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Waren es die Filme, auf die Thörnell angespielt hatte? Über diesen Polizisten. Aber die spielten ja nicht in Stockholm.

Musste sie erst den Meisterspion spielen, während ihre Tochter verschwunden war? Vielleicht sogar in Lebensgefahr schwebte.

Sara suchte fieberhaft, googelte und schlug bei Wikipedia nach. Schließlich fand sie etwas, einen Sven Wallanders Park, der auf der Kungsklippan lag. Das war ja nahe an Thörnells Wohnung.

»Nehmen Sie die Treppe?«

Auf der Karte sah sie, dass eine Treppe zu dem Park hinaufführte, also ließ sie Anna auf Södermalm zurück und begab sich dorthin, fuhr mit siebzig durch die Stadt und parkte auf dem Wendeplatz am Fuß der Treppe. Das war vielleicht nicht so diskret, wie Thörnell es sich gewünscht hätte, aber es war ja auch nicht sein Kind, das verschwunden war.

Und dort, auf einer Parkbank auf einem Treppenabsatz mit Aussicht auf die Innenstadt, saß Thörnell.

»Ebba ist weg«, war das Erste, was Sara sagte. »Hätten wir das nicht am Telefon erledigen können?«

»Wenn Titus & Partners angegriffen wird, ist das Ganze bedeutend größer und nicht nur ein Fall mit zwei verschwundenen Personen. Sie haben keine Ahnung, in was dieser Konzern alles verwickelt ist.«

Und trotzdem unterschreibe ich alle Beschlüsse, die dort gefasst werden, dachte Sara.

»Das ist ja durchaus möglich«, sagte sie. »Aber im Augenblick ist Ebba das Wichtigste. Also, erzählen Sie. Kann Titus & Partners eine Zielscheibe von Justice for Sudan sein?«

Thörnell hielt seinen Blick fest auf die Stadt gerichtet, die sich vor ihnen ausbreitete, holte tief Luft und atmete durch die Nase aus, bevor er zu reden begann.

»Das Öl hat immer die Leute angelockt, die hinter großen Gewinnen her waren und sich kaum um irgendetwas anderes kümmerten. Ihr Schwiegervater gehörte auch zu ihnen. Er sah das Geld und hatte keine Skrupel. Aber es geht nicht darum, einfach zu bohren. Wenn man an die großen Bestände herankommen will, braucht man Kontakte. Und man muss etwas bieten können, das andere nicht haben.«

»Und was konnte Eric bieten?«

»Muskelkraft. Sie wissen ja, dass ich Eric von der sogenannten unsichtbaren Front kannte, dem Kalten Krieg zwischen den Großmächten. Sein Konzern ist ein Teil unserer geheimen Verteidigungsorganisation, aber gleichzeitig auch ein ganz normaler gewinnorientierter Marktteilnehmer. Möchten Sie einen Pfirsich?«

Thörnell hielt ihr eine Papiertüte mit gelben und roten Pfirsichen hin. Sara nahm einen, eher aus Verwunderung.

»Sie sind von dem Obstladen unten an der Ecke zu Hantverkargatan. Wunderbarer Laden. Ich kaufe jeden Tag dort ein.«

»Okay«, sagte Sara und biss ab. »Können Sie zum Punkt kommen? Können sie Ebba geholt haben oder nicht?«

Der Gedanke ließ Sara würgen. Sie spuckte den Bissen aus und schrie fast los.

»An die Antwort werden wir uns herandenken müssen«, sagte Thörnell.

Was heißt schon wir, dachte Sara, während ihr Herz im Körper hämmerte.

»Als Eric in den Ölmarkt einsteigen wollte, gründete er eine Sicherheitsfirma. Valkyria. Er trommelte ehemalige Soldaten zusammen, die in den Kriegen in Afghanistan und Jugoslawien und wo auch immer im Einsatz waren. Gewalttätige Männer, die die Hitze des Gefechts vermissten.«

»Und sie halfen Sandin?«

»Genau. Und anschließend auch anderen Interessenten. Firmen ohne moralische Bedenken. Ländern, die sich um den Einfluss auf die Energiequellen in Afrika stritten. Bei diesen Akteuren war es nützlich, einen Einblick von innen zu bekommen. Besonders bei Russland und China. Vor allem die Russen liebten diese Firma und buchten sie für alles Mögliche.«

»Aber es fing mit Sandin an?«, fragte Sara ungeduldig.

