KAPITEL 9
Liebevolles Schlusswort

Ich wusste erst, wie man betet, als ich gelernt hatte, zu lieben.218

Henry Ward Beecher

Ich habe einige Monate damit verbracht, Material für dieses Buch zusammenzutragen und Argumente dafür zu sammeln, warum es sich absolut lohnt, ein neues Verständnis von Liebe zu entwickeln. Im Laufe meiner Recherchen bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass wir erst am Anfang eines langen Forschungsprozesses stehen. Obwohl die neuesten Erkenntnisse über die Auswirkungen der Liebe auf Körper, Gehirn, Verhalten und Zukunftsaussichten Bände von Forschungsliteratur füllen und uns alle zum Staunen bringen, macht es geradezu demütig, wenn man erkennt, wie wenig man tatsächlich über die Liebe und ihre Effekte weiß. Es gibt noch viel zu entdecken! Und immer wieder werden Sie und ich unsere Auffassung von der Liebe aktualisieren und anpassen müssen. Welche Einstellung Sie zur Liebe bislang auch gehabt haben mögen, ich hoffe, dass ich Sie neugierig gemacht habe und dass Sie Liebe nun so sehen, wie Ihr Körper sie erlebt: als Positivitätsresonanz, die zwischen Ihnen und buchstäblich jedem anderem hin und her schwingen kann. Bevor diese Schwingungen nachlassen, rufen sie biochemische Kaskaden hervor, durch die Sie sich selbst neu erschaffen, sowohl körperlich als auch geistig.

Außerdem sollten Sie auf jeden Fall darüber nachdenken, ob Sie unabsichtlich Ihre eigenen Liebeserfahrungen behindern, indem Sie kulturellen Normen blind folgen. Dadurch verhindern Sie womöglich, dass Sie Ihr volles Potenzial zu Gesundheit und Glück voll ausschöpfen und einen wertvollen Beitrag zum Leben Ihrer Mitmenschen leisten. Ich wollte Ihnen in diesem Buch nicht nur die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse über die Liebe vorstellen, sondern Sie auch von diesen Beschränkungen befreien. Wer seine Vorstellung von der Liebe erneuern will, kann dies nur durch Selbstreflexion und Veränderung schaffen.

Vor vielen Jahren nahm ich an einem Schweige-Meditationsseminar teil, das vom Mind and Life Institute gesponsert und in dem Meditationszentrum abgehalten wurde, das meine Freundin und Kollegin Sharon Salzberg gegründet hatte. Dort erzählte einer unserer Lehrer uns eine Anekdote: »Nachdem er erfahren hatte, dass sein Gegenüber sich neuerdings wieder mit Meditation befasste, witzelte der Beobachter: ›Üben, üben, üben! Ihr tut nichts als üben! Wofür übt ihr denn – wann ist denn endlich die Aufführung?‹« Ein leises Kichern ging durch die Reihen der Zuhörer im Meditationssaal. Da kam unser Lehrer zur Pointe: »Es gibt tatsächlich eine Aufführung«, sagte er. »Sie trägt den Titel ›Ihr Alltag‹.«

Ob Sie sich nun entschließen, Ihren Fokus durch formale Meditationsübungen oder mit den informellen Übungen für Mikromomente zu erweitern, ist unerheblich. Was zählt, ist die Regelmäßigkeit. Ich garantiere Ihnen, dass es keine großen Veränderungen bewirken wird, ein- oder zweimal vor sich hin zu meditieren. Sie wissen selbst, dass eine einzige energische Sportstunde oder ein kleines Brokkoliröschen im Monat Ihre Gesundheit ebenfalls nicht nennenswert verbessern können. Bei der physischen, emotionalen und spirituellen Vitalität ist es nicht anders. Finden Sie Aktivitäten, die Sie im Innersten ansprechen und Ihnen ein so gutes Gefühl – Mikrodosen der Positivität – geben, dass Sie den Wunsch verspüren, diese Übungen so oft wie möglich zu wiederholen. Jede Übung nämlich trägt dazu bei, dass Sie neue und lebenserweiternde Gewohnheiten entwickeln; Gewohnheiten, mit deren Hilfe Sie sich nach und nach selbst neu erschaffen, die Ihren Tagesablauf revolutionieren und Ihr ganzes Leben umkrempeln.

