Patras 1
Und dann war es soweit. Schon gleich nach dem Aufwachen spürte ich, dass alles anders war. Das Sonnenlicht hatte sich dicht auf die Bullaugen gelegt, und draußen an Deck waren mehrere Stimmen zu hören. Papa hatte die Kabine bereits verlassen, ich duschte eilig und ließ mir möglichst viel kaltes Wasser über den Kopf laufen.
Ich fühlte mich plötzlich besser, als hätte ich eine Art Gesundschlaf hinter mir. Das Beste aber war, dass sich die Albireo wieder völlig normal bewegte. Kein Schlingern mehr, keine Dramen und auch keine Albernheiten. Sie schien fast mit der Meeresströmung daher zu gleiten, so unauffällig benahm sie sich. Ich schaute noch rasch durch ein Bullauge, um die Lage zu sondieren. Was ich zu sehen bekam, war das Beste überhaupt. Ganz in unserer Nähe befand sich nämlich ein Stück Land, es war ein schmaler Strand mit ein paar Hügeln dahinter. Hätte ich mir Mühe gegeben, wäre ich in einer halben Stunde da gewesen. Rudernd, auf einem kleinen Boot.
Der Anblick des Landes kam so überraschend, dass ich fast Tränen in den Augen gehabt hätte. Die ganze Anspannung der letzten Zeit löste sich auf einmal, als wäre ein schlimmer Spuk endlich vorbei. Ich hatte das Gefühl, die alte Freiheit eines Landgängers rasch wiederzubekommen. Ich würde vorwärts, rückwärts, zur Seite gehen können, ich würde laufen, springen, ja, ich würde all das tun können, was an Deck die ganze Zeit unmöglich gewesen war.
Vielleicht ist es naiv, das zu betonen, mag ja sein. In diesem Moment erschien mir diese Empfindung von Freiheit jedoch einschneidend. Was Freiheit eigentlich ist und wie wichtig sie sein kann – darüber hatte ich noch wenig nachgedacht. Jetzt aber war das alte, große Gefühl da, als hätte ich in Gefangenschaft gelebt. Natürlich hatte ich das nicht, und natürlich war die bisherige Reise ein Abenteuer und keineswegs eine Tortur.
Was ich zu spüren bekommen hatte, war eher etwas Anderes gewesen: Ich hatte das Regime der Erwachsenen ganz aus der Nähe kennengelernt, und ich hatte mich ihm in keinem Moment entziehen können. Sie hatten sich Mühe mit mir gegeben, keine Frage, und auch ich war möglichen Konflikten und Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen. Dennoch: Dieses »Regime« war immer da gewesen, deutlich bemerkbar. Ich hatte Erklärungen abgeben, Standpunkte vertreten und mich verteidigen müssen, auch wenn das nach außen hin nicht so ausgesehen haben mochte. In mir jedoch hatten diese Anstrengungen Spuren hinterlassen, und das umso mehr, als ich keine Möglichkeit gehabt hatte, wenigstens eine Stunde am Tag Klavier zu spielen.
Klavier zu spielen, brachte alles wieder ins Lot, indem es meist mühelos die Ansprüche, die von außen an einen gestellt wurden, auslöschte. Die Konzentration, die man für gescheites Spielen aufbringen musste, war einfach zu stark für sonstige Seelenpakete. Nach vier, fünf Minuten Spielen war man auf den vorgezeichneten Bahnen des Wohltemperierten Klaviers, und das Gehirn schaltete alle anderen Motive und Themen brutal ab. ›Gnadenlos‹, wie Reckling gesagt hätte (aber er sagte es zum Glück immer seltener).
Diese Distanz und diese zumindest kurzfristige Befreiung von den Spielregeln der Erwachsenen hatten mir gefehlt. Als ich das nahe Land sah, spürte ich genau, wie sehr, weshalb ich mir vornahm, in Patras auf Teufel komm raus auf die Suche nach einem Klavier zu gehen.
Ich zog extra ein weißes Hemd mit kurzen Armen und eine dunkelblaue, kurze Hose an. Weiß und Blau waren die Farben Griechenlands, ich wollte mich ganz darauf einstellen. Dann ging auch ich an Deck. Papa stand mit Heinrich Segemann an der Reling. Er hatte sein Fernglas in der Hand und musterte das nahe Land, während Heinrich kommentierte, was gerade zu sehen war.
