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Nach zwei Stunden wurde sie in das Zimmer gelassen.

Es war wichtig, die Leute warten zu lassen, fand er. Damit sie ihren Platz kannte. Verstand, wen sie hier traf.

Abdul Mohammad war schließlich im Lager eingetroffen.

Nach einer langen Wartezeit, aber trotzdem nur ihretwegen. Und wegen des großartigen Plans, den sie für ihn verwirklichen sollte.

Falls sie ihn davon überzeugen konnte.

Sie hatte alle Tests bestanden, das wusste er, und sie wurde von seinen Generälen gutgeheißen. Und er hatte ihnen gesagt, dass sie anspruchsvoll sein sollten.

Jetzt galt es. Das letzte Detail. Der entscheidende Faktor. Wenn sie den hatte, war sie bereit.

Der große Saal war fensterlos und mit goldbestickten Tüchern geschmückt. An den Wänden große Tafeln mit Zitaten aus dem Koran, dazu Wachskerzen in Wandhaltern vor den Messingtafeln, die das Licht reflektierten und verstärkten. Der Raum war trotzdem dunkel, man konnte keine Gesichter der Männer erkennen, die um den Erhabenen herumsaßen oder bewaffnet an den Wänden standen und Wache hielten.

Sie schritt langsam auf den älteren Mann zu. Blieb aber nicht in dem Abstand stehen, der angemessen war.

Sofort stellten sich zwei Männer vor sie, während die vier hinter ihr ihre automatischen Gewehre hoben.

Aber Abdul Mohammad hob die Hand in einer großzügigen Geste, woraufhin die Männer auf ihre Positionen zurückkehrten.

Lotta ging weiter zu Abdul, setzte das eine Knie auf den Boden und beugte den Kopf, während sie ihm den Gegenstand hinhielt. Ein kleines Nicken zu dem Leibwächter neben ihm, und schon nahm dieser den Gegenstand und zeigte ihn Abdul, drehte ihn hin und her, damit er ihn aus allen Richtungen und Perspektiven sah.

Abdul nickte, der Leibwächter legte den teuren Gegenstand in Lottas Hände zurück, und Lotta richtete den Rücken auf und hob den Kopf. Abdul nickte der Schwedin fast unmerklich zu. »Al-Siwidia.«

Das also war das schwedische Mädchen. Desirées Tochter.

Er sah die Ähnlichkeiten.

Und die Unterschiede.

Verglich die Eiseskälte der Mutter und ihre Disziplin in den Trainingslagern ihrer Jugend mit der Hitzigkeit und dem Kampfeseifer der Tochter. Ihr Temperament passte perfekt zu seinen Zwecken. Wenn er sich auf sie verlassen konnte.

Sie hatte seit vielen Jahren die Gelder der schwedischen Regierung an die Palästinenser weitergegeben. Aber das reichte nicht. Das hier war seine eigene Operation. Er stand mit seinem Namen dafür.

Und es war ihnen im Jahr zuvor schon einmal misslungen. Es hatte seinem Ruf geschadet, seine Feinde gestärkt. Den inneren Feinden in den eigenen Reihen. Diejenigen, die das Ruder übernehmen wollten, die meinten, er sei zu alt geworden. Zu bequem. Zu vorsichtig. Dass er sich mehr für Frauen und Likör interessierte als für den Glaubenskampf.

Abu Rasil war tot, und das hatte Abdul Mohammad spürbar geschwächt. Er musste den Jüngeren beweisen, dass er stark war, auch ohne den legendären Freiheitshelden Abu Rasil. Vielleicht könnte der Plan der Schwedin funktionieren. Aber es war ein Wagnis. Sie musste ihn davon überzeugen, dass es dieses Mal gelingen würde, ansonsten müsste er ihr absagen.

Er hoffte, dass sie es schaffen würde.

Wenn alles so lief, wie er es sich vorstellte, würde Abdul Mohammad der Welt zeigen, dass man nach wie vor mit ihm rechnen konnte. Eine Nachricht an die jungen Männer, die so gerne seinen Platz einnehmen wollten.

Er würde ihnen zeigen, was er mit seinem Kontaktnetz erreichen könnte, mit seinem Einfluss, seinem Können. Die jungen Hähne wollten sich aufspielen und ihre Umgebung erschrecken, aber Abdul Mohammad ließ sich nicht schrecken. Er wollte die Welt verändern. Den Westen bezahlen lassen.

Mit einem fast unmerklichen Winken seiner Hand gab er ihr die Erlaubnis, den Mund zu öffnen.

»Ehrerbietiger Verkünder«, sagte sie mit respektvoll gesenktem Blick. Ihr Arabisch war nicht perfekt, aber es würde mit der Zeit besser werden, so viel wusste er. »Das gibt uns Genugtuung.«

»Das ist gut«, sagte er und nickte.

»Und diejenigen, die uns letztes Mal aufgehalten haben, werden ihre Strafe bekommen.«

»Lass die Rachlust nicht deinen Blick verdunkeln«, sagte er.

»Nein.«

Er senkte seine Hand mit dem Goldring in die Schale mit den Pistazien, schälte einige und steckte sie sich in den Mund. Dann sah er sich um, ließ seinen Blick über seine Generäle wandern und ergriff das Wort mit lauter Stimme.

»Ich will es«, verkündete er.

Alle standen auf und setzten sich in Bewegung.

Al-Siwidia blieb regungslos stehen, nach wie vor mit gesenktem Blick.

»Du bist genauso mutig wie deine Mutter«, sagte Abdul Mohammad.

»Hast du sie trainiert?«

»Sie hat mich trainiert.«

»Du weißt, was sie getan hat. Ich will lieber wie mein Vater sein«, sagte die Schwedin und schielte zu ihm hoch.

»Das bist du. Besser sogar.«

»Danke, baba.«

»Ich habe zu danken, meine Tochter.«