Liebe ist kurz, aber immer wiederkehrend.15
François de La Rochefoucauld
Sie verlassen das Lebensmittelgeschäft und lachen mit der Kassiererin darüber, dass die ungewöhnlich knubbelige Tomate in Ihrem Einkaufskorb wie ein Gesicht aussieht, das zu Ihnen emporblickt.
Auf dem Weg zum Briefkasten treffen Sie zufällig auf einen Nachbarn, den Sie schon eine Weile nicht gesehen haben, und nehmen sich kurz Zeit, um ein Schwätzchen mit ihm zu halten. Innerhalb weniger Minuten ertappen Sie sich dabei, wie Sie miteinander plaudern und sich über Ihre Hobbys austauschen.
Am Arbeitsplatz feiern Sie ausgelassen einen geschäftlichen Erfolg mit Ihren Kollegen.
Während Ihrer morgendlichen Joggingtour lächeln und nicken Sie anderen Läufern zu und wünschen Ihnen im Stillen einen guten Tag.
Nach einer längeren Reise nehmen Sie einen Angehörigen lange und herzlich in den Arm.
Zuallererst einmal ist Liebe ein Gefühl, ein vorübergehender Zustand, der Körper und Geist gleichermaßen erfüllt. Sie ist wie eine Wetterlage, eine subtile Kraft, die ständig in Bewegung ist. Wie bei allen positiven Emotionen ist das innere Gefühl, das die Liebe in Ihnen hervorruft, außerordentlich angenehm – es fühlt sich unglaublich gut an, erfrischend wie ein großes, kühles Glas Wasser an einem heißen Tag. Doch darüber hinaus vermag es der Mikromoment der Liebe – wie andere positive Emotionen auch –, Ihren Geist buchstäblich zu verwandeln. Er erweitert Ihr Bewusstsein für Ihre Umgebung und für sich selbst. Die Grenzen zwischen Ihnen und anderen sind plötzlich fließend und durchlässiger. Von Liebe erfüllt sehen Sie weniger Unterschiede zwischen sich und Ihren Mitmenschen. Sie kultivieren Ihre Fähigkeit, andere wahrzunehmen – sie wirklich zu sehen, mit ganzem Herzen. Sie fühlen sich plötzlich eins und verbunden mit Ihrer Umgebung. Liebe verhilft Ihnen zu gelebter Transzendenz, zu dem Empfinden, Teil von etwas Größerem zu sein als Sie selbst.
Wie jedes andere Gefühl – ob Wut, Freude oder Trauer – lässt auch die Liebe bald wieder nach. Egal wie wunderbar sie sind: Die Augenblicke der Liebe berühren Ihre Seele nur für kurze Zeit. Es gibt kein Gefühl, das von Dauer ist, auch nicht, wenn es gut für uns ist. Natürlich können Sie lernen, Ihre flüchtigen Mikromomente der Liebe zu überreden, etwas länger bei Ihnen zu verharren: Sie können sie durch das Gespräch mit anderen noch einmal zum Leben erwecken.16 Dennoch dauern sie lediglich Sekunden oder Minuten, nicht Monate oder Jahre. Liebe ist die kurzlebige und kostbare Offenheit Ihres Herzens, kein felsenfester Ring aus kostbarem Metall an Ihrem Finger.
Liebe dieser Art ist alles andere als exklusiv. Sie ist nicht nur das einzigartige Gefühl, dass Sie für Ihren Partner reservieren. Sie geht sogar über die warmen Gefühle hinaus, die Sie Ihren Kindern, Eltern oder engen Freunden entgegenbringen. Die Liebe kann so viel weiter reichen, als wir es normalerweise zulassen. Tatsächlich kann niemand – ob jung oder alt, leidenschaftlich oder reserviert, alleinstehend oder verheiratet – davon ausgeschlossen werden. Auch jenes stillschweigende Energieband zwischen Ihnen und Ihrem zufälligen Nachbarn im Flugzeug, dem Sie offen und aufmerksam zugehört haben, den Sie einen Augenblick lang wirklich wahrgenommen haben, mit aufrichtigem Respekt und aufrichtiger Wertschätzung, ist Liebe. Ich erinnere mich an den Liedtext von »What a wonderful world«, den Louis Armstrong mit seiner rauen Stimme in den späten Sechzigerjahren so berühmt gemacht hat: »I see friends shaking hands, sayin’: ›How do you do?‹ They’re really sayin’: ›I love you.‹«
Vielleicht empfinden wir es intuitiv anders, aber Liebe ist erheblich allgegenwärtiger, als Sie je gedacht hätten, und zwar aufgrund der einfachen Tatsache, dass Liebe Verbundenheit bedeutet. Sie ist dieses ergreifende Gefühl, wenn Ihr Herz sich weitet, weil Sie zum ersten Mal in die Augen eines Neugeborenen blicken oder einen guten Freund zum Abschied in den Arm nehmen. Liebe ist auch die Sympathie und das Gefühl eines gemeinsamen Interesses, das Sie unerwartet mit einer Gruppe Fremder teilen, die sich versammelt haben, um ein Nest der Meeresschildkröten zu bewundern oder gemeinsam bei einem Fußballspiel zu jubeln.17 Genau das ist die aktualisierte Version von Liebe, die ich Ihnen in diesem Buch vorstellen will: Liebe erblüht buchstäblich jedes Mal, wenn zwei oder mehr Menschen – sogar Fremde – ein positives Gefühl, egal ob stark oder schwach, miteinander teilen und sich dadurch einander verbunden fühlen.
Kurz gesagt ist Liebe das vorübergehende Aufwallen von drei eng miteinander verwobenen Ereignissen:
Mein Kürzel für dieses Trio lautet Positivitätsresonanz. In solchen Augenblicken zwischenmenschlicher Verbundenheit – die durch die immer lauter werdende Symphonie aus gemeinsam erlebten positiven Gefühlen, biologischer und verhaltensmäßiger Synchronie und wechselseitiger Fürsorge charakterisiert werden – hallt die lebensspendende Positivität zwischen den Menschen wider. Diese Resonanz positiver Energie geht hin und her, ist selbsterhaltend und kann sogar stärker werden, bis die vorübergehende Verbundenheit nachlässt – was natürlich unvermeidlich ist, denn so funktionieren Gefühle nun einmal.
Ich habe eine sichtbare Metapher für diese Positivitätsresonanz entwickelt, nämlich die des Spiegels. Ein Augenblick der Positivität erfordert per definitionem Spiegelungen auf drei verschiedenen Ebenen:
In einem Augenblick der Positivitätsresonanz verwandeln Sie sich also gewissermaßen in ein Spiegelbild und eine Erweiterung des anderen. Wenn Sie in einen konventionellen Spiegel schauen, sehen Sie nur in Ihre eigenen Augen. Stellen Sie sich nun vor, Sie stünden vor einem Spiegel und sähen diese andere Person. Vor diesem Augenblick der Positivitätsresonanz waren Sie beide voneinander getrennt und kümmerten sich um Ihre eigenen Belange – Sie hatten Ihre eigenen Gefühle, machten Ihre eigenen Bewegungen und folgten Ihren eigenen Neigungen. Aber in diesem speziellen Augenblick der Verbundenheit richten sich Ihre jeweiligen Gefühle, Handlungen und Impulse aneinander aus und synchronisieren sich mit denen des anderen. Einen Augenblick lang wachsen Sie buchstäblich über sich hinaus. Das ist kein normaler Augenblick. Im Rahmen dieser Spiegelung und Erweiterung Ihres eigenen Zustandes sehen Sie plötzlich viel mehr. Eine mächtige, hin und her schwingende Vereinigung der Energien entsteht zwischen Ihnen, wie elektrische Spannung.