Sie drehten sich beinahe zugleich nach mir um, und Heinrich sagte: »Na bitte, Josef! Habe ich es nicht gesagt? Er ist wieder der Alte. Gesund, frisch, als hätte es nie einen heftigen Sturm gegeben.« – »Guten Morgen, mein Junge!« rief Papa (viel zu laut), »Du siehst wirklich wieder besser aus. Ist alles in Ordnung?« – »Ja, alles in Ordnung«, sagte ich und fragte, wo genau wir uns befänden.
Heinrich hatte eine Karte dabei und zeigte mir unsere Position. Das Land, das zum Greifen nahe lag, war eine der Ionischen Inseln. Sie hieß Zakynthos und bildete zusammen mit der Nachbarinsel Kefalonia die Einfahrt in Richtung griechisches Festland. Die Inseln lagen zu beiden Seiten unseres Schiffes wie Einfassungen eines offenen, weiten Tores, durch das wir uns auf die Stadt Patras zubewegen würden.
Kaum, dass ich wieder erschienen war, zeigte sich auch Denis an Deck. »Frühstück gefällig?« fragte er, als ob nichts gewesen wäre, und ich antwortete: »Was hast Du denn heute zu bieten?« – »Komm mit!« sagte Denis und flüsterte mir auf dem Weg zum Salon zu: »Bevor wir landen, zeige ich Dir die Kleider. Schau Dir die Sachen mal an, es ist bestimmt etwas für Dich dabei. Ich bringe sie unauffällig in Eure Kabine.«
Ich war ziemlich aufgeregt und hatte kaum Appetit. Kapitän Reckling hatte bereits gefrühstückt, saß aber noch am Tisch. Er hatte einige Seiten mit Meldungen für die nächste Bordzeitung vor sich liegen, und ich sah ihm sofort an, dass er von ihnen nicht begeistert war. »Hattest Du schon Zeit, das zu lesen?« fragte er mich nach unserer Begrüßung. Ich sagte »nein, das noch nicht« – und keinen Satz mehr. Reckling schüttelte den Kopf und las vor: »Seit Beginn der Kulturrevolution in China sind 840 Millionen Mao-Porträts angefertigt worden … In Persien herrscht eine Hitzewelle, die Arbeit in den Ölgebieten wurde niedergelegt … In den USA bedroht ein Eisenbahnerstreik den Nachschub für die Kriegsführung in Vietnam. Präsident Johnson hat im Kongress eine Vorlage eingebracht, um dem Streik ein Ende zu machen …«
Ich hatte Maro versprochen, an seiner Zeitung nicht herumzumäkeln, deshalb sagte ich weiter nichts. »Dir gefällt das auch nicht, habe ich recht?« fragte Reckling. – »Maro sagt, er möchte die Zeitung so wie immer anlegen«, versuchte ich auszuweichen. – »Das ist es ja gerade«, antwortete Reckling, »so wie früher, so wie immer. Deine Texte haben mir sehr viel besser gefallen. Wollen wir nicht doch einige davon unter unsere Leute bringen?« – »Vorerst lieber nicht«, antwortete ich, »Maro könnte enttäuscht sein. Und ich möchte zu seiner Enttäuschung nicht beitragen.« – »Meine Herren«, grinste Reckling, »Du bist ja die Güte selbst! Selbst Jesus Christus war manchmal bissiger, blättere ruhig mal in der Bibel!« – »Jetzt nicht«, antwortete ich (und musste ebenfalls grinsen), »jetzt geht es nur noch um Griechenland. Um die gläubigen Griechen! Um die Strandbäder in den Außenbezirken! Um griechische Musik und griechisches Essen!« – »Freust Du Dich auf den ersten Landgang?« – »Ja, sehr.« – »Man merkt es Dir richtig an.« – »Was passiert denn als nächstes?« – »Ein Lotse klettert an Bord, dann fahren wir in den Hafen. Dort kommen ein Agent, der Zoll und die Polizei an Deck. Die meisten Erledigungen sind Formsachen. Das geht rasch, vor allem alles, was die Passagiere betrifft.« – »Um was kümmert sich denn der Agent?