Krassnacks Ankunft im Lager der Armee sprach sich schnell herum. Viele drückten ihre Bewunderung aus. Es gab genug Zeugen, die gesehen hatten, wie er von den Drumkantern verhaftet worden war. Nicht wenige hatten sich über die Umstände gewundert. Gerüchte eines Verrats entstanden. Jetzt, da Krassnack zurückgekehrt war, wurde er von vielen als kommender Held gesehen. Krassnack erfüllte das mit Stolz und er war ganz begierig, sich Russnack zu zeigen. Sein alter Feind sollte sehen, dass er nicht so einfach zu beseitigen war. Es musste ja keiner wissen, dass die Drumkanter ihn freigelassen hatten.
Seine Leute hatten es kaum glauben können, als er unvermittelt vor ihnen stand, und er hatte genau hingeschaut, wer welche Reaktion gezeigt hatte. Ihm war aufgefallen, dass nur einer echte Freude zeigte. Alle anderen hatten Entsetzen im Blick. Er wusste nun, dass er sich nur auf einen einzigen seiner Leute verlassen konnte. Das hätte eine Enttäuschung sein können, aber Krassnack, kühl und lauernd statt wie so oft glühend vor Wut, lobte sich für seine Erkenntnis. Wie immer hatte er es verstanden, auch aus Niederlagen Profit zu schlagen.
Am nächsten Tag ergab sich eine Gelegenheit, um Russnackentgegen zu treten, als dieser seine Kämpfer aufmarschieren ließ. Krassnack stand wie üblich in der ersten Reihe, während Russnack die Reihen abschritt. Er hielt eine seiner Reden, die Krassnack schon immer gelangweilt hatten. Es ging – wieder einmal – nur um ihn selbst. Seine Heldentaten, seine Siege, seine Strategien und seinen Ruhm. Als Rassnacks Blick den seinen traf, verfinsterte sich dessen Miene, es lag tiefer Abscheu in diesem Blick. Doch Krassnack lächelte ihn an. Bei den Höhlenwocklern gab es keine bedeutsamere Geste, um dem Gegner Verachtung zu signalisieren. Krassnack genoss diesen Moment. Er würde schon bald Russnacks Platz einnehmen, dessen war er sich sicher.
Seine Freilassung hatte in Krassnack eine wachsende Gewissheit eingepflanzt, dass er sich keine Sorge mehr machen musste, wenn er nahe der Grenze auf Erkundung ging. Er wusste zwar noch nicht, warum die Drumkanter ihn freigelassen hatten, doch es musste dafür einen bestimmten Grund geben. Vielleicht hatte Meurack ihnen von seinem Konflikt mit Russnack erzählt. Wahrscheinlich hielten sie Russnack für gefährlicher und spekulierten darauf, dass er, Krassnack, ihn für sie beseitigen würde. Den Gefallen würde er ihnen liebend gern tun, doch hatten sie sich entscheidend in seiner Person geirrt, sollten sie glauben, dass er weniger gefährlich sei. Er nahm seine Erkundungen in den Gängen nahe der Grenze wieder auf. Schnell fasste er einen Plan, wie er sich den versteckten Zugang zu Russnacks Lager zunutze machen konnte. Doch für die Ausführung brauchte er einen Verbündeten. Er wusste auch genau, wen.
Täglich wurden Spähgruppen in die umliegenden Gänge gesandt. Krassnack kostete es wenig Mühe, dafür zu sorgen, dasser und Humrack gemeinsam eingeteilt wurden. Es war Humrack anzumerken, dass er begeistert war, endlich mit Krassnack allein zu sein. Kaum, dass sie aufgebrochen waren, machte er sich Luft:
»War es Meurack?«
Krassnack wunderte sich nur kurz über diese konkrete Frage.
»Ja«, antwortete er, »und er hat dafür gebüßt. Der macht uns keine Probleme mehr.«
Humrack grinste.
»Gut, dass du wieder hier bist. Als ich bemerkte, was da vor sich geht, war es schon zu spät und ich konnte nicht mehr eingreifen. Ich habe allerdings, im Gegensatz zu allen anderen, nie daran gezweifelt, dass du wiederkehren würdest.«
Krassnack hatte sich nicht in Humrack getäuscht und jetzt würden sie gemeinsam am Sturz Russnacks arbeiten.
»Hast du schon einen Plan?«, fragte Humrack.
