20

»Das da ist alt. Warum sollte es etwas mit den Videos zu tun haben?«

Eger Nilsson hatte seine Füße auf Heidi Dybäcks Schreibtisch gelegt und warf Sara und Anna einen skeptischen Blick zu. Heidi nickte zustimmend, während sie an dem Whiteboard hinter ihm stand.

»Was weiß ich«, sagte Sara und breitete die Arme aus. »Aber wir müssen es doch zumindest untersuchen. Alle vier saßen gleichzeitig im selben Aufsichtsrat. Das ist der einzige gemeinsame Nenner.«

Heidi sah Eger an, der langsam den Kopf schüttelte und nach seinem Mienenspiel zu urteilen versuchte, einen Essensrest zwischen den Zähnen mit seiner Zunge zu lösen.

»Diese alten Knaben sitzen in jeder Menge von Aufsichtsräten, das ist total uninteressant«, sagte er und fuhr sich mit der Zunge über die blassen Lippen. »Das ist kein Verbrechen, nichts, was zu einem Mord führt. Nein, das hier hat nichts mit den Geschäften zu tun, es ist eine Sexgeschichte. Homo-Eifersucht unter den Spitzen der Gesellschaft.«

»Wir dürfen keine Angst davor haben, uns mit den Mächtigen anzulegen«, fügte Heidi hinzu.

»Eine Sexgeschichte?«, fragte Sara ungläubig.

»Ja. Aber vielleicht sind sie auch Freimaurer«, sagte Eger und schob sich einen Finger in den Mund. »Die den Befehl von ihrem Großmeister bekommen haben, die Ungehorsamen zu strafen. Oder es ist ein Initiationsritus. Es ist vollkommen verrückt, was die alles machen. Ihr wisst schon, dass Eyes Wide Shut auf den Illuminati beruht, oder? Ein verdammt guter Film übrigens.«

Sara und Anna betrachteten die beiden gleichgültigen Vorgesetzten.

Warum war Eger Nilsson überhaupt noch hier? War seine Untersuchung nicht beendet? Sollte er nicht nach Göteborg zurückfahren?

»Bist du jetzt hierher versetzt worden?«, fragte Sara und sah Heidi Hitler an. Ihr Blick zeigte deutlich, dass dies sehr schlechte Nachrichten wären.

»Eger hat seine Versetzung beantragt, und während er auf den Beschluss wartet, steht er uns weiter zur Seite.«

»Großartig«, sagte Sara, drehte sich um und ging.

»Sieh dir das Vereinsregister der Freimaurer an!«, rief Eger ihr nach.

Anna holte sie im Korridor ein.

»Sollen wir diese Sache mit dem Aufsichtsrat einfach fallen lassen?«

»Niemals. Wir scheißen auf Hitler und Herrn Nilsson. Sag den anderen nicht, was sie gesagt hat.«

»Okay.«

Sie gingen in den Pausenraum und schenkten sich einen Kaffee ein. Anna trank ihren schwarz, und Sara machte es genauso, obwohl sie eigentlich fand, dass er mit Milch besser schmeckte.

Sie setzten sich an einen der runden Tische aus hellem Kiefernholz und schauten zum Sundbybergsvägen hinaus. Die Folien an den Fenstern verhinderten, dass jemand hineinschauen konnte, verstärkten aber auch die herbstlich depressive Stimmung auf der Wache.

»Was machst du heute Abend?«, fragte Anna.

»Mich erschießen.«

»Lina hat gefragt, ob wir gemeinsam etwas machen wollen.«

»Uns gemeinsam erschießen? Nein, aber das könnten wir wohl. Also, etwas machen. Wenn wir es hinkriegen, uns dazu aufzuraffen. Sie fand mich also nicht langweilig?«, fragte Sara mit einer Grimasse und dachte an den Abend im Turmzimmer zurück. Das Foto, das sie gefunden hatte, hatte sie so beschäftigt, dass sie kaum auf Ansprache reagiert hatte. Stattdessen hatte sie umso mehr getrunken. Wahrscheinlich glaubte Lina, dass sie eine Alkoholikerin war und einen schlechten Einfluss auf Anna hatte.

