Eine Stunde nach Einfahrt in den Hohlraum näherte sich die Qianliyan dem Riss.
Daiyu schwitzte heftig. Die meisten Akkus hatte sie abgeworfen, um den Aufstieg zu beschleunigen. Um Strom zu sparen, hatte sie die Luftumwälzungsanlage abgeschaltet. Nur noch die CO 2 -Filter waren aktiv.
Yangs Leichnam verpestete die Luft. Sie hatte einen sauren Geschmack im Mund. Ihre Nasenschleimhäute waren gereizt. Sie sehnte sich nach frischer Luft.
Im Akustiktelefon wurde das Knirschen des Gesteins allmählich leiser. Der Abstand zu den Felswänden betrug nur noch einen Meter. Es war schwierig, die Distanz zu wahren. Auch deshalb schwitzte sie so heftig. Ständig musste sie den Kurs korrigieren und Vorsprüngen und herabfallenden Gesteinsbrocken ausweichen.
Sie warf einen Blick auf den Monitor des Sonars.
Fast geschafft.
Die Qianliyan erbebte. Die Wände rückten bis auf einen halben Meter heran.
Sie schnitt eine Grimasse und fluchte.
Ich will nicht hier unten sterben , nahm sie sich zum hundertsten Mal vor.
Sie konzentrierte sich auf die Felswände. Dem Sonar zufolge war der Weg nach oben frei. Sie versuchte, die Kapsel mit Gedankenkraft dazu zu bringen, schneller zu steigen.
Nur noch hundert Meter.
Sie blickte in die Höhe, hielt Ausschau nach dem Ausgang. Doch das Wasser war pechschwarz. Irgendwo dort oben gab es einen biolumineszierenden Korallenwald. Für sie war die leuchtende Aura ein Sinnbild der Hoffnung auf eine glänzende Zukunft. Im Kopfhörer grollte die Erde. Hoffentlich bedeutete dies, dass sie allmählich wieder zur Ruhe kam.
Während sie angestrengt lauschte, vernahm sie ein niederfrequentes Geräusch, ein stetiges zorniges Summen. Sie blickte nach oben, versuchte, den Ursprung auszumachen.
Die ewige Schwärze wich allmählich einem helleren Grau. Sie meinte, am Rand leuchtende Strudel zu sehen.
Meine Aurora …
Sie schaltete die Außenscheinwerfer aus. Es wurde dunkel um die aufsteigende Tauchkapsel.
Ich hatte recht.
Sie lächelte, während das Leuchten heller wurde.
Ich komme.
Dann setzte ein neuer Erdstoß ein. Die Qianliyan machte einen Ruck und streifte eine Felswand. Daiyu wurde zur Seite geschleudert. Sie schaltete die Scheinwerfer wieder ein.
Die Wände waren noch enger zusammengerückt.
Das Fahrzeug prallte von der anderen Wand ab. Daiyu kämpfte mit der Schubsteuerung, doch die Qianliyan wurde hin- und hergeworfen. Daiyu klammerte sich am Sitz fest. Etwas wurde beschädigt. Die Scheinwerfer erloschen, nur die Innenbeleuchtung funktionierte noch. Die CO 2 -Filter stellten mit einem lauten Winseln den Dienst ein.
Sie wurde von klaustrophobischer Panik erfasst und hielt die Luft an, bis das Beben aufhörte. Die Aurora Borealis in der Höhe leuchtete noch heller als zuvor.
Keine fünf Meter mehr.
Die Qianliyan stieg weiter.
Vier …
Drei …
Unter lautem Kreischen kam die Qianliyan zum Stillstand.
Daiyu drehte sich auf dem Sitz um die eigene Achse.
Die Tauchkapsel saß fest, blockiert von einem Felsvorsprung. Sie sah auf den Sonarmonitor.
Nur noch zwei Meter …
Die Öffnung befand sich unmittelbar über ihr. Der leuchtende Korallenwald verspottete sie. Trotzdem wollte sie nicht aufgeben.
Sie nahm Ballast auf. Wenn es ihr gelang, die Qianliyan um etwa einen Meter abzusenken, könnte sie die Blockade umgehen. Sie füllte die Tanks, erhöhte das Gewicht. Jetzt bedauerte sie, alle Torpedos abgeworfen zu haben.
»Gaist de!« , verfluchte sie die ganze Welt.
Sie rutschte auf dem Sitz umher, als könnte sie sich auf diese Weise befreien.
Plötzlich gab etwas nach.
Begleitet vom lauten Kreischen von Metall bewegte sich die Qianliyan . Das schwere Fahrzeug löste sich mit einem Ruck und sank rasch in die Tiefe.
Daiyu jubelte und blickte nach oben, von dem Anblick gebannt.
Ein riesiger Schatten sank auf sie herunter.
Sie kniff die Augen zusammen und versuchte, zu begreifen, was das bedeutete. Der Schatten landete auf dem Riss und dröhnte wie ein Gong. Etwas ragte zu ihr herunter. Sie machte einen langen Lauf und die Mündung aus. Jetzt war klar, was da herabgefallen war.
Der Panzer vom LCAC .
Da er mit Luft gefüllt war, hatte das gepanzerte Fahrzeug für die zehn Kilometer zwei Stunden gebraucht. Stirnrunzelnd betrachtete sie diesen Beleg ihres Versagens, der sie zu verhöhnen schien.
Ein Gesteinsbrocken löste sich von der Felswand und stürzte auf das geschwungene Fenster. Durch den Aufprall brach eine Dichtung zwischen dem Glas und der Titanhülle.
Ein bleistiftdünner Wasserstrahl schoss in die Kapsel und traf sie am Bauch. Aufgrund des hohen Drucks bohrte er sich in ihren Körper und durchtrennte die Wirbelsäule. Sie verspürte einen sengenden Schmerz, zuckte mit der Hand und verstellte den Schub.
Die Qianliyan drehte sich auf die Seite.
Der Wasserlaser zerteilte sie beinahe in zwei Hälften.
Ihr Inneres ergoss sich in ihren Schoß.
Sie versuchte, das Gedärm zurückzudrücken.
Nicht so.
Die Kapsel implodierte und zermalmte ihren letzten Gedanken.