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Mit Harald sei es leicht gewesen, erklärte Thea bei ihrer Vernehmung. Mårtensson war auf dem Weg, aber sie hatte nichts dagegen, jetzt schon mit der Polizei zu sprechen. Ganz im Gegenteil, das Wichtige war jetzt, die Botschaft zu verbreiten, die Leute verstehen zu lassen, dass Gerechtigkeit geschehen war. Darum berichtete sie, dass Sebastian zu Harald Moberg nach Hause gefahren war, als die Mutter schlief, und ihm gesagt hatte, dass etwas Schreckliches passiert sei. Harald war seinem Sohn zum Auto gefolgt, und dort hatte Sebastian ihn niedergeschlagen.

Daraufhin nahm er Haralds Handy und rief Lars-Erik Thun an. Zu Thun sagte Sebastian, dass der Vater in Gefahr sei und Hilfe bräuchte. Dann fuhr er zu Thun und schlug ihn ebenfalls nieder, so, wie er es anschließend mit dessen Mutter machte. Er rief sie von Thuns Handy an und sagte, dass der Sohn in Gefahr sei.

Als Sohn von Harald Moberg hatte Sebastian direkten Zugang zu all den hochrangigen Männern gehabt, die er, Sigge und Thea gekidnappt hatten. Außer bei Tom Burén. Der Plan war eigentlich gewesen, Eric Titus zu entführen, aber nachdem dieser gestorben war, stieg man auf Tom Burén als Opfer um. Ihm mussten sie ganz einfach folgen in der Absicht, sofort zuzuschlagen, sobald er allein war. Aber dann tauchte plötzlich auch Ebba auf, und für Sebastian und Thea passte es genau ins Konzept. Dann mussten sie sie nicht zusätzlich aufspüren. Sie standen ein bisschen auf dem Schlauch, nachdem Burén seine Frau verlassen hatte, sahen aber schnell ein, dass Ebba für ihre Absichten ein gleichwertiger Ersatz war. Über Gabriel hatten sie bestätigt bekommen, dass die beiden ein richtiges Paar waren.

Der Aufhänger ihrer Aktion war es, anzudrohen, denjenigen zu Tode zu foltern, den der ausersehene Mörder am meisten liebte. Sandins Geliebten Gustav, Thuns Mutter und Toms Freundin Ebba, erklärte Thea und räusperte sich. Ihr Hals sei ein wenig trocken, könnte sie möglicherweise ein Glas Wasser haben?

Als der Plan in die Wirklichkeit umgesetzt werden sollte, hatte Sigge es nicht geschafft. Er wollte abbrechen, und deshalb sahen sie sich gezwungen, ihn loszuwerden, erklärte die junge Frau und sah Peter und Carro, die die Vernehmung durchführten, mit glühenden Augen an. Im Übrigen stellte sich heraus, dass der Ansatz ausgezeichnet funktionierte. Die auserwählten Mörder brachten lieber einen Kollegen um, als dabei zusehen zu müssen, wie ihre geliebten Nächsten unter bestialischen Methoden zu Tode kamen, woraufhin diese erschossen wurden, statt langsam ins Jenseits gefoltert zu werden. Nachdem sie diese geliebten Menschen vor ihren Augen sterben gesehen hatten, hatte ihr eigenes Leben keinen Wert mehr, und genau wie Sebastian es angenommen hatte, hatten sie sich selbst geradezu dankbar erschossen.

Thea verstummte und sah zufrieden aus, fast so, als würde sie Applaus erwarten für diesen meisterhaften, wenn auch unmenschlichen Plan, den sie gerade beschrieben hatte. Ein mildes Lächeln umspielte ihre Lippen. Nicht das geringste Anzeichen von Reue.

»Und Kush?«, fragte Carro.

»Kush?«, wiederholte Thea und zog eine Augenbraue hoch. Sie schnaubte verächtlich und zeigte ein überhebliches Lächeln.

Omar Kush sei ein Ablenkungsmanöver gewesen.

Als Sebastian den Bericht gelesen hatte, den X-Ray über Sandin geleakt hatte, war ihm die Idee zu dem ganzen Plan gekommen. Er hatte sich bei Justice for Sudan – Schweden unter falschem Namen engagiert und anschließend die Mutterorganisation kontaktiert. Lange hatte er versucht, Omar Kush für seinen Racheplan zu begeistern, Sandin nach dem Auge-für-Auge-Prinzip zur Verantwortung zu ziehen, aber Kush war absolut gegen die Anwendung von Gewalt gewesen. Als Sebastian trotzdem weitermachte, setzte sich Kush in eine Maschine nach Stockholm, um die Schweden zurechtzuweisen.

