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War das jetzt das Ende?

Sara konnte sich nicht bewegen, bekam so gut wie keine Luft.

Sie hatten ihr das Handy weggenommen, damit sie keine Hilfe rufen konnte.

Ihre Hände waren gefesselt, es wäre also ohnehin fast unmöglich gewesen.

Es schienen drei oder vier zu sein, aber keiner von ihnen sagte ein Wort. Diszipliniert.

Wer waren sie? Alte Spione? Neue Spione? Russen? Islamisten? Hatten sie mit Sandin zu tun? Oder Faust? Oder Geiger? Steckte Lotta dahinter? Oder derjenige, der Malin die Blumen geschickt hatte?

Sara nahm an, dass es mit Sandin zu tun hatte. Vielleicht saß auch Omar Kush im Auto?

Welche Pläne hatte er in diesem Fall? Wie viel wussten er oder seine Helfer darüber, was die Polizei herausgefunden hatte? Hatten sie einen Informanten unter den Beamten in der Gruppe? Könnte Eger Nilsson Erkenntnisse an die Verdächtigen weitergegeben haben? Ja, zweifellos.

Und jetzt war vielleicht alles vorbei.

Würden Olle und Ebba jemals erfahren, was ihrer Mutter zugestoßen war, oder würde sie einfach verschwinden? Dieser Gedanke machte das Atmen noch schwerer. Der Rücken tat weh, aber das Schlimmste war das Gefühl der Hilflosigkeit.

Was würde Jane glauben?

Ein Teil von Sara wollte einfach aufgeben. Der Teil, der in den letzten Monaten schon so viel Gewalt und Leiden erlebt hatte, der siegreich aus den Duellen mit Abu Rasil, Geiger und Faust hervorgegangen war, aber einen viel zu hohen Preis dafür bezahlt hatte. Die Albträume, die körperlichen Schmerzen, alle äußeren und inneren Narben. Ein anderer Teil von Sara dachte, dass sie sich zumindest nicht billig verkaufen sollte. Bei der kleinsten Chance würde sie treten und schlagen und beißen, wo auch immer sie herankäme. Es spielte keine Rolle, ob es sie wütender machte. Sie würde es ihnen verdammt noch mal nicht leicht machen.

Als sie sich ein bisschen drehte, um herauszufinden, wie groß ihr Bewegungsspielraum war, bekam sie die Mündung eines automatischen Gewehrs an die Schläfe gedrückt. Zumindest war es eine große, schwere Waffe. Sie hörte auf, sich zu bewegen. Es war besser, auf eine Möglichkeit zur Flucht zu warten oder darauf, dass man sich zumindest wehren konnte, statt mit einem Schuss hier auf dem Autoboden zu enden.

Sie konnte kaum beurteilen, wie viel Zeit vergangen war, weil sie jede Sekunde darum kämpfen musste, genug Luft durch das dicke Stück Tuch zu bekommen, und gleichzeitig noch ein schwerer Körper auf ihr saß, der ihr den Brustkorb zusammenpresste. Jeder gequälte Atemzug fühlte sich ewig an, aber zwanzig Minuten bis zu einer halben Stunde mussten auf jeden Fall vergangen sein, dachte Sara und versuchte, die Panikgefühle unter Kontrolle zu halten, während die Fahrt ihren Charakter änderte, von langen, geraden Strecken zu kurzen, kurvenreichen. Es schienen zwei Kreisverkehre hintereinander zu sein und danach vermutlich schmalere Straßen, weil es schaukelte und wippte. Sie mussten erst auf einer Autobahn, E4 oder E18 , gewesen sein, und jetzt waren sie abgefahren. Um in den Wald zu kommen und Sara hinzurichten? Oder sie in einem einsam gelegenen Haus als Geisel zu halten?

Schließlich blieb der Wagen stehen.

Türen wurden geöffnet, und das Gewicht auf dem Brustkorb ließ endlich nach.

