Kapitel 2

Sie sieht aus wie ein Boxer nach einem brutalen Kampf. Hämatome um Augen und Wangen, Schwellungen rund um die Nase, die dick verklebt ist. Aus dem Tropf neben ihrem Bett sickert im Zeitlupentempo Flüssigkeit in ihre Vene. Die Infusion gegen etwas auszutauschen, das garantiert tötet, dieser Gedanke ist mir natürlich gekommen. Aber sie liegt ohnehin schon da wie auf dem Silbertablett. Wehrlos.

Sie schläft mit offenem Mund, dem leichte Schnarchgeräusche entweichen. So friedlich sieht sie aus mit ihrer neuen Nase, Modell »griechisch«. Na ja, eine Schönheit war sie ja wohl nie. Eher der intellektuelle Typ. Eine Schmeißfliege war sie, eine, die sich im Dreck der anderen suhlte. Vergangenheitsform. Ja, diese grammatikalische Nuance ist durchaus angebracht. Denn Steffi Hütter wird diese Nacht nicht überleben. Weil sie bestraft werden muss. Es ist alles ihre Schuld. Nicht meine. Ich setze mich nur zur Wehr, das ist mein gutes Recht. Ich tue es ja nicht gern. Es ist nicht so, dass ich Spaß am Töten hätte, oh nein. Es ist eine Notwendigkeit, das Gebot der Stunde. Du hast immer die Wahl, hat ein Therapeut zu mir gesagt, du musst dich nur für das Richtige entscheiden. Yes, Sir, genau so. Das Richtige ist, Steffi Hütter zu töten.

Zweiter Gedanke: Luft spritzen, aber im Halbdunkel des Zimmers scheint mir diese Version zu riskant. Und nun, vor ihrem Bett, entscheide ich mich für das Einfache. Die Erfahrung hat mich gelehrt, dass es immer die beste Wahl ist. Mit einem Griff ziehe ich ihr den Polster unter dem Kopf weg. Sie stöhnt ein bisschen, aber nicht laut und nicht lang, denn jetzt drücke ich ihr den Polster aufs Gesicht, schnell, schwer und kompromisslos. Von Schmerz – und Schlafmittel betäubt, bleibt ihr nur ein gedämpftes Stöhnen, das niemand außer mir hören kann. Ihre Beine zucken, aber auch nur kurz, und sie hat keine Kraft, sich mit den Armen gegen diesen Angriff zu wehren. Ihr geht die Luft aus. Ich zähle leise bis dreißig und halte den Druck noch aufrecht, als sie schon hinüber sein muss. Den Blick habe ich immer auf die Tür gerichtet, sollte die Krankenschwester auf die Idee kommen, nach der Patientin zu schauen, würde ich das Kissen ganz schnell wieder unter Steffis Kopf schieben. Aber die Schwester sitzt im Bereitschaftszimmer und schaut sich auf ihrem iPad eine Netflix-Staffel an. Mit Kopfhörern. Und ihre Runde dreht sie erst, wenn die Folge zu Ende ist. »Safe«, eine englische Thriller-Serie. Wenn das nicht irgendwie ironisch ist …

Ich nehme den Polster von ihrem Gesicht und lege ihn wieder unter Steffis Kopf. So friedlich liegt sie da. Und so tot. »Gute Reise«, flüstere ich ihr ins Ohr, bevor ich mit leisen Schritten zur Tür gehe, sie vorsichtig öffne und dann hinaushusche in den Flur, der um vier Uhr morgens so still ist wie ein Friedhof.

 

***

 

Mara steht auf der Terrasse und raucht. Sie ist nervös, und sie hat Angst, obwohl der Professor sie mit vielen Worten, von denen sie nur die Hälfte verstand, beruhigt hat. Die Vaginalstraffung per Laser sei ein harmloser medizinischer Eingriff, schonend, beinahe schmerzfrei. Ein Routineeingriff, und auf ihren ausdrücklichen Wunsch wird sie während der Behandlung sogar in einen kurzen Dämmerschlaf versetzt. Davon erwacht, könne sie ohne Weiteres nach Hause fahren. Mit dem Taxi. Nur fünf Tage müsse sie auf Geschlechtsverkehr verzichten, sagte der Professor mit einem Augenzwinkern. Er ist wirklich sehr nett, denkt Mara, und er hat ihr auch erlaubt, einen Abend vorher in der Klinik einzuchecken. Gegen einen Aufpreis von dreihundert Euro. Den wahren Grund, warum sie nicht in ihrer Wohnung übernachten wollte, hat sie ihm natürlich nicht verraten: die eifersüchtige Ehefrau, diese alte Furie, die sie im Santa Clara tätlich angegriffen hat. So was von peinlich, die Olivenöl-Attacke, und dass sie sich dann noch geohrfeigt haben, war auch nicht gerade oscarreif.

