Daiyu setzte den Kopfhörer ab und blickte finster nach oben.
»Irgendwelche Neuigkeiten?«, fragte Yang. Er hatte Schweißperlen auf der Stirn und war leichenblass.
Der Leutnant sah aus dem Fenster. Kaum hatten sie den Riss hinter sich gelassen, hatte ein gewaltiges Beben eingesetzt. Sand, Steine und größere Gesteinsbrocken fielen herab. Die Qianliyan hallte von den Treffern wider.
Bei jedem Aufprall schreckte Yang zusammen.
»Von oben ist nichts zu hören«, meldete Daiyu. »Der Lärm der Eruptionen blockiert die Kommunikation.«
»Dann sollten wir den Ballast verringern und auftauchen.«
Zuvor hatte der U-Boot-Kommandant gemeldet, die Dayangxi sei zerstört worden – von Kapitän Tses eigenen Waffen. Seitdem wartete Daiyu auf weitere Nachrichten, schwankend zwischen Zorn und einem Gefühl der Demütigung.
»Kapitän Tse«, sagte Yang drängend.
»Nein.« Sie schüttelte den Kopf »Wir machen weiter nach Plan.«
Ein Gesteinsbrocken traf die Qianliyan .
»Scheiß drauf«, sagte Yang.
Er warf sich auf die Ballastschalter und schaffte es, einen zu drücken.
Die Pumpen pressten Wasser aus den Tanks. Die Sinkgeschwindigkeit verlangsamte sich.
Daiyu hatte Yangs wachsende Panik bemerkt und mit einer solchen Aktion gerechnet. Er tastete nach einem anderen Schalter. Daiyu holte aus. Sie hielt bereits einen Dolch in der Hand – einen QNL -95. Sie trieb die lange Klinge in Yangs Hals.
Er wich zurück und hob abwehrend die Hand.
Sie drehte die Klinge. Blut spritzte auf ihre Uniform. Yang zuckte und schnappte nach Luft, dann rutschte er vom Sitz, als wollte er sich dem nahenden Tod entziehen.
Doch es gab kein Entrinnen.
Sie drückte den Dolch in die Wunde, bis Yang sich nicht mehr rührte. Sein Mund ging auf und zu, dann erstarrte er in einem Ausdruck abgrundtiefen Entsetzens.
Sie ließ die Klinge stecken und wischte sich die Hände an der Hose ab, entschlossen, ihre Mission abzuschließen. Sie brauchte einen Sieg in der Tiefe, um ihre Niederlage an der Wasseroberfläche zu kompensieren.
Ich kann den Einsatz noch immer retten.
Wenn es ihr gelang, den Nachweis für das Funktionieren einer neuen Waffe zu erbringen, die entscheidend sein könnte für Chinas Zukunft, würde der Verlust eines Schiffes nicht mehr zählen.
Sie streckte die Hand aus und legte die Schalter für die Ballasttanks um. Wasser strömte ein. Mit dem zusätzlichen Gewicht sank die Qianliyan schneller ihrem Ziel entgegen.
Auf Yang war sie nicht angewiesen. Die Tauchkapsel hatte eigene Augen. Sie war mit zahlreichen Detektoren ausgerüstet, darunter Seiten- und Bugsonar, ein Dutzend Unterwasserkameras und sogar weltraumgestützte Sensoren.
Damit hielt sie unter der Qianliyan Ausschau. Sie sank rasch dem Ziel entgegen, das seine Position mit regelmäßigen Pings verriet. Die andere Tauchkapsel – die Cormorant – war im Aufsteigen begriffen.
Da sie sich einander annäherten, sah sie keinen Grund mehr für Zurückhaltung. Der Gegner war zahnlos und unvorbereitet. Sie nahm seine Kapsel mit dem Akustiksystem ins Visier. Sie waren sich inzwischen so nah, dass trotz des Grollens der Eruptionen eine Verständigung möglich war.
Sie setzte den Kopfhörer auf und hielt sich das Mikro an den Mund. »Cormorant , hier ist die Qianliyan . Können Sie mich hören?«
Sie wartete auf die Antwort. Da der Abstand nur 500 Meter betrug, war die Latenzzeit vernachlässigbar.
