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»Nowak ist auf der Flucht.«

Brundin sah von den Blumen und den Schmetterlingen auf, die sie auf ihren Block gezeichnet hatte. Ihr neuer Chef Sam Sköld stand in der Tür und drückte das Handy immer noch gegen das Ohr. Ein schneidiges Kinn und stets blank geputzte Schuhe, was einen etwas unterhaltsamen Kontrast zu dem Büschel darstellte, das hartnäckig in seinem Nacken hochstand, als hätte er nicht geduscht, nachdem er am Morgen aus dem Bett gestiegen war. Sein Rasierwasser roch jedenfalls bis nach hinten zu Brundin. Der Chef war offensichtlich nicht ganz frei von Eitelkeit.

Nowak hatte also die Biege gemacht.

Brundin konnte nicht umhin, das Gefühl von Rache zu genießen. Sie hatte schon immer das Gefühl gehabt, dass an Sara Nowak etwas seltsam war. Nach Eva Hedins Tod und dem Mordversuch an Axel Bielke hatte Brundins früherer Chef Quintus Nyman plötzlich seinen Abschied genommen, Brundin vorher aber noch erklärt, dass Nowak eine Art Heldin sei. Sie wusste nicht, warum Nyman aufgehört hatte, vielleicht aufgrund von mentalen Problemen. Seine Sicht auf Sara Nowak deutete es jedenfalls an.

Sam Skölds Einstellung zu der verrückten Nowak war bedeutend nüchterner. Vor allem hatte er sich Brundins Informationen über sie angehört, genau so, wie es ein Chef tun sollte. Auf die Untergebenen hören und Entscheidungen auf Grundlage dieser Informationen treffen. So hätte es jedenfalls Brundin gemacht.

Jetzt stand er in der Tür zu ihrem Büro, das eine informelle Zentrale für die Verfolgung der letzten Entwicklungen geworden war. Erst hatte der BND angerufen und berichtet, dass der in Stockholm wohnhafte ehemalige sowjetische Botschafter und Außenminister Boris Koslow in Deutschland ermordet und eine schwedische Polizistin mit der Mordwaffe in der Hand am Tatort gefasst worden sei. Keine andere als besagte Sara Nowak.

Und jetzt hatten sie gerade mitgeteilt, dass Sara vier Polizisten erschossen habe und aus der Polizeiwache geflohen sei. Sogar Brundin war von diesem Verlauf erschüttert, sie hätte niemals gedacht, dass Sara Nowak so weit gehen würde. Aber es hatte ja deutliche Warnzeichen gegeben. Die sie besser ernst genommen hätten.

Sköld rief den riesenhaften Polizeidirektor Roger Nordlund an, eine Legende innerhalb des Polizeikorps, der jetzt für das Zusammenwirken zwischen den lokalen und nationalen Einsatzkommandos verantwortlich war, bei Bedarf auch mit der Säpo und dem militärischen Geheimdienst.

»Das solltet ihr nicht glauben«, sagte Nordlund sofort, als er von dem Geschehenen gehört hatte. Sköld wusste, dass Nordlund vor ein paar Monaten Nowak aus einem Riesenfiasko gerettet hatte, in dem sie den Tod hätte finden können, und damit auch einen internationalen Skandal verhindern konnte. Aber er hatte geglaubt, dass Nordlund diese Ereignisse nüchtern betrachten würde. Anscheinend nicht.

»Sag das mal den Familien der erschossenen Polizisten«, erwiderte Sköld, worauf Brundin boshaft lächelte.

»Warum sollte sie das tun?«, sagte Nordlund und schüttelte den Kopf. »Das wäre doch total verrückt?«

»Boris Koslow war kein gewöhnlicher Pensionär«, sagte Sköld. »Hier haben wir ihn auf einem Bild mit Oleg Jadoweg auf Stellan Bromans Begräbnis. Die Gerüchte, dass es sich bei Koslow um einen Spion handelte, scheinen sich zu bewahrheiten.«

Sköld hielt ihm ein iPad mit einem Foto von zwei älteren Herren in der Kirche von Bromma hin.

»Was für ein Oleg?«

»Jadoweg. Nach ihm wird vom BND gefahndet, weil er den Terrorismus unterstützt. Er scheint sogar in den großen Terroranschlag in Deutschland verwickelt gewesen zu sein, den wir im letzten Sommer verhindern konnten.«

»Und was hat das mit Sara zu tun?«, wollte Nordlund wissen.

»Sie war auf derselben Beerdigung.«

Sköld wischte zum nächsten Bild, das Sara mit Boris Koslow an einigen Gräbern zeigte.

»Und sie hat Koslow noch öfter getroffen.«

Sköld zeigte ein Bild von Sara und Koslow auf dem Skogskyrkogården.

»Sie mögen Friedhöfe«, sagte Brundin, ohne dass ihr Scherz gewürdigt wurde.

»Sie soll Koslow auch zu Hause besucht haben, im Zusammenhang mit den Morden an den BND -Agenten Breuer und Strauss.«

Nordlund betrachtete das Bild und schien nachzudenken.

»Aber wenn sie mit diesem Koslow zusammengearbeitet hat, warum hätte sie ihn dann erschießen sollen?«

»Vielleicht wollte er abspringen?«, schlug Brundin vor.

»Oder sie wollten Zeugen beseitigen«, sagte Sköld.

»Welche ›sie‹?«

Nordlund betrachtete Sköld mit gerunzelter Stirn.

»Das ist genau das, was wir wissen wollen«, sagte der Säpo-Chef. Dann verschränkte er die Arme vor der Brust und sah zufrieden aus.