8.30 Uhr

Groß haßte den Gestank der Bahnschächte, der den Kopf dumpf machte und die Nase reizte. Ablenkung suchte er in seinen Erinnerungen, die sich fast sofort beim Blick durch die Wagenfenster einstellten, die vorbeisausenden Bilder nahm sein Hirn nicht wahr.

Er war auf eine etwas altmodische Idee verfallen, eine operettenhafte Altherrenattitüde, auf die er sich aber hartnäckig versteift hatte, weil er sich darüber klar war, daß ihn nur ungewöhnliche Maßnahmen voranbringen konnten. Von Ramon, der ihn dabei wissend betrachtete, hatte er Isabels Pension in Münster erfahren.

Er hatte der Frau im Blumenladen sehr genaue Anweisungen gegeben, die diese gewissenhaft auf einem Auftragszettel notierte, um sie später an die Kollegen in Münster telefonisch durchzugeben. Nicht dunkelrot sollten die zwanzig Rosen sein, sondern leuchtendrot mit einem gelben Herzen oder einem hellen Rand, so daß die Blüten wie Flammen wirkten, als ob sie ein Feuer der Leidenschaft in sich trügen.

Die Verkäuferin musterte Groß einen Augenblick ungläubig, aber davon ließ er sich nicht beirren. Und keinesfalls in diesem knisternden Cellophanpapier verpackt, sondern ganz schlicht in Papier gehüllt, fügte er hinzu, während er im Laden herumlief und aus einem Gefäß eine Rose zupfte, die seiner Vorstellung nahekam. Überraschenderweise duftete sie ein wenig, eine Seltenheit bei Treibhauspflanzen. Genauso wie diese Blüte sollten die bestellten Rosen sein, die äußeren Blütenblätter noch wenig von der knospenhaften Mitte abgehoben, das Geheimnis sollte sich erst nach und nach offenbaren, die Fülle der Seidenblätter, der berauschende Duft, von dem sich eine Kostprobe mitteilen würde, wenn Isabel langsam das Papier entfernte.

Groß schwelgte in seiner Vorstellung, und das wenige, was er davon mitteilte, ließ die Augen der jungen Verkäuferin glitzern. Es konnte natürlich sein, daß sich Isabel nur königlich amüsieren würde, er beließ es daher dabei, lediglich einen kurzen schriftlichen Gruß beizufügen statt einer romantischen oder vielleicht auch leicht schwülstigen Gedichtzeile. An sich war ihm nach Schwulst zumute gewesen.

Gitarrenklänge störten ihn aus der Versunkenheit auf. Ein junger Mann mit fettigen Rastalocken war zugestiegen und klimperte auf seinem Instrument, Groß verfolgte mit bösen Blicken seine Annäherung, von der die meisten Mitfahrenden keine Notiz nahmen.

Offenkundig waren die Berliner diese Art von Zumutung gewöhnt, konstatierte Rohleff. Aber er war ganz dankbar, daß der Schmuddelkerl Groß aus seiner Trance erlöste, er selbst war drauf und dran gewesen, ihn zu fragen, woran er so intensiv dachte. Es tat ihm leid, daß er Knolle nicht dabei hatte, mit ihm hätte er sich über den Fall gestritten, ihn aus allen möglichen und schwer denkbaren Perspektiven beleuchtet, und das hätte ihnen Schwung verliehen, statt dessen hockte neben ihm dieser stumme Fleischkloß.

Es paßte zu Rohleffs Enttäuschung, daß sie in der falschen Straße landeten, auch das wäre ihm mit Knolle nicht so leicht passiert, nörgelte er in Gedanken. Durch die Wiedervereinigung trugen eine Reihe von Straßen denselben Namen, sie mußten daher noch einmal durch die Stadt, diesmal von Kreuzberg nach Friedrichshain.

Wieder fuhr der Rastajüngling mit ihnen und hielt ihnen, nicht allzu aufdringlich, nach seiner Musikdarbietung ein Blechkästchen mit einigen klappernden Münzen hin.

»Zisch ab«, raunzte Groß.