»Nein, ganz im Gegenteil. Das habe ich doch gesagt. Sie redet ständig über dich. Will alles Mögliche wissen. Worüber wir uns auf der Arbeit unterhalten, mit wem du dich triffst, deine Familie. Ich glaube, sie ist ein bisschen neidisch, weil wir so eng sind.«

Das brachte Sara dazu, sich im Stuhl aufzurichten.

»Neidisch oder eifersüchtig?«

»Ich weiß es nicht.«

Sie sah Anna an, dass sie sich deswegen Sorgen machte.

»Ist sie sauer? Bekommt sie Wutanfälle? Schreit sie?«

»Sie schreit nicht … aber sie will alles wissen. Es ist jedes Mal beinahe wie in einem Verhör, wenn ich nach Hause komme.« Die Freundin runzelte die Stirn und trank einen Schluck Kaffee.

»Anna. Schlägt sie dich?«

»Nein.«

Anna sah beleidigt aus.

»Verzeih mir«, sagte Sara und hob die Hände in einer entschuldigenden Geste. »Ich wollte mich da nicht einmischen, aber man weiß ja nie. Sorry. Sie ist wahrscheinlich nur sehr unsicher. Du bist älter und viel erfahrener.«

»Du nennst mich alt?«, grummelte Anna.

»Ja, eine alte Schachtel. Und wir beide haben eine lange Geschichte hinter uns, bei der sie vielleicht das Gefühl hat, dass sie damit nicht konkurrieren kann. Das ist ja nicht verwunderlich. Aber wenn diese Eifersucht nicht verschwindet, musst du dich zurückziehen. Das klingt ein bisschen grenzwertig«, sagte Sara und lächelte, um zu zeigen, dass sie Anna in jedem Fall unterstützte.

»Dabei hatte ich gehofft, dass das mit uns beiden das Richtige ist.«

»Und jetzt bist du eingekerkert und angekettet.«

Anna erwiderte widerwillig Saras Lächeln.

»Idiot«, brummte sie.

Das Gespräch über Liebe und Eifersucht hatte Saras Gedanken auf eine ganz andere Spur gelockt, und eine besonders deutliche Erinnerung an einen gewissen Abend schickte einen Stoß durch ihren Unterleib. Sie blieb eine Weile still sitzen, dann stand sie auf und sagte, dass sie arbeiten müsse.

Stattdessen ging sie aber in ihr Büro und rief Göte bei der Spezialeinheit für Bandenkriminalität an. Trotz seines altmodischen Namens war der Mann aus Huskvarna gerade erst vierzig geworden, sah aus wie zweiunddreißig und war hübsch wie ein Filmstar. Er hatte auch die volle Übersicht, was die kriminellen Netzwerke im Raum Stockholm und ihre internen Konflikte betraf.

»George Taylor Jr. in Botkyrka«, sagte Sara, sobald er sich gemeldet hatte, denn so hätte sie es auch gesagt, wenn das Gespräch wirklich berufsbezogen gewesen wäre.

»Rising star«, sagte Göte mit den charakteristisch lang gezogenen Vokalen. »Nach diesen Schießereien im August hat er sich einen noch größeren Teil des Markts geschnappt, sogar in der Innenstadt. Er arbeitet an seiner Fassade, aber um alles zu finanzieren, braucht er das Drogengeld. Es besteht das Risiko, dass das Netzwerk in Alby sich rächen wird. Beide beschaffen immer mehr Waffen.«

Sara bedankte sich für die Information und begann darüber nachzudenken, wie smart es war, mit diesem George Taylor Jr. ins Bett zu hüpfen.

Beziehungsweise, sie waren ja noch nicht einmal im Bett, sondern in einer Gasse gelandet, und sie waren nicht gehüpft, sondern hatten dabei gestanden.

