Der erste Brief kam heute Morgen, am 16. Januar, in einem markenlosen Umschlag aus Kraftpapier mit meinem aufgedruckten Namen. Ich war überrascht, dass Nathalia nicht mit der Hand geschrieben hatte, ich hätte gerne ihre Schrift analysiert. Unbeholfen? Sinnlich? Zögerlich? Energisch? Sind ihre Ms und Ns spitz oder rund? Ihre is von Punkten oder kleinen runden Planeten gekrönt?

Ich werde es nicht erfahren. Fünfzehn Seiten über das Erdgeschoss. Computergeschrieben und zusammengetackert. Der Umschlag weckte beim Frühstück direkt die Neugier meiner Frau, sie wollte den Text unbedingt lesen. Auf meine Erklärung hin, dass es sich um eine therapeutische Übung handele und nicht um einen Kriminalroman, war sie enttäuscht und warf mir Humorlosigkeit vor; früher wäre ich lustiger gewesen.

Früher? Dieses Wort verwenden meine Patientinnen und Patienten auch oft. Sie tragen es vor sich her wie ein Amulett: Früher war ich ganz anders, früher war alles gut, hätten Sie mich bloß früher kennengelernt. Bis zu welchem Zeitpunkt reicht dieses

An diesen Mann kann ich mich nicht erinnern.

Jetzt sitze ich auf meinem Schreibtischstuhl und greife nach der halbmondförmigen Lesebrille, die ich seit ein paar Jahren brauche und regelmäßig verlege. Nathalia kommt in einer Stunde, ich will mich dreißig Minuten lang der Lektüre widmen, vielleicht Anmerkungen machen. Ich öffne die Kappe des Cross-Füllfederhalters vom Verband der New Yorker Psychoanalytikerinnen und -analytiker, der prunkvoll graviert ist: To J. Faber from the Analyst Guild Of N.Y. C.

Ich muss gestehen, dass ich diese Übung zum ersten Mal bemühe. Bisher habe ich nur gelegentlich Niederschriften von Träumen oder Familienerinnerungen erbeten. Normalerweise beginnen diese Texte mit: Meine Großmutter war eine wunderbare Frau … oder Gestern Nacht bin ich nackt durch die Straßen gelaufen.

 

Ich heiße Alice Larjac, und ich helfe dir, endlich die Beziehung zwischen Mann und Frau zu verstehen …