»Was haben wir?«
Rakel Swärd sah auf die Versammelten hinunter. Der Abteilungschef Sam Sköld, der Koordinator der Polizei Roger Nordlund und die Fahnder Brundin und Lina Macli. Sie war nicht besonders scharf darauf, mit Leuten von der normalen Polizei zusammenzuarbeiten, fand nicht, dass sie irgendeine Art von Verständnis für die Bedrohungen hatten, mit denen sich ihre Abteilung auseinandersetzen musste. Nach ihrer Meinung war ihre Anwesenheit direkt unangemessen für einen Fall, der ausgerechnet eine Kriminalinspektorin der normalen Polizei betraf. Aber da war so viel Gewerkschaft und Politik im Spiel, dass es Ärger geben würde, wenn sie keine Vertreter aus den eigenen Reihen dabeihätten. Bürokratie war wichtiger als Effektivität. Eigeninteresse stand vor dem Erfolg.
Sie zog den Rock ihres Kostüms von Armani glatt, der aus Pfeffer-und-Salz-Stoff angefertigt war und einen spannenden Kontrast zu der purpurfarbenen Bluse bot, die sie dazu trug. Die Füße steckten allerdings in Sportschuhen. Nur vor Begegnungen mit der Presse wechselte Rakel Swärd zu hohen Absätzen.
Brundin wollte beginnen, die aktuelle Lage zu beschreiben, weil sie es eilig hatten, aber sie wusste, dass sie ihrem Chef auf die Füße treten würde, wenn sie das Kommando übernahm. Dann würde es vielleicht so aussehen, als hätte er die Situation nicht im Griff.
»Bilder von Sara Nowaks Handy«, sagte Sam schließlich und rief die Aufnahmen von George Taylor Jr. und seinen Leuten auf, die Sara an Anna geschickt hatte. »Hier hat Nowak ein Treffen mit Taylor Jr. und seiner Gang in einem Waldabschnitt dokumentiert. Worum es bei dem Treffen ging, ist unklar, aber es scheinen gewisse Vorbereitungen getroffen worden zu sein.«
»Es gibt da nichts, was uns sagt, dass sie von Saras Handy stammen«, sagte Roger Nordlund mit einer besorgten Falte auf der Stirn.
»Doch. Lina.« Sam zeigte auf Lina Macli. »Sie hat selbst gesehen, dass der Absender Sara Nowak war.«
»Ich habe volle Einsicht in Saras Leben«, sagte Lina und richtete sich auf. »Ich lebe mit ihrer besten Freundin zusammen.«
»Bilder von Sara Nowak, wie sie Sex mit George Taylor Jr. hat«, sagte Sam und klickte ein neues, etwas körniges Bild mit zwei Körpern in einer höchst intimen Position in einer schmalen Gasse an. »Taylor Jr. ist also der Anführer der Thugz, eines gewalttätigen Netzwerks in Botkyrka, und er wurde im Freihafen verhaftet, als er und seine Leute eine bedeutende Menge richtig schwerer Waffen von Russen kaufen wollten, die im Dienst der Organisation von Oleg Jadoweg stehen.«
Sam verstummte, und Brundin machte sich Sorgen, dass Rakel Swärd möglicherweise glaubte, dass sie nicht mehr vorzuweisen hätten.
»Nowaks Auto befand sich bei der Gelegenheit im Freihafen«, ergänzte Brundin hastig. »Ihr Autokennzeichen wurde von den mitwirkenden Beamten notiert. Wir haben versucht, Nowak zu erreichen, aber sie geht nicht ans Telefon.«
»Und die Situation in Deutschland?«, fragte Rakel. »Was macht Nowak dort? Warum hat sie einen Chef vom BND entführt und mehrere Polizisten erschossen?«
»Da müssen wir ein bisschen zurückspulen«, sagte Sam und räusperte sich. »In einem ihrer Bücher hat die emeritierte Professorin Eva Hedin Stellan Broman beschuldigt, für den ostdeutschen Geheimdienst Stasi spioniert zu haben, unter dem Decknamen Geiger. Sie hatte Zugang zu unseren Archiven bekommen, wo sie diese Angaben gefunden hat.«
»Wie zum Teufel konnte das passieren?«
»Ein Urteil des Obersten Gerichtshofs.«
Rakel rollte mit den Augen. Diese Paragrafenreiter auf den Richterbänken, die keine Ahnung hatten, was das Beste für das Land war.
»Wie auch immer, Hedin wurde vor einigen Monaten ermordet, und Sara Nowak fand ihre Leiche. Nowak meinte, dass der Täter ein früherer Doppelagent mit dem Decknamen Faust sei, aber es gab in der Wohnung keine anderen Spuren als die von Nowak und Hedin. Derjenige, den sie als Faust bezeichnete, war ihr eigener Schwiegervater, Eric Titus, der seit Jahrzehnten für den deutschen Geheimdienst BND arbeitete. Eine Theorie besagt, dass er etwas Belastendes über Sara Nowak entdeckt hatte.«
»Und worauf beruht diese Annahme?«, fragte Nordlund.
»Es ist eine Theorie, wie gesagt«, antwortete Brundin.