Eine besorgte Stimme mit starkem australischem Akzent meldete sich. Das musste der Pilot der anderen Tauchkapsel sein. »Hier ist die Cormorant . Was sind Ihre Absichten, Qianliyan ? Over.«
»Die Volksbefreiungsarmee kontrolliert die Wasseroberfläche«, log sie. »Die Qianliyan ist mit Tiefseewaffen ausgerüstet. Stoppen Sie den Aufstieg. Teilen Sie uns Ihre Erkenntnisse mit. Alles, was Sie wissen. Wenn wir zufrieden sind, folgen Sie uns an die Oberfläche.«
»Das werden wir nicht tun, Qianliyan . Ihr U-Boot wurde zerstört. Und …«
Sie fiel ihm ins Wort. »Zerstört?«
»Es ist in einem Magmasee versunken.«
Sie hörte die Angst aus seiner Stimme heraus. Vielleicht fürchtete er eine Nuklearexplosion. Da konnte sie nur lachen. Als Technikerin wusste sie, dass flüssiges Magma keinen Sprengkopf zünden konnte. Schlimmstenfalls würden die Treibstofftanks der Raketen hochgehen.
Der Pilot aber war in heller Panik und nannte auch den Grund. »Aufgrund des Erdbebens schließt sich der Riss. Entweder wir steigen sofort auf, oder der Ausweg wird uns versperrt.«
Daiyu schaute nach oben, um sich mit eigenen Augen zu vergewissern. Zum ersten Mal löste sie das Sonar aus. Ganz auf die Tiefe konzentriert, hatte sie ihre Rückendeckung vernachlässigt.
Sie senkte den Blick auf den Monitor. Um sicherzugehen, sandte sie drei weitere Pings aus. Ihr stockte der Atem, als nacheinander die Scans angezeigt wurden. Die Wände näherten sich einander tatsächlich an.
Der Gegner hatte nicht gelogen.
Mit dem Handrücken betätigte sie die Schalter für den Ballast – alle gleichzeitig. Die Qianliyan erbebte, als die Pumpen eingeschaltet und die Tanks geleert wurden. Dann löste sie die Sprengbolzen aus und warf weiteres Gewicht sowie Akkus und drei der schweren Torpedos ab.
Der Sinkvorgang kam so plötzlich zum Stillstand, dass sie in den Sitz gedrückt wurde. Es fühlte sich an, als wiege sie auf einmal tausend Kilo. Dann begann die Qianliyan zu steigen und beschleunigte rasch.
Die Zerstörung des U-Boots im Magmasee hatte ihr eine Aufgabe abgenommen. Sobald das Beben nachließ, würde sie eine Nachricht nach oben senden und Aigua Choi Anweisung geben, das ELF -Signal auszulösen. Von oberhalb des Risses aus würde sie die Auswirkungen beobachten.
Aber erst einmal muss ich dorthin kommen.
Um ihr Ziel zu erreichen, musste sie die Qianliyan leichter machen. Sie langte zur Waffenkonsole hoch und legte das Ziel mithilfe eines Joysticks fest. Die Cormorant setzte ihren lautlosen Aufstieg fort. Sie richtete das Fadenkreuz darauf und drückte den Auslöser.
Der letzte Du-ya-Torpedo löste sich aus der Arretierung und verschwand in der Dunkelheit.
In dieser Tiefe war das Wasser aufgrund des Drucks so zäh wie flüssiges Blei. Zunächst war der Torpedo langsam, beschleunigte aber stetig. Sie verfolgte seinen Kurs, während er das Ziel mittels Pings anvisierte.
Er war ein langsamer Dolch, der auf das Herz des Gegners zielte.
Der Torpedo beschrieb einen weiten Bogen und näherte sich allmählich der Cormorant .
Zufrieden blickte Daiyu nach oben. Dem Bordrechner zufolge blieb ihr ausreichend Zeit für die Flucht.
Doch es würde knapp werden.
»Wir sind in eine Zielerfassung geraten«, meldete Bryan.
Eigentlich war die Warnung überflüssig. Die Cormorant wurde von Pings bombardiert. Das Geräusch schmerzte in den Ohren und wurde stetig lauter.
»Irgendwas haben sie auf uns abgefeuert«, sagte Adam. »Vermutlich einen Torpedo. Wir müssen in Deckung gehen.«
»Aber wo?«, fragte Phoebe.