Der Junge zog lediglich die Brauen hoch. »Einen schönen Tag noch«, wünschte er ungerührt, bevor er weiterging.

»Siehst du, der Knabe hat Stil«, sagte Rohleff, »der läßt sich nicht so einfach von Fremden anpöbeln, denen es mißfällt, daß er durch etwas Kulturarbeit seine Sozialhilfe aufbessert.«

»Bleib mir weg mit diesen Stinkern«, blaffte Groß.

Ramon öffnete ihnen im Schlafanzug, einem schwarz, blau und weiß gestreiften, der ihn bereits wie ein Sträfling aussehen ließ. Die Wohnung lag in einem Altbau, einem unsanierten, und den ganzen Weg die Treppen hinauf in den vierten Stock, vorbei an abblätterndem Putz und begleitet von unverkennbarem Uringeruch, äußerte sich Groß in abfälligster Weise über die baulichen Reste des jetzt vergangenen realexistierenden Sozialismus, bis Rohleff die Galle hochkam.

»Wenn du jetzt nicht das Maul hältst, wirst du in Zukunft nur noch Büroarbeit schieben und allenfalls Fliegenbeine auf madigen Leichen zählen, an solchen sturen, überheblichen Hunden wie dir krankt die ganze Wiedervereinigung. Ich kann verstehen, daß die hier im Osten gern auf die im Westen scheißen.«

Ramon glotzte die beiden Besucher aus verklebten Augen an, sein Mund bewegte sich kaum beim Sprechen.

»Was gibt's?«

Merkwürdigerweise schien in Ramons Blick, wie schon im Münsterschen Theater, kaum ein Schimmer des Wiedererkennens auf, dabei wußte Rohleff von Groß, daß es doch einige, wenn auch oberflächliche Kontakte zwischen den beiden Männern gegeben hatte. Seine eigene kurze Begegnung mit ihm im Übungssaal hielt er nicht für bedeutend genug, um auf Bekanntschaft pochen zu können. Sehr förmlich stellte er sich daher vor, wies danach auf Groß, nannte dessen Namen und Polizeirang, aber auch diesmal blieb Ramons Gesicht vollkommen unbewegt. Wahrscheinlich, dachte Rohleff, wacht der nur auf der Bühne richtig auf.

»Wir hatten Ihren Kollegen Fernando erwartet, der hier wohnen soll. Gestern habe ich mit einem Mitbewohner telefoniert und unser Erscheinen für heute angekündigt. Ist Ihr Partner denn nicht da?«

Es war schon mehr eine Feststellung als eine Frage, Ramons etwas belebterer Blick ließ auf vollständige Überrumpelung schließen. Wie sich schnell herausstellte, teilte sich Ramon mit Fernando und einem weiteren, im Augenblick ebenfalls abwesenden Mieter die düstere, verwinkelte Wohnung, in der es nach ungelüfteten Betten und verwahrloster Junggesellenwirtschaft roch. Groß setzte sich nicht, als Ramon sie in die Wohnküche geführt hatte, den Gemeinschaftsraum, und für ein paar Minuten verschwand.

»Glaubst du, daß er wirklich nicht gewußt hat, daß wir kommen?«

Groß antwortete nicht, dafür meldete sich Knolle. Rohleff stellte einige knappe Fragen und notierte sich die Antworten in einer ungemütlichen Haltung: Er preßte das Handy ans Ohr, während er mit der anderen Hand gleichzeitig seinen Notizblock festhielt und schrieb.

»Ich hab jetzt, was wir brauchen, Knolle macht sich als nächstes zu der Adresse von Isabel«, er schielte auf das oberste Blatt, »Moravia in Münster auf.«

Groß war mit zwei Schritten am Tisch und starrte auf die Notizen. In diesem Moment kehrte Ramon zurück, ein zumindest äußerlich verwandelter, der Aftershave-Duft verströmte. Rohleff betrachtete eingehend das Gesicht und kam zu dem Schluß, daß der Mann außerordentlich gut aussah, er bewegte sich jetzt auch anders, wieder straffer, geschmeidiger, nur die Miene hatte sich nicht geändert. Mit dem gestriegelten, naßglänzenden Haar und in einer engsitzenden schwarzen Hose kam er für Rohleff der gängigen Vorstellung von einem Latino nahe, wie sie etwa Hochglanzwerbungen für exotische Lifestyle-Getränke präsentierten.