Andere positive Emotionen hallen nicht auf diese Weise wider, sie werden nicht zu Ihnen zurückgespiegelt. Obwohl die Wärme jeglicher positiven Emotion Ihren Horizont erweitert und Ihr inneres Wachstum fördert, sodass Sie widerstandsfähiger werden und ungeahnte Energie erhalten, kann nur die Liebe eine solch tiefe zwischenmenschliche Resonanz hervorbringen. Innerhalb der Mikromomente der Liebe weckt Ihre eigene Wärme und Offenheit die Wärme und Offenheit des anderen – und umgekehrt. Die Biochemie beider Beteiligten führt ebenso zu einer Steigerung der Positivität wie die vermehrte Aufmerksamkeit, die Sie sich gegenseitig schenken – das Lächeln, das Entgegenkommen, der verbale und nonverbale Ausdruck von Sorge und Fürsorge füreinander. Diese Augenblicke sind wirkmächtig und energiespendend. Und davon lebt Ihr Körper. Ihre Fähigkeit, andere zu verstehen und sich in sie hineinzuversetzen, hängt in hohem Maße von einer stetigen Zufuhr von Positivitätsresonanz ab. Das Gleiche gilt für Ihr Potenzial an Weisheit, Spiritualität und Gesundheit.
Wenn Sie in einem westlich geprägten Kulturkreis aufgewachsen sind, dann sind Emotionen für Sie etwas eher Privates, das sich in den persönlichen Grenzen, definiert von Geist und Körper des Individuums, abspielt.18 Unser Sprachgebrauch – insbesondere im Hinblick auf die Possessivpronomen – macht diese Sichtweise deutlich: Wir sprechen von »meiner Angst«, »seinem Zorn« oder »ihrem Interesse«. Dieser Logik folgend würde die Liebe nur der Person gehören, die sie empfindet. Definieren wir die Liebe aber als Positivitätsresonanz, dann stellen wir diese Sichtweise infrage. Die Liebe entfaltet sich zwischen Menschen und hallt zwischen ihnen wider. Sie zeigt sich – wenn auch nur vorübergehend – in zwischenmenschlichen Transaktionen und ist mithin sämtlichen Beteiligten und dem metaphorischen Netz, das sie miteinander verbindet, zuzuordnen. Die Biologie der Liebe geht damit einher, wie Sie im dritten Kapitel sehen werden. Die Liebe verändert die unsichtbaren Aktivitäten in Ihrem Körper und Ihrem Gehirn auf eine Weise, die gleichzeitig parallel Veränderungen im Körper und im Gehirn Ihres Gegenübers bewirkt. Mehr als andere positiven Emotionen gehört die Liebe also nicht zu einem einzigen Menschen, sondern zu Paaren oder Gruppen.19 Sie wohnt in der Verbindung. Sie erstreckt sich über die persönlichen Interessen hinaus und charakterisiert die Schwingungen, die zwischen den Menschen pulsieren. Sie kann ganze soziale Netzwerke mit neuer Kraft erfüllen oder eine Gruppe von Menschen dazu bewegen, aufzustehen und zu tanzen.20
Positivitätsresonanz entsteht nicht zufällig. Sie ist auf bestimmte Umstände zurückzuführen, hat ihren Ursprung in bestimmten Denk- und Handlungsmustern. Die fundamentalen Voraussetzungen der Liebe sind Verbundenheit und Sicherheit. Wenn diese Vorbedingungen nicht gegeben sind, kann keine Liebe entstehen. Widmen wir uns zunächst der Sicherheit: Ihr Gehirn ist evolutionsbedingt darauf trainiert, auf Bedrohungen außerordentlich sensibel zu reagieren. Ihr angeborenes Erkennungssystem dafür operiert außerhalb ihrer bewussten Wahrnehmung.21 So können Sie in eine intensive Unterhaltung vertieft sein oder einen herrlich entspannenden Lauf in den Wäldern genießen – und dennoch reißt Ihr Gehirn Sie sofort aus Ihren Gedanken, wenn es eine Gefahr erkennt, beim Joggen also beispielsweise plötzlich eine Schlange ihren Weg kreuzt. Wahre Bedrohungen sind für uns heutzutage selten geworden, und die meisten von uns sind sich dessen auch bewusst. Doch nicht jeder kann der Welt auf diese Weise vertrauen. Menschen, die an Angstzuständen, Depressionen, Einsamkeit oder niedrigem Selbstwertgefühl leiden, fühlen sich viel häufiger bedroht, als es gerechtfertigt wäre. Bedauerlicherweise vereitelt diese Überempfindlichkeit Positivität und Positivitätsresonanz. Das Gefühl der Unsicherheit ist mithin das erste Hindernis auf dem Weg zur Liebe.
Die zweite Vorbedingung für die Liebe ist Verbundenheit, und zwar wirkliche sinnliche und diesseitige Verbundenheit mit einem anderen Lebewesen. Sie versuchen zweifellos, »in Verbindung zu bleiben«, wenn körperliche Distanz Sie und Ihre Angehörigen trennt. Sie nutzen das Telefon, Briefe, E-Mails und in zunehmendem Maße Facebook, und das ist auch wichtig. Doch Ihr Körper, der jahrtausendelang durch die natürliche Selektion geformt wurde, ist nicht für die Abstraktionen von Fernbeziehungen, für die XOXs und LOLs geschaffen. Ihr Körper hungert nach mehr. Er hungert nach Augenblicken des Einsseins.
Dieses Gefühl des Einsseins tritt auf, wenn zwei oder mehr Menschen im Gleichklang miteinander handeln und sich buchstäblich wie eine Person verhalten, sich identisch zu dem gleichen verborgenen Rhythmus bewegen. Sie können einen solchen Gleichklang mit einem Fremden ebenso empfinden wie mit einem alten Freund, den Sie schon Ihr Leben lang kennen. Wenn die Positivitätsresonanz zwischen Ihnen und einem anderen schwingt, dann beginnen Sie beide, die Bewegungen und Gesten des jeweils anderen zu spiegeln und sogar die Sätze Ihres Gegenübers zu beenden. Sie fühlen sich vereint, verbunden, aus einem Guss. Wenn Sie mit jemandem dergestalt harmonisieren, sind Sie beide – auch wenn Sie sich gerade erst getroffen haben – biologisch gesehen buchstäblich auf der gleichen Wellenlänge. Eine Synchronie entfaltet sich aber auch innerlich, denn Ihre physiologischen Reaktionen – sowohl im Körper als auch im Kopf – laufen ebenfalls spiegelbildlich ab.
