Ich saß in meinem Büro und wartete darauf, dass sie aus der Redaktion nach Hause kam. Sie öffnete die Tür und trat auf mich zu. Schweigend drehte sie den Kopf zum Kamin, der sonst nie an war, nun jedoch Nathalias Abzüge, Negative und die Geschichten über die Stockwerke verschlang. Als sie schließlich vor mir stand, schauten wir uns stumm an, ehe ihr Blick auf meinen Schreibtisch fiel. Dorthin, wo sonst Seite an Seite, akribisch geordnet, die neun schmiedeeisernen Schlüssel mit ihren beweglichen Herzschiebern lagen. Still nickte sie und richtete die Augen wieder zum Kamin. Ich spürte ihre Zweifel.
»Diese Geschichten waren erfunden, oder?«, fragte sie.
Und ohne jede Reue, denn sollte ich irgendwann dafür büßen müssen, dann nicht in diesem Leben, sondern in einem unwahrscheinlichen Anderswo, vor dem großen Analytiker, den man nicht in bar bezahlt und mit dem die Arbeit bis in alle Ewigkeit dauert – ja, ohne jede Reue antwortete ich: »Natürlich waren sie erfunden.«
In diesem Moment erfasste mich der Schmerz unwiderruflich. Er fing im linken Arm an und wanderte schnell bis zur Brust, wo er mein Blut in Gift verwandelte. Ich bat meine Frau, mich kurz allein zu lassen. Mit jedem Pulsieren der Aorta wurde der Schmerz beklemmender, er breitete sich im gesamten Brustkorb aus wie Tinte auf Löschpapier. Meine Wangen wurden kalt, meine Hände fahl.
Und während mein Blut sich blau färbte und meine Pumpe erlahmte, dachte ich, es ist besser so. Ich dachte an Catherine, meine ferne Tochter, der ich nicht der beste Vater gewesen war, die mir nun aber sicher nie besessene Qualitäten zuschreiben würde. Und an den blau-gelben Papagei und die Theorie über seine Langlebigkeit. Diesmal war meine Gewissheit gewiss.
In einem übermenschlichen Kraftakt stand ich auf, um etwas zu tun, das ich vorher noch nie getan hatte: mich auf die Couch zu legen.
Kurz vor dem Ende dachte ich an Nathalia und an meine Passepartouts, die sie mitgenommen hatte. Sollte sie nun andere Türen öffnen, für mich verschlossen sich gerade alle. Die seltsame Aussage meiner Frau – »vielleicht existiert sie gar nicht« – quälte mich nicht länger, ganz im Gegenteil, in der Verwirrung meiner letzten Momente vermischte sich sie mit C.G. Jungs Satz über das Schicksal. Endlich sah ich Nathalias Gesicht vor mir, ohne dass meine Erinnerung mich im Stich ließ, sie erschien mir so übernatürlich klar, als wäre sie mein Tod. Schöner und sanfter, die Augen blauer, als ich es mir je ausgemalt hatte. Ihr Gesicht kam näher, ich presste sie an mich, tauchte die Hand in ihre glänzenden Haare, meine Wange an ihrem Hals, und als ich das Bewusstsein verlor, verspürte ich eine Freude, die nicht von dieser Welt war.