Starke Arme zogen sie vom Boden hoch und aus dem Auto.

Ein Tritt in die Kniekehle ließ sie auf die Knie sinken, und durch das dicke Tuch spürte sie die Mündungen von zwei Waffen, die gegen ihren Schädel gedrückt wurden. Vermutlich waren noch mehr Waffen aus etwas größerem Abstand auf sie gerichtet, für den Fall, dass sie auf die Idee käme, sich zwischen den beiden herauszuwinden, die sie in ihre Mitte genommen hatten. Sara wusste, wenn man schnell war und den Gegner überraschte, konnte man Waffen entfliehen, die direkt an den Körper gedrückt wurden, aber sie war weder dumm noch verzweifelt genug, um es jetzt zu versuchen, wo sie keine Ahnung hatte, was sich um sie herum noch befand.

Ein langes Schweigen, bei dem Sara versuchte, so viel Luft wie möglich einzuatmen. Das Tuch war immer noch ein Hindernis, aber jetzt saß zumindest niemand auf ihr und erschwerte die Bewegungen des Brustkorbs. Der Sauerstoff schmeckte unglaublich gut, der Nebel im Kopf lichtete sich.

Dann näherten sich langsame, schwere Schritte.

Jemand kam zu ihnen und stellte sich genau vor Sara.

Die Haube wurde ihr abgezogen, und sie sah, wer es war. Und wurde fuchsteufelswild.

George Taylor Jr.

»Was soll die Scheiße?«, war das Einzige, was Sara herausbekam. »Willst du mich erschießen?«

»Helft ihr hoch«, sagte George zu den Männern hinter Sara. Ihr wurde auf die Beine geholfen.

Sara sah sich um. Eine Art Waldlandschaft. Zwei Autos und vier Männer mit Waffen. Dazu noch George, dessen metalliclila Bentley-SUV rechteckig zu dem schwarzen Humvee geparkt war, in dem Sara vermutlich hierher transportiert worden war. Wie ein Tier zum Schlachthof.

»Tut mir leid, ich habe sie nicht angewiesen, dich hart anzufassen«, sagte George und zog eine Grimasse. »Ich wollte nur, dass sie dich holen.«

»Wie ein Möbelstück? Oder irgendeinen Einkauf?«

»Du gehst ja nie ans Handy. Was sollte ich denn tun?«

»Den Hinweis kapieren«, brummte Sara. Wie um alles in der Welt kam er auf die Idee, sie so behandeln zu dürfen? Für wen hielt sich dieser Typ eigentlich?

»Was für ein Hinweis? Willst du mich dissen, oder was?«

George sah beinahe ein bisschen beleidigt aus.

»Okay. Hör mir zu: Ich kann nicht ständig auf deine Nachrichten oder Anrufe reagieren. Ich habe zwei Kinder und eine Arbeit, in der gerade volles Chaos herrscht. Okay?«

»Warum sagst du das denn nicht? Ist doch alles chillig. Ich kann Abstand halten«, sagte George und zuckte mit den Schultern. »Aber wenn du jemand anderen triffst, will ich es wissen.«

Sara fand, dass es jetzt endgültig genug war.

»Verdammt noch mal, wie egozentrisch kann man eigentlich sein? Ich gehe nicht ans Telefon, und du schickst vier verdammte Gorillas mit automatischen Gewehren los?! Und mein Ex-Mann hat versucht, sich das Leben zu nehmen, weil er die Abstinenz von dem Kokain nicht ertragen kann, das du ihm nicht mehr verkaufen willst!«, schrie sie, bis ihr Hals wehtat.

»Ich habe gar nichts an ihn verkauft.«

»Aber deine Handlanger.«

»Ich deale nicht. Ich leite ein Unternehmen.«

George schielte auf die Männer, die an den Autos herumlungerten und so auszusehen versuchten, als würden sie nicht zuhören.

