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Während Sara all ihre Energie darauf konzentrierte, mit ihrer Familie zusammen zu sein, nagte eine Frage in ihrem Hinterkopf. Sie wollte wirklich nicht an das denken, was passiert war, sie wollte einfach nur ihre Kinder umarmen, aber das Rätsel Sebastian Moberg drängte sich auf.

Sebastian Moberg hatte den Todeskampf seines Vaters gefilmt.

Harald Mobergs Tod in den Flammen verewigt.

Er hatte sich den Plan ausgedacht und ihn durchgeführt. Einen makabren Schritt nach dem anderen. Hatte den Tod von sechs Menschen verursacht, nur um seinen Vater ermorden zu können und damit durchzukommen.

Und er hatte danebengestanden und ihn vor Schmerzen schreien gesehen.

Sara hatten diese Gedanken nicht losgelassen. Sie hatte mit Anna, mit ihrer Therapeutin und mit Nina Werkström darüber gesprochen. Die Chefin sagte ihr, dass sie alle Gedanken an die Arbeit zur Seite schieben und mit ihrer Familie zusammen sein sollte, aber zu Saras Verdruss tauchte die Frage immer und immer wieder in ihrem Kopf auf.

Was hatte Harald Moberg getan, um einen solchen Tod zu verdienen?

Er war nicht einfach nur ein abwesender Vater gewesen, dachte Sara. Es musste sich um etwas viel Schlimmeres handeln. Übergriffe? Gewalt? Psychische Folter?

Oder war im Kopf des Sohns etwas schiefgelaufen, ohne dass der Vater etwas dafür konnte? Der Gedanke beunruhigte Sara am meisten. Könnte dasselbe auch bei Olle passieren? Sara wollte es nicht glauben. Aber es war erschreckend, wie nahe ihr Sohn über Gabriel dem Täter gekommen war und wie leicht er hätte hineinrutschen können.

Wie nahe war sie der totalen Katastrophe gewesen?

Die Nächte waren das Schlimmste nach Ebbas Rettung. Sara wachte schreiend auf, aufgewühlt von Albträumen, in denen Ebba immer noch gefangen war. Widerwärtige Szenen, in denen Sara nicht rechtzeitig kam, um ihre Tochter zu retten.

Aber auch wenn sie von schrecklichen Träumen geplagt wurde, wachte sie anschließend in einer neuen Wirklichkeit auf, die schöner war als der Traum. Das genaue Gegenteil von der Zeit, in der Ebba verschwunden gewesen war.

Sara war grenzenlos dankbar dafür, dass Ebba gerettet war, dass sich beide Kinder bei ihr in Sicherheit befanden. Die Tochter hatte sich entschieden, wieder in ihr altes Zimmer zu ziehen und dort eine Weile zu wohnen, und nicht nur sie, sondern auch Olle zeigte seine Liebe jetzt offen. Er wollte auf dem großen Sofa im Wohnzimmer auf Mamas Schoß liegen und umarmt werden.

Er hatte neue Texte für seine Songs geschrieben. Jetzt handelten sie von seiner Schwester und seiner Mutter, davon, wie sehr er sie liebte. »The greatest love on earth, for the one who gave me birth.«

Jane war mit einer kleinen Statue der Jungfrau Maria vorbeigekommen, die Ebba in ihrer Hand hielt und dankbar küsste. Sara sagte nichts. Wenn es der Tochter Trost schenkte, warum nicht.

Während sie ihre Kinder umarmte, fragte sich Sara, was Ebba jetzt über Tom und ihre Arbeit bei Titus & Partners dachte. Aber sie wollte nicht fragen. Nicht jetzt. Jetzt wollte sie einfach nur Ebbas Haar und ihren Nacken riechen, die Tochter in ihrer Umarmung einschlafen sehen.

Martin saß in einem Sessel, hielt ein bisschen Abstand. Aber er war da. Es wäre unmenschlich von Sara gewesen, es ihm zu verweigern. Und obwohl er ziemlich mitgenommen aussah, sagte etwas in seinem Blick, wie ernst er es damit meinte, Ordnung in sein Leben zu bringen. Was das im Umkehrschluss für Sara und Martin bedeutete, das wusste sie nicht, aber das war jetzt auch nicht das Wichtigste. Entscheidend war, wie stark die Liebe zu den Kindern war.