»Was wollen Sie von Fernando?« fragte Ramon, als er sich setzte.

Zum erstenmal fiel Rohleff der Akzent auf. »Herr Puntavista, wir sind auf der Suche nach Ihrer Kollegin und Tanzpartnerin Isabel Moravia, wann hatten Sie das letztemal Kontakt zu ihr?«

Ramon zog ein Taschentuch aus der Hosentasche und schneuzte sich ausgiebig, dabei rötete sich sein Gesicht, die Stimme klang danach belegt. Rohleff erinnerte sich daran, daß der Mann vor kurzem noch krank gewesen war, offensichtlich litt er an den Nachwehen.

»Die wohnt nicht bei uns, sondern in Dahlem.«

»Die Adresse haben wir, Sie aber haben meine Frage nicht beantwortet.«

»Wann hast du Isabel zuletzt gesehen?« fragte Groß barsch.

Ramon sah voller Verwunderung zu ihm auf, dann verschloß sich sein Gesicht wieder.

»Da muß ich nachdenken. Ich war krank, deshalb ist Isabel für mich aufgetreten, das war am Mittwoch, kann sein, daß sie vorher noch bei mir vorbeikam, ja, ich glaube schon. Sie brachte was aus der Apotheke mit, was das Fieber senken sollte. Das Fieber hat mir sehr zu schaffen gemacht. Sonst wäre ich aufgetreten.«

»Wann genau kam Isabel?«

Ramon zuckte die Schultern. »Am Nachmittag, vor der letzten Probe, Fernando war schon weg. Und am Donnerstagvormittag kam sie noch einmal. Fragte, wo Fernando sei, sie wollte was von ihm, sie fuhr ja zurück nach Berlin.«

»Geht es Ihnen jetzt besser?« fragte Rohleff freundlich. »War's eine Grippe?«

»Grippe mit Fieber, und übel war mir, ich hätte dauernd kotzen können.«

»Fernando hat sich um Sie gekümmert?«

Ramon nickte langsam. »Die ganze Nacht lang, als es richtig schlimm wurde, ich habe ihn auf Trab gehalten.«

»Fernando als treusorgende Krankenschwester, die nicht vom Bett des Kranken weicht, aber als Isabel kam, war er nicht da«, sagte Groß spöttisch.

Rohleff, warf ihm einen ärgerlichen Blick zu. »Die Frage ist, war Fernando wirklich ununterbrochen in der Zeit, sagen wir, von Donnerstagnachmittag bis Freitagmorgen bei Ihnen?«

»Wenn Sie mir sagen, warum Sie die Fragen stellen, antworte ich«, sagte Ramon sehr langsam.

Groß hatte sich endlich auch hingesetzt und stützte die Arme auf den Tisch, beide Beamte schauten den Tänzer unverwandt an.

»Wir hatten ein Zimmer zusammen.« Es klang trotzig. »Am Mittwoch ging es mir noch nicht so schlecht wie am Donnerstag, da bekam Fernando Angst wegen des Fiebers, deshalb hat er sich nicht mehr weggerührt.«

Rohleff entschied, daß es Zeit für ein paar Informationen war, um die Lebensgeister von Ramon anzukurbeln, er hoffte, etwas mehr Reaktion hervorzurufen, als er, eins nach dem anderen, eine Reihe von Fotos auf dem Tisch auslegte. Die Tänzerin in der Totalen und in Ausschnitten, eins zeigte sie aus einer Entfernung von fünf, sechs Metern aufgenommen, so daß einiges vom Hintergrund, vom See und seinen Ufern, aufschien und das Bizarre der Szene deutlich herauskam. In bedächtigem Beamtendeutsch gab er die nötigsten Erklärungen, er beschränkte sich auf die Tatsache des Todes und den Fundort.

Je länger er redete, desto mehr zog sich Ramons Körper zusammen, der Kopf sank in die Schultern, der Rücken krümmte sich, Leere statt Verdrossenheit zeichnete die Züge. Längst hingen ihm die Haare wieder unordentlich in die Stirn.

