Rose
» W en? Wen hat er getötet?«, murmelte Taeral, seine Augen waren weit aufgerissen vor Entsetzen und Trauer. Als Erbe des Feuersterns war er tief mit den Elfen verbunden. Sie waren sein Volk, ganz gleich, ob sie nun auf dem Feuerstern oder anderswo geboren waren. Jeder Tod traf ihn schwer.
»Sein Name war Floren«, antwortete Vater. »Floren Pyris. Er gehörte zum Militärkorps des Feuersterns.«
Taeral senkte den Kopf. Trauer verzerrte sein schönes Gesicht und es tat mir in der Seele weh.
»Warum hat Cassiel das getan?«, fragte ich.
»Um euch eine Botschaft und ein Ultimatum zu senden«, sagte Vater. »Er weiß, dass wir irgendwie miteinander kommunizieren, aber er ist sich nicht sicher, wie. Ich habe den Ohrstöpsel gut versteckt und selbst wenn wir ihn verlieren, haben Jax und Jovi eine tellurische Verbindung zu Heron und Dmitri. Sie haben vor der Hinrichtung eine vollständige Durchsuchung durchgeführt.«
Ridan fluchte leise vor sich hin und ging in die Hocke, um seine Wut zu unterdrücken. Er zitterte wie Espenlaub. Furcht erstarrte das Blut in meinen Adern und hinderte die Luft daran, in meine Lungen zu gelangen.
»Cassiel sagte, dass er alle zwölf Stunden einen weiteren Gefangenen töten wird, wenn ihr euch nicht alle ergebt und auch Amane und Amal zurückbringt«, fügte mein Dad hinzu. »Er sagte, dass TaʼZan die Dinge von nun an nicht mehr so freundschaftlich angehen wird.«
Elonora schnaubte. »Das ist doch Unsinn ...«
»Wann hat er den Elfen hingerichtet?«, fragte ich Dad und unterbrach Elonoras Einwand.
Die Zeit war plötzlich von höchster Wichtigkeit. Wir hatten einen Elfen verloren und uns war ein blutiges Ultimatum gestellt worden. Das Leben der Gefangenen hing nun davon ab, dass wir uns ergaben und alle Hoffnung ablegten. Jede Faser in meinem Körper wehrte sich gegen den Gedanken, aufzugeben. Es war einfach keine Option, und wir alle wussten das.
Wir sahen uns an, als ob wir auf die gleiche Frequenz eingestellt wären, und unsere Gedanken verschmolzen praktisch miteinander. Einer nach dem anderen nickten wir alle. Ich brauchte es nicht laut auszusprechen, aber wir alle verstanden die Dringlichkeit und die extremen Maßnahmen, zu denen wir möglicherweise greifen mussten, um das Blutvergießen und die Vollkommenen aufzuhalten. Und das alles auf einmal.
»Vor etwa zwanzig Minuten«, antwortete mein Vater.
Ich blickte auf die Uhr und schaute dann zu Ben. »Damit bleiben uns noch elf Stunden und vierzig Minuten bis zur nächsten Hinrichtung«, murmelte ich.
»Er ist wütend, Rose. Wir haben es geschafft, bei diesem Bastard eine ganz schöne Lunte zu zünden«, sagte Dad, dann seufzte er schwer. »Jetzt greift er auf Mord zurück, um euch alle zu uns zu holen.«
»Wir sind eine Bedrohung für ihn«, antwortete Douma mit fester Stimme. »Er handelt zunehmend unachtsam. Das sieht ihm gar nicht ähnlich.«
Rückblickend war es uns mehrfach gelungen, TaʼZan zu verstimmen. Laut Douma wurde er umso nachlässiger, je wütender er wurde. Vielleicht war dies seine ‚unvorsichtige‘ Phase, in der er anfällig für potenziell fatale Fehler war.
Dies könnte unser Schlüsselmoment sein, um seine Operationen endgültig zu vereiteln. Um seine Schwachstelle zu finden, mussten wir ihn zu Fall bringen. Aber da nun auf einmal das Leben von Gefangenen auf dem Spiel stand, war die Zeit, die uns für dieses Vorhaben noch zur Verfügung stand, plötzlich nahezu abgelaufen und wir mussten dringend handeln.
Nachdem ich noch einmal auf die Uhr geschaut hatte, schnürte sich mir die Kehle zu. Ich stand kurz vor einer Panikattacke. Ich griff mit aller Kraft nach dem Unterarm meines Bruders. Er wusste genau, was mir durch den Kopf ging. Ben war mein Zwilling. Selbst mit seinem Elfenkörper war er noch mit meiner Seele verbunden und ich mit seiner.
Er zog mich näher heran und drückte dann seine Lippen gegen meine Schläfe.
»Wir kriegen das schon hin«, sagte er.
»Wir sind zu weit gekommen«, fügte Elonora hinzu. Nevis stand neben ihr. Die gleiche Art von unzerbrechlicher Entschlossenheit flackerte in seinen Augen. »Wir werden ihn zu Fall bringen.«
»Nur müssen wir uns echt verdammt beeilen«, antwortete Raphael.
»Wir sind alle an eurer Seite«, meldete sich Herakles zu Wort.
»Er befindet sich gerade an seinem schwächsten Punkt«, sagte Douma. »Aber er ist auch gefährlicher als je zuvor, wie ein in die Enge getriebenes Tier. Trotzdem, wir können ihn besiegen.«
Konnten wir das wirklich?
Wie oft hatten uns TaʼZan und seine Vollkommenen schon überrascht? Wie oft hatten wir geglaubt, eine Schlacht gewonnen zu haben, nur um wieder ein paar Schritte zurückgeworfen zu werden? Wie oft wollten wir uns noch davon überzeugen, dass wir es dieses Mal endgültig schaffen würden, bevor jemand wie Cassiel kam und alles zunichtemachte?
Es lag nicht in meiner Natur, der Verzweiflung zu erliegen, aber mit so vielen Gefangenen hatte TaʼZan viele unschuldige Leute in seiner Gewalt, die hingerichtet werden konnten, nur um uns aus dem Versteck in die Unterwerfung zu locken. Ich für meinen Teil war bereit, alles zu geben, um ihn zu besiegen. Aber wie viele Leben war ich bereit, dafür zu opfern?
»Rose. Wir schaffen das«, sagte Ben und bemerkte meinen Mangel an Reaktion.
»Ich glaube, wir sollten uns ergeben«, sagte Raphael und grinste wie ein Honigkuchenpferd.
Das verschlug uns ehrlich gesagt allen die Sprache. Die Art und Weise, wie er es gesagt hatte, zeugte von Mut und Unerschrockenheit. Aber die Worte selbst spiegelten Ergebung wider. Wenn wir bereitwillig ins Kolosseum gingen, dann aus gutem Grund und mit einem extrem guten Plan B.
Ich kannte Raphael gut genug, um sicher zu sein, dass er nicht einfach aufgeben würde. Im Gegenteil, eine Kapitulation war buchstäblich die letzte auf unserer Liste der Möglichkeiten. Als ich zu Ben aufblickte, bemerkte ich, wie sich sein Erstaunen über Raphaels Vorschlag in eine brillante Erkenntnis verwandelte.
Und dann, je mehr ich darüber nachdachte, begann auch ich ein Licht am Ende dieses Tunnels zu sehen. Wir befanden uns auf dem richtigen Weg, ganz sicher.