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Sara starrte in den Pistolenlauf und versuchte, sich einen Ausweg auszudenken.

Es gab keinen.

Lotta sah aus, als würde sie sich danach sehnen, sofort abzudrücken. Koslow lächelte, wirkte aber leicht nervös.

»Tut mir leid, Sara«, sagte er. »Aber ich glaube nicht, dass Sie mitgekommen wären, wenn ich die Wahrheit gesagt hätte. Und es ist nicht so, wie Sie glauben. Lotta steht auf unserer Seite.«

»So sieht es aber nicht aus«, sagte Sara. Lotta hielt nach wie vor die Pistole auf sie gerichtet.

»Sie bekommt ihre Freiheit zurück, wenn sie die Armee des Propheten infiltriert«, sagte Koslow. »Was ihr nun gelungen ist. Ihre lebenslange Loyalität mit der DDR und den palästinensischen Aktivisten hat ihr dabei geholfen, uns zu helfen.«

»Sie bekommt also Immunität?«

»Nicht für neue Taten. Sie kann Sie also nicht töten.«

»Weiß sie das auch?«, fragte Sara und ließ die Kindheitsfreundin nicht aus den Augen.

»Du bist es nicht wert, ein Leben in Freiheit für dich zu opfern«, sagte Lotta mit einer Grimasse und senkte die Pistole.

»Und Sie verlassen sich auf Lotta?«, sagte Sara zu Koslow. Sie achtete darauf, die andere Frau nicht aus dem Blick zu verlieren.

»Vollkommen. Sie hat Abdul Mohammad auf ihre Seite gezogen. Sie hätte jederzeit abspringen können, einfach verschwinden. Der BND hatte sie ganz aus seiner Aufsicht entlassen, aber sie ist zurückgekommen. Und hat Abduls Vertrauen gewonnen.«

»Und ich weiß, wo sich Jadoweg und die Armee des Propheten treffen werden«, sagte Lotta. »Dann kann der BND sie verhaften.«

»Mit allen Beweisen, die man gegen Jadoweg braucht.«

»Und du wirst so weitermachen wie zuvor?«, fragte Sara sie mit übertriebener Freundlichkeit. »Zurück in die Entwicklungshilfe? Oder direkt in die Regierung?«

»Offiziell wird Lotta nichts mit dem zu tun gehabt haben«, sagte Koslow. »Die Leute erfahren nur, dass der BND und der FSB gemeinsam einen großen Terroranschlag verhindert haben. Wir bauen Brücken zwischen unseren Ländern, also vergessen Sie die alten Meinungsverschiedenheiten. Wir stehen auf derselben Seite.«

»Ich stehe nur auf meiner eigenen Seite«, sagte Sara knapp.

»Helfen Sie mir jetzt, Sara.«

»Wie?«

»Indem Sie die Papiere unterschreiben.«

Koslow holte eine Mappe aus dem Schreibtisch und hielt sie Sara hin.

»Haben Sie mich nur deswegen hierhergelockt?«, fragte Sara. »Um mich zur Unterschrift zu zwingen?«

»Ohne Ihre Unterschrift fällt die gesamte Übereinkunft in sich zusammen. Erinnern Sie sich. Geschäfte und Politik – das sind zwei Seiten derselben Sache.« Er drehte die Hand auf dieselbe Weise hin und her, wie er es im Auto getan hatte. »Damit tun Sie Ihre Pflicht. Helfen Sie der Welt. Die Terroristen haben bereits den Startmechanismus, wir müssen ihnen die Codes anbieten, um sie herauszulocken und sie bei dieser Gelegenheit zu ergreifen.«

»Wie bitte, Sie haben die Codes? Für die Kernwaffen?«

Sara dachte an die Steine, die sie unter Lebensgefahr im letzten Sommer vertauscht hatte, damit niemand die richtige Reihenfolge der Codes herausfinden konnte.

»Ohne sie könnten wir Jadoweg nicht hervorlocken«, erklärte der Russe und sah sie bettelnd an.

»Haben Sie danach in Erics Haus gesucht?«

Lotta und Koslow tauschten einen kurzen Blick.

»Und du auch?«, sagte Sara zu ihr.

»Das spielt doch jetzt keine Rolle«, sagt Koslow und machte einen Schritt auf sie zu. »Hauptsache, wir haben sie.«

»Sie werden doch nicht zulassen, dass Lotta sich um sie kümmert.«

Sara sah ihn ungläubig an.

»Machen Sie sich keine Sorgen. Alles ist unter Kontrolle.«

»Aha? In dem Fall würde ich meiner Familie gerne erzählen, dass es mir gut geht.«

»Tun Sie das. Aber sagen Sie nichts darüber, was Sie hier machen.«

Sara hob Lottas Mantel von einem der hellbraunen Sessel hoch, faltete ihn sorgfältig zusammen und legte ihn auf den Tisch. Ein schwarzer Mantel von Louis Vuitton, die Kindheitsfreundin hatte ihr Ambitionsniveau deutlich angehoben. Nachdem sie Platz für sich selbst geschaffen hatte, setzte sich Sara hin und schaltete ihr Handy ein.

Eine SMS , die Jane am Morgen geschickt hatte: »Alles gut?« Drei verpasste Anrufe von Ebba und eine SMS mit einem roten Herzen.

Und dann eine Mitteilung von Thörnell, die vor einer Stunde eingetroffen war. Auf dem gesperrten Bildschirm stand nur der Titel »Bild von J«.

Als Sara ihren Code eingegeben hatte und die Mitteilung öffnete, bekam sie schließlich ein Bild des mysteriösen Oleg Jadoweg zu sehen. Ein Bild, das auf Stellan Bromans Begräbnis in der Kirche von Bromma aufgenommen worden war, bei der Jadoweg also dabei gewesen war.

Sara erkannte sein Aussehen von damals wieder.

Aber vor allem erkannte sie den Mann wieder, mit dem Jadoweg sich gerade unterhielt.

Boris Koslow.

Sara sah vom Handy auf und begegnete Lottas Blick.

Die Kindheitsfreundin hatte das Bild gesehen, das Sara gerade betrachtet hatte.

Sie sah Sara in die Augen, bevor sie die Pistole wieder hob. Dann drehte sie sich um und erledigte Koslow mit drei schnellen Schüssen.

Bevor Sara reagieren konnte, drehte Lotta sich wieder zu ihr zurück und hob den Arm.

Und alles wurde schwarz.