Auch in der nachfolgenden Befragung zeigte er sich eher stumpf als abweisend oder betont störrisch. Immer häufiger benutzte er ein Taschentuch. Nur daran war zu erkennen, daß ihn der Besuch der zwei Beamten doch nicht kaltließ. Nicht eins der Fotos nahm er in die Hand, was Rohleff als normale Reaktion gewertet hätte, er starrte aber unentwegt darauf, und erst, als er endlich den Kopf hob, war zu sehen, daß seine Augen wie entzündet gerötet waren und tränenfeucht schimmerten.

»Haben Sie Isabel eigentlich gemocht?« fragte Rohleff.

Ramon wischte sich über die Augen. »Sie konnte eine ziemliche Kröte sein. Als Ersatzkraft war sie o.k.« Zum erstenmal klang so etwas wie Wärme in der Stimme auf, Anteilnahme, es war, als hätte der Wind plötzlich gedreht, oder Ramons Nerven gaben nach, der Schildkrötenpanzer, unter dem er sich verkrochen hatte, brach auf.

»Gab's nicht kleine Reibereien wegen der Auftritte?« fragte Groß sanft.

»Reibereien sind in unserem Gewerbe normal. Wenn Sie wollen, drehen Sie mir einen Strick daraus, Sie wollen uns doch an den Kragen.«

Rohleff begann, Sympathie für den Jungen zu entwickeln, er erkannte in ihm nun den Tänzer wieder, der ihm recht freundlich und offen im Übungssaal begegnet war – auf alle Fälle zugänglicher als Fernando.

Ramon erzählte schon beinahe aus eigenem Impuls heraus, wie er und sein Partner Isabel vor ein paar Monaten kennengelernt hatten und wie sich nach einigem Herumprobieren eine brüchige Zusammenarbeit auf Zeit entwickelt hatte. Es war allen Beteiligten klar gewesen, daß Isabel schon bald anderen Reizen nachjagen würde, ihr unsteter Sinn hatte sie um die halbe Welt getrieben.

»Woher stammen Sie und die beiden anderen, Ramon?« hakte Rohleff ein.

»Ich bin Argentinier und habe meine Ausbildung in Buenos Aires absolviert, am Teatro Colón.«

Groß zog scharf die Luft ein, Rohleff sah ihn fragend an.

Groß sprach über seinen Kopf hinweg zu Ramon. »Er weiß nichts. Nicht das geringste vom Tango Argentino und natürlich nicht, daß das Teatro Colón das größte der Welt ist. Wenn du dort getanzt hast ...«

Das Ende des Satzes schwebte im Raum, verblüfft sah Rohleff, wie sich die Blicke der beiden trafen, ein unverhohlen bewundernder Blick von Groß, unter dem Ramon so aufblühte, daß er das Schniefen vergaß. Statt dessen straffte sich der Argentinier sichtlich, alles Mürrische verflog, und etwas von dem Feuer erschien, das Rohleff bisher vergeblich erwartet hatte. Wahrscheinlich ist er einer dieser verkannten Künstler, dachte er, deren Denken nur um sich selbst kreist, ein Egomane.

Sie begannen die Befragung noch einmal von vorn, diesmal erfolgten die Antworten schneller, eloquenter, aber es blieb bei der Aussage, daß Fernando sich nicht von seinem Bett fortbewegt habe. Er, Ramon, wäre zwar von den Medikamenten ziemlich hinüber gewesen, aber es hätte ihm auffallen müssen, wenn sich der Freund für längere Zeit entfernt hätte, denn selbst in seinen fiebrigen Dämmerschlaf sei das Gitarrengeklimper Fernandos gedrungen, der sich wahrscheinlich bei der öden Krankenwache beschäftigen wollte. Es klang glaubhaft.