Bryan hatte bereits begonnen, die Ballasttanks zu fluten. Der Aufstieg verlangsamte sich so unvermittelt, dass Adam vom Sitz abhob.
Er stützte sich ab und zeigte aufs Fenster. »Im Korallenwald. Der ist unsere einzige Hoffnung.«
Und zwar keine besonders große.
Bryan schaltete die Schubdüsen ein und lenkte die Kapsel zur Seite, wobei sich die Flügel als hilfreich erwiesen.
»Ich habe die Waffe auf dem Sonar«, sagte Phoebe. »Sie beschleunigt stetig.«
»Machen Sie den Sinkwinkel steiler«, sagte Adam. »Wir müssen den Wald erreichen.«
»Was meinen Sie, was ich hier tue?«, entgegnete Bryan.
Auf dem Monitor näherte sich das blinkende Torpedosymbol ihrer Tauchkapsel. Der Rumpf hallte von den Pings wider wie eine Glocke.
»Wir schaffen es nicht«, verkündete Bryan mit grimmiger Miene.
Die Qianliyan stieg schnell auf. Zu beiden Seiten zogen die Felswände vorbei. Steine prasselten auf den Rumpf, der die Tauchkapsel jedoch ausreichend schützte. Ein paar davon prallten vom ungeschützten Glas ab, sodass Daiyu zurückschreckte.
Kurz zuvor hatte sie den Auftrieb durch den Abwurf der Sauerstofftanks verringert. Die Qianliyan war jetzt auf das Allernotwendigste reduziert. Im Moment zählte nur, dass sie die Öffnung passierte.
Die Wände kamen bedrohlich näher. Der Kopfhörer übertrug das Knirschen des Gesteins.
So schändlich und einsam will ich nicht sterben.
Sie blickte Yangs Leichnam an. Sein Darm hatte sich entleert, der Gestank war fürchterlich.
Nicht so.
Sie versuchte, eine Verbindung nach oben herzustellen, um ihre Notlage zu melden und Aigua anzuweisen, das ELF -Gerät im Dabie-Gebirge bereit zu machen. Zu hören war jedoch nur ein stetiges Grollen. Das Beben machte all ihre Bemühungen zunichte.
Sie biss die Zähne zusammen und tröstete sich damit, dass sie den Bordsystemen zufolge ausreichend Zeit hatte, aus dem Riss zu entkommen.
Dann krachte es laut, und die Qianliyan erbebte. Eine große Felsplatte löste sich von der Wand wie ein Eisberg von einem kalbenden Gletscher und neigte sich ihr entgegen.
Sie schreckte zurück, schaltete den Seitenschub ein und hielt die Luft an.
Gestein schrammte am Rumpf der Qianliyan , als sie die Platte passierte. Anschließend ging es weiter nach oben. Daiyu atmete auf.
Unter ihr sank das Trümmerteil in die Tiefe. Sie blickte nach oben und wiederholte ihren Vorsatz.
Nicht so.
»Festhalten!«, rief Bryan.
Phoebe stützte sich an der geschwungenen Decke ab. Hoffentlich funktionierte das Manöver.
Bryan warf wieder Ballast ab.
In Schräglage würden sie den Korallenwald vor dem Auftreffen des Torpedos nicht erreichen. Adam hatte eine waghalsige Alternative vorgeschlagen. Eine plötzliche Umkehr der Bewegungsrichtung. Damit hoffte er, die Zielerfassung des Torpedos durcheinanderzubringen. Wenn das nicht klappte, würde er immerhin durch den hohen Wasserdruck behindert. Eine Kursänderung würde ihn verlangsamen.
Vielleicht gerade stark genug.
Die Cormorant schoss wieder nach oben. Bryan legte die Flügel an, um ihr Strömungsprofil zu verringern. Dadurch büßte er Manövrierfähigkeit ein, was er jedoch durch Vollschub ausglich. Während sie stiegen, hielten sie auf den Wald zu.
An der Seite füllten die gebogenen Stämme und verzweigten Äste das Sehfeld aus.
Adam beugte sich zwischen die Vordersitze vor. Er ignorierte die Aussicht und konzentrierte sich aufs Sonar. »Der Torpedo schwenkt herum. Er hat unseren Kurswechsel registriert.«
»Verdammt smart, das Ding«, meinte Datuk.