Ein Gefühl wird geboren?

Während ich an diesem Buch arbeitete, erschütterte eine Art wissenschaftliches Erdbeben die Grundfesten der Wissenschaft der Emotionen. Die diesen bahnbrechenden Erkenntnissen zugrundeliegende Frage ist jahrhundertealt, doch meine Kollegin, die Emotionswissenschaftlerin Lisa Feldman Barrett, stellte sie auf sehr überzeugende Weise neu dar.

Was ist eine Emotion?

Barrett und ihre Mitarbeiter (zu denen auch eine meiner neuesten Kolleginnen aus Carolina, Kristen Lindquist, gehörte) fragten einfach nur: »Was ist eine Emotion?«219 William James selbst widmete der Frage schon im Jahre 1884 beträchtliche Aufmerksamkeit.220

Die heutzutage typische wissenschaftliche Antwort auf diese Frage beschreibt einen momentanen emotionalen Zustand – wie Wut, Furcht oder Freude – als organisierten Satz von Reaktionen auf neue Umstände – wie eine Beleidigung, eine offensichtliche Gefahr oder plötzliches Glück. Diese koordinierten Reaktionen zeigen sich als eigenständige und klar identifizierbare Veränderungen in unserer Mimik und kardiovaskulären Aktivität, in unserem subjektiven Erleben, unseren Handlungsimpulsen und so weiter. All das wird wahrscheinlich durch eigenständige und klar identifizierbare Veränderungen in unserem Gehirn verursacht. Man mutmaßt sogar, dass die einzigartigen Zustände von Wut, Furcht oder Freude durch den grundlegenden Aufbau unseres Körpers und unseres Gehirns, der durch die natürliche Selektion im Sinne Darwins über Jahrtausende hinweg geformt wurde, vorgegeben sind.

Barretts Antwort auf die Frage »Was ist eine Emotion?« ist durchaus kompatibel mit der Annahme, dass wir unsere grundlegende emotionale Architektur von unseren Vorfahren geerbt haben. Sie sagt allerdings, dass unsere Erfahrungen von Wut, Angst und Freude nicht biologisch vorbestimmt sind und unveränderlich von bestimmten Schaltkreisen im Gehirn vorgegeben werden. Ihre Auffassung von Emotionen ist wesentlich flexibler. Im Gegensatz zu traditionelleren wissenschaftlichen Ansätzen geht Barrett davon aus, dass unser Gehirn lediglich mit der Fähigkeit ausgestattet ist, das abzubilden, was sie den Kernaffekt nennt: formlose Freude oder Unbehagen auf rein körperlicher Ebene, gepaart mit einem gewissen Maß an Erregung. Die spezifische Erfahrung von Wut, Angst oder Freude entsteht ihr zufolge aber erst dadurch, dass wir diese körperlichen Empfindungen des Behagens oder Unbehagens mit unserem konzeptionellen Verständnis von dem, was uns in diesem Augenblick zustößt, verweben. Mit anderen Worten: Hochrangige mentale Prozesse – wie Erinnern, Lernen, Wissen und Sprache – sind die grundlegenden »Bestandteile des Geistes«, die in Kombination mit dem Kernaffekt die verschiedenen Rezepturen für Gefühlszustände wie Wut, Furcht oder Freude bilden. Dieser konstruktionistische Ansatz, den Barrett und ihre Kollegen damit verfolgen, geht eindeutig auf frühere Wissenschaftler zurück. Trotzdem sind sie die ersten, die diese Auffassung durch moderne, neurowissenschaftliche Beweise stützen können.

