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A ls Zeriel nach uns rief, schaltete sich sofort mein Instinkt ein.
»Helft mir! Hilf mir doch jemand!«, schrie er aus weiter Ferne.
Wir sprangen alle auf und eilten zu ihm hinüber, angespornt von einem erschreckenden Gefühl der Dringlichkeit. Ich erstarrte beim Anblick von Vesta, die im Sand lag und zuckte, während Zeriel versuchte, sie festzuhalten. Ihre Augen waren weiß und in ihren Kopf gerollt. Jeder Muskel in ihrem Körper zuckte, ihre Glieder zitterten, während sie nach Luft rang.
»Was zum Teufel geht hier vor?«, schrie Lumi und fiel auf die Knie, um Vesta festzuhalten.
Ich tat es ihr auf der anderen Seite gleich und hielt Vestas Beine fest. Unsere junge Elfin war völlig außer sich, zitterte und wand sich, während wir versuchten, sie davon abzuhalten, sich zu verletzen.
»Meine Güte ... Was stimmt nicht mit ihr?«, fragte Taeral atemlos.
»Das wissen wir nicht«, antwortete ich, »aber ich muss sie am Boden halten, bis es aufhört.«
Taeral nickte und sank auf den Boden, um zu helfen, Vesta festzuhalten.
Kailani kniete neben Vestas Kopf und drückte ihre Finger sanft gegen ihre Schläfen. Sie murmelte flüsternd einen Zauberspruch, aber er zeigte keine Wirkung. Sie und Lumi wechselten Blicke, dann flüsterten sie beide einen weiteren Zauberspruch und schlossen die Augen, während sie Vesta am Boden hielten.
»Ich weiß nicht, was hier vor sich geht«, sagte Zeriel mit zittriger Stimme.
»Es ging ihr gut, wir unterhielten uns ... Aber auf einmal sah ich nur noch das Weiß in ihren Augen und sie begann sich zu verkrampfen.«
»Da kommt Wasser aus ihr heraus«, murmelte Serena mit weit aufgerissenen Augen.
Draven schloss sich mir an und hielt Vestas Beine fest und wir schauten alle auf die Elfin. Wasser tröpfelte aus ihrem Mund, ihrer Nase, ihren Augen und Ohren, ähnlich wie bei der Sache mit Aya. Aber was hier passierte, war irgendwie anders.
Irgendetwas geschah mit Vesta und wir wussten nicht, was es war. Die Sumpfhexenzauber halfen nicht, egal wie oft Kailani und Lumi sie aussprachen. Taeral und Zeriel hielten sie fest, während Kailani und Lumi weiter versuchten, sie von dem zu heilen, was auch immer sie plagte.
Bogdana, Bijarki und Serena waren fassungslos und konnten ihre Augen nicht von ihr nehmen. Das Schlimmste war, dass wir, ohne zu wissen, was genau diese Krämpfe ausgelöst hatte, nichts tun konnten, um ihr zu helfen.
»Ist das das Werk der Hermessi?«, fragte Bijarki.
Ich zuckte die Achseln. »Das weiß ich nicht. Es könnte sein. Es würde das Wasser erklären, das immer wieder aus ihr herauskommt, aber dann sollte Aya irgendwann auftauchen. Es fühlt sich ... anders an.«
»Das ist es auch. Sie ertrinkt«, antwortete Lumi. »Im wahrsten Sinne des Wortes!«
»Sie ist eine Wasserelfin, das kann nicht sein!«, rief Bogdana. »Wie kann sie ertrinken?«
»Sie ist mehr als eine Wasserelfin«, sagte ich. »Die meisten von uns haben eine Verbindung zu allen Elementen, beherrschen aber vor allem eines. Vesta beherrscht sie alle nahezu vollkommen.«
»Das ändert nichts an der Tatsache, dass Elfen nicht ertrinken können!«, mischte Taeral sich ein.