« – »Zunächst um die Fracht. Er kontrolliert das Ausladen und Beladen, er bringt uns die Post aus der Heimat, er nimmt unsere Post mit, er macht Vorschläge für den Landaufenthalt, er ist unser zentraler Ansprechpartner, der Vertreter der Reederei in allen Belangen.« – »War Mühlenthal einmal ein solcher Agent?« – »Ja, war er. Daher weiß er Sachen, die andere nicht wissen. Aber Mühlenthal weiß ja sowieso alles. Das hast Du sicher bereits gemerkt.« – »Hab ich. Es ist beängstigend, was er alles so weiß.« – »Nein, beängstigend ist es nicht. Mühlenthal behält das meiste Wissen für sich. Er ist weder ein Angeber noch ein Besserwisser, und er geht einem nicht auf die Nerven. Er weiß einfach sehr viel, auf seine angenehme, ruhige Weise. Man kann ihn alles fragen, und man wird keine Sekunde von ihm gedeckelt, weil man weniger weiß. Mühlenthal ist sympathisch geblieben, obwohl er wahrscheinlich sämtliche Daten sämtlicher Mittelmeerhäfen im Kopf hat.« – »Stimmt, er ist sehr sympathisch.« – »Ja, ist er. Und der Kapitän ist es auch. Und unser Ingenieur auch. Nur unser junger Freund Denis hat auch ein paar wenige unsympathische Züge, aber die behalten wir beide für uns. Einverstanden?« – »Ich finde auch Denis sehr sympathisch.« – »Natürlich. Du bist ja auch die Güte selbst.«
Reckling lachte wieder sein Kapitänslachen, stand auf, steckte die Blätter mit den Meldungen (klein gefaltet) in seine Hosentasche und verließ den Salon.
»Hat er wieder über mich gelästert?« fragte Denis, als er mit Tee und etwas Zwieback erschien. »Nur kurz«, antwortete ich, »nichts Wichtiges. Hast Du nicht mal was anderes zu bieten als Zwieback?« – »Griechischen Joghurt mit Honig und Nüssen?« – »Ja, etwas Griechisches! Das ist eine gute Idee.« – »Und den Zwieback bröselt unser Junge dann mitten hinein in den Joghurt. Dann hat er neben den Nüssen noch etwas Deutsches zum Knabbern.«
Ich tat, als überhörte ich das blöde Gerede, und fragte, ob mein Vater bereits gefrühstückt habe. »Na klar«, antwortete Denis, »Dein Vater ist zehnmal fitter als Du! Klingsor zeichnet bestimmt längst die ionischen Inseln!«
Wenig später saß ich allein im Salon. Ich aß in der Tat cremigen griechischen Joghurt mit Honig und Nüssen, in den ich etwas Zwieback gebröselt hatte. Dazu trank ich griechischen Bergtee, von Denis aufgesetzt. Alles schmeckte so, als befänden wir uns auf einer anstrengenden Wanderschaft und sollten nichts Schweres, sondern nur Leichtes, Gesundes (»Bekömmliches«, hätte Mama gesagt) zu uns nehmen. Der Tee war recht bitter, machte aber munter, und der Joghurt floss so schonend und verträglich in den Magen, als gehörte er zu den auserwählten Ambrosiaspeisen der olympischen Götter.
Das Schönste an alldem aber war, dass unser Schiff auf beiden Seiten von Landstreifen eingerahmt war. Wohin ich auch schaute, zogen sie an mir vorbei, sehr langsam, wie ein Panoramafilm, auf dem keine Menschen, sondern nur Strandstreifen, kaum bewaldete Hügel und einige leere Bergstraßen zu sehen waren. Das Land sah beinahe unbelebt aus, als hielten die Ureinwohner sich versteckt.
Waren die Kolonialherren früher nicht auch meist auf Schiffen gekommen? »Ach was, so ein Unsinn!« dachte ich und vertrieb die Idee, Parallelen zu ziehen. Wenn es überhaupt Parallelen zu früher gab, hatte unser Schiff eine gewisse Nähe zu alten Handels- oder Expeditionsschiffen. Wir liefen das kaum besiedelte Land an, um Handel zu treiben und seine fremde Kultur zu studieren – so redete ich es mir ein (und war mit diesen Beschwörungsformeln zufrieden).