Scheißegal. Taylor war wohl eher kein Material, aus dem Liebhaber gemacht wurden. Niemand, den man den Kollegen vorstellte.

»Da bist du ja!«

Carro lehnte sich an den Türrahmen und beugte sich in den Raum.

»Ja«, sagte Sara. Sie konnte es ja schlecht leugnen.

»Du warst doch an den Ermittlungen zum Mord an Onkel Stellan beteiligt, oder?«

»Ja, das könnte man sagen.«

»Ich habe einen gefunden, der nach diesen anderen in Sandins Aufsichtsrat gesessen hat und auch in den Broman-Akten auftaucht. Er war wohl ein Nachbar von Stellan Broman.«

Carro reichte ihr das Papier, bei dem es sich um ein Verzeichnis der Aufsichtsratsmitglieder bei Sandin Energy aus dem Jahr 2006 handelte. Sie zeigte auf einen Namen, den sie mit einem gelben Textmarker markiert hatte. Warum auch nicht markieren, wenn es doch Textmarker heißt, dachte Sara noch, bevor ihr aufging, dass sie den Mann auf dem Bild neben dem Namen kannte.

CM .

Carl Magnus irgendwas, der Nachbar der Familie Broman, an dessen Familiennamen Sara sich nie erinnern konnte. Der pensionierte Direktor, mit dessen teurem Fabbri-Gewehr Sara die Terroristin Abu Rasil erschossen hatte. Jetzt sah sie, dass er Carl Magnus Hagberg hieß.

»Den kenne ich«, sagte Sara. »Glaubst du, dass er bedroht ist?«

»Keine Ahnung. Es ist immer lustig, wenn ein Name in unterschiedlichen Zusammenhängen auftaucht. Aber wenn du ihn kennst, kannst du ihn ja überprüfen, oder? Super!«

Carro nahm Saras Kaffeebecher und ging. Sara hob ihr Handy auf und suchte nach der Nummer von CM .

Sie blieb in der Einfahrt stehen, wie paralysiert. Konnte den Blick nicht vom Haus nebenan losreißen. Dessen bloße Existenz brachte Sara dazu, dass sie am liebsten um ihr Leben gerannt wäre. Alles Böse, was dort passiert war, ihr Kampf in dem brennenden Geräteschuppen und dann die greifbare Gefahr, dass sie jetzt auch offiziell zu einem Teil der furchtbaren Familie Broman werden könnte. Dass sie für immer an sie gefesselt wäre, niemals frei werden könnte. Bei dem Gedanken wurde ihr übel.

Indem sie eine DNA -Probe von Sara und der ganzen Familie Broman eingeschickt hatte, hatte Jane beantragt, Sara als Tochter von Stellan Broman anerkennen zu lassen. In Saras Namen. Gegen Saras Willen.

Sie blieb in gehörigem Abstand stehen und betrachtete das große, weiße, funktionalistisch anmutende Haus, und die Erinnerungen aus der Kindheit und von dem Mord an Stellan flatterten ihr durch den Kopf. Sie hatte in den vergangenen Monaten mit so vielen Ängsten gerungen, die jetzt drohten, sie zu übermannen. Sara fühlte sich plötzlich so klein im Schatten dieses Bauwerks, als wäre sie erneut diese Zehnjährige, die verzweifelt versuchte, hier hineinzupassen, um jeden Preis. Aber sie hatte nicht geahnt, was es sie kosten würde. Die Erinnerungen an die Kindheit wogen fast schwerer als die Erinnerungen an den Kampf mit Abu Rasil. Das hier würde immer ein Ort bleiben, den sie nur unter Qualen besuchen konnte.

In dem Haus, das näher an der Straße stand, am Grönviksvägen 65 , wohnte CM . Er durfte ein weiteres Mal ihre Rettung werden. Als Sara kurz zuvor bei ihm angerufen hatte, hatte er erklärte, dass er zu Hause sei und sie herzlich willkommen heißen würde. Jetzt war es diese Verabredung, die Sara dazu brachte, sich von der hypnotischen Wirkung des bromanschen Hauses loszureißen.