»Sara Nowak hat Eric Titus im Keller seines Hauses erschossen«, fuhr Sam fort. »Sie behauptete, es sei Notwehr gewesen. Mit Rücksicht auf sein Engagement für den BND ist das Ganze unter den Teppich gekehrt worden, und die offizielle Todesursache heißt jetzt Herzinfarkt. Der Sohn und ihr Gatte Martin Titus braucht seitdem psychiatrische Hilfe und ist in eine schwere Drogensucht gerutscht. Was zusammengenommen dazu geführt hat, dass Sara Nowak mittlerweile die Kontrolle über den Konzern Titus & Partners übernommen hat.«
»Was, Sie meinen tatsächlich, dass sie Eric Titus ermordet hat, um die Kontrolle über das Unternehmen zu bekommen?«
»Wir meinen gar nichts«, sagte Brundin schnell. »Wir führen nur Tatsachen auf. Sie lenkt das Unternehmen. Nowak hat den Vorstandsvorsitzenden Tom Burén angerufen, während sie nach dem Mord an Koslow vor der Polizei geflohen ist. Es ist uns nicht gelungen, das Gespräch abzuhören, aber es muss sich um eine Form von Arbeitsaufträgen gehandelt haben.«
»Was für Aufträge?«, fragte Nordlund irritiert.
»Titus & Partners ist Mitinhaber eines Sicherheitsunternehmens, Valkyria. Das man gemeinsam mit Oleg Jadoweg besitzt.«
»Es waren Soldaten von Valkyria, die Nowak in Leipzig befreit haben«, erklärte Sam. »Und die auch die Polizisten der GSG 9 an dieser Burg ermordet haben, in der sie sich mit ihren Geiseln verschanzt hat.«
»Sara soll einen Terroranschlag anführen?«, sagte Nordlund. »Ich seid ja nicht ganz bei Trost.«
»Nowak hat sich auch Hedins Archiv unter den Nagel gerissen«, sagte Brundin und ignorierte seinen Kommentar. »Der Zweck ist unklar. Vielleicht wollte sie Spuren beseitigen.«
»Welche Spuren?«
»Ein mögliches Szenario besteht darin, dass Hedin etwas gefunden hatte, was Nowak nicht ans Licht kommen lassen wollte. Zum Beispiel, dass Stellan Broman nicht Geiger war.«
»Er war nicht Geiger?«
Rakel Swärd schien Schwierigkeiten zu haben, dem Ganzen zu folgen.
Sam trank einen Schluck kalten Kaffee und fuhr fort:
»Die Informationen, die wir bei der Säpo über Geiger hatten, bekamen wir 1989 von seiner Haushälterin, Janina Nowak. Es war ein bisschen wie mit dem Spion Wennerström, die Haushälterin sah Dinge und berichtete sie.«
»Sagten Sie Janina Nowak?«, fragte Rakel und legte die Stirn in Falten.
»Sara Nowaks Mutter. Sie gab uns die Informationen, die Stellan als den Schuldigen ausmachten, aber in den Stasiarchiven sind seitdem einige geschredderte Akten wieder zusammengesetzt worden, in denen angedeutet wird, dass es sich bei dem Agenten Geiger um ein junges, fanatisches Mädchen gehandelt habe.«
»Der typische Kommunist war ein junger Mensch aus der Arbeiterklasse mit Komplexen und Rachegelüsten«, sagte Brundin. »Genau wie bei der vaterlosen Tochter einer Haushälterin in einer reichen Familie. Sara Nowak war ja auch zu der Überzeugung gekommen, dass Stellan Broman ihr Vater sei, wurde von ihm aber nie als Tochter anerkannt.«
»Das ist jetzt alles ein bisschen viel«, sagte Rakel und hielt eine Hand hoch, um den Informationsfluss zu stoppen.
»Aber es kommt noch mehr«, sagte Brundin.
»Vielleicht wurde Onkel Stellan ja ermordet, damit er als Sündenbock für den geplanten Terroranschlag dienen konnte«, sagte Sam. »Damit konnte er nicht der Version widersprechen, die Nowaks Mutter verbreitet hatte.«
»Oder es war ganz einfach ein Eifersuchtsdrama«, sagte Brundin und schielte zu ihrem Chef. »Sie war verbittert, weil sie nicht Stellans Tochter war, und nutzte die Terrortat aus, um ihn umzubringen und alles auf Lotta zu schieben.«
Nordlund verschränkte die Arme vor seiner Brust als die einzige Möglichkeit von Protest, die ihm in dieser Lage einfiel.
»Laut Nowak war der in Räfsnäs ermordete Joachim Böhme der Leiter eines Spionagerings der DDR und verantwortlich für die Rekrutierung und Indoktrinierung neuer Spione«, fuhr Sam fort. »Nowak lancierte die Theorie, dass Böhme unter dem Decknamen Ober Lotta Broman anlernte, die den Decknamen Geiger bekam. Aber nach unserer Einschätzung war es eine andere junge Dame, die im Haus der Familie Broman herumlief und zu seiner Auszubildenden wurde. Ein junges Mädchen mit großem Rachedurst, das sich eine Violine von Stellan Broman erbettelte und sie zu spielen lernte. Deswegen Geiger.«
Hier stand Lina auf und zog eine Miene, als wäre jetzt ihre große Stunde gekommen. Sie teilte Kopien von alten Fotos aus.
»Diese hier stammen aus Sara Nowaks Familienalbum«, sagte Lina. »Sara Nowak mit ihrer Violine. Sara Nowak ist Geiger.«