Wahre Verbundenheit ist also eine fundamentale Vorbedingung für Liebe, und das ist einer der wichtigsten Gründe, warum Liebe nicht bedingungslos ist, sondern im Gegenteil eine bestimmte Haltung erfordert. Wahre Verbundenheit ist nicht abstrakt und mittelbar, sondern physisch und entfaltet sich in Echtzeit. Sie erfordert eine sinnliche und zeitliche Anwesenheit der beteiligten Körper. Die Wissenschaft ist sich darüber einig, dass sinnliche Verbundenheit hauptsächlich durch Augenkontakt hergestellt werden kann.22 Andere Formen sinnlichen Kontakts – durch Berührungen, die Stimme oder gespiegelte Körperhaltung und Gesten – verbinden die Menschen zwar ebenfalls miteinander und können den Augenkontakt zeitweise ersetzen, doch am wirksamsten lässt sich ein Gefühl der Verbundenheit und des Einsseins mutmaßlich dann herstellen, wenn man sich in die Augen sehen kann.23
Ein Lächeln vermag mehr als jeder andere emotionale Ausdruck die Aufmerksamkeit des Betrachters auf sich zu ziehen.24 Das ist auch gut so, denn ein Lächeln kann unzählige verschiedene Bedeutungen haben. Warum lächelt Ihre neue Kollegin Sie beispielsweise gerade an? Meint sie es ehrlich oder herablassend? Ist sie Ihnen freundlich gesinnt oder von sich eingenommen? Fürsorglich oder nur höflich? Paul Ekman, der weltweit führende Wissenschaftler im Hinblick auf die Erforschung von Gesichtsausdrücken, schätzt, dass Menschen regelmäßig fünfzig verschiedene Arten des Lächelns unterscheiden.25 Vor diesem Hintergrund versteht man die Ambiguität eines jeglichen Lächelns eher. Außerdem können die Unterschiede zwischen verschiedenen Arten des Lächelns sehr subtil sein: Ist ein Lächeln freundlich, genussvoll, überheblich oder gar gespielt? Während Wissenschaftler wie Ekman bewusste und formale Kriterien anlegen, um diese subtilen Unterschiede herauszuarbeiten – häufig mithilfe von Zeitlupenaufnahmen –, haben Sie selbst ohne spezielle Ausbildung nur Ihr Bauchgefühl, mit dessen Hilfe Sie herausfinden können, was das Lächeln Ihrer Kollegin nun wirklich bedeutet. Derlei Bauchgefühle können eine hervorragende Quelle der Intuition und Weisheit sein, wenn Sie wissen, wie Sie sie sich zugänglich machen können. Augenkontakt ist auch hier wieder von essenzieller Bedeutung. Neue wissenschaftliche Erkenntnisse gehen davon aus, dass Sie eindeutig im Nachteil sind, wenn Sie keinen direkten Augenkontakt mit Ihrer Kollegin herstellen und nicht zuverlässig herausfinden können, was sie tatsächlich mit dem Lächeln aussagen will.26
Augenkontakt ist also der Schlüssel, der die Weisheit Ihrer Intuition öffnet, denn wenn Sie dem Blick ihrer lächelnden Kollegin begegnen, reagiert nicht nur Ihr Gehirn, sondern auch Ihr Körper: Sie können die Gefühle, die Ihre Kollegin gerade durchlebt, gewissermaßen simulieren.27 Durch diesen schnellen und unbewussten Vorgang wissen Sie mehr über die emotionalen Hintergründe des Lächelns. Der Zugang zu diesem Gestalt gewordenen Gefühl, dieser Information, die in Ihrem Inneren entsteht, macht Sie klüger. Sie können beispielsweise viel genauer einschätzen, was ihr unerwartetes Lächeln bedeutet.28 Sie sind besser auf sie eingestimmt und weniger leicht zu täuschen. Intuitiv erfassen Sie ihre Absichten. Sie war in der Tat keineswegs freundlich, sondern hämisch. Sie wollte keine Verbindung zu Ihnen herstellen, sondern war selbstgefällig. Sie müssen kein Zyniker sein, um zu erkennen, dass nicht jedes Lächeln eine aufrichtige Bitte um Verbundenheit darstellt. Manch ein Lächeln wird vielleicht nur ausgesandt, um Sie auszubooten oder zu kontrollieren. Mithilfe Ihrer Sinne können Sie ehrliche von unehrlichen Signalen unterscheiden, ganz so, wie Sie beispielsweise gute Lebensmittel von verdorbenen trennen können.
Sobald Sie Augenkontakt hergestellt haben, informieren Ihre Schlussfolgerungen über das Lächeln Ihrer Kollegin Sie – bewusst oder nicht –, wie Ihr nächster Schritt aussehen sollte. Ohne Augenkontakt hingegen kann es schnell zu Missverständnissen, gebrochenen Herzen und zwischenmenschlicher Ausbeutung kommen, denn Sie über- oder unterinterpretieren die Freundlichkeit im Lächeln Ihres Gegenübers. Außerdem verpassen Sie vielleicht die unzähligen Gelegenheiten, um lebensspendende Verbundenheit zu schaffen. Augenkontakt trägt dazu bei, dass Sie aufrichtige, affiliative Gesten in einem Meer von lediglich höflichen oder eindeutig manipulativen Lächeln erkennen. Liebe ist also alles andere als blind.
Augenblicke von scheinbar geteilter Positivität gibt es in Hülle und Fülle. Sie selbst und die Menschen in Ihrer Umgebung können mit der einen oder anderen Form der Positivität in Berührung kommen, aber dennoch keine wahre Verbundenheit herstellen. Sie selbst und alle anderen Kinobesucher beispielsweise teilen die Positivität, die von der großen Leinwand vor Ihnen ausgeht; Sie und der Student neben Ihnen im Hörsaal sind fasziniert von den gleichen neuen Ideen; Sie und Ihre Familie schauen sich die gleiche Comedyshow im Fernsehen an. Doch wenn der Augenkontakt, die Berührung, Gelächter oder eine andere Form von Verhaltenssynchronie fehlen, dann gleichen derlei Augenblicke dem, was Entwicklungspsychologen als Parallelspiel bezeichnen. Sie fühlen sich zweifellos gut, und ihre Positivität bringt sowohl Ihnen als auch den anderen einen Broaden-and-Build-Nutzen. Solange es sich aber (noch) nicht um direkte oder interpersonell geteilte Erfahrungen handelt, haben Sie auch keinen Widerhall im jeweilig anderen. Also handelt es sich (noch) nicht um Augenblicke der Liebe. Der Schlüssel zur Liebe besteht in Formen der physischen Verbundenheit.
Um es deutlich zu machen: Die sinnlichen und zeitlich begrenzten Verbindungen, die Sie mit anderen durch Augenkontakt, Berührung, Unterhaltung oder andere Formen der Verhaltenssynchronisation schaffen, sind nicht an und für sich Liebe. Selbst Händchenhalten kann zur lieblosen Gewohnheit werden. Doch im richtigen Kontext sind derlei Gesten ein hervorragendes Sprungbrett für die Liebe. Der richtige Kontext ist der, der mit der emotionalen Präsenz der Positivität einhergeht.
Stellen Sie sich vor, dass ich allein an meinem heimischen Computer sitze und jetzt, im Juli 2011, nach den richtigen Worten suche, und Sie sitzen (habe ich Recht?) ein paar Jahre später wer weiß wo und lesen meine Worte. Stattdessen könnten wir uns auch in einem Café in Ihrer Nähe treffen und uns über diese Ideen unterhalten. Es stellt sich heraus, dass Sie jede Menge wertvoller Fragen haben. Es dauert nicht lange, da hat uns die gemeinsame Begeisterung für die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die menschliche Natur und das menschliche Potenzial so richtig gepackt. Obwohl ich sonst meist recht leise rede, ist die Unterhaltung mit Ihnen jetzt ziemlich lebhaft. Meine Gesten und mein Lächeln zeigen Ihnen, dass ich mich nicht nur für dieses Thema begeistern kann, sondern dass ich auch Ihre wohlüberlegten Fragen und Beispiele zu schätzen weiß. Ich bin auf Sie eingestimmt, stehe Ihrem Input wohlwollend gegenüber und reagiere auf sämtliche subtilen Signale, die zeigen, wie effektiv wir miteinander kommunizieren.
Aus meiner Perspektive existieren Ihr Lächeln, Ihr Nicken und andere Gesten Ihrer eigenen Positivität und Einstimmung auf mich nicht einfach nur in Ihnen. Wenn unsere Blicke sich kreuzen, dann erwachen sie auf sehr wirkliche Weise auch in mir zum Leben. Innerhalb von Millisekunden beginnen mein Gehirn und mein Körper durch Ihren Enthusiasmus und Ihre Wertschätzung förmlich zu vibrieren. Je häufiger das passiert, umso mehr empfinde ich wie Sie – begeistert und anerkennend, empfänglich und mitfühlend. Schon bald tauchen diese Gefühle auf meinem Gesicht auf und werden durch meine Stimme und meine Gesten für Sie fassbar. Wir halten unseren Blickkontakt, und ein paralleler Simulationsprozess kommt bei Ihnen in Gang. Ihr Gehirn und Ihr Körper vollziehen meine Bewegungen nach. Die Schwingungen gehen zwischen uns hin und her.
Mit jedem weiteren Mikromoment empfinden wir beide immer ähnlicher. Wir harmonisieren miteinander, fühlen synchron. Die Positivitätsresonanz hat eine Verbundenheit zwischen uns hergestellt. Ihre und meine Gehirnaktivität und Biochemie verschmelzen immer mehr miteinander. Eine von Positivität gespeiste Verwobenheit unserer Herzen und unseres Geistes ist die Folge, ein vorübergehender Zustand, den Wissenschaftler als Intersubjektivität bezeichnen. Stellen Sie sich das wie eine Miniversion dessen vor, was der berühmte Mister Spock aus Star Trek als Gedankenverschmelzung bezeichnet. Doch beide Begriffe sind meiner Ansicht nach zu sehr auf den Geist bezogen, zu herzlos. Denn genauso wichtig ist es, dass der emotionale Unterton unserer vorübergehenden Verschmelzung, unserer Verflechtung, warmherzig, offen, vertrauensvoll und voller aufrichtiger Fürsorge füreinander und Interesse aneinander ist.
