47

Martin musste es erfahren.

Ebba war auch seine Tochter, und Sara wusste, dass er sie grenzenlos liebte.

Martin war jungenhaft und egozentrisch, aber für seine Kinder würde er in den Tod gehen. Sie machte sich ein bisschen Sorgen, dass er mit Ebbas Verschwinden vielleicht nicht umgehen könnte, aber es könnte genauso gut der Weckruf sein, den er brauchte, um sich endlich wieder seinem Leben zuzuwenden.

Zuerst rief Sara Anna an und bekam zu hören, dass Conny Mårtensson überraschend aufgetaucht war und sich als Thea Hagtofts Verteidiger vorgestellt hatte. Er hatte natürlich genau gewusst, was er tun musste, um die junge Frau aus der Haft zu bekommen, und die Fahnder der Polizei hatten anschließend in Erfahrung bringen können, dass sie direkt nach Hause gefahren war.

Anna und Nina Werkström waren außer sich vor Ärger und hatten angefangen nachzuforschen, wie eine junge, idealistische Gruppe wie Justice for Sudan sich Schwedens teuersten Rechtsanwalt leisten konnte. Sara sagte nichts, aber als sie zu ihrer großen Erleichterung feststellte, dass jetzt endlich etwas passierte, nahm sie sich die Zeit, Martin im Krankenhaus zu besuchen.

Ihr Mann lag im Bett und starrte durch das Fenster in den grauen Himmel, als sie hereinkam. Sie blieb stehen und musste ein paarmal schlucken, bevor sie ein Wort über die Lippen brachte. Er war richtig blass, aber vor allem sah er so aus, als hätte er mehrere Kilo abgenommen.

»Martin«, sagte sie und ging zu seinem Bett. Er drehte ihr langsam den Kopf zu. Erst lächelte er, dann sah er traurig aus.

»Entschuldige«, sagte er.

»Martin. Ebba ist verschwunden.«

Wie sehr es wehtat, diese Worte zu sagen. Wie unwirklich es sich anfühlte. Sie dürfte sie nicht sagen müssen, nicht über ihre Tochter.

Martin sagte nichts, er sah sie verständnislos an.

»Ist sie abgehauen? War das mein Fehler?«

»Jemand hat sie entführt. Ein sehr gefährlicher Mensch.« Sara legte eine Pause ein und seufzte. Es war Martin deutlich anzusehen, wie schwer es ihm fiel, ihre Worte aufzunehmen. »Sie haben auch Tom entführt. Unsere Tochter ist in Gefahr. Sie könnte getötet werden. Vielleicht ist sie schon tot.«

Als Sara es sagte, rollte eine Träne ihre Wange hinab. Es fühlte sich wie eine übermenschliche Anstrengung an, dieses Weinen wegzudrücken, das sich in ihrem Hals staute, und Martin weiter zu erzählen, was alles passiert war.

»Es hat mit der Firma deines Vaters zu tun, mit Dingen, die sie vor langer Zeit im Sudan getan haben. Weißt du etwas darüber? Weißt du, hinter wem sie her sein könnten? Können wir irgendetwas tun, damit sie Ebba freilassen?«

»Ich … weiß nicht.«

Martin sah beinahe ängstlich aus, wie er in seinem Krankenhausbett lag. Sara legte eine Hand auf seinen Arm. Natürlich war es schwer für ihn. Nicht nur zu erfahren, dass seine Tochter verschwunden war, sondern auch die Tatsache, dass alle Erinnerungen an Eric und das, was er getan hatte, dadurch zurückkehrten.

»Was wollen sie? Martin, was weißt du über die Firma deines Vaters? Ich brauche irgendeinen Anhaltspunkt. Wenn ich weiß, warum sie Tom entführt haben, kann ich vielleicht auch Ebba finden«, sagte sie und versuchte, seinen Blick einzufangen. Martin seufzte.

»Ich weiß nicht, ob es etwas damit zu tun hat, aber … als ich dort auf dem Hocker stand, mit der Schlinge um den Hals, sagte mein Vater, dass ich etwas Großes verpassen würde. Wenn du dich nicht eingemischt hättest, hätte er mich auch nicht als Köder für dich benutzen müssen, und dann hätte ich die Welt brennen sehen können.«

»Das hat er gesagt? Die Welt brennen sehen …«, sagte Sara und spürte, wie sie von einer eisigen Furcht erfasst wurde.

»Er hatte im Keller jemanden dabei, über eine Internetverbindung.«

Jetzt war Martin, wenn möglich, sogar noch blasser als zuvor.

»Jemand hat alles gesehen?«, fragte Sara und blickte ihn scharf an.

»Ja. Aber ich weiß nicht, wer.«