Sie haben sich bereits verändert

Was bedeutet das im Hinblick auf die Liebe? Was bedeutet es für Sie? Viel. Seit Jahrtausenden wurden unsere Vorfahren von ausgesprochen guten Gefühlen angetrieben, wenn sie mit anderen interagierten oder in Verbindung standen. In solchen Momenten hatten sie das Gefühl, Teil eines größeren Ganzen zu sein. Sie hatten mehr Energie, fühlten sich wacher und lebendiger als in alltäglicheren Momenten. Unsere Vorfahren fügten die Gemeinsamkeiten aus den vielen unterschiedlichen Situationen zusammen, die derlei wirkmächtige und energiespendende gute Gefühle auslösten, und fanden dafür Worte, Rituale und sogar ganze Religionen, die dazu geschaffen waren, jene heiß ersehnten Gefühle in ihnen selbst und in anderen darzustellen und zu kultivieren.

Worte und Rituale zu haben, die positive Emotionen beschreiben und sogar auslösen, macht einen großen Unterschied. Forschungsergebnisse von Barrett und anderen Wissenschaftlern – zu denen auch ich gehöre – zeigen,221 dass sogar ganz spezielle Körpererfahrungen von den Etiketten und Vorstellungen abhängen, die ein Mensch von Emotionen hat. Ein gutes Beispiel sind die von Barretts Arbeit inspirierten Tests, die Lindsay Kennedy und Bethany Kok in meinem PEP-Labor durchführten. Sie gingen der Frage nach, ob die körperlichen Auswirkungen von Zorn davon abhängen, ob die betroffene Person Wut für eine Emotion hält – wie das normalerweise der Fall ist – oder ob der Betreffende Zorn eher für eine »instinktive Reaktion auf ein Ungleichgewicht von Ressourcen« hält. Die Grundeinstellung prägt in der Tat die körperliche Reaktion. Diejenigen, die Zorn für eine Emotion hielten, wiesen eine typische Steigerung der Herzfrequenz und des Blutdrucks auf, wohingegen diejenigen, die die Vorstellung von Zorn als Emotion überwunden hatten, eine erheblich gedämpftere kardiovaskuläre Reaktion zeigten.222

Das bedeutet, dass schon die bloße Lektüre dieses Buches Ihrem Repertoire zwischenmenschlicher Erfahrungen wahrscheinlich eine neue und wirkmächtige Emotion hinzugefügt hat. Wie Sie über die Liebe denken, wird mutmaßlich Ihr körperliches Erleben neu gestalten. Eine allgemeine Umfrage, die am Valentinstag 2012 veröffentlicht wurde, ergab, dass die meisten verheirateten Menschen oder solche, die in eheähnlichen Gemeinschaften leben, ihre bessere Hälfte als wichtigste Quelle des Glücks betrachten.223 Desgleichen geben fast die Hälfte aller Singles an, dass sie sich danach sehnen, ihr eigenes Glück zu finden, indem sie ihren eigenen, ganz besonderen, geliebten Menschen finden. Die Zahlen variieren natürlich von einer Kultur zu anderen, sind aber meiner Auffassung nach für einen weltweiten Fantasiekollaps symptomatisch.

Wer die Liebe lediglich unter romantischen Aspekten definiert und sie als Verpflichtung einer bestimmten Person gegenüber betrachtet – was anscheinend die meisten Menschen auf diesem Planeten tun –, beschränkt die großartige Chance, Gesundheit und das Glück aus den Mikromomenten der Positivitätsresonanz zu ziehen. Dadurch verwandeln sich Überzeugungen, was Liebe tatsächlich ist, in sich selbst erfüllende Prophezeiungen. Wenn Sie beispielsweise glauben, dass Liebe auch zwischen Ihnen und dem vollkommen Fremden, mit dem Sie am Flughafen nur wenige Minuten Kontakt haben, erblühen kann, dann kann sie das tatsächlich. Wenn Sie im Gegensatz dazu aber der Meinung sind, dass Liebe nur zwischen Ihnen und einem ganz besonderen, vorbestimmten Menschen entstehen kann, beschränken Sie die Aussichten für sich und Ihr freundliches Gegenüber am Flughafen ganz beträchtlich. Stellen Sie sich die althergebrachte Ansicht von Liebe vor wie eine dicke Zementschicht, die man über einem Garten ausgebreitet hat, in dessen Erde lauter Blumenzwiebeln ruhen. Obwohl es vielleicht eine einzelne Blume schaffen kann, sich durch einen Spalt im Zement zu zwängen und trotzdem zu erblühen, stehen die Chancen für die Blumen im Allgemeinen doch sehr schlecht. Wenn Sie aber Ihr Verständnis von Liebe erneuern und ihre volle Bandbreite erkennen, brechen Sie diesen Zement auf und entfernen die Schicht, sodass ein bunter Blumenteppich entstehen kann.