Martin hatte geweint, als er gekommen war. Nachdem er Ebba unendlich lange umarmt hatte, dann Olle und am Ende noch einmal Ebba, hatte er die Tochter wieder losgelassen und sie alle um Entschuldigung gebeten. Er erklärte, dass er nicht noch einmal versuchen würde, sich das Leben zu nehmen, dass ihm bewusst sei, welche Probleme er habe, und dass er sie jetzt anpacken würde. Er war bereits bei den Anonymen Drogenabhängigen angemeldet und wusste jetzt, dass er vor allem seine Familie stützen musste. Das war die Aufgabe eines Vaters. Dann konnten die anderen machen, was sie wollten, den Kontakt halten oder nicht. Am wichtigsten war, dass er da war, wenn sie ihn brauchten.

Irgendwo in Saras Herz wuchs trotz allem eine kleine Hoffnung, obwohl ihr Gehirn sagte, dass es dafür zu spät war.

Aber Martin war jetzt ein anderer. Und Sara war auch eine andere.

Könnten diese neuen, etwas ramponierten Personen sich als die Menschen treffen, die sie jetzt waren?

Könnten sie nicht lernen, einander wieder zu lieben, vielleicht sogar mehr als vorher, nachdem sie so viel durchgemacht hatten?

Indem sie alles vergaßen, was gewesen war?

Oder indem sie es niemals vergaßen, indem sie die Erinnerung stets am Leben erhielten? Alle schrecklichen Erfahrungen, die sie geteilt hatten, die gemeinsame Zeit in Erics Keller – sollte das sie nicht zusammenschweißen? Oder waren es nur Wunschvorstellungen von Saras Seite? Eine eitle Hoffnung, dass alles wieder gut werden würde? Alles wieder wie früher? Aber Sara wusste ja, dass es so nicht kommen würde. Die Frage war stattdessen, ob es möglich wäre, ein ganz neues Leben gemeinsam aufzubauen.

Mitten in der friedlichen Idylle rief Anna an, und irgendetwas sagte Sara, dass sie das Gespräch annehmen sollte. Sie saß ganz still mit den Kindern im Arm und hörte sich nur an, was die Freundin erzählte. Die Kollegen hatten weiter nach Sebastian Mobergs Motiven gegraben und einen ehemaligen Geschäftspartner gefunden, der sie darüber aufklären konnte, wie Sebastian vor einigen Jahren ein IT -Unternehmen für Bezahlungen im Internet gestartet hatte. Er hatte sich schweineteure Büros gemietet und sich selbst ein Millionengehalt ausgezahlt. Auf diese Weise hatte er riesige Summen verbrannt, ohne den Betrieb wirklich in Gang zu bekommen. Als der Firma schließlich die Insolvenz drohte, hatte Sebastian seinen Vater angefleht, das Unternehmen zu retten, aber der Vater hatte sich geweigert. Das FinTech-Unternehmen ging in Konkurs, und Sebastian wurde aufgrund seiner zweifelhaften Methoden und der betrügerischen Buchführung mit einem Verbot für wirtschaftliche Tätigkeiten belegt. Der Sohn schob die ganze Schuld an der Pleite auf seinen Vater und meinte, dass dieser sein ganzes Leben zerstört habe. Damit meinte die Polizei sein Motiv gefunden zu haben. Ein richtig niederträchtiges.

Es hatte sich herausgestellt, dass Sebastian praktisch überall Schulden hatte, bei Banken, Freunden und sogar bei SMS -Kreditunternehmen. Alles nur, um seinen protzigen Lebensstil zu finanzieren. Seinen Freunden hatte er in der letzten Zeit erzählt, dass er bald Geld bekommen würde, mit dem er die Außenstände zurückzahlen könne.

Offensichtlich war der Tod des Vaters auch ein Teil von Sebastian Mobergs finanziellem Kalkül. Sein Erbe anzutreten war vielleicht der entscheidende Aspekt.

Sara bedankte sich bei Anna und beendete das Gespräch. Dann dankte sie ihrem Glücksstern, dass sie die Familie hatte, die sie hatte. Der Kontrast zwischen dem narzisstischen Sebastian Moberg und ihren eigenen Kindern hätte nicht größer sein können.

Als Sara merkte, dass sowohl Olle als auch Ebba in ihren Armen eingeschlafen waren und Martin in seinem Sessel eingenickt war, dachte sie, dass sie jetzt auch der Müdigkeit nachgeben könnte, hier auf dem Sofa, umgeben von ihrer Familie.

Vielleicht war es das letzte Mal, dass sie alle vier zusammen einschlafen würden.

Dann schloss sie die Augen.

Glitt sanft von allem Schrecklichen davon, das geschehen war.

Wie ein Floß auf einem ruhigen Fluss unter einer warmen Sonne.