Das, was zwischen zwei Menschen passiert, könnte man als Rapport bezeichnen. Doch je besser ich die wissenschaftlichen Gründe hinter der Positivitätsresonanz verstehe, umso überzeugter bin ich davon, dass auch diese Beschreibung in die Irre führt. Der Begriff Rapport klingt beliebig. Er beschreibt etwas nicht Lebensnotwendiges. Doch vor dem Hintergrund der ungeheuer wichtigen Rolle, die die Positivitätsresonanz bei unserem Überleben spielt, garantieren solche wechselseitigen Zustände ein Gefühl Erhabenheit. Deshalb bezeichne ich sie als Liebe, unser höchstes Gefühl. Mikromomente wie diese sind die wesentlichen Baustoffe, von denen wir eigentlich gar nicht genug bekommen können.
Welchen Sinn hat ein Lächeln also? Früher war man der Ansicht, dass es den inneren Zustand der lächelnden Person widerspiegelt. Setzt man Lächeln mit dem gesamten Gesichtsausdruck gleich, dann scheint diese Ansicht unmittelbar einzuleuchten – eine bestimmte Mimik bringt die ansonsten unsichtbaren Gefühle einer Person zum Ausdruck.29 Richtet man den Fokus auf den Empfänger des Lächelns, dann sieht die Argumentation anders aus: Dann hat sich das Lächeln nicht entwickelt, um ein positives Gefühl nach außen sichtbar zu machen, sondern viel eher, um eine positive Emotion in dem Menschen hervorzurufen, der den Blick des Lächelnden auffängt.30 Dieser alternativen Sichtweise folgt die Wissenschaft nun schon seit längerem. Man geht davon aus, dass das Lächeln sich entwickelt hat, um uns ein implizites Verständnis – oder ein Bauchgefühl – für die wahren Motive des Lächelnden zu geben.31 Angesichts dieser und anderer evolutionärer Theorien32 halte ich es für angemessen, den Fokus noch stärker zu erweitern und nicht nur den Lächelnden und den Angelächelten zu beleuchten, sondern auch die erblühende Verbundenheit zwischen zwei Menschen zu untersuchen, die ein Lächeln miteinander teilen. Das aufrichtige, von Herzen kommende Lächeln eines Einzelnen kann einen mächtigen und nachhallenden Zustand zwischen zwei Menschen ins Leben rufen, der von den drei Eigenschaften der Liebe charakterisiert wird: eine jetzt miteinander geteilte positive Emotion, ein Gleichklang von Aktionen und Biochemie und ein Gefühl gegenseitiger Achtung und Fürsorge. Kurz gesagt: Lächeln hat sich vielleicht entwickelt, um Positivitätsresonanz zu schaffen.
Liebe erfordert also Verbundenheit. Das bedeutet, wenn Sie allein sind und an die denken, die Sie lieben, sich über vergangene Momente der Verbundenheit Gedanken machen, sich nach mehr sehnen oder auch nur, wenn Sie eine Liebende-Güte-Meditation praktizieren oder einen leidenschaftlichen Liebesbrief schreiben, erleben Sie in diesem Augenblick keine wahre Liebe. Es stimmt, dass die starken Gefühle, die Sie erleben, wenn Sie allein sind, wichtig und absolut wesentlich für Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden sind. Aber Sie teilen diese Gefühle nicht mit anderen Menschen, weshalb Ihnen die entscheidende und unleugbar physische Zutat der Resonanz fehlt. Physische Präsenz ist ein Schlüssel zur Liebe und zur Positivitätsresonanz.
Das Problem besteht nur allzu häufig darin, dass Sie sich einfach nicht die Zeit nehmen, die notwendig ist, um eine Verbundenheit zu anderen herzustellen. Im Gegenteil: Die heutige Gesellschaft mit ihrer schnelllebigen Technologie und der ungeheuren Arbeitsbelastung veranlasst Sie, in einem Rhythmus durch Ihren Tag zu hetzen, der im genauen Gegensatz zur Verbundenheit steht. Sie stehen unter dem Druck, jeden Tag mehr leisten zu müssen, Sie machen mehrere Dinge gleichzeitig, nur, um sich über Wasser zu halten. Ständig planen Sie im Geiste schon den nächsten Schritt voraus. Was ist der nächste Punkt auf Ihrer endlosen To-do-Liste? Was brauchen Sie, und von wem können Sie es bekommen? Sie kommunizieren immer häufiger nur über E-Mails, SMS, Tweets und andere Medien, bei denen man nicht miteinander reden, geschweige denn sich treffen muss. Doch diese können Ihre körperliche Sehnsucht nach Verbundenheit nicht stillen. Liebe erfordert die physische und emotionale Präsenz. Und sie erfordert, dass Sie einen Schritt langsamer gehen.
Mein zweiter Sohn war ein so guter Schläfer, dass mein Mann oder ich ihn wach in sein Bettchen legen konnten und er zufrieden von selbst einschlief. Unser erster Sohn war vollkommen anders. Er musste in unseren Armen liegen, um einzuschlummern. Außerdem benötigte er eine bestimmte Bewegung, die wir aber nicht im Schaukelstuhl simulieren konnten; wir mussten mit ihm umherwandern. Während seines ganzen ersten Lebensjahres gingen mein Mann und ich langsam in dem winzigen Kinderzimmer auf und ab, hielten ihn in den Armen, oft eine halbe Stunde oder länger. Wir lernten, ihn erst in sein Bettchen zu legen, wenn er tief schlief. Alles andere führte nur zu einer weiteren langen Wanderschaft.
Als frischgebackene Eltern hatten wir so viel zu erledigen, ganz zu schweigen von unserem Schlafmangel, dass mein Mann und ich das Zeitloch dieses Einschlafrituals zu fürchten begannen. Wir sehnten uns danach, aus dem dunklen Kinderzimmer flüchten zu können, damit wir die Geschirr- und Wäscheberge abarbeiten, noch ein paar dienstliche E-Mails schreiben oder auf unserem Bett zusammenbrechen konnten. Dann bemerkte mein Mann eine radikale Wende, durch die alles anders wurde. Er dachte nicht länger darüber nach, wo er überall sein, was er alles erledigen könnte, sondern ließ sich ganz und gar auf das Erlebnis ein, Vater zu sein. Er stimmte sich auf den Herzschlag und den Atem unseres Sohnes ein. Er genoss seine Wärme, das Gewicht in seinen Armen und den süßen Duft seiner Haut. Dadurch verwandelte er eine elterliche Pflicht in eine Folge liebevoller Augenblicke. Als mein Mann mir sein Geheimnis verriet, konnten wir beide das Einschlafritual nicht nur umso mehr genießen, sondern unser Sohn schlief auch viel schneller ein. Im Rückblick erkenne ich heute, dass wir vorher nur physisch bei unserem Sohn gewesen waren, wenn wir mit ihm durchs Kinderzimmer wanderten, aber emotional nicht präsent. Ich bezweifle nicht, dass Kinder Diskrepanzen zwischen dem Verhalten und dem inneren Erleben ihrer Eltern erkennen können. In unserem Fall hatte dieses Ungleichgewicht verhindert, dass die Freuden und Vorzüge generationsübergreifender Positivitätsresonanz überhaupt entstehen konnten.