Am Ende blieb ihr nur der Rückzug mit öligen Haaren und roter Wange, und sie hat genau gesehen, dass die Wirtin und die anderen Gäst’ das Ganze zu allem Überfluss noch witzig fanden. Irgendwer hat mit dem Handy gefilmt, und irgendwer wird es der Zeitung stecken, Skandal, Skandal, was aber eigentlich, denkt Mara, für ihre Schauspielkarriere gar nicht so schlecht wär. Hauptsache, man kommt ins Gespräch. Nur hat sie jetzt ein bisserl Angst vor der Gisela Prader. Die weiß, wo die Geliebte ihres Mannes wohnt. Weshalb Mara es vorzog, einen Tag früher in die Hilmteichklinik zu fahren. Zufällig war grad ein Zimmer frei, obwohl sie nur zehn Betten haben. Ist halt ein kleines, feines Haus. Und der Professor gehört zu den Besten in Österreich, weshalb so viele Promis zu ihm pilgern.

In diesem Moment wünscht sich Mara allerdings, sie wär in ein Hotel gegangen. Dann könnte sie jetzt ein Flascherl Sekt aus der Minibar öffnen. Alles wegen der Nerven, sie ist halt hypersensibel. Aber um die Zeit noch eine Schlaftablette einzuwerfen, wenn ihr OP-Termin um acht Uhr morgens ist, wär auch ein Blödsinn. Apropos Blödsinn: Die Vaginalstraffung macht sie nur Emanuel zuliebe. Weil der sich beschwerte, sie habe eine Vagina wie ein Güterbahnhof. Nicht sehr charmant, der Herr, und sie musste sich schwer zusammenreißen, um ihm nicht entgegenzuschleudern, dass seine »Lok« einfach zu winzig sei. Nein, das hat sie ihm nicht gesagt, denn er ist der große Regisseur aus Deutschland, und sie die kleine Schauspielerin aus Graz. Na ja, aus Birkfeld eigentlich, aber das macht sich nicht so gut in der Vita. In Birkfeld war es, dass sie mit siebzehn geschwängert wurde und ihre katholische Mutter sie zwang, das Kind auszutragen. Sie haben es dann zur Adoption freigegeben, Mara machte die Matura nach und schrieb sich in die Schauspielschule ein.

Kinderkriegen ist nicht gut für die Vagina. Daher wird jetzt der Güterbahnhof verkleinert. Drei Sitzungen à fünfhundert Euro, dann kann sie vielleicht auch bei mickrigen Lokomotiven was fühlen. Irgendwas. Statt immer nur bühnenreif zu stöhnen. Emanuel ist tatsächlich der erste Mann, der sich darüber beschwerte. Er sagt immer, was er denkt. Weshalb ihn alle hassen, außer seiner eifersüchtigen Ehefrau und Mara Sibelius, Schauspielerin mit einem Ehrgeiz, der über die Grazer Bühne weit hinausgeht.

Emanuel hat ihr eine Rolle in seinem Stück versprochen – und was hat sie bekommen? Einen Satz auf der Bühne, beinah eine Statistenrolle. »Schau Schatzerl, es waren schon alle Rollen besetzt, als du, als wir …« Als ob er nicht der Herrgott wär als Starregisseur. Und wie er immer versucht, den Slang zu imitieren, Edelsteirisch, und rauskommt so ein g’schissenes Münchnerisch mit Wiener Einschuss.

Mara zündet sich aus Wut noch eine Zigarette an und fährt zusammen, als sie Schritte hört. Die Furie, die sie sogar hier aufgespürt hat? Aber so früh am Morgen?

Zum Glück ist es nur Alma irgendwas, den Nachnamen hat sie vergessen. Die hat es offenbar schon hinter sich, denn ihre Kinnpartie ist gerötet und geschwollen. Alma trägt zwei Kaffeebecher in der Hand. »Ich hab Sie hier stehen sehen, Sie können wohl auch nicht schlafen. Wollen Sʼ vielleicht auch einen Kaffee? Schwarz ohne Zucker.«

Mara nimmt den Becher dankend an und schlürft den heißen Kaffee in kleinen Schlucken. Alma trinkt mit Strohhalm. »Fadenlifting mit einer kleinen Fettabsaugung am Kinn«, erklärt sie. »Winziger Eingriff, morgen früh werd ich entlassen. Und Sie? Weshalb sind Sie hier? Wir sind ja gewissermaßen Kolleginnen, hab ich gehört. Ich bin auch Schauspielerin.«

Aber nicht an der Grazer Bühne, denkt Mara. Sie lächelt und murmelt etwas von einer Modellierung des Venushügels, das klingt nicht so peinlich.