Das Wasser der Lagune begann zu sprudeln, als ob es kochen würde. Dampf rollte von der Oberfläche, stieg in die Luft und wurde durch die anschwellenden Winde zerstreut.
»Wo wir gerade von den Elementen sprechen«, murmelte Bijarki und sah sich um.
Der Boden begann zu beben. Sturmwolken zogen über uns auf und wirbelten wie schwarze Tinte über den Sternenhimmel. Sie verschluckten die Sterne und den Mond, bevor sie aufrissen und einen gewaltigen Sturm entfesselten. Die Winde wurden stärker, was es für
uns schwieriger machte, uns aufrecht zu halten und Vesta festzuhalten.
Ihre Finger zuckten und ihre Brust fing auf seltsame Weise an zu surren.
Bogdana sah verängstigt aus. »Ich habe diese Art von Anfällen schon einmal gesehen«, sagte sie. »Das ist Vestas Werk.«
»Wie? Sie ist vollkommen weggetreten!«, antwortete Zeriel, der wie wir alle völlig verwirrt war.
»Es geht um ihre Verbindung zu den Elementen. Sie ist in gewisser Weise gestört«, erklärte die alte Elfin. »Es kommt selten vor, aber das ... das ist definitiv ihr Handeln.«
Auf der anderen Seite der Lagune schlug ein Blitz ein. Der tosende Knall durchbohrte fast unser Trommelfell. Das Wasser stieg an und klatschte wütend gegen das Ufer, schäumend und blubbernd. Die Luft wurde heiß und fast nicht mehr atembar, während der Sturm um uns herum weiter tobte.
»Was sollen wir tun? Wir müssen etwas tun!«, schrie Zeriel ganz außer sich. »Wir können nicht einfach hier sitzen, sie festhalten und ihr beim Sterben zusehen!«
Der Tritonenkönig war mit den Nerven am Ende und ich konnte nicht anders, als Mitleid mit ihm zu haben. Verdammt, ich konnte seinen Schmerz ganz deutlich spüren. Es war nicht einfach, jemanden, den man liebt, so leiden zu sehen. Es traf einen hart, wie Tausende von Messern, die einem Knochen und Muskeln durchbohren.
Aber es gab nicht viel, was wir tun konnten. Ohne die Ursache des Problems zu kennen, konnten wir das verdammte Problem auch nicht lösen. Und da sich die Naturkatastrophe um uns herum allmählich immer mehr ausbreitete, wurde es mit jeder Minute schwieriger, uns zu konzentrieren.
»Lumi, Kailani, könnt ihr noch etwas tun?«, fragte ich. Es war ein Schuss ins Blaue, denn sie hätten eindeutig etwas unternommen, wenn sie gewusst hätten, wie Vesta zu helfen war.
Lumi schüttelte den Kopf. »Ein Koma könnte ihr Herz vor dem Stillstand bewahren. Aber das ist keine Garantie. Wir werden vielleicht nicht herausfinden, was mit ihr nicht stimmt.«
»Aber es würde sie vom Sterben abhalten, richtig?«, fragte Zeriel, dessen Gesichtsfarbe gänzlich verschwunden war.
»Ich glaube schon«, antwortete Lumi.
»Dann tu es. Koste es, was es wolle!«, brüllte Zeriel.
»Alter, wir versuchen hier alle zu helfen. Reiß dich zusammen!«, rief Taeral.
Aber der Tritonenkönig ließ sich nicht zurechtweisen. Er war zu besorgt um Vesta, und ich erkannte in diesem Moment, dass er sich so sehr in sie verliebt hatte, dass, wenn Vesta sterben würde, auch ein Teil von ihm sterben würde. Ich erkannte diesen Blick in seinen Augen. Ich hatte ihn an mir selbst gesehen. Ich hatte River einmal fast verloren. Ich verstand die Angst, den Schmerz.