Positivitätsresonanz existiert, ob Sie nun eine neue Sichtweise der Liebe annehmen oder nicht. Sie ist und bleibt jene alte lebensspendende, die Seele erweiternde Kraft, nach der Ihr Körper so dringend verlangt. Der Unterschied, den Sie durch Ihre neue Sicht erwirken, besteht darin, dass Sie nun wach für die unzähligen Möglichkeiten sind, mit denen Sie diese Sehnsucht stillen können. Öffnen Sie sich diesem neuen Verständnis des Potenzials, das Ihrem Herzen innewohnt, und eine neue, lebensverändernde Emotion wird in Ihrem Inneren geboren.

Genexpression – Marke Eigenbau?

Mein Team und ich gewannen noch weitere neue Erkenntnisse, während ich an diesem Buch arbeitete. Wir entdeckten, wie das Erleben von Liebe durch die Genexpression in unseren Zellen entweder verstärkt oder gedämpft wird. Wie in Kapitel 3 ausgeführt, hatten wir bereits entdeckt, dass Personen mit einem höheren Vagotonus einen unmittelbareren positiven Energieschub aus den Meditationsbemühungen ziehen, die ich Ihnen im zweiten Teil dieses Buches vorgestellt habe. Noch beeindruckender aber ist die Tatsache, dass wir feststellten, dass die Praxis der Liebende-Güte-Meditation ebenfalls den Vagotonus steigert, sodass positive Gefühle und hoher Vagotonus sich mit der Zeit gegenseitig befruchten.

In einem unserer neuesten Versuche entnahmen wir den Probanden Blutproben, bevor sie mit ihren ersten Meditationsversuchen begannen. Eine der randomisierten Gruppen praktizierte die Liebende-Güte-Meditation, während die andere einen anderen Meditationsstil ausprobierte, dessen Ziel nicht darin lag, liebevolle Gefühle zu kultivieren.224 Vor und sofort nach der jeweilig praktizierten Meditationsübung baten wir sie, ihre positiven Gefühle zu bewerten. Wir verarbeiteten die Blutproben im Labor meiner Mitarbeiterin Karen Grewen in Carolina und transportierten sie später zu meinem Kollegen Steve Cole, dem Direktor des UCLA’s Social Genomics Core Laboratory. Mithilfe komplizierter computertechnischer Verfahren analysierte Cole die RNA eines jeden Probanden, um festzustellen, ob eine unterschiedliche Genexpression Voraussagen im Hinblick darauf zuließ, ob Menschen besonders positiv auf die Liebende-Güte-Meditation reagierten.

