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Anna blieb auf der Garageneinfahrt der Familie Titus stehen. Die Freundin hatte während der Fahrt nach Bromma herauszufinden versucht, was eigentlich passiert war, ob sie verletzt war, ob sie nicht lieber ins Krankenhaus fahren sollten, aber Sara hatte ihre Fragen nur abgewimmelt. Sie musste jetzt denken. Als sie schließlich angekommen waren, bat Sara sie, im Auto zu warten, stieg aus, zog die Pistole und ging zur Villa hinauf.

Könnte Lotta sich hier versteckt haben?

War es eine weitere Falle gewesen, Martin zu erwähnen? Es war wirklich dumm von ihr gewesen, direkt und ganz allein zum Bootsklub zu fahren. Sara sah ein, dass sie sich nur ganz allein die Schuld für das geben konnte, was passiert war. Es war ihr impulsives Agieren, das Lotta die Möglichkeit gegeben hatte, zum Angriff überzugehen. Aber das war kein Fehler, den sie ein weiteres Mal begehen würde, nachdem sie jetzt wusste, dass ihre Kindheitsfreundin zurückgekehrt war.

Sara fand, dass das Haus von außen betrachtet leer wirkte, als hätte das Böse es verlassen. Es blieb nur zu hoffen, dass es auch stimmte.

Die Frage war, welche Absicht Lotta hierhergeführt hatte. Was sie getan hatte, bevor sie verschwunden war. Hatte es etwas mit dem Geheimnis zu tun, das Eric laut Koslow in dem Haus versteckt hatte?

Statt den Haupteingang zu nehmen, schlich Sara um das Haus herum, öffnete das Kellerfenster, das sie auch bei der Auseinandersetzung mit Eric benutzt hatte, und glitt in das Untergeschoss.

Hinunter in die Höhle der Bestie. Ihr drehte sich der Magen um, als sie die Füße auf den Kellerboden setzte. Eine heftige Übelkeit, die sie nur mit Schwierigkeiten bezwingen konnte. Vielleicht war es ein überdimensionierter Adrenalinkick, der diese Reaktion hervorrief. Ihr Körper ging vielleicht davon aus, dass sie erneut ums Überleben kämpfen müsste, wenn sie wieder in diesen Keller kam.

In dem feuchten, dunklen Keller war niemand, aber das unbehagliche Gefühl war intensiv. Hatte jetzt eine andere Art von Bosheit hier unter der Erde das Kommando übernommen?

Sara schlich so leise sie konnte und sah sich um, blieb stehen und lauschte, hörte aber nichts.

Die Kellertreppe nach oben. Langsam. Schritt für Schritt.

Vorsichtig, ganz vorsichtig die Klinke herunterdrücken. Sich an die Wand pressen, um die Zielscheibe so klein wie möglich zu machen, und dann durch den Türspalt sehen. Hervorspähen und dann den Kopf so schnell wie nur irgend möglich wieder zurückziehen.

Als die Tür ganz geöffnet war, hatte sie einen Überblick über den Flur und die Küche, und sie war überzeugt davon, dass sich keine Lotta dort versteckte.

Immer noch mucksmäuschenstill und ganz langsam schlich sie weiter durch das Haus. Kompakte Stille. Auf dem Boden am Fuß der Treppe zum Obergeschoss lag ein Körper.

Marie.

Nackt.

Gefesselt.

Aber am Leben.

Sie lag ganz still dort und starrte vor sich hin. Schien kaum zu bemerken, dass Sara aufgetaucht war.

Sara versuchte, lautlos mit Handzeichen zu fragen, ob Lotta im Haus sei, aber ihre Schwiegermutter verstand allem Anschein nach nicht, was sie meinte.

Marie war mit etwas gefesselt worden, was der Gürtel eines Morgenmantels sein musste. Er bestand aus Frottee und hatte Streifen in den typischen Paul-Smith-Farben. Das Arrangement sah nicht besonders widerstandsfähig aus, aber der Gurt war so fest geknotet, dass er die Blutzufuhr abgeschnürt hatte. Die Hände ihrer Schwiegermutter waren eiskalt. Sara öffnete den Knoten und zeigte Marie, wie sie die Hände reiben musste, während sie im Flüsterton fragte, ob Lotta im Haus sei. Marie schüttelte den Kopf.

»Sie war oben bei Martin, aber dann ist sie verschwunden. Ich dachte, sie wollte uns beide umbringen.« Marie zögerte und dachte nach, bevor sie fortfuhr. Jetzt mit Angst in der Stimme, als wäre ihr etwas ganz Schreckliches in den Sinn gekommen. »Aber ich weiß nicht, was sie mit Martin gemacht hat.«

Als würde sie sich dafür schämen, dass es ihr nicht früher eingefallen war, begann sie zu weinen. Sara sagte, dass sie nachsehen würde, und stieg die Treppe hinauf.

Martin lag nackt auf seinem Bett. Nicht gefesselt, aber schlafend. Sara nahm das Handy, um Anna draußen im Auto anzurufen und ihr zu erklären, dass alles ruhig sei und dass sie gleich zum Krankenhaus fahren würden. Da sah sie, dass sie eine Nachricht bekommen hatte.

Ein Bild von Martin im Bett mit Lotta.

Dasselbe Bett und derselbe Martin, den Sara gerade betrachtete.

Beide waren nackt, Lotta saß rittlings auf Martin und hatte ihn in sich. Und sie hatte es genauestens dokumentiert.

Sie lächelte siegesgewiss in die Handykamera.

Das entschied die Sache. Wenn diese verdammte Lotta den Krieg haben wollte, dann bekam sie ihn.

Mit verbissenem Blick ging Sara auf Martin zu, um ihn zu wecken und ihm das Bild zu zeigen, das sie bekommen hatte. Aber sie schreckte zurück, als sie das Bett erreicht hatte. Der Zorn legte sich und wurde von einer eisigen Kälte in der Magengrube abgelöst.

Denn auf dem Nachttisch lagen ein Gummiband und eine Spritze. Und eine kleine Menge bräunlichen Pulvers.

Und jetzt sah Sara, dass Martin überhaupt nicht schlief.

Er war high.

Lotta hatte ihm Heroin gegeben.