Unsere Jungs sind nun neun und zwölf Jahre alt, und ihre Schlafensrituale haben sich entsprechend gewandelt. Doch der Alltag hält noch weitere Beispiele bereit, wie man die Sehnsucht nach Verbundenheit befriedigen kann – eigentlich. Wir leben etwa einen Kilometer von unserer Schule entfernt. Mein Mann und ich hätten unter der Woche also täglich die Gelegenheit, diesen kurzen Weg mit unseren Kindern gemeinsam zurückzulegen. Doch in der allmorgendlichen Eile und dem Bemühen, die Kinder rechtzeitig in die Schule zu bugsieren, ist es leicht, eine Entschuldigung zum Autofahren zu finden. Wir alle wissen, wie gut ein Fußmarsch tut. Er ist gut für unseren Körper, unser Gehirn und unsere Umgebung. Was jedoch häufig unerkannt bleibt, ist, wie gut ein Spaziergang für unsere Beziehungen ist. Man widmet einander Zeit, bewegt sich gemeinsam und ist einander physisch und auch emotional nahe – also der ideale Nährboden für wahre Verbundenheit. Natürlich können wir diese Gelegenheit trotzdem noch vermasseln, indem wir mental oder emotional woanders sind, indem wir uns beispielsweise durch Schlagzeilen, E-Mails und Tweets dazu verleiten lassen, unser Telefon den Kindern vorzuziehen. Die Liebe wächst am besten, wenn man sich auf den gegenwärtigen Augenblick und auf die Handlungsweisen und Reaktionen anderer einlässt. Bedauerlicherweise sind die meisten von uns eher auf Technologie, To-do-Listen und Massenmedien eingestimmt als auf die einzigartigen und wunderbaren Individuen des Alltags. Deshalb kommen sie zu kurz.
Die täglichen Nachrichten könnten uns das Gefühl vermitteln, dass Menschen heutzutage ängstlicher, aggressiver und gieriger denn je sind. Die gesamte Gesellschaft hat mehr Stress, ist übergewichtig und entwickelt Jahr für Jahr mehr chronische Erkrankungen.33 In den Vereinigten Staaten haben Kinder zum ersten Mal seit Jahrhunderten eine geringere Lebenserwartung als ihre Eltern.34 Ich frage mich, wie viele dieser Übel darauf zurückzuführen sind, dass unsere Gesellschaft kollektiv dazu neigt, zu verleugnen, wer wir sind und wie wir dorthin gelangt sind?
Wie alle anderen Lebewesen, so sind auch Sie eine Ansammlung von Zellen. Die Art und Weise, wie unsere Zellen sich bilden, wie sie funktionieren und wachsen, wie sie bis zum letzten Atemzug ständig von neuen Zellen ersetzt werden – das alles spiegelt das Wissen unserer Vorfahren wider, das tief in unserer DNA verankert ist.35 Sie selbst sind unbestreitbar ein einzigartiges und geniales Tier, aber dennoch ein Tier. Manchmal vergessen Sie diese grundlegende Wahrheit. Sie können sich in dieser dröhnenden und geschäftigen Welt so verlieren, dass Sie Ihre animalische Identität einfach übersehen. Sie vergessen, wie Sie – und jedes andere menschliche Tier – dorthin gelangt sind, in diese schmutzige, übervolle Welt, die wir von unseren Vorfahren geerbt haben und schließlich weiter vererben werden.
Unsere Körperzellen passen sich durch Veränderung ständig wieder aufs Neue unserer Umwelt an. Die Anpassung kann auf schnelle, aber auch auf langsame Weise erfolgen. Sie ist schnell, wenn Ihre Handlungsweise sich innerhalb des Bruchteils einer Sekunde an Ihre stets veränderlichen Lebensumstände anpasst – so meiden Sie beispielsweise Gefahren und nutzen Gelegenheiten. Wenn bestimmte Gefahren und Gelegenheiten häufiger auftauchen, beginnt Ihr Körper, Sie vorauszuahnen. Der Frühling beispielweise lädt dazu ein, barfuß zu laufen. Dann aber bilden sich Schwielen an Ihren Füßen, und Ihr Stoffwechsel arbeitet schneller, sodass Sie von der vermehrten körperlichen Aktivität schlanker werden. Anpassung geht andererseits richtig langsam vonstatten, denn das Wissen in Ihnen, das Sie schnell auf Gefahren, Gelegenheiten und allerlei physiologische Anpassungsmaßnahmen, die sich daraus ergeben, reagieren lässt, wurde Stück für Stück über Jahrtausende hinweg von dem scharfsichtigen Meißel der natürlichen Auslese à la Darwin geformt. Ihren animalischen Vorfahren rettete schnelles Handeln oftmals das Leben. So konnten sich Furcht, Wut, Abscheu und andere negative Emotionen über unzählige Generationen weiterentwickeln.
Doch Ihre animalischen Vorfahren entwickelten auch noch weitere Verhaltensweisen, um zukünftige Bedrohungen zu umschiffen und zu überleben. Sie mussten lange genug leben, um erfolgreich ihre Nachkommen aufzuziehen. Besonders wichtig waren ihnen – neben lebensrettenden und lebensspendenden Ressourcen, auf die sie immer wieder zurückgreifen konnten – die starken Bande, die sie mit anderen Menschen geschmiedet hatten, an die ihr genetisches Überleben gebunden war: ihre Partner, ihre Familie und ihre Verbündeten.36 Diesen Menschen konnten sie vertrauen, ihnen gegenüber konnten sie loyal sein. Sie waren diejenigen, zu denen sie sich auf unwiderstehliche Weise hingezogen fühlten. Ohne Bindungen dieser Art war ein früher Tod des Individuums vorprogrammiert, und es konnte sich nicht vermehren, sodass es keine Chance hatte, einer unserer Vorfahren zu werden. So entwickelten sich Liebe und andere positive Emotionen.
Persönliche Bindungen machten also den Unterschied zwischen Leben und Tod aus. Die Gelegenheit, Bande zu schmieden, ergab sich innerhalb sicherer Augenblicke der Verbundenheit. Und genau wie das Wandern die Bildung von Schwielen fördert und den Stoffwechsel in Gang bringt, so lösen die guten Gefühle, die auftreten, wenn man sich mit anderen verbindet, biochemische Veränderungen aus, die wiederum die Perspektive verändern, aus der wir andere Menschen wahrnehmen. Plötzlich wirken sie viel anziehender auf uns.37 Durch wiederholte Momente der Positivitätsresonanz schufen also auch unsere urzeitlichen Vorfahren mehr innige Verbindungen. Ihre DNA lebt in unseren Zellen weiter und ist die Basis für die Weisheit unseres Körpers. Die Liebe ist ein Produkt der menschlichen Evolution. Nach diesem sehr buchstäblichen Verständnis sind Sie für die Liebe wie geschaffen.
Das heißt, Sie müssen die Erkenntnisse über die Liebe nicht neu erlernen. Von Geburt an weiß Ihr Körper, wie er Liebe suchen kann, wie er sie fördert und sich durch sie gesund erhält. Ihre kurzen, doch wiederkehrenden Erlebnisse von Positivitätsresonanz mit anderen wuchsen zu einem Ganzen zusammen und bilden jetzt die Bande, die Sie bis zum heutigen Tag lebendig erhalten haben und Sie nun befähigen, diese Worte zu lesen.
Unser animalischer Ursprung gilt in unserer modernen Gesellschaft als verpönt. Wir distanzieren uns von den Rattenbabys, die spielerisch miteinander kämpfen und später dicht aneinandergeschmiegt in einem großen Haufen friedlich einschlafen, einer über dem anderen. Oder von den Zebras, die sich in den ruhigen Augenblicken der Sicherheit in der Savanne gegenseitig das Fell pflegen. Doch diese urtümlichen, animalischen Formen der Liebe, die sich in Berührung und gegenseitiger Fürsorge manifestieren, existieren auch in Ihnen selbst, in Ihren Zellen. Ihr Durst nach Positivitätsresonanz entsteht tief in Ihrem Inneren. Ganz sicher nimmt die Liebe einen viel höheren Stellenwert ein. Wer die einzigartigen menschlichen Varianten der Kommunikation beherrscht, kann seinen Geliebten oder seine Geliebte durch die gesprochenen Worte eines Gedichtes liebkosen oder ihn durch den Rhythmus von Liedern und Tanz zu inspirieren versuchen. Sie haben die gleichen Ressourcen, auf die Sie zurückgreifen können, wie eine junge Ratte oder ein Zebra. Ihr Bedürfnis nach Liebe ist ein und dasselbe. Mit diesem Wissen können Sie Streit, Gemeinheit, Gier und Furcht überwinden. Sie können lebensspendende Gelegenheiten zur Positivitätsresonanz entdecken und sich auf sie ausrichten. Je stärker Sie sich auf die Definition, die Ihr Körper von Liebe hat, einlassen, umso eher verstehen auch Ihre Zellen die Botschaft, wie wir in Kapitel 3 wissenschaftlich belegen werden. Sie schützen Sie vor Krankheit und ermöglichen Ihnen ein gesünderes und glücklicheres Leben.