Das Ergebnis war ein faszinierendes Muster aus Unterschieden. Es wäre zu früh, diesem Muster eine bestimmte Bedeutung zuzumessen, aber es geht einher mit der allgemeineren Hypothese, die mein Team überprüfte: Wir nehmen an, dass bestimmte Biomarker – wie der Kardio-/Vagotonus, Entzündungsneigung, Muster in der Genexpression und vielleicht sogar der Body-Mass-Index – die guten Gefühle, die durch die Kultivierung von Liebe entstehen, entweder verstärken oder dämpfen. Da die Liebe wiederum diese Biomarker verändert – eine Prognose, die wir im kommenden Jahr verifizieren wollen –, ist eine dynamische Aufwärtsspirale die Folge, in der Liebe und Gesundheit einander gegenseitig immer wieder neu erschaffen. Ihre Gesundheit liegt also in gewissem Maße – natürlich nicht komplett – in Ihren Händen. Indem Sie auf emotionalem Gebiet gesunde Verhaltensmuster praktizieren, können Sie für ein gesundes Muster in Ihrer Genexpression sorgen. Unzählige Male habe ich in diesem Buch darauf hingewiesen, dass Ihr Körper für die Positivitätsresonanz der Liebe geschaffen ist und heftig danach verlangt. Mein Team bemüht sich derzeit um noch genauere Aussagen darüber, welches Ihrer Gene, die sich unterschiedlich in Ihren Körperzellen abbilden, am lautesten danach ruft.

Ihr inneres Navigationssystem

Können Sie sich auf das Verlangen Ihres Körpers einstellen und seine subtilen Rufe nach Liebe hören? Klingt kaum vorstellbar. Doch sich auf die Botschaften Ihrer Zellen einzustellen, ist vielleicht einfacher, als Sie denken. Von Natur aus sind Sie mit einem gut funktionierenden Gradmesser ausgestattet, ob Sie den Bedürfnissen Ihres Körpers gerecht werden oder nicht: Wenn Sie sich gut fühlen, gibt dieser Indikator grünes Licht.225 Hinzu kommt, dass die Biochemie Ihres Gehirns dafür sorgt, dass die Kontexte abgespeichert werden, in denen Ihre guten Gefühle entstehen, selbst wenn Sie angestrengt an etwas anderes denken. Gute Gefühle setzen nämlich eine Fülle neurochemischer Stoffe frei, durch die Sie das mögen, was sie auslöst.226 Es ist, als ob positive Gefühle ein lokales Feuerwerk in Gang setzten, das die Menschen und Objekte in seinem Radius mit andauerndem Glitzerstaub bedeckt. Ein neues Funkeln lenkt Ihren Blick auf sich und zieht Sie an. Derlei Impulse wirken sogar außerhalb Ihrer bewussten Wahrnehmung. Stellen Sie sich vor, dies sei Ihr angeborenes und automatisches von Positivität gespeistes Navigationssystem. Wenn Sie ihm folgen, werden Sie immer wieder von Umständen, die Sie am meisten beleben, angezogen werden: von jenen lebensspendenden Mikromomenten der Positivitätsresonanz.

Natürlich müssen Sie alle fünf Sinne beisammen haben, wenn Sie sich auf das Navigationssystem der Positivität einlassen. Ganz sicher stehen immer wieder irgendwelche Krämer am Straßenrand, die Sie in Versuchung führen wollen, Ihr Heil in kommerziellen Gütern und Dienstleistungen, legaler und illegaler Natur, zu finden. Der Kommerz ist häufig so raffiniert, dass die Werbemaßnahmen ebenfalls ein emotionales Feuerwerk entfachen, wodurch von Markentreue bis hin zur Sucht alles möglich ist. Durch bewusste Anstrengung können Sie dieser Impulse Herr werden. Wenn nicht, wären Sie nur eine unglückselige Ausgeburt vergangener Konditionierung. Doch hedonistischen Impulsen zu entsagen ist auch nicht immer nur klug. Zu erkennen, welche glücksuchenden Antriebsfaktoren tatsächlich gesund sind – wie zum Beispiel der jahrtausendealte Schrei nach Verbundenheit –, ist eine wesentliche Grundlage emotionaler Intelligenz. Vielleicht müssen Sie dafür lediglich einen Schritt vom Markt zurücktreten und dann auf die Ihrem Körper innewohnende Weisheit hören, die schon dafür sorgt, dass Sie sich auf bedeutsame Weise mit anderen verbinden.