»Durch das Manöver hat er Geschwindigkeit eingebüßt«, meldete Phoebe.
»Aber er beschleunigt wieder.« Adam zeigte auf das Echozeichen.
»Ich probiere was aus!«, rief Bryan.
Niemand hatte Zeit, ihn nach Einzelheiten zu fragen.
Er beugte sich über die Steuerung, betätigte ein paar Schalter und zog am Steuerhorn. An der linken Seite tauchte ein Schatten auf. Der Flügel hob sich. Durch den erhöhten Widerstand wurde die im Aufsteigen begriffene Cormorant zum Waldrand gedreht. Bryan kämpfte mit der Schubsteuerung.
Im Kopfhörer hörte Phoebe Adam schlucken. »Ich glaube, es funktioniert.«
»Nur nichts beschreien!«, meinte Phoebe.
Alle hielten zwanzig Sekunden lang die Luft an – bis die Cormorant wie ein Vogel mit gebrochenem Flügel in den Wald hineinschoss.
»Der Torpedo bleibt an uns dran«, meldete Adam.
Bryan klappte den Flügel wieder ein, da er fürchtete, er könnte den Korallenbäumen zu nahe kommen und abgerissen werden.
Phoebe beugte sich zum Fenster vor. Die Bordscheinwerfer erleuchteten die schwarzen Säulen des verstrahlten Waldes. Mittels Regulierung von Auftrieb und Schub steuerte er die Tauchkapsel zwischen den Stämmen hindurch.
»Der Torpedo hat soeben den Wald erreicht«, meldete Adam.
Die Pinggeräusche hatten vorübergehend ausgesetzt, verstetigten sich jedoch wieder.
»Er hat uns immer noch im Visier«, sagte Adam. »Wir haben uns einen Aufschub verschafft, doch wenn er wieder schneller geworden ist, wird er den Abstand verringern.«
»Wo sollen wir hin?«, stöhnte Datuk.
Phoebe zeigte nach vorn, wo der Wald schimmerte und leuchtete. »Wenn wir schon sterben müssen, möchte ich mir das vorher ansehen.«
Alle lehnten sich zurück, mit Ausnahme von Bryan, der weiterhin mit der Steuerung beschäftigt war. Dunkle Korallenstämme zogen vorbei. Ein paar Äste streiften am Rumpf wie die Knochenfinger von Toten.
Wie sich herausstellte, lag Adam mit seiner Prognose richtig. Das Leuchten war inzwischen heller geworden und löste sich in Farbstrudel und Wellenmuster auf. Es war, als kämen sie von den dunklen Feldern von Kansas in das Wunderland von Oz.
Doch sie würden es nicht schaffen.
Eingezwängt zwischen Korallenstämmen und Ästen, blieb Bryan kein Raum für ein Ausweichmanöver. Deshalb blieb er notgedrungen auf Kurs. Phoebe dachte an das einsame Wesen im Korallenwald, verzweifelt und verängstigt.
Sie fühlte sich ganz ähnlich.
Dieses arme …
Sie straffte sich.
»Was ist?«, fragte Adam.
Sie wandte sich an Bryan. »Lassen Sie alle Lichter blinken. So schnell wie möglich. Richten Sie auch den Scheinwerfermast auf.«
Er musterte sie skeptisch, mit anderem beschäftigt.
Na gut …
Sie übernahm es selbst. Adam und Datuk halfen ihr.
Kurz darauf begannen die Außenleuchten zu pulsieren. Der Scheinwerfermast richtete sich auf und leuchtete mit zwanzigtausend Lumen.
Bryan ließ sich von der blendenden Helligkeit nicht beirren, doch der Australier war auch nicht Phoebes Adressat.
Das einsame Wesen, das durch den dunklen Wald geirrt war, hatte auf ihre Scheinwerfer reagiert. Phoebe hoffte, dass ihre Lightshow die gleiche Wirkung auf die Bewohner der leuchtenden Lichtung haben würde.
Sie wartete.
Adam konzentrierte sich auf den Sonarmonitor. »Der Torpedo nähert sich schnell. In weniger als einer Minute wird er uns erreichen.«
Phoebe konnte den Blick nicht vom schimmernden Wald abwenden. »Komm schon!«
Im nächsten Moment bemerkte sie eine Veränderung, so schwach, dass sie auch auf Einbildung beruhen mochte. Vereinzelte kleine Lichtflecken wanderten durch die Dunkelheit.