Peter und Carro zuckten zusammen, als sie diese unerwartete Information hörten, während Thea ihr Gesicht bei dieser Erinnerung zu einer angeekelten Grimasse verzog.

Sebastian und Sigge hatten ihn gemeinsam in Arlanda abgeholt, mit dem Auto, das Thea für sie gemietet hatte. Kush hatte Sigge auf seine Seite ziehen können, was den jungen Mann das Leben gekostet hatte. Sebastian hatte Kush bewusstlos geschlagen und ihn anschließend im Schutzraum gefangen gehalten, der in einer verlassenen Immobilie lag, die sich im Besitz von Harald Mobergs Unternehmen befand.

Der neue Plan hatte so ausgesehen, dass Kush bei einer Konfrontation mit der Polizei sterben würde und dass allein schon die Anwesenheit seiner Leiche beweisen würde, dass alles von ihm gelenkt worden war. Sebastian und Thea würden verschwinden.

Als Gabriel die Organisation nach X-Rays geleaktem Rapport gefragt hatte, ließ er sich leicht in die Ausführungen mit hineinziehen, aber er wusste nichts über den eigentlichen Plan, erklärte sie später.

Sara dachte, dass Sebastians und Theas Ursprünge denen der Terroristen in der Baader-Meinhof-Bande sehr ähnlich waren. Sie stammten fast alle aus wohlhabenden und etablierten Familien. Auch von ihnen hatten sich einige gegen die Freunde der Eltern gewandt.

Thea war aufrichtig engagiert, für die Wiedergutmachung unterdrückter Völker zu sorgen, und bereit, etwas sehr Böses zu tun, um etwas sehr Gutes zu erreichen, wie sie selbst es ausdrückte. Alle, die gestorben waren, verdienten es ihrer Ansicht nach auch, denn das Volk im Sudan hatte noch mehr gelitten. Für sie war es reine Ideologie. Gerechtigkeit, sagte sie und nickte Peter und Carro energisch zu.

Aber Sebastian hatte einfach nur seinen Vater gehasst.

Das hatte Thea verstanden, nachdem sie den Vater gekidnappt hatten. Und als sie sah, mit welcher Freude er den Tod seines Vaters betrachtete.

Aber das hatte für Thea keine Rolle gespielt, die junge Frau hatte ihm frohen Mutes dabei geholfen, Harald Moberg in Flammen zu setzen. Er war nämlich ein böser Mensch. Ein Feind der Menschlichkeit.

Und Thea liebte Sebastian. Die junge Frau hatte trotzig das Kinn vorgeschoben, als sie es sagte.

Dass sie nicht einmal gewusst hatte, wie dieser Linus in Wirklichkeit hieß, war ihr gleichgültig. Ein Name war nur ein Etikett, das die Eltern auf einen klebten, in der Hoffnung, dass sie damit bestimmen konnten, was aus dem Kind werden würde, sagte sie und gestikulierte in dem kleinen Vernehmungsraum mit den Armen. Eine egozentrische Beschwörung des neuen Lebens.

Und in Theas Kreisen verwendeten ohnehin alle falsche Namen.

Mehr musste Sara nicht hören. Sie setzte die Kopfhörer ab und stand von dem Stuhl vor dem Bildschirm auf, der die Vernehmung übertragen hatte. Im Korridor traf sie auf Nina Werkström und Brundin von der Säpo. Werkström nickte Sara zu, damit sie ihnen in ihr Büro folgte. Sie setzten sich, und die Chefin sah Sara tief in die Augen.

»Gute Arbeit«, sagte sie. »Ziemlich idiotisch von dir, dich allein auf den Weg zu machen, aber du hast am Ende ja immerhin Verstärkung gerufen. Und wenn du Thea nicht verfolgt hättest und nach ihr in den Keller gegangen wärst, wären drei unschuldige Menschen gestorben. Du solltest die nachfolgenden Untersuchungen überstehen, würde ich sagen. Du hast ja in Selbstverteidigung geschossen. Aber …« Nina legte eine Pause ein. »Du darfst niemals irgendjemandem erzählen, was dort wirklich passiert ist. Dass Sebastian Moberg hinter dem Ganzen steckte und dass Tom Burén und deine Tochter entführt worden waren. Offiziell werden die Todesfälle als persönliche Tragödien dargestellt werden, die nichts mit Sandin Energy zu tun hatten. Wir schicken Omar Kush in den Südsudan zurück, sobald er eine Schweigeverpflichtung unterschrieben hat.«

»Und warum?«, konnte Sara gerade noch fragen.

Da öffnete Brundin zum ersten Mal den Mund.

»Kein Kommentar.«