»Sara, wie schön! Komm rein!«

CM trug ein sorgfältig gebügeltes Hemd, dunkle Jeans mit einem robusten Gürtel und Segelschuhe, wenn er im Haus war. Er musste sich langsam dem achtzigsten Geburtstag nähern, dachte Sara, aber er bewegte sich wie ein dreißig Jahre jüngerer Mann. Er führte Sara in sein Wohnzimmer, in dem Kaffee und Mandelkuchen kredenzt waren, auf einem Service der Wedgwood Hibiscus-Serie und einem Couchtisch, der wohl dem chinesischen Stil nachempfunden war. Die Wände waren von Ölgemälden mit Tiermotiven und Jagdtrophäen in Form von Zebra-, Gnu-, Löwen- und Gazellenköpfen bedeckt. Auf dem Boden lag ein riesiger echter Teppich mit einem orientalischen Motiv in rot und schwarz. Sara ließ sich dankbar in das große Chesterfieldsofa aus Leder sinken, und CM setzte sich auf den Ledersessel gegenüber.

»Tja, wir haben uns wohl seit der Beerdigung von Stellan und Agneta nicht mehr gesehen?«, sagte CM und schenkte ihnen beiden Kaffee ein. »Ich habe von Hedin gelesen, dass sie auch von uns gegangen ist. Es klang nach Selbstmord.«

»Nein, nur offiziell. Sie wurde ermordet«, sagte Sara und nahm sich von der Milch, jetzt, wo Anna nicht dabei war.

»Wie schrecklich. Aber das hatte hoffentlich nichts mit Stellan zu tun? Ich weiß ja, dass sie auf ihn fixiert war.«

»Indirekt, könnte man vielleicht sagen. Und vieles daran war auch mein Fehler.«

Sie erinnerte sich an den Besuch auf dem Skogskyrkogården, die Blumen, die sie auf das Grab gelegt hatte. Gab es noch jemanden, der an Hedin dachte, sich an sie erinnerte? Sie war ihr wie ein unglaublich einsamer Mensch vorgekommen, hatte aber gleichzeitig auch sehr zufrieden gewirkt.

»Dein Fehler? So darfst du nicht denken«, sagte CM und runzelte die Stirn. »Sie war ja nicht ganz im Gleichgewicht, wenn man es so sagen kann. Wie steht es zwischen dir und den Mädchen?«

Für CM würden Lotta und Malin immer »die Mädchen« bleiben, ganz egal, wie alt und erfolgreich sie würden. Und der Nachbar hatte versucht, zwischen Sara und Malin zu vermitteln, als Malin plötzlich geglaubt hatte, dass Sara einen Vaterschaftstest anhand von Stellans DNA begehrt hätte. Sara wollte niemandem erzählen, dass ihre Mutter ihn in ihrem Namen abgegeben hatte. Jetzt musste sie eben gute Miene zum bösen Spiel machen und so tun, als wäre sie selbst es gewesen, die den ganzen Prozess in Gang gebracht hatte, obwohl es das Letzte war, das sie wollte. Trotzdem war es schwer, böse auf Jane zu sein, die nur das Beste für ihre Tochter wollte. Die aus ihrer Sicht den Kampf für ihr eigenes und Saras Recht auf die eigene Geschichte aufgenommen hatte. Das Problem war nur, dass nichts Gutes dabei herauskommen konnte.

»Nicht so gut«, sagte sie. »Malin glaubt, dass ich Stellan als Vater haben will, aber das will ich gar nicht.«

CM sah sie lange an.

