»Also, diese Lotta Broman hat den früheren sowjetischen Außenminister Boris Koslow erschossen, hat dann Sie niedergeschlagen und ist verschwunden?«
»Ja.«
»Und hat Ihnen dann die Pistole in die Hand gedrückt?«
»So muss es gewesen sein.«
Sara betrachtete die Stuhllehne auf der anderen Seite des Tisches. Die Techniker untersuchten die Hotelsuite, während zwei deutsche Polizeikräfte mit Schutzwesten sie in einem der Konferenzräume des Hotels verhörten. Ein männlicher Polizist mit Schnurrbart und eine Polizistin mit dicken schwarzen Haaren, die sie zu einem Zopf gebunden hatte. Er war blond und besaß eine ungewöhnlich blasse Haut, während sie eher türkischer oder ähnlicher Herkunft zu sein schien. Beide hielten ihre Blicke auf Sara gerichtet, die in einem Hotelzimmer mit einer Pistole in der Hand und hämmernden Kopfschmerzen aufgewacht war.
»Und Lotta Broman hatte unlängst auch in Stockholm versucht, Sie umzubringen?«, fragte der Mann.
»Ja. In einem Bootsklub.«
Die Polizisten waren sehr jung, fand Sara. Kaum über dreißig. Was konnten sie schon wissen über den Kalten Krieg und die DDR ? Wie könnten sie den Hintergrund dieser ganzen Geschichte verstehen?
»Warum hat sie Sie jetzt leben gelassen?«
»Keine Ahnung. Vielleicht, weil sie Immunität für alte Verbrechen bekommt, aber nicht für neue?«
»Und trotzdem hat sie den Minister erschossen?«, fragte die dunkelhaarige Frau und zog die Augenbrauen hoch.
»Ja …«
Sara konnte die Dinge, die passiert waren, nicht auf einen Nenner bringen, und das war ein Problem. Alles fühlte sich, gelinde gesagt, unbegreiflich an, und die Schmerzen in ihrem Kopf hielten sie vom Denken ab.
»Dieser Überfall in Stockholm, gibt es Zeugen dafür?«
»Die Feuerwehr und meine Kollegen.«
»Haben die auch den Überfall selbst gesehen?«, fragte der Mann.
»Haben sie Lotta Broman gesehen?«, fragte die Frau.
»Nein«, antwortete Sara.
Die Polizistin beugte sich vor.
»Das Personal des Hotels hat ebenfalls keine Lotta Broman gesehen.« Was sie in einem Tonfall sagte, bei dem die Worte »Lotta Broman« so klangen, als handelte es sich um ein frei erfundenes, mythenumranktes Urzeittier. »Keine Frau, auf die die Beschreibung passt, die Sie uns gegeben haben. Und auf den Überwachungskameras ist auch nichts zu sehen.«
»Decken sie sämtliche Flächen ab?«
»Nein, nur die Vorderseite und die Lobby.«
»Dann ist sie wohl hinten reingekommen«, sagte Sara leicht irritiert.
»Die Pistole, mit der der Minister Koslow erschossen wurde, hatten Sie in der Hand. Und es waren nur Ihre Fingerabdrücke darauf zu finden.«
»Das lässt sich doch leicht arrangieren. Lotta hat mich bewusstlos geschlagen.«
Die beiden Polizisten sagten nichts. Sara beugte sich vor, nahm eine Flasche Mineralwasser, öffnete sie und trank direkt daraus. Der Schnurrbärtige schlug mit seinem Stift auf den Notizblock und sah gedankenversunken aus.
»Sie sagen, dass Lotta Broman eine islamistische Terroristin ist, die vom BND gefangen genommen wurde«, sagte er.