Ramon erhob keine Einwände, als Rohleff die übrigen Wohnräume zu sehen wünschte, vor allem Fernandos Zimmer. Vollgestopft mit Möbeln, über die abgelegte Kleidung und Wäsche drapiert war, glich es einer Rumpelkammer. Überall lagen Musikkassetten in dem Durcheinander, eine Ecke des großen Raumes nahmen eine Musikanlage, einige andere technische Geräte und zwei Gitarren ein, deren Holz wie frisch poliert glänzte. Groß strich kreuz und quer an Tischen und Stühlen vorbei, eine Hand fuhr über Kanten, Lehnen und allerhand Nippeskram, verstohlen tastend und prüfend, Rohleff folgte ihm, es war klar, daß zu einer regelrechten Durchsuchung erstens eine offizielle Genehmigung fehlte und zweitens eine Menge Zeit.

Das einzige, was bei der flüchtigen Sichtung herauskam, war die offenkundige Tatsache, daß Fernando ein Schlamp war. In der Tür drehte sich Rohleff noch einmal um, seine Hand griff nach etwas, automatisch hielt er es Groß hin.

»Laß deine Taschentücher nicht überall herumliegen.«

Groß hatte das Tuch schon eingesteckt, als Rohleff es bewußter registrierte: weißes Tuch mit burgunderrotem Randstreifen. Groß riß bereits die Tür zu Ramons Zimmer auf. Hier herrschte weniger Durcheinander, wenn auch nicht gerade peinliche Ordnung. Auf einem Tisch standen diverse Medikamente und nach Apotheke aussehende Pflegemittel so dicht, daß einige heruntergefallen waren, ein Hauch von Krankenhausatmosphäre lag im Raum. Rohleff bückte sich und hob ein Fläschchen und zwei Schächtelchen auf, die daneben lagen. Auf dem Deckel des einen war ein Insekt abgebildet.

»Irgendwie hab ich im Ohr, daß du diese Tanztruppe als drittklassig eingestuft hast«, sagte Rohleff, als sie wieder draußen standen. Groß betrachtete die Notizen in seiner Hand.

Zu den Informationen, die sie von Ramon erhalten hatten, gehörten die Adresse eines Theaters, in dem die Tangotruppe noch am Abend auftreten sollte, und die einiger Bars, in denen Fernando allein Gitarre spielte.

Groß schaute auf. »Ramon hat Talent, aber das geht vor die Hunde, wenn es nicht richtig gefordert wird. Er hätte in Buenos Aires bleiben oder dorthin zurückkehren sollen, statt sich hier so einem halbseidenen Kerl an den Hals zu hängen. Mir ist aufgefallen, daß er keinen Augenblick daran gezweifelt hat, daß es sich bei der Toten um Isabel handelt.«

Bevor sie die Polizeidienststelle des Bezirks betraten, machte Groß noch einmal den Vorschlag, getrennt weiterzuermitteln, Rohleff lehnte ab. Kurz zuvor hatte Knolle einen weiteren telefonischen Bericht abgeliefert, demzufolge Isabel in der einen Woche in Münster ein recht flottes Leben geführt haben sollte.

Diese Auskunft hatte die redselige Pensionswirtin erteilt und vor allem einen üppigen Rosenstrauß hervorgehoben, der samt Karte geliefert worden war, offenkundig befand sich ein Kavalier alter Schule unter den Verehrern der Tänzerin.

Rohleff erteilte Knolle die Anweisung, sämtliche Münsteraner Blumenläden mit Kurierdienst zu überprüfen. Knolle gab unter der Bedingung sein Einverständnis, dafür Kollegen aus Steinfurt oder Münster hinzuziehen zu dürfen, da er nach Bochum fahren müsse, um dort einen anderen Tänzer, der am Festival teilgenommen habe, zu befragen. Der Mann sollte, wie Knolle im Theater erfahren hatte, etwas mehr Kontakt zu den Berlinern gepflegt haben.