Bogdana streckte die Hände aus und schloss die Augen, als sie versuchte, die Elemente zu mildern. Was auch immer Vesta unbewusst tat, die alte Elfin versuchte, es rückgängig zu machen, indem sie ihre eigenen Elfenkräfte in die Mischung einfügte, um der von Vesta entgegenzuwirken. Das schien seinen Tribut von Bogdana zu fordern, die zu schwanken und zu husten begann.
»Meine Güte, ist dieses Mädchen stark«, keuchte Bogdana.
»Mach weiter mit dem, was du tust!«, sagte ich, zu sehr damit beschäftigt, die überraschend starke Vesta festzuhalten.
Taeral schloss sich der alten Elfin an und stellte seine eigene elementare Verbindung her, um ihr zu helfen. Er löschte die Feuer, die begonnen hatten, den Dschungel auf der anderen Seite zu verzehren – hätte er nichts getan, hätte sich das Feuer auf unsere
Seite ausgebreitet und uns alle in Gefahr gebracht.
»Wartet! Seht mal!«, sagte Bogdana und zeigte auf Vesta.
Die Augen unserer Elfin leuchteten blau. Ihre Lider schlossen sich und sie beruhigte sich. Ihre Muskeln entspannten sich endlich.
Wir sahen uns alle an, als hofften wir, dass einer von uns eine Antwort haben würde.
Unerwartet löste sich der Sturm auf. Der Boden hörte auf zu beben. Der Himmel klärte sich und die glitzernde und ruhige Nacht kehrte innerhalb eines Augenblicks wieder zurück. Stille legte sich über die Lagune. Die Nacht mit ihrem dunklen Himmel und dem glühenden Saphirmond schritt voran. Es war fast so, als sei gar nichts geschehen, obwohl die Lagune neue Narben trug. Dutzende von Bäumen waren verkohlt. An den Stellen, wo der Blitz eingeschlagen hatte, ragten gläserne Tentakel aus dem Sand hervor. Der Geruch von verbranntem Holz kitzelte in unseren Nasenlöchern.
Aber was auch immer Vesta durchgemacht hatte, es schien sich gelegt zu haben. Ihre Krämpfe hatten aufgehört, aber sie wachte noch nicht auf.
Zeriel streichelte über ihr Gesicht und wischte sanft das Wasser und den Schweiß von ihrer Stirn und ihren Wangen. Was auch immer das gewesen war, es musste mit den Hermessi zusammenhängen. Alle, die qualifiziert waren, in dieser Angelegenheit zu helfen, waren anwesend gewesen, aber keiner hatte gewusst, wie man das Problem beheben oder Vesta
zurückholen konnte.
»Jetzt können wir nur noch abwarten«, sagte ich, unglücklich über meine eigene Einschätzung.
»Ich werde versuchen, mit den Hermessi Kontakt aufzunehmen, wenn das in Ordnung
ist«, antwortete Bogdana. »Vielleicht antworten sie. Sie könnten uns sagen, was mit ihr los ist.«
Lumi nickte und ließ einen tiefen Seufzer aus ihrer Brust herausrollen, während sie es sich an Vestas Seite bequem machte. Sie und Kailani blieben in der Nähe und hielten immer eine Hand über der Elfin, während sie weiter verschiedene Heilzauber flüsterten. Doch was Vesta plagte, war nichts Körperliches, sodass die Zaubertränke, die wir bei uns hatten, keinen Einfluss auf ihren Zustand hatten.
Nein, dies musste etwas mit den Elementen zu tun haben.
»Wir werden abwarten«, murmelte Zeriel, seinen Blick auf Vesta gerichtet. »Ihr tut, was immer ihr tun müsst, bis wir sie zurückbekommen.«
»Das werden wir, Tritonenkönig«, antwortete ich. »Früher oder später bekommen wir sie zurück.« Ich legte eine Hand auf Zeriels Schulter, während ich versuchte, meinen eigenen Worten zu glauben.