»Willst du an die Villa herankommen? Ja, entschuldige, wenn ich so direkt zur Sache komme, aber so bin ich nun mal. Diese sechsundfünfzig Jahre im Wirtschaftsleben haben mich so gemacht. Und das Jagen. Wenn du beim Abzug zögerst, verschwindet der Bock.«

»Was heißt herankommen?« Sara dachte direkt an ihren jugendlichen Versuch, das Gerätehaus anzuzünden, und wie das ganze Haus zu Anfang des letzten Sommers fast abgebrannt wäre, als dieser Schuppen schließlich endgültig das Opfer der Flammen geworden war, als sie gegen Abu Rasil und Geiger gekämpft hatte.

»Ja, wenn ihr drei Töchter seid, dann seid ihr drei, die sich das Haus teilen. Und es dürfte so zwanzig- bis fünfundzwanzig Millionen wert sein, mindestens. Der Nachlass ist ja so lange auf Eis gelegt, bis das Resultat des Vaterschaftstests da ist.«

Sara fiel es schwer, CM s Worte aufzunehmen. Sollte sie ein Drittel des Hauses erben, das so viele Erinnerungen an Leid und Verzweiflung weckte? Was für ein furchtbarer Gedanke. Und wenn sogar CM , der sie ja einigermaßen kannte, auf die Idee kam, dass dies der wahre Grund für den DNA -Test war, was würden dann andere glauben?

Aber Agneta lebte ja. Dann würde es gar kein Erbe geben.

Wenn Sara es beweisen konnte.

Offiziell war Agneta Broman tot und sogar begraben. Es gab bestimmt sehr starke Interessen, die wollten, dass es so blieb. Aber mithilfe von Koslows Bildern könnte Sara an diesem Sachverhalt etwas ändern.

Sie wollte wirklich nichts von dem Haus erben, das der Schauplatz so vieler Übergriffe auf junge Mädchen gewesen war und in dessen Garten sie haarscharf dem Tode entronnen war.

»Das wird niemals aktuell«, war alles, was sie dazu sagte.

CM warf zwei Zuckerstücke in seine Tasse, rührte um und nippte an seinem Kaffee.

»Das Thema amüsiert dich nicht, wie ich sehe. Worüber wolltest du denn mit mir sprechen?«

»Du musst mir versprechen, kein Wort darüber zu verlieren. Die Ermittlungen sind sehr sensibel«, sagte Sara und sah ihn eindringlich an, damit er wusste, dass sie es ernst meinte.

»Wenn ich etwas in sechsundfünfzig Jahren im Wirtschaftsleben gelernt habe, dann ist es, den Mund zu halten.«

»Okay. Sandin Energy.«

»Geht es um Schildt und Sandin?«, fragte CM und zog die Augenbrauen hoch. »Schreckliche Geschichte. Es ist kaum zu begreifen.«

»Schildt, Sandin, Lars-Erik Thun und Harald Moberg saßen alle im Aufsichtsrat von Sandin Energy im Jahr 2005 . Warum sollten sie einander umbringen wollen? Hat es mit Sandin Energy zu tun?«, fragte Sara.

»Thun und Moberg? Sind sie auch …«

CM stellte seine Kaffeetasse hin und sah leicht erschüttert aus.

»Das hier ist supergeheim, daran muss ich dich noch einmal erinnern. Aber ja, wir haben ein Video bekommen, in dem Thun und Moberg ungefähr dasselbe zustößt wie Schildt und Sandin.«

»Was heißt ›ungefähr‹?«

Sara dachte eine Sekunde nach und holte tief Luft, bevor sie antwortete.

»Lars-Erik Thun zündet Harald Moberg an, danach erschießt er sich selbst. Was bringt zwei Chefs dazu, einen Aufsichtsratskollegen zu ermorden und dann Selbstmord zu begehen? Und sich dabei noch filmen zu lassen?«

»Ich kenne sie. Alle«, sagte CM , nachdem er eine Weile geschwiegen hatte. Er wischte mit der Hand über das glatte Lederpolster und sah gedankenverloren aus. »Ich habe selbst im Aufsichtsrat von Sandin gesessen, allerdings nach ihnen. Es war während einiger Jahre ja nicht so populär, mit Sandin zu tun zu haben.«

»Warum nicht?«

CM blinzelte.