»Wie reizend«, sagt Alma, »haben Sie denn vor, in einem Porno mitzuspielen?«

Uui, das war böse. Mara ahnt nicht, dass ihr Gegenüber genau dies schon einmal getan hat, allerdings vor einer Ewigkeit. »Gewiss nicht! Ich bin an der Grazer Bühne, und ich spiele in dem neuen Stück von Emanuel Prader. Und Sie?«

Alma lächelt ein wenig schmerzverzerrt. »Ach, mit Bühnenpräsenz kann ich zurzeit nicht aufwarten. Ich hab in ein paar Filmen mitgespielt, übrigens auch in einem, in dem Emanuel Regie führte. Damals war er noch nicht so ein … Starregisseur.«

Muss Jahrzehnte her sein, denkt Mara. Sie schätzt ihr Gegenüber auf vierzig bis fünfzig, selbst wenn man die Schönheits-OPs berücksichtigt. Man muss den Frauen auf den Hals schauen – oder auf die Hände. »Emanuel ist ja so waaaahnsinnig begabt. Aber natürlich menschlich schwierig wie so viele Genies.«

»Hat er immer noch den Hang zu sehr jungen Schauspielerinnen?«

War das eine Fangfrage? Mara stellt ihre Kaffeetasse auf die Brüstung. »Ich weiß nicht«, sagt sie vorsichtig. »Im Übrigen ist seine Frau vor ein paar Tagen nach Graz gekommen.«

»Ha, so was hat ihn ja noch nie aufgehalten.« Alma geht einen Schritt auf Mara zu und sagt leise: »Nehmen Sie sich vor der Furie in Acht. Die ist schon mal mit einem Messer auf eine Konkurrentin losgegangen.«

Mara lacht und – sie weiß nicht, warum? – erzählt die Szene aus dem Santa Clara. In Vergangenheitsform und mit einem Schuss Selbstironie klingt sie sogar witzig. Alma versucht ein Lachen, aber das tut weh. »Männer«, sagt sie, »sind es nicht wert, dass wir uns ihretwegen unters Messer legen. Ich habe meinen vor Kurzem verlassen. Und dabei dachte ich, dass er der Richtige ist. Gut aussehend, beste Manieren, ein Mann von Welt. Und was macht er? Verjubelt seine Erbschaft in Spielcasinos. Und betrügt mich mit einer alten Frau, nur weil die Blunzn noch mehr Geld hat als ich.«

»Pfui Teufel.« Mara ist bereit, Alma den Satz mit den Pornos zu verzeihen. Und sie sagt ihr die Wahrheit, so von Schauspielerin zu Schauspielerin: »Ich geh mit jedem mit, der mich in meiner Karriere weiterbringt.«

Alma scheint zu verstehen, zumindest sieht sie nicht schockiert aus. »Tja, es war immer schon ein hartes Geschäft. Und es wird nicht leichter, wenn man sich den Vierzigern nähert.« Sie greift sich vorsichtig ans Kinn: »Deshalb die kleinen Korrekturen. Sie sind sehr diskret hier, und Professor Leitner ist eine Koryphäe auf seinem Gebiet. Und so ein nobler Mensch.«

»Der wär doch was für Sie!« Für mich wär er zu alt, denkt Mara und ignoriert die Tatsache, dass ihr Regisseur auch nicht jünger ist. Männer, die ihre Karriere nicht fördern, fallen aus ihrem Beuteschema. Mit Anatol Hofer gibt sie sich nur ab, weil der als Theaterkritiker was zu sagen hat. So ein langweiliger Mensch, und dass er wahnsinnig in sie verliebt ist, macht ihn auch nicht interessanter. Man muss ihn sich nur warmhalten irgendwie. Sie schaut auf die Uhr: »War nett, mit Ihnen zu plaudern, Alma, und danke für den Kaffee. Ich solltʼ jetzt aber wirklich auf mein Zimmer. Mich seelisch auf den Eingriff vorbereiten. Ich hab ein bisserl Angst, wissen Sie.«