»Ja. Im Sommer«, sagte Sara und stellte die Flasche wieder hin. »Ich habe damals einen großen Terroranschlag verhindert.«
»Wir haben den BND gefragt. Sie kennen keine Lotta Broman.«
»Nein. Sie infiltriert eine Terrorgruppe für sie. Das ist natürlich streng geheim. Ich hätte es Ihnen auch nicht erzählen dürfen. Aber wenn ich schweige, bekomme ich selbst Probleme.«
Die Polizisten legten eine lange Pause ein. Dann tauschten sie einen kurzen Blick aus, und die Frau nickte.
»Frau Nowak, ich muss Sie bitten, uns auf die Wache zu begleiten«, sagte sie und holte ihre Handschellen heraus.
»Auf die Wache?«, wiederholte Sara ungläubig. »Aber die Terroristen werden die Codes bekommen. Sie können die Bomben auslösen. Wir müssen sie daran hindern, es ist eilig!«
Daraufhin stand der Polizist ebenfalls auf und streckte eine Hand nach ihr aus.
»Frau Nowak, bitte seien Sie kooperativ und beruhigen Sie sich. Kommen Sie einfach mit uns mit.«
Sara sah von der einen zu dem anderen. Wenn sie jetzt mitkäme, könnte sie vielleicht mit ihrem Chef sprechen, der vielleicht Kontakte zum BND hatte, die so hoch waren, dass sie ihre Aussage bekräftigen würden. Natürlich klang das, was sie erzählte, total verrückt. Aber wenn sie tatsächlich mehrere Stunden lang in eine Zelle gesteckt würde, bevor sie wieder mit jemandem sprechen könnte, wäre Lotta längst zu ihrem Treffen mit den Terroristen gekommen. Und Koslow hatte gesagt, dass sie, der BND und der FSB , die Codes besaßen. Vielleicht hatte Lotta also jetzt schon die Codes, und die Russen und die Deutschen verließen sich immer noch auf sie. Während Jadoweg auf den Informationen zu weiteren vergrabenen Bomben saß, vielleicht sogar Kernwaffen, die er gerade verkaufen wollte.
Bevor Sara entscheiden konnte, was sie als Nächstes machen sollte, knallte es draußen zweimal gedämpft. Dann wurde die Tür aufgeschossen, und ein Mann trat ein. Er trug einen schwarzen Integralhelm und einen schwarzen Lederanzug.
Mit einem roten V auf der Brust.
Der Valkyria-Söldner richtete eine schallgedämpfte Glock auf den männlichen Polizisten und schoss ihm in die Stirn. Dann erschoss er die Polizistin, direkt durch das Auge. Als sie ihre Waffe gerade halb gezogen hatte.
Sara warf sich instinktiv unter den Tisch und kroch so schnell sie konnte nach vorn, auf die Tür und den Schützen zu. Verfluchte ihren Rücken, durch den sofort Schmerzen jagten. Hoffentlich rechnete er nicht damit, dass sie auf ihn zukommen würde.
Aber er blieb nicht stehen, sondern lief direkt zum hinteren Ende des Raums. Wahrscheinlich weil er glaubte, dass Sara in diese Richtung fliehen wollte.
Als sie das Ende des Tisches erreicht hatte, sah sie sich um und entdeckte die Beine des Söldners am anderen Ende.
Also setzte sie alles auf eine Karte.
Und lief zur Tür.
Aus den Augenwinkeln sah sie, wie der Mann sich umdrehte und nach ihr zielte, aber bevor er einen Schuss abfeuern konnte, hatte sie den Raum bereits verlassen.
Vor der Tür drohte Sara über die beiden Streifenbeamten zu stolpern, die vor dem Konferenzraum Wache gehalten hatten. Sie hatten beide Schüsse in die Stirn bekommen. Der eine lag noch da und röchelte.
Aber sie hörte schnelle Schritte aus dem Konferenzzimmer und konnte nicht stehen bleiben, um sich um ihn zu kümmern.
In Panik lief sie den Flur hinunter. Als sie gerade die hintere Ecke umrundete, hörte sie, wie die Tür von dem Valkyria-Söldner geöffnet wurde, dann den gedämpften Knall der Pistole und das Geräusch einer Kugel, die hinter ihr in der Wand einschlug.