»Die Wirtin sagte auch noch«, ergänzte Rohleff, als er die schwere Eisentür zur Wache aufstieß, »daß Isabel sang- und klanglos mit ihren Sachen verschwunden ist. Aber da sie ihre Rechnung schon Donnerstagmittag bezahlt und keine Handtücher oder Aschenbecher mitgenommen hat, war's der Wirtin letztlich egal.«

Die Berliner Kollegen ließen die Besucher auf einer Bank im Flur warten. Rohleffs Handy lag neben ihm, von Zeit zu Zeit schielte Groß darauf, seine Füße klopften einen zappeligen Takt auf den gefliesten Boden. Er dachte an den Blumenstrauß, an die flammenden Blüten, und spürte wieder die nervöse Erwartung, mit der er dem Abend entgegengesehen hatte. Isabel hatte sich nicht über ihn amüsiert, sondern zeigte sich entzückt. Gleich nach der Vorstellung hatte er mit ihr gesprochen, dabei kümmerte es ihn auch nicht, daß ihm Fernando einen schrägen Blick zuwarf und verächtlich grinste, als sie die exquisiten Rosen pries. Sie habe sich von der Wirtin eine Blumenvase leihen müssen.

Groß bekam endgültig Oberwasser, als sie auf eine Einladung zum Abendessen einging. Er wartete am Bühneneingang, weil sie sich noch umziehen und abschminken mußte, weniger amüsant war dann gewesen, daß sie mit den beiden Männern zusammen auf ihn zutrat. Ramon und Fernando fühlten sich gleichfalls eingeladen, und Groß sah keine Möglichkeit, die beiden abzuwimmeln. Reichlich verdrossen schleppte er sie ins nächstgelegene Lokal. Sie studierten noch die Speisekarte, da begann Ramon plötzlich zu husten und zu niesen, er sah auf einmal wie das Leiden Christi aus. Groß schwankte zwischen Mitleid und Schadenfreude, als die beiden Tänzer abzogen, ehe der Kellner die Bestellung aufgenommen hatte. Isabel lächelte ihren Partnern heiter und ungerührt hinterher.

»Mach dir keine Sorgen um den kleinen, süßen Ramon«, sagte sie und streichelte in einer freundschaftlichen Geste seine Hand. »Der erholt sich schnell wieder, wenn sich Fernando nur genug um ihn kümmert.«

Groß hatte das komische Gefühl beschlichen, ein Mißverständnis aufklären zu müssen.

»Du könntest mir noch mal etwas über das Verhältnis der drei zueinander erzählen, du scheinst sie ja öfter gesehen und gesprochen zu haben«, unterbrach Rohleff seine Erinnerungen.

Groß hörte einen gewissen Hintersinn heraus, eigentlich waren es zwei Fragen, die sich mit der Szene mischten, an die er gerade gedacht hatte.

»Das war soweit in Ordnung, die zankten sich und vertrugen sich wieder. So eine Zusammenarbeit funktioniert sonst auch nicht, die Arbeit ist schon stressig genug.«

Rohleff musterte ihn kritisch. »Keine besonderen Spannungen? Wenn du sie öfters gesehen hast, mußt du doch einige Male Zeuge von Streitigkeiten gewesen sein. Worum ging's dabei, und wann haben sie gestritten? Du weißt doch, worauf es uns ankommt.«

Groß besann sich auf das, was er selbst schon preisgegeben hatte. »Am Mittwoch war die letzte Aufführung. Früher, als die beiden noch allein das Programm bestritten, hatte Ramon natürlich komplett den weiblichen Part übernommen. Seit Isabel dabei war, durfte sie in einer kleinen Einlage auftreten, um das Verwirrspiel von Männlich und Weiblich weiter aufzuheizen. Ich nehme an, ihn wurmte es, daß er sich ausgerechnet an diesem Abend ganz von Isabel hat vertreten lassen müssen, andererseits konnte er froh sein, überhaupt ein Double zu haben, nicht?«

Einen Augenblick blieb Rohleff ruhig, als dächte er über die Antwort nach. »Kein Grund, wegen kleinerer Animositäten einen Mord zu begehen?« sagte er schließlich bedächtig. »Scheint überhaupt ein etwas stumpfer Bursche zu sein, dieser Ramon. Wir werden ihn uns heute abend ansehen, wenn die beiden tanzen.«

»Und wenn Fernando bis dahin nicht aufgekreuzt ist?«

»Lösen wir eine Großfahndung aus. Dann wissen wir, auf welcher Seite der Apfel faul ist.«