Krassnack erzählte ihm von dem geheimen Zugang zu Russnacks Lager und sie gingen die verschiedensten Möglichkeiten durch, wie sie den Anführer beseitigen könnten. Sie mussten eine Möglichkeit finden, Russnack direkt vor die Öffnung des geheimen Spalts zu locken, um ihn aus dem Verborgenen heraus töten zu können. Dabei und danach durfte kein Verdacht auf Krassnack fallen, denn dann würde er nicht die Chance bekommen, dessen Position einzunehmen. Humrack begriff.
»Was, wenn wir Gift über den Spalt in seine Kammer einbringen? Während er stirbt, übernehmen wir eine Aufgabe, bei der es genug Zeugen gibt. Wir brauchen ein Gift, das sehr wirkungsvoll ist und zeitverzögert austritt, damit wir nicht verdächtigt werden. Am besten wäre es, wenn man statt uns jemand anderen verdächtigt. Vielleicht können wir es wie einen Unfall aussehen lassen? Oder so, als wenn die Drumkanter dafür verantwortlich wären.«
Krassnack schlug sich an die Stirn.
»Haben die Drumkanter nicht diese Waffe, die ein lähmendes Gas freisetzt? Vielleicht können wir davon etwas organisieren.«
Mit diesem tückischen Mordwerkzeug hatten die Drumkanter schon oft ganze Gruppen von Höhlenwocklern überrascht. Die waren dann qualvoll erstickt, da das Gas die Atmung lähmte, bevor man das Bewusstsein verlor. Es machte den Tod umso grausamer, dass das Opfer sein Sterben bei voller Klarheit erlebte. Genau das Richtige für Russnack, dachte er.
»Ich meine gehört zu haben, dass es ganz in der Nähe unseres Lagers eine Mine der Drumkanter gibt, in der sie das Erz abbauen, das sie zur Herstellung der Waffe brauchen. Vor langer Zeit haben wir in einem Vorstoß diese Mine erobert, doch später wieder verloren. Leider waren unsere Leute damals nicht so schlau, etwas von den Mineralien in Sicherheit zu bringen, da sie dachten, dass ihnen die Mine niemand mehr streitig machen würde. Die Waffe funktioniert ganz einfach, man mischt das Erz mit Granulat aus Aurium, das ist das Material, woraus unsere Waffen geschmiedet werden. Die Mischung füllt man in ein Holzfass mit doppeltem Boden, unten das Granulat, oben Wasser. Ist die Trennung der Schichten durchgeweicht und erreicht das Wasser die Füllung, kommt es zu einer Reaktion, die sich schnell beschleunigt, und ein absolut giftiges Gas tritt aus. Dieses Gas ist unsichtbar, schwerer als Luft und schleicht über den Boden. Ideal, um einen schlafenden Mann zu überraschen, ohne die Wachen misstrauisch zu stimmen.«
»Irgendwie müssen wir an dieses Erz herankommen«, sagte Humrack.
Krassnack grinste.
»Ich habe die Mine vor einiger Zeit bei meinen Streifzügen entlang der Grenze entdeckt und sie ist nicht besonders stark gesichert.«
Sie warteten die Nacht ab. Es war genau, wie Krassnack gesagt hatte. Lediglich zwei Posten bewachten den Eingang der Mine. Sie saßen auf zwei steinernen Hochsitzen, nicht, damit sie die Übersicht über alles hatten, sondern damit sie geschützt waren, falls es zu einem Gasunfall käme. Beide Soldatinnen fühlten sich unbedroht, waren unaufmerksam. Humrack hatte einen Sack dabei, um ihr Diebesgut transportieren zu können. Das Erz war leicht an seiner bläulichen Farbe zu erkennen, der Sack schnell gefüllt. Um nicht von den eigenen Leuten erwischt zu werden, brachten sie das Diebesgut direkt in die Spalte, wo sie bereits das Fass präpariert hatten. Sie füllten es abwechselnd mit Aurium und dem blauen Erz, setzten die Zwischentrennung auf. Die Zeit war schon zu weit fortgeschritten, um das Wasser einzufüllen. Sie konnten nicht sicher sein, dass das Holz schnell genug durchtränkt würde, um noch in dieser Nacht eine Reaktion einzuleiten. Deshalb entschieden sie sich zu warten.