Die Welt, mit der Sie es Tag für Tag zu tun haben, konfrontiert Sie mit einer wilden Mischung aus guten und schlechten Neuigkeiten. Ihr Körper ist von Natur aus dafür geschaffen, damit klarzukommen – sich gegen wahre Bedrohungen zu verteidigen und nährende Mikromomente der Liebe nicht nur zu entdecken, sondern sogar zu schaffen, und das nicht nur mit dem Partner und der Familie, sondern folglich auch mit Menschen außerhalb Ihres Familienkreises.
Mehr denn je ist das genetische Überleben der Menschheit von der Liebe abhängig und von den Banden, die Sie schmieden – oft mit vollkommenen Fremden.
Der Liebe haftet ein besonderer Glanz an, und das nicht nur, weil sie aus den Schößlingen anderer positiver Emotionen erwachsen kann, also aus Vergnügen, Heiterkeit oder Dankbarkeit, sondern auch, weil unter Ihren zahlreichen Verbündeten in der Liebe – angefangen von Ihrer Schwester über Ihren Partner oder Ihr Neugeborenes bis hin zu Ihrem Nachbarn – sogar jemand sein kann, den Sie noch nie zuvor gesehen haben. Selbst wenn Sie nicht die gleiche Sprache sprechen, haben Sie und der andere viel miteinander gemein. Wenn nicht gerade ein Hirnschaden oder eine Handvoll neurologischer Störungen vorliegt, ist Ihnen allen das gleiche nervöse und endokrine System zu eigen, das Positivitätsresonanz ermöglicht. Die Liebe ist also in sämtlichen menschlichen Beziehungen möglich.
Die Mikromomente der Liebe sind nahezu identisch, egal, ob sie sich zwischen Ihnen selbst und einem Fremden oder zwischen Ihnen und einem Seelenverwandten entwickeln, zwischen Ihnen und Ihrem Kind oder Ihnen und Ihrem lebenslangen besten Freund. Der eindeutigste Unterschied zwischen der Liebe, die Sie zu nahestehenden Menschen empfinden, und der Liebe zu jedem anderen, mit dem Sie sich verbunden fühlen, besteht einfach nur in der Häufigkeit. Mehr innige gemeinsame Augenblicke zu verbringen erhöht Ihre Chancen, in Mikromomenten der Positivitätsresonanz zu schwelgen. Diese Mikromomente verändern Sie. Sie schmieden neue Bündnisse mit Fremden, verwandeln Ihre Bekannten in Freunde und kultivieren größere Innigkeit bei Ihren wichtigsten Beziehungen. Jeder Mikromoment der Positivitätsresonanz verstrickt Sie ein wenig fester in das soziale Gewebe Ihrer Gemeinschaft, in Ihr Netzwerk aus Beziehungen und Ihrer Familie.
Die biologische Synchronie, die zwischen zwei miteinander verbundenen Gehirnen und Körpern entsteht, ist immer ähnlich, egal wer sich gerade gegenübersteht. Die Auslöser für Mikromomente der Liebe können bei vertrauten Personen aber vollkommen anders sein als bei Fremden. Das kennzeichnende Merkmal der Vertrautheit ist gegenseitige Empfänglichkeit, jenes beruhigende Gefühl, dass Sie und Ihr Gegenüber einander wirklich verstehen. Sie wissen, was im jeweils anderen vorgeht. Sie nutzen dieses privilegierte Wissen bedachtsam und zum gegenseitigen Wohl. Innige Vertrautheit ist jenes sichere und tröstliche Gefühl, das Sie bekommen, wenn Sie sich in dem Wissen sonnen können, dass diese andere Person Sie wirklich versteht und schätzt. Sie können sich in der Gegenwart dieses Menschen entspannen und müssen nicht mehr wachsam sein. Ihr gegenseitiges Vertrauen – das vielleicht durch Ihre Verpflichtung, sich dem anderen gegenüber loyal zu verhalten, verstärkt wird – gestattet es Ihnen, offener miteinander umzugehen, als Sie oder der andere es bei anderen Menschen täten.
In einem sicheren Rahmen der Vertrautheit kann die Liebe in den unwahrscheinlichsten Augenblicken entstehen. Vor Jahren fuhren mein Mann und ich in unserer Stadt zu einem Tante-Emma-Laden, in dem ich erst ein- oder zweimal gewesen war. Wir kamen von hinten an den Laden heran. Ich dachte, ich könnte um das Geschäft herum zur Vorderseite fahren, und bog also nach links ab in das, was ich für die hintere Einfahrt des Parkplatzes hielt. Leider war es aber gar keine Einfahrt, sondern nur ein kurzer Kiesweg, der im Nirgendwo endete. Ich hielt an und starrte zum Laden hinüber. Ich bin sicher, dass ich nur wenige Sekunden regungslos dasaß, aber mein Mann fand es offenbar amüsant: »Na, festgefahren?«, neckte er mich, und ich musste selbst über meine Verblüffung lachen. Seitdem zieht Jeff mich regelmäßig mit diesem Satz auf, wenn ich mal wieder zu langsam auf etwas Unerwartetes reagiere, denn oft bin ich erst einmal wie gelähmt. Doch er betrachtet das nicht als Charakterfehler und übt auch keine Kritik, sondern er hat daraus einen Insiderwitz gemacht. Er ist eben Chemiker mit Leib und Seele und verwandelt ein Dilemma wie dieses in einen Mikromoment der Liebe. Liebe, die mich nicht nur schnell wieder zum Handeln bringt, sondern die auch das Band festigt, das uns verbindet.
Dieses eigentlich banale kleine Beispiel deutet auf etwas hin, das nur innige Beziehungen uns bieten können: einen gemeinsamen Erfahrungsschatz. Anfang des Jahres teilte ich mir spät abends nach einer Konferenz ein Taxi mit einer früheren Kommilitonin, die ich hier nach fast zehn Jahren zum ersten Mal wiedergetroffen hatte. Obwohl wir uns so lange aus den Augen verloren hatten, dauerte es nur wenige Minuten, bis wir auf dem Rücksitz dieses Taxis lauthals über die alten Zeiten, über alte, alberne Sprüche und Eskapaden lachten. Wir fühlten uns zurückversetzt in die Achtzigerjahre und erinnerten uns daran, wie viel Spaß wir miteinander gehabt hatten. Beim Abschied nahmen wir uns fest vor, uns in Zukunft wieder häufiger zu sehen.
Unsere engen Beziehungen bieten uns gemeinsame Erfahrungen, Sicherheit, Vertrauen und Offenheit. Das bildet die Basis, auf der wir unsere Verbundenheit zu den Betreffenden noch weiter vertiefen können. Je vertrauensvoller und offener Sie mit einem anderen Menschen umgehen – je vertrauensvoller und offener dieser Mensch zu Ihnen ist –, umso mehr Verbindungspunkte finden Sie, über die Sie lachen können oder die Sie faszinieren, heiter stimmen oder erfreuen können.
Mikromomente der Liebe in Ihren innigsten Beziehungen sind also von tiefem gegenseitigen Verständnis und Fürsorge geprägt. Haben unter diesen Umständen Neugeborene überhaupt die nötigen Mittel, um Liebe wirklich zu erfassen? Die (meisten) Eltern lieben ihre Babys. Aber können letztere diese Liebe auch erwidern? Wie können Neugeborene, deren Fähigkeiten ja nun einmal begrenzt sind, sich in selbstloser Weise auf andere konzentrieren?