»Da.« Sie zeigte nach vorn, vor allem, um sich selbst zu vergewissern, dass sie keiner Täuschung aufgesessen war.
Die Lichtflecken verbanden sich erst zu Bändern, dann zu strahlenden Strömen.
»Sie kommen«, flüsterte Datuk in ihrem Ohr.
Die Cormorant eilte ihnen entgegen. Kurz darauf wurde sie von ihren fließenden Körpern und umherschwenkenden Armen aufgenommen. Die neugierigen Wesen hüllten sie in einen schillernden Strudel.
»Ich sehe nichts mehr«, sagte Bryan.
Hoffentlich gilt das auch für unseren Verfolger.
Um keinen Zusammenstoß zu provozieren, schaltete Bryan die Schubdüsen aus. Die Cormorant wurde von den Schreien und Rufen der Wesen bombardiert. Es wurde so laut, dass die Pings des Torpedos nicht mehr zu hören waren.
Phoebe hoffte, dass der vielstimmige Chor die Sonarsignale stören würde. Manchmal machten sich auch militärische U-Boote diesen Effekt zunutze und tarnten sich mit den lauten Geräuschen von Knallkrebsen.
Sie drückte die flache Hand aufs Glas. Damit lockte sie ein schwarzes Augenpaar an, das sie betrachtete.
»Der Torpedo hat uns verloren«, meldete Adam. »Sein Kurs wird unstet. Ich glaube, er …«
Ein lautes Donnern ließ die Cormorant erbeben. Die Druckwelle warf sie gegen einen Korallenstamm.
Als sie davon abprallte, wirbelten Polypen umher.
Hinter ihnen ertönte ein lautes Knistern. Es wurde immer lauter. Es hörte sich an, als nähere sich eine Feuerwand.
Phoebe ahnte, was sie da hörte. Der Torpedo hatte einen der Korallenriesen gefällt, der in Richtung der Cormorant stürzte.
»Wir bewegen uns«, sagte Bryan.
»Wie meinen Sie das?«, fragte Adam.
Bryan nahm die Hände von der Steuerung. »An mir liegt’s nicht.«
Phoebe drückte sich die Nasenspitze am Glas platt und erwiderte den Blick der großen Augen, hinter denen sich eine wache Intelligenz zu verbergen schien.
»Die sind das«, sagte sie. »Sie versuchen, uns beiseitezuschieben.«
Das Knistern wurde lauter – dann war an der linken Seite ein lautes Krachen zu hören. Die Cormorant erbebte. Dennoch wurden sie weiter vorwärtsgetragen.
Trotz des Gewimmels weitete sich die Sicht, und die wogende Masse wanderte zur Seite. Die Polypen hatten ihre Arbeit getan. Sie hatten die bedrängten Fremden in Sicherheit gebracht.
Phoebe lachte. »Das ist fantastisch.«
Sie befanden sich in einem leuchtenden Wunderland. Die Korallenstämme waren mit schimmernden Algenmatten bedeckt. Wogende Riesenanemonen leuchteten in allen möglichen Farbtönen.
Phoebe aber faszinierten vor allem die Hüter dieses Gartens. Überall schossen strahlende und flackernde Polypen durch den Wald. Sie tollten umher, rauften und wälzten sich. Andere wirbelten durchs Wasser. Manche waren nur faustgroß, die Riesenexemplare hielten sich scheu im Hintergrund.
Phoebe lehnte die Stirn ans Glas und wünschte, sie könnte mit ihnen umhertollen. Sie dachte an die Freude, die sie beim Tauchen vor Barbados und entlang der kalifornischen Küste empfunden hatte. Sie war eins mit dem Meer und dessen Bewohnern gewesen. Innerhalb der Grenzen, die ihr als Mensch gesetzt waren, hatte sie die unendliche Vielfalt des Lebens aus nächster Nähe erlebt.
Adam versetzte sie wieder in die Realität zurück. »Wir schaffen es nicht.«
Mühsam riss sie den Blick von der ganzen Pracht los.
Er sah ihr über die Schulter, in die Richtung, aus der sie gekommen waren. »Wir können den Riss nicht mehr rechtzeitig erreichen.« Er wandte sich um. »Wir sitzen in der Falle.«