Kleinkinder und Kinder folgen ganz selbstverständlich ihren unmittelbaren Positivitätsinstinkten. Doch sobald die Impulskontrolle – die Selbstregulation, mit der Emotionen, Handlungen und Impulse bewusst oder unbewusst gesteuert werden – einsetzt, gibt es keinerlei Garantie mehr, wann und ob ein Mensch sich auf seine positiven Gefühle einstellt und ihnen Priorität einräumt. Wir können noch nicht genau sagen, wann oder warum das stattfindet, aber vieles deutet darauf hin, dass Menschen erst in mittleren Jahren und danach wahre Weisheit im Hinblick auf die leisen Signale der Positivität erlangen.227 Diese Verzögerung spiegelt vielleicht wider, welche unterstützende Rolle die Familie und Erziehungsinstitutionen im Leben junger Menschen spielen. Viele Familien und Schulen bemühen sich darum, jungen Leuten Quellen der Positivitätsresonanz zugänglich zu machen. Eltern und Lehrer, Coaches und Hochschullehrer bieten ein Grundgerüst, positive zwischenmenschliche Beziehungen unter jungen Leuten zu ermöglichen. In Ihrer Jugend sorgten Ihre Eltern nicht nur für ein Dach über dem Kopf, regelmäßige Mahlzeiten und Kleidung, sondern sie förderten wahrscheinlich auch Gelegenheiten, bei denen Sie von Positivität geprägte Momente mit ihnen und anderen erleben konnten. Erst geschah das nur durch Kitzeln und Lächeln, später geschah es, indem sie für Spielkameraden sorgten und Familienrituale um Mahlzeiten, Schlafenszeiten, Wochenenden und Urlaube planten. Viele Schulen und Hochschulen bemühen sich mittlerweile, ebenfalls derlei strukturelle Unterstützung zu bieten. Durch Kennenlernrunden oder andere Aktivitäten, sowohl innerhalb als auch außerhalb des Unterrichts, durch sportliche und künstlerische Events schaffen pädagogische Institutionen ganze Netzwerke mit Ritualen, die Ihnen in der Jugend vielleicht zusätzliche äußere Unterstützung zur Förderung Ihrer Positivitätsresonanz boten.

Jeremy, dessen Geschichte ich in Kapitel 8 wiedergegeben habe, verglich diese strukturelle Unterstützung mit einem externen Navigationssystem. Er formulierte es folgendermaßen: »Dein Weg durch Schule und Hochschule ist einigermaßen festgelegt, doch dann wird das Navigationssystem abgeschaltet, und man muss sich selbst lotsen. Das ist dann beängstigend.« Wenn sie ins sogenannte richtige Leben entlassen werden, wo es kein Gerüst mehr gibt, das Verbundenheit fördert, fragen sich frischgebackene Schul- oder Hochschulabgänger häufig, warum ihr Leben nicht mehr so fröhlich ist, warum die Tage eher lebensfeindlich statt lebensspendend sind.

Sich an diese große Veränderung anzupassen, kann genauso schwierig sein wie zu lernen, für sich selbst zu kochen. Nachdem Sie viele Jahre daran gewöhnt waren, dass die Mahlzeiten von Ihren Eltern und später in der Mensa zubereitet wurden, müssen Sie nun lernen, sich selbst eine ausgewogene Mischung von Nährstoffen und Spurenelementen vorzusetzen. Die Wirkung einer unausgewogenen Ernährung zeigt sich oft monate- oder gar jahrelang nicht, aber Sie spüren sie trotzdem, zum Beispiel, weil sich Ihr Körpergewicht verändert oder Sie Gesundheitsprobleme haben. Stellen Sie sich Liebe als weiteren Mikronährstoff vor. Wie lange dauert es, bis Sie gelernt haben, die richtige Menge in Ihren täglichen Ernährungsplan zu integrieren? Es kann Jahre, sogar Jahrzehnte dauern, bis Menschen diese wichtige Lektion des Lebens gelernt haben. In der »wirklichen Welt« ist man dafür verantwortlich, sich selbst die empfohlene Tagesdosis Liebe zu verabreichen.