»Die ganze Sache mit dem Sudan. Das war ja eine böswillige Schwarzmalerei einer wirtschaftlichen Betätigung, die der Bevölkerung nur nutzen konnte.«

»Worum ging es da? Warum der Sudan?«, fragte Sara und fühlte sich ein bisschen dumm.

»Erinnerst du dich nicht? Umso besser, wenn du mich fragst. Aber es gab ja ziemlich viel Schreiberei in den Jahren 2006 und 2007

Die Jahre, als ihre Kinder klein gewesen waren, dachte Sara. Da hatte sie nicht viel von der Umwelt wahrgenommen.

»Erzähl.«

»Ein paar linke Elemente meinten, dass Sandin Energy in großem Ausmaß für einen Völkermord verantwortlich war.«

CM breitete die Arme aus, schüttelte den Kopf.

»Aber du sagtest, das war 2006 und 2007 ? Nicht 2005

»Nein, es kam 2006 ans Tageslicht, aber passiert war es 2005 . Als die vier im Aufsichtsrat saßen. Sobald sie angefangen hatten, darüber zu schreiben, zog sich Schildt zurück, nahm seine Millionen und verschwand. Feige wie immer, wenn es darum ging, Verantwortung zu übernehmen. Und nach ein paar Jahren Skandalberichterstattung mit Artikeln und Büchern und Gott weiß was noch, warfen auch Moberg und Thun das Handtuch, stellten aber zumindest fest, dass Sandin nichts falsch gemacht hatte.«

»Stimmte irgendetwas mit Schildt und den anderen nicht? Was kann sie dazu gebracht haben, sich gegenseitig umzubringen?«, fragte Sara und musterte CM , der so aussah, als hätte er sich von der Nachricht über den Tod weiterer Aufsichtsratsmitglieder einigermaßen erholt.

»Ja, das kann man eigentlich nicht verstehen. So etwas macht man nicht im Wirtschaftsleben. Wenn es eine Sache gibt, die ich in …«

»Gibt es sonst noch etwas, das uns weiterhelfen könnte?«, unterbrach ihn Sara, bevor er eine weitere Anekdote aus der obersten Gesellschaftsschicht anbringen konnte. »War irgendetwas an ihnen seltsam? Hatten sie Gewalterfahrungen gemacht? War irgendeinem von ihnen kürzlich etwas zugestoßen? Scheidung? Krankheit?«

»Davon hätte ich bestimmt gehört«, sagte CM und legte die Stirn in Falten. »Nirgendwo wird so viel getratscht wie im Wirtschaftsleben.« Er schien eine Sekunde nachzudenken. »Aber ich weiß, dass viele ihre Sicherheitsmaßnahmen erhöht haben, seit das Video mit Schildt und Sandin ans Licht gekommen ist. Man bucht unter anderem private Sicherheitsfirmen. Da steckt kein böser Wille dahinter, aber die Leute verlassen sich nicht auf die Fähigkeiten der Polizei, sie beschützen zu können.«

»Aber du hast keinen zusätzlichen Schutz gebucht?«

CM sah Sara eine Sekunde an, bevor er auf einen Knopf drückte, der an einem diskreten Band an seinem Handgelenk saß. Nach weniger als drei Sekunden wurde die Außentür aufgestoßen, und drei muskulöse Männer in schwarzer Kleidung mit einem roten V auf der Brust stürmten herein, mit gezogenen automatischen Waffen mit Lasermarkierern.

»Just testing«, sagte CM zu den Männern und hob die Hand in einer abwehrenden Geste. Die Männer grunzten eine Antwort und gingen wieder.

»Und noch drei weitere Männer draußen im Garten«, sagte CM zu Sara und lächelte zufrieden. »Noch ein Schlückchen Kaffee?«