Nun: Sie müssen sich gar nicht konzentrieren. Wenn die vorgeburtlichen Umstände stimmen, dürsten Neugeborene geradezu nach Verbundenheit zu liebevollen Erwachsenen, sind vertrauensvoll und offen.38 In ihrer Nähe suchen sie den Augenkontakt, den Körperkontakt und synchronisieren im Rahmen ihrer Möglichkeiten sogar ihre Bewegungen mit ihrem Gegenüber. Als Vollblut-Empirikerin überprüfte ich diese Behauptung innerhalb der ersten Minuten nach der Geburt meines Sohnes. Ich hielt ihn dicht bei mir, unsere Haut berührte sich, und wir sahen einander nur an. Dann streckte ich ihm die Zunge raus. Es dauerte nur den Bruchteil einer Sekunde, bis er mich spiegelte und mir ebenfalls die Zunge entgegenstreckte. Ich wiederholte mein Experiment etwa drei Jahre später, als mein zweiter Sohn zur Welt kam, und erhielt das gleiche Resultat, eine alberne Mutter-Sohn-Synchronie, die beide Male von meinem Mann auf Video verewigt wurde.
Viele Mikromomente der Positivitätsresonanz lassen zwischen Kind und Bezugsperson ein liebevolles Band entstehen. Die Entwicklungspsychologie hat gezeigt, dass der aufmerksame Tanz zwischen Kind und Bezugsperson für die normale menschliche Entwicklung absolut unabdingbar ist. Wie wir im dritten Kapitel sehen werden, geht die Synchronisation beider Beteiligten viel tiefer: Nicht nur das offensichtliche Verhalten, auch die Biologie wird einander angeglichen.39 Babys tun das und wir auch. Wir alle können von Natur aus nur durch die Liebe gedeihen. Deshalb ist Positivitätsresonanz ein entscheidender Baustein unseres Lebens.
Das macht das Schicksal von Babys, die – aus welchen Gründen auch immer – keine Positivitätsresonanz erleben, umso herzzerreißender. Traurigerweise bekommen nicht alle Kinder die liebende Fürsorge, die sie brauchen. Bei manchen werden die physischen Bedürfnisse – nach Heim, Nahrung, Kleidung und so weiter – zwar erfüllt, aber sie haben nur wenig Erfahrung darin, positive Emotionen mit anderen zu teilen. Die Forschung konnte nachweisen, dass die Abwesenheit der Liebe fast alle Aspekte der kindlichen Entwicklung beeinträchtigen kann – ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten ebenso wie ihre ihre Gesundheit. Besonders deutlich zeigt dies die krasse und durchgängige Deprivation rumänischer Waisen, die in den Neunzigerjahren untersucht wurde. Selbst bei Kindern, die von liebevollen Familien adoptiert und aufgezogen wurden, konnten Entwicklungsverzögerungen nachgewiesen werden, die jahrzehntelang bestehen bleiben.40 Noch häufiger und schmerzhafter ist jedoch die unbeabsichtigte emotionale Vernachlässigung, die in normalen, sogar wohlhabenden Familien stattfindet.
Eine große, leider nicht behandelte Quelle solcher Vernachlässigung hat ihren Ursprung in Depressionen, die etwa zehn bis zwölf Prozent der Mütter im Kindbett befällt.41 Doch natürlich haben Depressionen auch dann verheerende Auswirkungen, wenn Väter oder andere Bezugspersonen des Kindes daran erkranken. Depressionen werden im Allgemeinen als Störung des positiven emotionalen Systems betrachtet.42 Sie ersticken die Funken der Positivität und der Positivitätsresonanz wie eine schwere, nasse Decke, die über ein schwaches Lagerfeuer geworfen wird. Die emotionale Erlebnisbandbreite der Menschen wird flacher. Kennen Sie das Gefühl, wenn Ihnen vor dem Röntgen eine Bleischürze übergestreift wird? Stellen Sie sich einfach vor, all Ihre Kleider bestünden aus diesem verbleiten Material. Wie schwerfällig würden Sie sich vorkommen? Würde Ihnen nicht jede Bewegung schwerfallen? So geht es einem depressiven Menschen. Er will sich nur noch in seinem Bett zusammenrollen. Schlaf ist vielleicht die einzige Erleichterung, die es gibt. Und jetzt stellen Sie sich vor, Sie sollen sich in einem solchen Zustand um ein Neugeborenes kümmern. Sicher, Sie würden vielleicht gerade noch die Energie aufbringen, ihm die Windeln zu wechseln und es zu füttern. Aber eines kann eine depressive Person nachgewiesenermaßen nicht: Sie kann sich nicht mit dem Kind synchronisieren. Die Depression verlangsamt Ihre Körperbewegungen und Ihr Sprachvermögen. Das Kind in Ihrer Obhut erlebt dadurch eine geringere Verhaltenskontingenz zwischen Ihnen beiden. Außerdem sind Ihre Verhaltensweisen dadurch weniger voraussagbar.43 Wenn Ihre Verhaltensweisen sich synchronisieren, dann höchstwahrscheinlich nicht mit positivem Hintergrund, sondern mit negativem – sei es in Form von Wut oder Gleichgültigkeit.44 Depressionen behindern also nicht nur Ihre Fähigkeit, Ihre eigenen positiven Emotionen zu erleben und zum Ausdruck zu bringen, sondern auch Ihre Fähigkeit, mit dem präverbalen Wesen in Ihrer Obhut eine Verbindung aufzubauen. Wenn diese beiden Eckpfeiler von Positivität und Verbundenheit fehlen, kann keine Positivitätsresonanz – die Sie beide so sehr brauchen – zwischen Ihnen entstehen.
Die Schäden, die dem Kind in dieser Entwicklungsphase dadurch zugefügt werden, wurden von Entwicklungspsychologen genaustens erforscht und festgehalten. Die Liste beinhaltet dauerhafte Defizite, die in der Adoleszenz und später große Schwierigkeiten zur Folge haben können, zum einen im Hinblick auf seine Nutzung von Symbolen und anderen frühen Formen kognitiven Denkens, die für eine erfolgreiche schulische Laufbahn vonnöten sind, und zum zweiten im Hinblick auf seine Fähigkeit, die Perspektive anderer Menschen einzunehmen und sich in sie hineinzuversetzen45 – Fähigkeiten also, die notwendig sind, um soziale Beziehungen zu knüpfen, die es stützen.46 Im Allgemeinen bereitet die emotionale Synchronie zwischen Kind und Betreuungsperson den Weg für die kindliche Entwicklung und Selbstregulierung, wodurch Kinder lernen, ihre Emotionen, ihre Aufmerksamkeit und ihr Verhalten zu kontrollieren und zu kanalisieren – Fähigkeiten, die für alle Lebensbereiche unabdingbar sind.
Die Bandbreite lebenslanger Vorteile, die liebevoll aufgezogene Kinder aus den immer wiederkehrenden Mikromomenten der Positivitätsresonanz ziehen, welche sie mit ihren fürsorglichen Betreuern teilen, zeigt, wie wertvoll diese flüchtigen und subtilen Augenblicke sind. Ein tiefes oder komplexes Verständnis des anderen ist für das Gefühl der Liebe nicht unbedingt notwendig. Jeder Augenblick der Positivitätsresonanz, der durch Geist und Körper Ihrer selbst oder Ihres Gegenübers schwingt, kann gesundheits- und lebensspendend sein, egal, ob Sie eine gemeinsame Geschichte haben. Studien über erfolgreiche Ehen bekräftigen dies ebenfalls. Paare, die sich regelmäßig Zeit nehmen, neue und aufregende Dinge zusammen zu tun – wie Wandern, Skifahren, Tanzen, gemeinsame Konzert- oder Theaterbesuche –, führen eine bessere Ehe.47 Diese Aktivitäten liefern einen beständigen Strom gemeinsamer Mikromomente der Positivitätsresonanz. Vertrautheit und eine gemeinsame Geschichte verhindern, dass man sich aus der Beziehung entfernt.
