Am Wochenende zu arbeiten war normalerweise nicht populär, und mehrere ihrer Kollegen beklagten sich über die verpassten Ausflüge, die Fußballspiele in der Endphase der Allsvenskan oder die Wochenenden auf dem Land, aber Sara war nichts als dankbar dafür, dass sie an diesem Samstag arbeiten durfte.
Martin lag im Sankt Göran, und die Ärzte hatten erklärt, dass er überleben würde. Olle würde das ganze Wochenende zusammen mit Gabriel Lieder schreiben, und Sara war erleichtert, dass sie ein bisschen Luft bekam, bevor sie ihm erzählen musste, was mit Martin passiert war. Ebba weigerte sich, ans Telefon zu gehen. Sie war vermutlich rasend darüber, dass Sara versucht hatte, sich zwischen sie und Tom zu stellen, und dass Saras Scheidungsantrag Martin dazu getrieben hatte, einen Selbstmordversuch zu unternehmen. So sah es Sara zwar nicht, aber sie wusste, dass die Tochter immer alles zum Nachteil der Mutter auslegte.
Wie war es dazu gekommen?
Sie tröstete sich mit Peters Süßigkeitenschüssel. Wenn man am Samstag arbeitete, verdiente man etwas Süßes zum Wochenende, so lautete die feste Überzeugung von Peter, also kaufte er stets zwei große Pappschachteln mit losen Leckereien. In der einen gelatinefreie Alternativen, in der anderen Süßigkeiten mit toten Tieren, wie Sara es ausdrückte. Salzige Heringe, Colaflaschen, Kaubonbons, Riesen und Zuckerstangen waren alle frei von Gelatine und fuhren in einem steten Strom in Saras Mund.
»Was hast du an den Füßen?« Leo klang aufrichtig besorgt.
»Pantoffeln«, sagte Peter, lehnte sich in seinem Stuhl zurück und hob die Füße in die Luft. Auf ihnen saßen ein paar waschechte Opaschlappen.
»Wenn schon Wochenende, dann richtig.«
Dass es Samstag war, hinderte sie nicht daran, intensiv zu arbeiten.
Omar Kush war in der Touristenklasse mit Ethiopean Airlines aus Juba im Südsudan nach Addis Abeba geflogen und hatte dort zu einem Direktflug nach Stockholm gewechselt. In Arlanda hatte er die Sicherheitskontrolle passiert und sich danach in Luft aufgelöst.
Wo befand er sich jetzt? Welche Pläne hatte er? Bekam er Hilfe von jemandem?
Der Polizeischutz war auf alle ausgedehnt worden, die je im Aufsichtsrat von Sandin Energy gesessen hatten, und man hatte die Polizei in Südafrika, den USA , der Schweiz und Großbritannien gewarnt, was die ausländischen Mitglieder betraf.
Aber Göran Antonsson hatte Polizeischutz gehabt und war trotzdem verschwunden.
Werkström warnte sie, dass sie es mit einem außergewöhnlich schweren Gegner zu tun hatten.
Die Tatsache, dass jemand die Videos aufgenommen und verteilt und zudem eine Pistole hineingereicht hatte, zeigte, dass mehr als die vier Toten darin verwickelt waren. Und die Botschaft über das Karma, die das Video zum Aftonbladet begleitet hatte, sagte den Polizisten, dass es um Rache ging.
Die Frage war nur, wie Omar Kush das zuwege gebracht haben sollte.
»Zaubertrank«, schlug Peter scherzhaft vor, mit der Folge, dass Carro ihn einen Rassisten nannte und Leo aussah, als würde er ernsthaft über diese Theorie nachdenken.
Eine Alternative, die recht nahe lag und auch realistischer war, war eine Art von Droge, ein Halluzinogen oder was auch immer, das die Psyche des Mörders beeinflusste. Die seine Aggressivität und Angst verstärkte.
Mit Unterstützung der Säpo hatten sie die Videos der Überwachungskameras in Arlanda in Rekordzeit bekommen, und jetzt saßen Anna und Sara nebeneinander und betrachteten das Material.
Sie wussten, wann Kush gelandet war, und konnten die Passagiere mit seinem Bild auf der Homepage von Justice for Sudan vergleichen. Nach einer halben Stunde hatten sie ihn gefunden.
Kush hatte die Sicherheitskontrolle passiert, ohne angehalten worden zu sein, war den direkten Weg zur Straße vor der Ankunftshalle gegangen und dort in einen dunkelblauen Audi A6 Avant gestiegen.
Die Nummernschilder verrieten, dass der Audi einem Jacobo Antonucci aus der Östgötagatan gehörte, aber dieser Antonucci hatte dieselben Nummernschilder eine Woche zuvor als gestohlen gemeldet, am selben Tag, als Kush gelandet war.