»Sie haben sich immer in die Hochrisikogebiete begeben, und als sie diesen skrupellosen Geistesverwandten entdeckten, kam eine unmittelbare Sympathie auf. Valkyria nahm an der Seite von Sandin höchst handgreiflich an einigen der schlimmsten Taten teil. Weil die Sicherheitsfirma im Besitz von Titus & Partners war, standen sie auch in dem Bericht, den X-Ray geleakt hat«, erklärte Thörnell.

»Und dagegen hatten Sie keine Einwände? Dass eine Firma, mit der Sie zusammenarbeiteten, hinter diesen schrecklichen Übergriffen steckte?«

»In der Gesamtbeurteilung überwog der Nutzen den Schaden«, sagte der pensionierte Oberst.

»Das ist also eigentlich Ihr Fehler?«

»Nicht meiner. Aber der meiner Kollegen, könnte man sagen, wenn auch nur indirekt. Vor allem schloss man einfach die Augen angesichts dessen, was dort passierte. Wollte seine eigene Verantwortung nicht erkennen.«

»Und jetzt? Was passiert jetzt gerade? Könnte sich jemand Ebba geholt haben?«, wimmerte Sara.

»X-Ray?«

»Justice for Sudan?«

»Die Antwort auf die Frage lautet leider Ja. Titus & Partners könnte sehr gut eine Zielscheibe sein. Nehmen Sie noch einen Pfirsich.«

Thörnell hielt ihr die Tüte erneut hin. Sara steckte die Hand hinein, nahm einen Pfirsich und warf ihn weit über die Kungsholmsgatan unter ihnen.

»Ebba ist weg!«, schrie sie und rief erneut die Nummer der Tochter an, nur um von derselben eingespielten Stimme empfangen zu werden.

»Verschwundene Kinder sind das Schlimmste, was ich kenne, glauben Sie mir«, sagte Thörnell und warf ihr einen teilnahmsvollen Blick zu. »Aber es gibt einen Grund dafür, warum ich Sie mit diesem ganzen Gerede so plage. Ich brauche nämlich auch Informationen von Ihnen.«

»Von mir? Worüber denn?«, fragte Sara und runzelte die Stirn.

»Wenn der Vorstandsvorsitzende von Titus & Partners entführt wird, ist die Lage bedeutend ernster, als wenn Sandin Energy irgendwelche alten Aufsichtsratsmitglieder verliert. Titus & Partners ist, wie gesagt, ein Teil der allergeheimsten Verteidigungslinie, die wir haben. Das unter dem Deckmantel eines internationalen Unternehmens in allen Ecken der Welt agieren kann. Durch ihren Besitz hat Schweden auch als Nation einen direkten Einfluss auf die globalen Schlüsselbranchen.«

»Also, wenn Tom und Ebba entführt wurden, ist hier bald die Hölle los, meinen Sie?«, fragte Sara und blickte Thörnell an.

»Abgesehen von der Formulierung, ja. Was habt ihr für Spuren?«

»Einen verschwundenen sudanesischen Rächer, einen ermordeten schwedischen Aktivisten und ein junges Mädchen, das die Verfolger der Polizei abgeschüttelt hat. Und dann noch einen Linus, der die Leichen der Aufsichtsratsmitglieder transportiert hat.«

»Und Linus ist verhaftet?«, wollte Thörnell wissen.

»Nein. Es ist nur ein Name. Ein falscher Name.«

»Und dieses Mädchen, ist sie dauerhaft verschwunden?«

»Ich hoffe nicht«, sagte Sara und schüttelte den Kopf. »Sie ist eigentlich unser einziger Anhaltspunkt.«

»Verstehe. Ich kann vielleicht etwas arrangieren. Ich melde mich wieder.«