»Ist angenehmer als beim Zahnarzt.« Alma lächelt die jüngere Ausgabe ihrer selbst mit aller Freundlichkeit an, derer sie fähig ist. So ein berechnendes kleines Luder, denkt sie, und dass es nicht angenehm ist, in diese Art Spiegel zu sehen. Sie winkt Mara zu, die die Tür zur Terrasse schließt. Alma bleibt noch draußen und schaut in den Himmel, der sich auf die Morgendämmerung vorbereitet. Ihr Kinn schmerzt von dem Lächeln, das sie Mara geschenkt hat. Als Nächstes, denkt Alma, sind ihre Oberarme dran, sie hat mit dem Professor schon darüber gesprochen. Gegen das wabbelnde Truthahnfett hilft nur die Liposuktion. Örtliche Betäubung, dann werden ganz feine Kanülen eingesetzt, um die Fettzellen zu lösen und dauerhaft abzusaugen. Anschließend wird die überschüssige Haut entfernt, sodass ein paar feine Narben an den Unterarmen bleiben. Plus Schwellungen und Hämatomen in den ersten Wochen. Dafür kann sie danach wieder ärmelfreie Kleider tragen, das ist es doch wert, oder?

Almas Kaffee ist kalt. Sie schüttet den Rest über die Brüstung und geht zurück in ihr Zimmer. Sie wird ein Schmerzmittel nehmen und sich wieder ins Bett legen. Nachdenken über das Leben im Allgemeinen und im Besonderen. Dazu gehört, dass sie endlich den Mann fürs Leben finden will. Edgar war es ganz offensichtlich nicht. Gute Manieren und schlechte Angewohnheiten. Ein Spieler, der die Roulettekugel jeder Frau vorgezogen hat. Sie hat eine Weile gebraucht, um zu begreifen, dass die Spielerei kein Spaß war, sondern bitterer Ernst. In den paar Monaten, in denen sie zusammen waren, hat Edgar fast seine gesamte Erbschaft verzockt, und danach wäre Almas Geld dran gewesen. Nein, da hat sie doch lieber die Notbremse gezogen. Und er hat es ihr leicht gemacht, der gute Edgar Siebers von Adelmauseder. Hat in Baden-Baden mit einer Bankierswitwe angebändelt, deren Geschmeide blendete. Wenn sie mal ehrlich ist: Da war kaum Schmerz, nur ein Hauch von gekränkter Eitelkeit. Alma legte ihm eine Abschiedsszene hin, die filmreif war. Warf ihm dann noch seinen Verlobungsring vor die Füße. Das fiel ihr leicht, weil er sowieso eine Fälschung war. Kein Zweikaräter, sondern Bergkristall, sie hat den Ring vorsichtshalber prüfen lassen. Typisch Edgar, nein, es ist wirklich nicht schade um ihn. Aber sie trägt ihm auch nix nach. War halt ein charmanter Gauner, und er schickt ihr immer noch Botschaften, in denen er seine Liebe beteuert. Zu Almas Geburtstag kamen vierzig rote Rosen. Stil hat er schon, nur leider keinen Charakter.

Die Schmerztablette beginnt zu wirken, sie macht auch schläfrig. Alma liegt im Trainingsanzug auf ihrem Bett und starrt an die Decke. Alles wird gut, denkt sie, und dass sie auch noch den Mann finden wird, der in jeder Hinsicht perfekt zu ihr passt. Schließlich ist sie noch nicht alt, mit achtundvierzig gerade in der Blüte des Lebens. Und dank Sissys Erbe hat sie genug Geld, um alle Verfallserscheinungen zu eliminieren. Der gute Professor, vielleicht hat Mara recht, der wär doch was für sie. Schön ist er nicht, aber was ein Mann nicht schöner ist als ein Aff, das kann er durch andere Vorzüge ausgleichen. Geld zum Beispiel. Und was für ein Geld sie sparen könnt, wenn er sie immer umsonst behandeln würde …

 

Am Kaffeeautomaten im Flur trifft Mara Schwester Inge, die ihr von dieser »wahnsinnig geilen Krimiserie« erzählt. Netflix sei Dank, dass sie die anstrengenden Nachtschichten überlebt, doch die sind halt besser bezahlt als der Tagesdienst. Die Schwester ist jung und sehr hübsch und passt insofern in eine Schönheitsklinik, weil die Schiachen ja keine gute Reklame wären. Mara schätzt, dass sie etwa im gleichen Alter sind, und sie haben sich von Anfang an gut verstanden, weil Schwester Inge Mara von ihrer bisher einzigen Fernsehrolle in einer Rosamunde-Pilcher-Verfilmung erkannt hat. Ein Fan! Mara träumt von der Zeit, in der sie in Graz oder Wien nicht mehr auf die Straße kann, ohne von Fans verfolgt zu werden.

