ohrhänger und dickes Haar, das in einem diskreten lila Ton gefärbt war. Mobergs wohnten in einer Villa am Ufer von Djursholm und besaßen ein halbes Dutzend kleine Hunde, die endlos in einem Rudel um das Haus herumsprangen und unaufhörlich bellten.

Peggy konnte es kaum glauben, als Anna und Sara ihr berichteten, dass ihr Mann tot, ja, sogar ermordet worden war. Aber das schien eher daran zu liegen, dass sie ihn für unsterblich hielt, als daran, dass sie ihn betrauerte. Sie konnte vielleicht glauben, dass er tot war, aber sie wollte es nicht glauben.

Als sie die Tatsache schließlich doch akzeptiert hatte, kamen die Tränen, die sie jedoch schnell mit der Begründung stoppte, dass sie es nicht gewohnt war, Gefühle zu zeigen, wenn fremde Menschen in der Nähe waren. So sei sie nicht erzogen worden. Mit getrockneten Tränen und wiederhergestellter Fassung konnte Peggy ihnen erzählen, dass Harald und sie am Montag gemeinsam zu Abend gegessen hatten, woraufhin sie ins Bett gegangen war, und am Dienstagmorgen war ihr Mann verschwunden gewesen. Sie hatte gedacht, dass er auf einer Dienstreise sei, weil er die Gewohnheit hatte, früh aufzustehen und zur Arbeit zu fahren. Er war manchmal mehrere Tage hintereinander weg, sodass die Tatsache, dass er am Morgen nicht anwesend war, nichts war, worauf Peggy reagiert hatte, bevor sie mit dem Auto zum Sturebad gefahren war.

»Könnte morgens jemand geklingelt haben?«, fragte Anna und hüpfte zur Seite, als einer der kleinen, kläffenden Pelzbälle sich neben ihr platzierte und das Bein hob.

»Das ist möglich, ich nehme Schlaftabletten. Aber …«

»Aber was?«, hakte Sara hastig nach.

»Ich weiß nicht. Aber als ich aufwachte, sah das Bett eher so aus, als hätte sich Harald am Abend gar nicht hingelegt. Und sein Auto war auch noch da. Er könnte ja auf dem Sofa eingeschlafen sein. Oder er hat das Bett hinterher besonders gut gemacht. Am besten wäre es wohl, bei Samuel nachzufragen. Harald hat ihn immer angerufen, wenn er auf eine Dienstreise ging.«

»Wer ist Samuel?«

»Sein Chauffeur«, sagte Peggy und betrachtete sie erstaunt, als hätten sie es eigentlich schon längst wissen müssen.

»Haben Sie seine Nummer?«

»Die ist bestimmt in Haralds Handy.« Die ältere Frau bückte sich mühsam und hob einen der kleinen Hunde auf, der sie dumpf anknurrte.

Sara wollte sich nicht mit der frustrierenden Tatsache abfinden, als Polizistin so wenig hilfreiche Informationen zu bekommen, wenn ein Mann bestialisch ermordet und verbrannt worden war.

»Hat er einen Nachnamen? Ist er bei dem Unternehmen Ihres Mannes angestellt?«

»Ich weiß nicht, aber so wird es wohl sein.«

Zurück auf der Wache konnten Carro und Peter berichten, dass Lars-Erik Thun keine Familie hatte und dass in dem Briefkasten vor seinem Haus in Saltsjöbaden ein USB -Stick lag, der so aussah wie derjenige, den ihnen Harald Moberg gezeigt hatte. Was wohl bedeutete, dass er das Video nicht gesehen hatte.

»Keine Familie?«, wiederholte Leo. »Das fängt ja an, meilenweit nach einem Schwulenkomplott zu riechen.«

»Es kann nicht anfangen, meilenweit zu riechen«, sagte Sara. »Entweder fängt es an zu stinken, oder es riecht meilenweit, da muss es aber schon eine ganze Weile gerochen haben. Außerdem gibt es nichts, was man Schwulenkomplott nennen würde.«

»No offense«, sagte Leo, hob die Hände in die Luft und sah Anna an.

»But taken«, erwiderte Anna.

»Aber wie zum Teufel soll das denn funktionieren?«, fragte Sara. »Wer schickt die Videos, und woher wusste er oder sie, dass einige Manager jeweils einen anderen Wirtschaftsboss ermorden wollten?«

»Haben sie jemanden bezahlt, damit sie morden durften?«, überlegte Peter und kratzte sich am Kopf. »Wie bei deiner seltsamen Peepshow?«

»Es war nicht meine Peepshow«, warf Sara irritiert ein. »Und diese Personen sehen ja wirklich nicht so aus, als würden sie den Mord genießen. Und warum haben sie sich danach umgebracht?«

»Weil es verdammt viel schrecklicher war, einen Menschen umzubringen, als sie es sich vorgestellt hatten«, schlug Leo vor.

»Und deswegen steht jemand daneben und hat zufällig eine Pistole in der Hand?«

»Ja.«

»Und beide Videos enden auf dieselbe Weise. Woher kommt das denn? Ein Zufall?«

Saras Tonfall war skeptisch.