»Es könnte ja eine nachträgliche Aktion sein, um die Spuren zu verwischen. Möglich, dass Antonucci tatsächlich derjenige war, der Kush abgeholt hat. Aber am wahrscheinlichsten ist es wohl, dass diejenigen, die Kush abgeholt haben, Nummernschilder von einem Auto gleicher Bauart geklaut hatten, kurz bevor sie ihn am Flughafen eingesammelt haben, damit sie nicht vorher als gestohlen gemeldet wurden. Das Auto, das sie fuhren, könnte auch gestohlen sein. Wir müssen nachsehen, ob ein blauer Audi A6 als gestohlen gemeldet wurde«, sagte Anna.
»Jetzt mal langsam mit den jungen Pferden.« Eger Nilsson saß herum, wedelte mit den Händen und schloss die Augen, als könnte er gar nicht verstehen, wie dumm seine Kolleginnen und Kollegen hier waren. »Was hat dieser Mann denn getan? Er ist nach Schweden geflogen. Und wurde von jemandem abgeholt, der sich vielleicht Nummernschilder geklaut hat. Aber es war ja nicht er, der die Nummernschilder geklaut hat. Er hat nichts getan. Und hier gehen wir ran, als wären wir hinter Osama bin Laden her. Also, dieser Mann arbeitet schließlich für den Frieden. Habt ihr die Homepage angesehen?«
»Aus ihr geht deutlich hervor, dass er und die Organisation, die er vertritt, einer Reihe von Firmenchefs vorwerfen, dass sie ihrer rechtmäßigen Strafe für das entkommen sind, was sie als einen Völkermord betrachten«, sagte Sara und nahm eine extra große Handvoll Süßigkeiten.
»Betrachten? Wie zum Teufel kann man es als so etwas betrachten? Ein Völkermord ist ein Völkermord!« Eger war jetzt hochrot im Gesicht. Die Stimme stieg ins Falsett, als er imitierte, was er von den Überlegungen der anderen hielt. »›Wir betrachten den Tod dieses Kindes nicht als einen Mord. Es hat sich selbst mit einer Machete in Kleinteile zerhackt.‹ Hört ihr nicht, wie das klingt?«
»Wenn du Probleme damit hast, wie diese Ermittlungen durchgeführt werden, dann solltest du eine schriftliche Beschwerde einlegen. Dann kann die Führungsebene sich damit befassen«, sagte Werkström.
»Tolle Idee. Denn ihr haltet euch ja nicht etwa gegenseitig den Rücken frei.«
»Wer ist ›ihr‹?«
»Alle Chefs. Alle Karrieristen, die die Stufen hinaufklettern, indem sie sagen, was die Macht hören will. Jetzt haben ein paar depravierte Direktoren angefangen, sich gegenseitig umzubringen, und dann muss der Fehler ja in Afrika liegen.«
»Danke, Eger. Wie gesagt, wenn du weitere Einwände hast, darfst du sie in Worte fassen und über den gewohnten Weg nach oben schicken. Wir anderen machen weiter. Elina?«
Werkström streckte die Hand aus und bekam einen Stapel Papiere von ihrer Kollegin Elina, einer verbissenen jungen Frau mit Afrofrisur, auffälligen Wangenknochen und breiten Schultern.
»Wir haben Mitschriften der Gespräche bekommen«, sagte Werkström. »Stellt euch vor, man würde nur Fälle bearbeiten, die die Sicherheit des ganzen Reiches bedrohen – wie schnell es gehen würde, alle Verbrechen zu lösen. Uns ist es gerade gelungen, eine Nummer zu finden, die mit Kush im Zusammenhang steht und von der zehnmal in Schweden angerufen wurde, bevor er fuhr. Und die Gespräche gingen alle an ein unregistriertes Prepaid-Handy.
Die Nummer gibt es allerdings auf einer Homepage im Internet, die allem Anschein nach einer Gruppe gehört, die sic h ›Justice for Sudan – Schweden‹ nennt.«
Werkström nickte Elina zu, die ihren Laptop drehte, sodass auch die anderen den Bildschirm sehen konnten. Sie befand sich auf einer Homepage mit der Überschrift »Südsudan blutet immer noch«. Unten in der Ecke stand der Name, den Werkström gerade genannt hatte.
»Sie haben also alles im Vorhinein geplant?«, fragte Carro. »Die Vorarbeit für Kush geleistet?«
»Das wäre eine mögliche Erklärung. Sie brauchten ja eine unglaubliche Planung, um alle auszukundschaften und an sie heranzukommen.«
»Keine Namen? Also, im Fall der Schweden?«, fragte Peter.
»Der Name, der für die Telefonnummer angegeben ist, lautet Felix, der als ›schwedischer Koordinator‹ bezeichnet wird«, erklärte Elina.
»Habt ihr angerufen?«
»Ja.«
»Habt ihr ihn erwischt?«
»In gewisser Weise. Jemand hat den Anruf angenommen. Aber es war nicht er selbst«, sagte ihre Chefin.
»Nicht? Wer war es dann?«
»Die Rechtsmedizin in Solna. Der Inhaber des Telefons ist gerade ermordet aufgefunden worden.«