Sie erzählt Inge von ihrer Angst vor dem Eingriff und dass sie gar nicht richtig zugehört habe, als der Professor ihr das Prozedere erklärte.

 

Inge beruhigt sie: »Es tut nicht weh. Sie führt ein Gerät in die Scheide ein, das Wärme abgibt und mikroskopisch kleine Löcher in die Haut schießt. Dadurch aktiviert sich die Kollagenneubildung des Gewebes, und das Scheidenepithel wird erneuert. Das Scheidengewebe zieht sich zusammen und wird straffer. Wenn sie dich in den Dämmerschlaf versetzt, wachst du hinterher auf und spürst höchstens ein leichtes Ziehen.«

Mara kann mit den Informationen wenig anfangen. »Wieso sie? Ich dachte, das macht der Professor?«

Inge geht ins Schwesternzimmer und schaut auf den OP-Plan. »Nein, das macht Dr. Markovic, sie hat da große Erfahrung. Deutschland, England, Saudi-Arabien – die Frauen kommen von überallher. Wenn die Vaginalstraffung nicht ausreicht, rät sie zur operativen Verengung des Vaginaleingangs. Da bist du dann aber für acht Wochen außer Gefecht, und es kostet eine Kleinigkeit.«

Auch das hat ihr der Professor erzählt, denkt Mara, nur nicht, dass Dr. Markovic sie behandeln würde. Die Russin mit der Leidensmiene, sie hat sie im Vorübergehen gesehen und Schwester Inge gefragt, die gerade zum Dienst kam. Der Gedanke, dass die Russin zwischen ihren Beinen rummacht, ist ihr irgendwie unangenehm. »Acht Wochen kein Sex! Das ist schon der Hammer. Das macht ja kein Mann mit!«

Meiner schon, denkt Inge. Seit sie Nachtschichten schiebt, ist das eheliche Liebesleben eingeschlafen. Peter arbeitet in der Finanzlandesdirektion, und wenn sie nach Hause kommt, macht er sich auf den Weg in die Arbeit. Gerade noch Zeit für einen Kaffee und ein Busserl. Für einen kurzen Augenblick beneidet sie die Schauspielerin für deren exotisches, erotisches Leben. Wenn genug Geld für eine Eigentumswohnung zusammen ist, wird sie die Nachtschichten aufgeben. Weniger Geld, dafür mehr Sex.

Mara entscheidet sich, nun endgültig in ihr Zimmer zu gehen. Kein Kaffee mehr und keine Schwester Inge, die gerne tratscht. Das geht ihr irgendwann auf die Nerven, weshalb sie sich jetzt verabschiedet und Inge einen schönen Feierabend wünscht. Was komisch klingt um diese Uhrzeit, denn draußen wird es hell, und die Notlichter im Flur erlöschen.

»Toi, toi, toi.« Die Schwester nickt Mara zu und drückt auf den Espressoknopf. Sie ist todmüde, aber mit Koffein wird sie die letzte Stunde auch noch schaffen. Noch einmal nach den Patientinnen schauen, diskret und ohne sie aufzuwecken. Man ist ja nicht in einem Krankenhaus, sondern in einer exklusiven Schönheitsklinik. Das Gehalt ist besser und die Arbeit leichter. Natürlich sind ein paar von den Frauen anstrengend. Weil die glauben, sie könnten alle Leut mit ihrem Geld zuscheißen. Aber im Großen und Ganzen sind das auch nur notige Hascherln. So eine Angst vorm Altern. Und man merkt es doch: an den Händen, den Knien, dem Geruch … alte Frauen riechen anders als junge Menschen. Da hilft auch Chanel No. 5 nix.

