Sofia
T aʼZan sagte eine Weile lang gar nichts.
Das ist nie ein gutes Zeichen.
Aber ich schaute nicht weg. Er würde schließlich nicht für immer schweigen. Er hatte etwas zu sagen, aber vielleicht dachte er, es würde eine dramatischere Wirkung haben, wenn er es erst nach einer langen Pause aussprach. Und tatsächlich ging sein Plan auf. Aber ich war nicht so dumm, ihm das zu zeigen.
»Eure Kinder haben mich zum letzten Mal zum Narren gehalten«, sagte er schließlich.
Ich biss mir in die Wange, aus Angst, ich könnte nicht verhindern, dass sich ein Grinsen auf meinem Gesicht ausbreitete. Das Letzte, was ich wollte, war, ihn noch wütender zu machen.
»Wovon redest du?«, fragte ich und gab mich unwissend.
Er schob einen Kristalltablet in den Glaskasten. Ich nahm ihn an mich und beobachtete kurz die Glaswand aus nächster Nähe, als er seine Hand wieder zurückzog.
»Ihr habt mir etwas Kostbares weggenommen, Sofia«, sagte TaʼZan. »Und es ist an der Zeit, dass ich aufhöre, mit euch vernünftig reden zu wollen. Ich habe im gesamten Kolosseum ein Überwachungssystem eingerichtet. Es hat eine Weile gedauert, bis wir die entsprechende Technologie einsetzen konnten, aber eure Raumschiffe waren dafür äußerst hilfreich. Das, genau das hier, geschieht gerade in Echtzeit.«
Ich runzelte die Stirn und sah auf den Bildschirm in meinen Händen. Auf der klaren Oberfläche wurden mehrere Videobilder in hervorragender High-Definition-Qualität angezeigt. Ich sah mir Live-Aufnahmen von verschiedenen Teilen des Kolosseums an, darunter auch aus der Diamantkuppel. Mein Atem stockte, als ich Derek auf dem Bildschirm erkannte.
»Du hast die Videoüberwachung durchschaut. Gut gemacht«, murmelte ich, mehr zu mir selbst, bevor ich ihn mit hochgezogener Augenbraue ansah. »Was soll ich mir genau ansehen? Ich kenne die Kuppel. Ich war selbst dort gefangen, schon vergessen?«
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Derek. Seine Stimme kam durch die winzigen Lautsprecherlöcher an der Seite und lenkte meinen Fokus zurück auf den Bildschirm. Etwas geschah in der Diamantkuppel.
»Du kannst hineinzoomen, wenn du willst. Ich empfehle es dir, da es gleich sehr interessant wird«, sagte TaʼZan und starrte auf den Tablet. Der Schatten eines Lächelns huschte über sein Gesicht.
Ich tat, was er gesagt hatte, und benutzte meinen Zeigefinger und Daumen, um die Kuppelkamera heranzuzoomen. Cassiel war gerade hereingekommen, begleitet von zwei Vollkommenen-Wachen. Derek und die anderen versammelten sich vor ihnen, als wären sie jeden Moment bereit, sich zu wehren.
»Ich habe eine Nachricht von TaʼZan«, sagte Cassiel.
Meine Kehle schnürte sich zusammen. Ein kurzer Blick auf TaʼZan und ich wusste bereits, was passieren würde. Seit meiner Gefangennahme hatte ich mich mehr als einmal in seine Lage versetzt. Ich konnte mir vorzustellen, was er unter anderen Umständen tun würde. TaʼZan zwinkerte mir zu und das ließ mich erschaudern.
»Hört gut zu«, fuhr Cassiel fort. »Eure Leute haben unserer Welt genug Schaden zugefügt. Ihr seid böse und habt versucht, uns die Flügel zu stutzen. TaʼZans Gnade ist nicht grenzenlos und es ist an der Zeit, dass ihr das alle versteht. Unser Vorhaben, eure Leute lebendig zu erwischen, hat ab sofort keinen Belang mehr. Und da keiner von euch versuchen wird, eure Leute zur friedlichen Kapitulation zu überreden, haben wir leider keine andere Wahl.«
»Nein ... Das darf nicht wahr sein ... Nein!«, flüsterte ich mit von Angst belegter Stimme.
Die beiden Vollkommenen-Wachen gingen zu Dereks Gruppe hinüber und führten einen der Elfen ab. Ich kannte ihn nicht, aber ich merkte, dass er sehr widerstandsfähig war, denn er kämpfte gegen die Wachen an, obwohl sein Elektrohalsband wahrscheinlich schon überhitzt war. Schließlich war hier keine Form von Widerstand erlaubt.
Sie brachten den Elfen zu Cassiel. Eine der Wachen trat ihm in die Kniekehle und zwang ihn zu Boden. Der Elf befand sich nun direkt vor Cassiel und sah Derek und die anderen an. Ich hatte keine klare Sicht auf sein Gesicht, aber ich konnte mir nur allzu gut vorstellen, was ihm gerade durch den Kopf ging.
Ich konnte nicht einmal mehr atmen.
»Die Forderung ist simpel«, fuhr Cassiel fort, während er seine langen, schwarzen und erschreckend scharfen Krallen ausfuhr. »Ergebt euch alle, sonst töten wir alle zwölf Stunden einen Gefangenen.«
»Nein. Nein! Nein! Nein!«, schrie Derek und versuchte, Cassiel von dem, was er vorhatte, abzuhalten.
Lucas und Xavier hielten ihn zurück. Die anderen Gefangenen tobten und brüllten. Dann schlitzte Cassiel dem Elfen mit einer schnellen Bewegung die Kehle auf.
»Nein!«, schrie ich.