Ich selbst habe bestimmt zwei Jahrzehnte gebraucht, um diese Botschaft zu verinnerlichen, und ich habe auch heute manchmal noch Mühe, wirklich danach zu leben. Meine natürliche, eher introvertierte Neigung in Kombination mit meinem anerzogenen Workaholismus führte dazu, dass ich in eine kaum erträgliche Abwärtsspirale geriet. Als ich Anfang vierzig war, hatten nicht nur meine Beziehungen, sondern auch meine Gesundheit gelitten. Seitdem habe ich gelernt, meinen Alltag so zu planen, dass die Liebe und Gelegenheiten, mich gut zu fühlen, im Zentrum stehen. Ich bleibe auch offen für spontane Veränderungen, um bedeutsame Verbindungen zu den Menschen am Arbeitsplatz oder in meiner Gemeinde und auf Reisen sogar zu vollkommen Fremden zu knüpfen. Zwei Jahrzehnte sind eine lange Zeit. Dabei hatte ich sogar den Vorteil, mich täglich beruflich mit den Vorzügen der Positivität zu befassen! Ich wünsche Ihnen, dass Sie nicht ganz so lange benötigen.

Wir wissen jetzt, dass es viel ausmacht, ob Sie diese Lektion des Lebens tatsächlich willkommen heißen – ob Sie lernen, Ihren Quellen der Liebe täglich Priorität einzuräumen, sie zu hegen und zu pflegen. Ein erfülltes Leben ist dann viel wahrscheinlicher, was nicht nur Ihr eigenes Dasein bereichert, sondern auch das Ihrer Mitmenschen. Oder, wie Jeremy es formulierte: »Man kann so hart arbeiten, wie man will, aber wenn man keine Verbindungen eingeht, dann wird man weder erfolgreich noch glücklich sein.« Glücklicherweise haben Sie jetzt das Rüstzeug in der Hand, das notwendig ist, um sich selbst zu lotsen. Ihr angeborenes Navigationssystem, dessen Treibstoff die Positivität ist, ist immer für Sie verfügbar, sogar dann, wenn das Display gerade nur schwach leuchtet. Suchen Sie seinen Rat mit Bedacht, und Sie können sich selbst in die Richtung der Liebe, der Gesundheit und des Glücks navigieren.

Die weiteren Aussichten

Die Liebe ist, wie ich dargelegt habe, unser höchstes Gefühl. Sie bestimmt alles, was wir fühlen, denken, tun und werden. Sie hebt Sie empor in die höheren spirituellen Sphären ozeanischen Einsseins. Und von diesem neuen und höheren Aussichtspunkt können Sie nicht nur die Verbindungen zum größeren Ganzen des Lebens, sondern auch Ihren Platz und Einfluss darin besser sehen und wertschätzen.

Die Liebe ist zudem zutiefst persönlich. Sie entfaltet sich in und durch Ihren Geist und Körper wie eine Welle, gipfelt in jedem neuen Mikromoment der Verbundenheit – in jenem Lächeln, diesem Lachen oder einem wissenden und zustimmenden Blick, den Sie mit anderen teilen. Doch obwohl diese Mikromomente zutiefst persönlich und flüchtig sind, avancieren sie immer stärker zu Gegenständen wissenschaftlichen Forschens. Zum ersten Mal also können Sie die Liebe nicht nur durch eine persönliche, subjektive Brille betrachten und wertschätzen, sondern auch durch eine wissenschaftliche, objektive Brille. Dadurch können Sie besser erkennen, warum Ihr Körper und Ihr Geist für die Liebe geschaffen sind und von der Liebe nur profitieren können. Lernen Sie, Liebe häufiger zu suchen, und sie wird nicht nur Sie selbst emporheben, sondern auch Ihr Umfeld und unsere Welt – weit über das hinaus, was Sie und ich uns heute vorstellen können.

Es gibt unzählige Gelegenheiten zur Liebe. Es liegt an Ihnen, sie zu nutzen und durch sie ein erfülltes Leben zu führen.