 

Nach dem Espresso macht Schwester Inge ihre kleine Runde, Mara sitzt gerade auf dem Klo und ruft heraus, dass alles okay sei. Zimmer zwei steht leer, in Nummer drei schläft der Fernsehmoderator nach der Fettabsaugung. Daneben die Journalistin mit der Nasenkorrektur, auch sie wird nicht geweckt. Alma Zoppot hat sich die Decke über den Kopf gezogen. Die Brustvergrößerung durch Eigenfett im Zimmer daneben schaut in ihren Computer und kaum hoch, als Inge die Tür einen Spaltbreit öffnet. Ob sie einen Jasmintee haben könnte, fragt sie dann doch, und die Schwester verspricht ihr, ihn gleich zu bringen. Manche der Damen lassen beim Verlassen der Klinik Trinkgeld zurück, nur kassiert das meistens die Tagschwester. Darüber hat sich Inge beim Professor schon beschwert, und er hat versprochen, Abhilfe zu schaffen. Nur scheint er das leider wieder vergessen zu haben, denn geschehen ist nichts. Der Professor ist lieb, aber zerstreut. Man muss ihm alles dreimal sagen. Die Olga Markovic dagegen hat ein Elefantengedächtnis. Oberärztin, was aber ein Witz ist, weil in der Klinik nur zwei plastische Chirurgen arbeiten, sie und der Professor. Nebenbei hat sie noch eine Hautarztpraxis, die Dr. Markovic, die kennt nur Arbeit, kein Vergnügen. Ausschauen tät sie gar nicht schlecht, aber es fehlt ihr an – wie nannte es der Professor? – Empathie. Weshalb immer nur er die Erstgespräche mit den Patienten führt. Unsere gute Olga würde alle Patienten vergraulen, sagt er öfter, und sie verzieht keine Miene. Dafür ist sie eine gute Operateurin, spezialisiert auf Fettabsaugung, Brustvergrößerungen und alles, was mit Vagina, Anus und Hoden zu tun hat. Ob die irgendwie pervers ist?

Inge öffnet behutsam die Tür des letzten Zimmers in ihrer Runde: eine prominente deutsche Schauspielerin, großes Facelifting. Ist inkognito angereist mit Hut und Riesensonnenbrille. Inge musste sich schwer zusammenreißen, um der neugierigen Journalistin nichts zu verraten. Wo sie doch so gerne tratscht, und die Journalistin ihr schon beim Einchecken einen Hunderter zugesteckt hat. Das Facelifting liegt auf dem Rücken und schnarcht. Schmerz – und Schlafmittel. Die Schwester checkt den Tropf und trippelt dann leise zur Tür. Schließt sie lautlos, so sind die Türen extra konstruiert, und geht ins Schwesternzimmer. Sie trägt die Ereignisse der Nacht ins Buch ein, während der Jasmintee zieht. Dann legt sie noch ein Gebäck aufs Tablett, die meisten Damen verschmähen alles Süße, weshalb sie es grad aus Bosheit immer macht. Bringt der Brustvergrößerung ihren Tee, wünscht einen guten Morgen und denkt sich »gute Nacht«. Ihre Energie wird grad noch reichen, um nach Hause zu fahren. In die Mietwohnung am Grieskai, die ist nicht schön, aber billig. Wo sie doch auf die Eigentumswohnung in St. Peter sparen. Danach könnte man darüber nachdenken, die Familie um ein Kind zu erweitern. Andererseits wär ein Zweitauto auch nicht schlecht, sie teilen sich den Fiat auf, jede zweite Woche muss Inge mit der Straßenbahn zur Arbeit fahren. Und ein Urlaub auf den Malediven, davon träumt Inge auch, während ihr Mann von einer Ducati schwärmt. Ein Motorrad – wer braucht denn so was?!

 

Inge zwingt sich zu einem Lächeln, als sie von der Tagschwester abgelöst wird. So eine gʼselchte Blonde, kein Gramm Fett am Leib, und am weißen Schwesternkittel ist immer ein Knopf zu viel offen. Die schmeißt sich an die männlichen Patienten ran und behandelt die Frauen eher unterkühlt. Grad noch so freundlich, dass sie damit durchkommt.

»Gab’s irgendwas heut Nacht, Schwester Inge?«

»Nix Besonderes. In einer Stund ist die Mara Sibelius bei Dr. Markovic auf dem Stuhl. Und wir erwarten am Vormittag zwei Neuzugänge.«

»Ich weiß, Schwester Inge.«

Du blöde Funzn, denkt Inge, lächelt süß, nimmt ihre Handtasche und geht. Den Schwesternkittel zieht sie auf dem Flur aus und wirft ihn im Vorübergehen in die Wäschekammer. Aus der Küche hört sie Klappern, die Schwesternschülerin bereitet das Frühstück vor. Ein neuer Tag beginnt. Sie sind alle so ähnlich, die Tage, denkt Inge. Wenn die Wochenenden nicht wären und die Träume, sie könnt sich glatt hamdrahn …