Liebe ist nicht das, was Sie bisher angenommen haben. Und auch nicht das, was ich angenommen habe. Liebe entsteht, sobald zwei oder mehr Menschen durch ein gemeinsames positives Gefühl eine Verbundenheit zueinander herstellen. Was bedeutet es also, wenn ich sage, dass ich meinen Mann Jeff liebe? Früher, also vor mehr als 18 Jahren, bedeutete es, dass ich mich in ihn verliebt hatte. So sehr, dass ich meine eher skeptische Einstellung zur Ehe revidierte und beschloss, mich darauf einzulassen. Liebe war für mich seither die beständige, stabile Kraft, die meine Beziehung zu Jeff definierte. Natürlich existiert diese dauerhafte Kraft immer noch zwischen uns. Doch da ich meine Ansichten über die Liebe revidiert habe, betrachte ich diese dauerhafte Kraft nicht als Liebe per se, sondern als das Band, das wir beide miteinander teilen, und die Verpflichtungen, die wir beide miteinander eingegangen sind: Wir stehen einander loyal gegenüber und vertrauen einander bis in alle Ewigkeit.
Dieses Band und diese Verpflichtungen schmieden ein tiefes und dauerhaftes Gefühl der Sicherheit in unserer Beziehung, eine Sicherheit, die den Boden für häufig gelebte Augenblicke der Liebe bereitet. Ich weiß jetzt, dass Liebe aus der Perspektive unserer Körper betrachtet Positivitätsresonanz ist – nährstoffreiche Schübe, die sich ansammeln, um Jeff, mich und das Band, das uns verbindet, zu stärken. Positivitätsresonanz rüttelt uns wach, nimmt uns unsere Selbstgefälligkeit, die die Liebe als selbstverständlich betrachtet, als bloßes Attribut unserer Beziehung. Diese neue Betrachtungsweise sagt uns mit einiger Dringlichkeit, dass Liebe etwas ist, das wir jeden Morgen neu kultivieren müssen, jeden Nachmittag und jeden Abend. Die Liebe als Positivitätsresonanz zu betrachten motiviert uns, den anderen häufiger zu umarmen oder ihm am Frühstückstisch von einer tollen oder dummen Idee zu erzählen. Durch derlei Kleinigkeiten säen wir erneute Liebessamen, die unseren Körpern, unserem Wohlbefinden und unserer Ehe dabei helfen, stärker zu werden.
Und hier ist etwas, das wir nur schwer zugeben können. Wenn ich die Perspektive meines Körpers auf die Liebe ernst nehme, so bedeutet das, dass ich in diesem Augenblick – in diesem Moment, da ich diesen Satz niederschreibe – meinen Mann nicht liebe. Unsere Positivitätsresonanz dauert nur so lange an, wie wir beide miteinander zu tun haben. Bande überdauern. Liebe nicht. Das Gleiche gilt für Sie und Ihre Angehörigen. Wenn Sie bei der Lektüre dieser Worte nicht gerade mit jemandem zusammen kuscheln und dem Betreffenden laut vorlesen, lieben Sie den Betreffenden nicht – zumindest nicht auf körperlicher Ebene. Natürlich finden Sie viele Menschen sympathisch und haben auch Bande mit einigen geschmiedet. Und vielleicht überkommen Sie ja auch gerade starke Gefühle der Positivität, die den Weg für später bereiten, für Liebe, die wir auch körperlich spüren. Aber im Augenblick – jetzt, da Sie diesen Satz lesen – ist Ihr Körper lieblos.
Außerdem gehorcht die Liebe, wie Sie bereits feststellen durften, bestimmten Bedingungen. Wenn Sie sich nicht sicher fühlen oder nicht die Zeit oder die Muße finden, wirklich eine Verbindung zu anderen herzustellen, dann wird der wunderbare Pas de Deux der Positivitätsresonanz nie beginnen. Abseits dieser Hemmnisse hindert Sie aber noch etwas viel Heimtückischeres an der Liebe. Es ist Ihre eigene Reaktion auf das Wort selbst. Obwohl Sie das Konzept der Positivitätsresonanz vielleicht faszinierend finden, zögern Sie vielleicht, es als Liebe zu bezeichnen, wenn Sie darauf stoßen. Sie reservieren die Liebe, dieses machtvolle Wort, lieber für exklusive Beziehungen – um Ihre Beziehung zu Ihrem Partner, Ihrer Mutter oder Ihren Kindern zu beschreiben – oder bestenfalls für die Mikromomente der Positivitätsresonanz, die Sie im Rahmen dieser exklusiven Beziehungen erleben. Vielleicht konnten Sie sich für einige Beschreibungen von Liebe hier nicht so recht erwärmen. Muss ich diesen Augenblick positiver Verbundenheit, den ich gerade mit meinem Kollegen erlebt habe, tatsächlich Liebe nennen? War das Liebe, als ich einen vollkommenen Fremden angelächelt habe und er es erwiderte? Sie fühlen sich unbehaglich dabei, das Wort Liebe für diese Art von Verbindung zu nutzen. Sie bevorzugen eine Formulierung wie »Wir haben uns gut verstanden« oder »Wir fühlten uns wohl miteinander«. Welchen Sinn hat es, derlei alltägliche Vorkommnisse als Liebe zu bezeichnen?
Meiner Meinung nach ist diese Art des Sprachgebrauchs in der Tat sinnvoll. Das wissenschaftliche Verständnis von Liebe und ihren Vorzügen bietet Ihnen eine völlig neue Sichtweise auf die Welt und Ihre Aussichten in Bezug auf Gesundheit, Glück und spirituelle Weisheit. Durch diese neue Brille sehen Sie plötzlich Dinge, für die Sie zuvor buchstäblich blind waren. Normale, alltägliche Gespräche mit Kollegen und Fremden leuchten förmlich auf und bieten Ihnen Gelegenheiten – lebensspendende Gelegenheiten, um Verbundenheit, Wachstum und Gesundheit zu schaffen, und zwar nicht nur für sich selbst, sondern auch für Ihr Gegenüber. Auch erkennen Sie nun zum ersten Mal, wie diese Mikromomente der Liebe sich auf Ihr gesamtes soziales Netzwerk ausbreiten. Sie helfen jedem Einzelnen, der seine Positivitätsresonanz erlebt, zu wachsen und seinerseits das Leben unzähliger anderer Menschen zu berühren und zu bereichern. Diese neue Lektion verändert sogar die Art und Weise, wie Sie innige Beziehungen mit Familie und Freunden erleben. Sie erkennen nun, wie viele Gelegenheiten Sie verpasst haben, um die wahre Liebe der Positivitätsresonanz zu empfinden. Sie wissen nun, dass Sie eine intensivere und bessere Verbindung zu den Menschen herstellen können, die Ihnen am Herzen liegen. Besonders wichtig ist es, Liebe nicht mit langjährigen Beziehungen gleichzusetzen, zumal Menschen heutzutage häufig räumlich mobil sein müssen, sodass Familie und Freunde in weite Ferne rücken können. Sich in kleinere Augenblicke und in mehr Menschen zu verlieben gibt den Einsamen und Verlassenen unter uns neue Hoffnung. Unser Konzept von Liebe braucht also tatsächlich ein Update, wie Sie hoffentlich erkannt haben.
Meine Sorge gilt aber keineswegs einem oberflächlichen Widerstand gegen das Wort Liebe. Die Terminologie ist nicht entscheidend. Entscheidend ist hingegen, dass Sie Positivitätsresonanz und die unzähligen Gelegenheiten, zu denen Sie sie nutzen können, erkennen und immer häufiger suchen. Deshalb empfehle ich Ihnen das nächste Kapitel – zur Biologie der Liebe –, damit Sie erkennen, was Ihr Körper braucht, wonach er sich sehnt und dass er nur auf der Basis dieser lebensspendenden Form der Verbundenheit gedeihen kann.