»Die Videos, die wir gesehen haben, sind vielleicht nur zwei von vielen? Die einzigen beiden, in denen sich der Mörder nachher erschießt?«, sagte Carro und fingerte mit nachdenklicher Miene an dem Ring herum, der in ihrer Nase saß.

»Und die anderen?«

»Die behalten die Mörder als Erinnerung an ihre Morde. Als Trophäen. Wie der Kopf eines Büffels, den man an die Wand hängt. Oder ein Elchgeweih.«

Carro nickte vor sich hin, offenbar zufrieden mit den Schlussfolgerungen.

»Oder wie wenn man die Schlüpfer von den One-Night-Stands aufbewahrt«, sagte Peter.

»Jetzt ist aber gut. Danke, Pervo.« Anna zog eine Grimasse.

»Das war doch nur ein Beispiel.«

»Klar. Wie viele hast du denn?«, meinte Anna und schien die Frage in dem Augenblick zu bereuen, in dem sie sie gestellt hatte.

»Wer, ich? Von mir selbst habe ich gar nicht gesprochen.« Peter legte eine Pause ein und lachte. »Elf.«

Adnan Westin vom Aftonbladet rief an und unterbrach zur allgemeinen Erleichterung das unerwünschte Bekenntnis. Als Sara das Gespräch nicht annahm, versuchte er es als Nächstes bei Anna, später der Reihe nach bei Peter und Carro. Woher zum Teufel wusste er so genau, wer an diesem Fall arbeitete? Westin war immer erschreckend gut informiert. Als am Ende Leo von einer unterdrückten Nummer angerufen wurde, dachte er nicht nach und nahm das Gespräch an. Sara gestikulierte ihm zu, dass er auf laut stellen sollte.

»Kein Kommentar«, sagte Leo sofort und stellte die Lautsprecherfunktion an.

»Ich habe es aus einer sicheren Quelle«, hörte man Adnan Westin sagen. »Harald Moberg ist verschwunden, vielleicht sogar ermordet. Obwohl er zu euch gekommen war, weil sein Leben bedroht wurde.«

»So war es nicht.«

»Ihr kanntet die Drohung, habt euch aber geweigert, ihm Polizeischutz zu geben. Warum?«

»Kein Kommentar.«

Leo war mittlerweile schweißgebadet.

»Im Artikel wird dieses ›Kein Kommentar‹ sehr defensiv aussehen, wenn ihr in der Praxis Harald Moberg dem Mörder auf einem Silbertablett serviert habt. Wer steckt denn dahinter?«, fragte Westin fröhlich.

»Kein Kommentar.«

»Was nichts anderes heißt, als dass ihr keine Ahnung habt. Ansonsten hättest du gesagt, dass ihr mehreren unterschiedlichen Spuren folgen würdet.«

Sara streckte den Arm aus und schaltete Leos Handy aus.

»Der verdammte Westin«, sagte Anna.

»Er macht nur seinen Job«, entgegnete Sara.

»Aber muss er ihn denn so sorgfältig machen?«

»Nein, da hast du natürlich recht. Hört mal, bevor Heidi vorbeikommt und Befehle zu geben versucht: Ich finde, wir sollten herauszufinden versuchen, was die Leute in diesen Videos gemeinsam haben. Jagdgesellschaft, Internat, dasselbe Bordell, ein Skandal, der unter den Teppich gekehrt wurde? Kann es tatsächlich so etwas geben wie Leos Schwulenkomplott?«

»Offense taken, wie gesagt«, grummelte Anna.

»Warum passiert das überhaupt?«, fragte Sara und ignorierte sie. »Und warum gerade jetzt? Was haben sie in der letzten Zeit getan?«

Alle tauchten in ihre Handys und Computer ein. Sara googelte die vier Namen gemeinsam und bekam Treffer bei Reportagen über Nobelfeste, feierliche Promotionen und Aufsichtsräte verschiedener Aktiengesellschaften. Aufträge von Stiftungen und Organisationen. Der Selma Lagerlöf Campus und Prins Carl Philips Wildschutzstiftung. Aber nie waren alle vier auf einer Seite zu finden. Auf der Seite mit der Überschrift »Vorstand – Sandin Energy« kamen auch nur zwei von ihnen vor. August Sandin als Vorsitzender und Lars-Erik Thun als Aufsichtsratsmitglied. Aber irgendetwas nagte in ihrem Hinterkopf. Eine Sache mit Schildt.

Sie suchte nach »Jan Schildt + Sandin Energy«, und da bekam sie eine Seite mit Schildts Lebenslauf, der zumeist politische Aufträge umfasste, in Schweden und im Ausland, sowohl für die UNO als auch die EU , aber dazu kamen ein paar Aufsichtsratsposten wie bei der IT -Firma YQ oder dem russischen Konzern Gazprom. Und bei Sandin Energy.

Sara nahm Witterung auf. Sie kontrollierte, in welchen Jahren der ehemalige Außenminister im Aufsichtsrat von Sandin Energy gesessen hatte, und suchte daraufhin die Zusammensetzung des Aufsichtsrats für diese Jahre.

Und im Jahr 2005 hatten neben dem Vorstandsvorsitzenden August Sandin auch Lars-Erik Thun, Harald Moberg und Jan Schildt im Aufsichtsrat für Sandin Energy gesessen.