»Und das hier ist das Aufsichtsratstreffen inklusive Sturmgewehre?«

Sara zeigte auf die Männer.

»Ich mag es, wenn du sauer bist.«

»Halt die Klappe. Die Pizzerien, die du besitzt, hast du vom Drogengeld gekauft. Du hast das Leben von Leuten zerstört, um dein eigenes verkümmertes Ego aufzubauen.«

»Es ist nicht meine Verantwortung, was die Leute mit dem machen, was sie kaufen«, sagte George.

»Doch, das ist es.«

George sah Sara an.

»Du machst dir keine Sorgen, dass es dumm sein könnte, so aufmüpfig zu sein, wenn vier bewaffnete Leute um dich herumstehen?«

»Ich mache mir eher Sorgen darüber, wie idiotisch es eigentlich war, überhaupt ein Wort mit dir zu wechseln. Kannst du jetzt endlich diesen dämlichen Kabelbinder aufschneiden?«

George nickte einem seiner Handlanger zu, der ein Stilett herausholte und den Kabelbinder aufschnitt, der ihre Hände zusammenhielt. Währenddessen beobachtete Sara George und seine Männer und überlegte, ob es vielleicht seine Absicht gewesen war, sie zu erschrecken. Seine Verwunderung über die Härte, mit der die Gorillas sie behandelt hatten, wirkte nicht besonders echt. Vielleicht glaubte er, dass Sara so leichter zu kontrollieren wäre.

Oder es war von Anfang an nur darum gegangen. Saras Widerstand zu brechen und sie dann in Angst zu versetzen. Vielleicht war das der erhoffte Kick für ihn, dass eine Polizistin ihm nachgab und anschließend zusammenbrach.

Die Frage war, was er getan hätte, wenn sie wirklich Angst vor ihm bekommen hätte? Hätte er sie verlassen? Hätte er sie als williges Werkzeug behalten?

Als Sexspielzeug oder als eine Polizistin, die er kontrollieren konnte? Eine Spionin im Inneren des Feindes. Wie auch immer, das hier bekräftigte, was Sara in den letzten Monaten gelernt hatte: Man konnte sich wirklich auf niemanden verlassen. Im Grunde war sie aber selbst an allem schuld, weil sie sich verletzlich gezeigt und dem Charme des Botkyrka-Gangsters verfallen war.

Sie massierte ihre Handgelenke.

»Handy.«

Ein weiteres Nicken von George, und ein Handlanger im Gucci-Pulli gab Sara ihr Handy zurück. Sie schaltete es an, startete die Kamera und machte ein Bild von George, das sie so schnell sie konnte an Anna schickte. Es dauerte nur ein paar Tastendrücke.

»Willst du dich an unsere gemeinsamen Stunden erinnern?«, fragte George mit sanfter Stimme.

»Ich will nur sichergehen, dass nichts passiert.«

Als sie das Bild auf den Weg gebracht hatte, machte Sara in aller Ruhe auch Aufnahmen von den anderen vier.

»Nichts wird passieren«, sagte George. »Außer dass du in den siebten Himmel schweben kannst, wenn du willst.«

Er lächelte verführerisch, aber Sara war nicht empfänglich.

»Jetzt dürft ihr mich zurückfahren. Dann sehen wir, ob ich euch anzeigen werde. Menschenraub und Widerstand gegen die Staatsgewalt.«

George musterte Sara mit amüsierter Miene.

»Bist du angepisst?«

»Ja«, sagte Sara und sah ihm in die Augen. »Und zwar richtig.«

»Schlägst du mich, wenn ich dich umarme?«

»Nein.«

George lächelte erneut, machte ein paar Schritte auf Sara zu, um sie in seine Arme zu schließen.

Sara schwang den Kopf nach vorn und traf Georges Stirn mit einer solchen Kraft, dass sie ihn versenkte.

»Meinen Schädel bekommst du zu spüren.«