Der folgende Tag wollte einfach nicht enden. Sie trainierten die ganze Zeit mit ihren Waffen und berichteten an Russnack über ihre Erkundungsgänge, zu denen sie geschickt worden waren. Abends legten sie sich früh schlafen. Krassnack musste an Humracks Schulter rütteln, als ihre Stunde gekommen war.
»Wir müssen los!«, flüsterte er ihm ins Ohr.
Humrack, noch ganz benommen, rappelte sich auf und folgte seinem Idol ohne Zögern. Krassnack hatte einen prall gefüllten Wasserschlauch dabei. Auf dem Umweg, den sie sicherheitshalber wählten, liefen sie wiederholt beinahe Spähern der Drumkanter in die Arme, doch es schien, als wollten die Feinde sie bewusst nicht wahrnehmen. Krassnack war das egal, er hatte ja ohnehin seine Theorie, warum ihn die Drumkanter Kämpferinnen in Ruhe ließen. Sie erreichten die Spalte, platzierten das Fass und füllten den oberen Teil mit Wasser. Zurück im Lager, gesellten sie sich zu einer Gruppe Soldaten, die spielend und trinkend an einem Feuerkranz zusammensaß.
Sie brauchten Zeugen für ihre Anwesenheit im Lager und nichts eignete sich besser dazu als ein Spielchen und ein Trinkgelage. Krassnack wachte am nächsten Morgen mit einem dicken Schädel auf. Er hatte es wie immer übertrieben und musste nun dafür büßen. Doch als er die Aufregung und den Krach ringsum wahrnahm, spielten seine Kopfschmerzen keine Rolle mehr. Er spürte Triumph, seine Mundwinkel zuckten. Er hatte sich kaum angezogen, als schon die ersten Wachleute Russnacks ihre Lagerstätte erreichten.
»Jeder bleibt an seinem Platz«, brüllte eine tiefe Stimme.
Russnacks Leibgarde begann die Habseligkeiten aller Soldaten zu durchsuchen. Als sie zu Krassnacks Sachen kamen, schienen sie sich besondere Mühe zu machen. Sie entleerten seinen Rucksack und jeden Beutel, worin er seine Utensilien aufbewahrte. Sie schmissen alles auf den Boden und gingen nicht eher zum nächsten, bevor sie nicht seine Habe peinlich untersucht hatten. In einer anderen Situation hätte Krassnack sicher Streit angefangen,doch es war wichtig, ruhig zu bleiben, damit sein Plan aufging. Als Humracks Sachen durchsucht wurden, lächelte dieser Krassnack noch zu, doch was die Soldaten fanden, ließ ihn erstarren. Eine Leibwache hielt ein Säckchen mit blauen Erzen in der Hand. Humrack wehrte sich nicht, als sie ihn ergriffen. Er wusste, dass er ausgetrickst worden war und was ihm jetzt bevorstand.
Nach Humracks Hinrichtung und Russnacks Beisetzung wurde Krassnack, eskortiert von einer Ehrengarde, in den Palast geleitet. Er hatte entscheidende Hinweise geben können, welche die Überführung Humracks bestätigt hatten. Sein Freund Gossnack hatte bestätigt, dass er, im Gegensatz zu Humrack, den ganzen Abend beim Spielen dabei gewesen war. Alle anderen, dafür hatte Krassnack gesorgt, waren zu berauscht gewesen, um sich sicher zu erinnern. Nun würde er gleich vor den Gebieter treten. Diesmal hatte nicht er um eine Audienz gebeten, sondern man hatte nach ihm gerufen. Ehrfürchtig betrat er den dunklen Palast. Wie schon beim letzten Mal wurde er in den großen Saal geführt. Als Haurassack der 7. den Raum betrat, neigte er seinen Kopf und wartete.
»Krassnack, sei gegrüßt. Es ist ein trauriger Anlass, weswegen ich nach dir verlangt habe. Es kommt nicht oft vor, dass Helden umgebracht werden, und ich bin dir dankbar, das du, trotz eurer Rivalitäten, dazu beigetragen hast, Russnacks Tod aufzuklären.«
»Mein Gebieter, Herrscher des Reichs der Höhlenwockler, Herrscher der Dunkelwelt, auch ich bin betrübt über das, was passiert ist. Wie kann ich euch dienen, damit unsere Feinde aus dieser Tragödie keinen Profit schlagen können.«