Meine Finger umklammerten das Tablet und mein ganzer Körper zitterte. Tränen stiegen mir in die Augen und rollten unkontrolliert über meine Wangen. Mein Herz tat mir weh und ich wusste nicht, was ich tun oder sagen sollte. Ich war gerade Zeugin der Hinrichtung von einem von uns geworden. Alles, woran ich denken konnte, war, durch das Glas zu brechen und TaʼZan die Kehle aufzureißen.
Ich sehnte mich danach, ihn bluten zu lassen. Trotzdem konnte ich nicht vom Bildschirm wegsehen.
»Du Monster!«, brüllte Derek.
»Dafür wirst du bezahlen!«, knurrte Lucas. »Das wirst du büßen! Ich werde dich bluten lassen, solange, bis nichts mehr von dir übrig ist!«
Cassiel zuckte die Achseln, während die Menge weiter bebte. Einige brachen zusammen, weil sie vom Elektrohalsband einen Stromschlag verpasst bekommen hatten. Sie hatten versucht, anzugreifen, aber TaʼZans Technologie war zu überlegen, um das zuzulassen.
»Richtet das den Fremden aus«, befahl Cassiel. »Sie haben die Kommunikationsblocker ausgeschaltet, weshalb ihr sicher mit ihnen in Verbindung steht. Ihr habt vielleicht gerade keine Geräte zur Hand, aber ich erinnere mich, dass während meiner kurzen Begegnung mit euren Leuten eine Seelenverbindung namens Telluris erwähnt wurde. Einer von euch muss dadurch mit ihnen verbunden sein. Sagt ihnen also, dass wir in genau zwölf Stunden einen weiteren Gefangenen töten werden, wenn sie sich nicht ergeben. Es wird keine Verhandlungen geben. Keinen Waffenstillstand. Gar nichts. Sie müssen sich ergeben, oder wir töten eure Leute so lange, bis sie sich ergeben.«
Ich starrte TaʼZan an, meine Wangen glühten. »Du ... Du bist ein Monster.«
»Ich bin der Herrscher dieser Welt. Und ich werde der Herrscher aller Welten sein, ob es dir gefällt oder nicht«, antwortete TaʼZan trocken. Seine Wut kochte unter der Oberfläche, aber er wollte nicht, dass ich es sah.
Genauso, wie ich nicht wollte, dass er mein körperliches Unwohlsein bemerkte. Mein Schockhalsband war kurz davor, mich mit einem Stromschlag zu töten. Es war bereits so heiß, dass ich es kaum noch ertragen konnte. Aber ich konnte ihm das nicht zeigen. TaʼZan war wie ein Hai, der darauf wartete, mein Blut im Wasser zu schmecken.
Aber alles, was er bekam, war ein eine verbale Ohrfeige.
»Töte so viele von uns, wie du willst«, sagte ich. Meine Stimme zitterte, aber meine Entschlossenheit war ausgeprägter denn je. »Trenn mich von meinem Mann. Folter uns, bis dir langweilig wird. Nichts, was du tust, wird den Ausgang deiner Handlungen verändern. Du wirst scheitern. Du wirst alles und jeden verlieren. Und du wirst sterben. Hör mir zu, TaʼZan, du befindest dich auf keinem guten Pfad. Ich weiß nicht, was genau dich auf diesen Weg gebracht hat, aber es ist nicht zu spät, um umzukehren. Du kannst immer noch dafür sorgen, dass all das nicht geschieht. Uns zu vernichten, wird dich deinem eigenen Untergang nur näher bringen. Glaub mir ... Ich habe das schon einmal gesehen.«
Seine Lippen verzerrten sich vor Verachtung. Hass flackerte blau und grün in seinen Augen auf. »Ich werde nicht vor dir sterben, so viel weiß ich mit Sicherheit. Sofia, sei nicht dumm. Du, Derek und alle anderen, die die nächsten Tage überleben, werden in dieser Kuppel sterben. Ihr werdet nie wieder die Freiheit erleben.«
»Du kannst mich mal!«, fauchte ich ihn an und zeigte wütend mit einem Finger auf ihn. »Schneide uns auf und töte uns, wenn du willst! Du wirst alles verlieren, weil es auf Lügen aufgebaut ist! Nur die Wahrheit überlebt! Nicht du, TaʼZan! Nicht du, du Betrüger
Der letzte Satz traf ihn tief. Und ich bereute es kein bisschen.
»Ich habe schon früher versucht, vernünftig mit dir zu reden«, fügte ich hinzu. »Mein Mann hat es auch versucht. Aber du bist einfach so verdammt stur und willst es nicht begreifen. Also musst du die Dinge eben auf die harte Tour lernen, genau wie alle anderen, die dachten, sie könnten es mit dem Universum aufnehmen.«
Ich wollte, dass er leidet, und das war das Mindeste, was ich tun konnte, für das abscheuliche Verbrechen, das er gerade begangen hatte. Ein Elf war vor meinen Leuten ermordet worden. Ein Leben war ausgelöscht worden, alles nur, damit TaʼZan bekam, was er wollte.
Wir konnten nicht zulassen, dass noch jemand getötet wurde, aber wir konnten unsere Kinder auch nicht ausliefern. Das Team von Ben und Rose stand vor einer unmöglichen Wahl, und ich hatte keine Ahnung, was sie tun würden. Ich konnte nur hoffen, dass es ihnen trotz all des Blutvergießens und der Angst gelingen würde, einen klaren Kopf zu bewahren und etwas Kluges zu tun.
TaʼZan hatte den Einsatz erhöht, aber wir durften nicht aufgeben. Wir waren zu weit gekommen, um jetzt aufzugeben.