Nach dem Frühstück schaute ich noch einmal nach Papa. Denis hatte recht gehabt, denn Papa saß bereits wieder in seinem Liegestuhl und skizzierte Momentbilder der Peloponnesküste. »Ist mit Dir wirklich alles in Ordnung?« fragte er (leise). – »Ja, ich habe griechischen Joghurt gefrühstückt und Bergtee getrunken.« – »Ich auch! Zu Mittag essen wir aber an Land und nicht mehr hier an Deck. Oder?« – »Natürlich. Dann essen wir griechisch. Ich bin gespannt.« – »Ich habe eine Überraschung für Dich, später, an Land!« – »Aber das ist doch nicht nötig. Griechenland ist die größtmögliche Überraschung, mehr geht nicht!« – »Doch, es geht noch etwas. Eine Kleinigkeit nur, aber nicht unwichtig. Du wirst sehen!«
Ich ließ Papa weiter zeichnen und ging zurück in die Kabine. Ich öffnete die kleinen Bullaugen und Luken weit und ließ die frische Luft hereinströmen. War das schöne Land nicht bereits zu riechen? Ach was, ich machte mir jetzt nur allerhand vor. Ich war einfach begeistert und überdreht, in dieser Verfassung hätte ich wahrscheinlich sogar einen Marathonlauf hinbekommen. So grenzenlos war das Vertrauen in meine neu erwachten Energien.
Reisetagebuch (20. Juli, 9.46 Uhr)
Diese Reise ist meine ganz persönliche Odyssee. Ich bin mit meinen Gefährten unterwegs, und wir haben viele Gefahren zu meistern. Das Schönste sind aber die Landaufenthalte. Wenn wir von den unterschiedlichen griechischen Stämmen empfangen werden. Wenn sie uns ihre berüchtigte Gastfreundschaft anbieten. Wenn sie unsere Reisegeschichten hören und mit uns anstoßen wollen.
Reisetagebuch (20. Juli, 10.13 Uhr)
Ich weiß es: Bei jedem Landaufenthalt werden wir einen Brief von Mama ausgehändigt bekommen. Sie ist (wie in der Odyssee) die Frau, die zu Hause geblieben ist und das Haus hütet. Zum Glück gibt es keine Freier, die sie während unserer Abwesenheit belästigen. Ich bin gespannt, wie Mama (so allein) die Zeit verbringen wird. Es muss doch sehr ungewohnt für sie sein, niemand um sich und bei sich zu haben. Wie mag das überhaupt sein, ich meine, wie wäre es denn für mich? Was würde ich (ganz allein) tun, zu Hause, unterwegs, auf Reisen? Nicht einmal richtig vorstellen kann ich mir das.
Reisetagebuch (20. Juli, 10.29 Uhr)
Die Landstreifen ganz in der Nähe haben eine unglaublich beruhigende Wirkung. Vor lauter Freude könnte ich fast in sie reinbeißen. Sie sind etwas Handfestes und Unverrückbares – und damit ganz anders als das Meer, das unberechenbar und chaotisch sein kann. Ist man auf dem Meer unterwegs, muss man mit allem rechnen. Jeder Moment kann ein Trugmoment sein und die (ungeahnte) Vorstufe zu schweren Stürmen und anderen Katastrophen. Mit dem Leben an Deck liefert man sich ganz und gar aus, denn das Schiff bietet kaum Hilfen an, die Gefahren zu überstehen.
Es klopfte, und ich wusste genau, wer es war. Ich machte die Kabinentür nur einen Spalt auf und bemerkte Denis, der mit einer Sporttasche gekommen war. »Lass mich rasch rein«, flüsterte er, als ginge es um Gott weiß für geheime Dinge. Ich gab nach, und er schlich in unsere Kabine.
»Kurze Anprobe gefällig?« fragte er und öffnete die ziemlich zerschlissene Tasche. Ich sagte nichts und schaute zu, wie er die Sachen, die ich anprobieren sollte, auf Papas Bett verteilte. Es waren sehr bunte, weite Hemden, mit langen Armen und furchtbar dekorativen Mustern. Mit kitschigen Herzen, Blumen und allerhand anderem Schnickschnack. Daneben gab es noch Jeans, anscheinend gerade gewaschen, in blassblauer Farbe. Und (die Krönung): Zwei Schirmmützen, weiß, als wollten wir in Patras auf Jagd gehen.
»Soll das ein Witz sein?« fragte ich. – »Stell Dich bloß nicht so an! Die Sachen sind genau richtig. Was Buntes, Auffälliges statt Deiner grauen Mausekleidung! Und Jeans natürlich.« – »Ich habe noch nie Jeans getragen. Ich mag keine Jeans.« – »Das ist mir völlig egal. Wenn Du mich begleitest, trägst Du Jeans und nichts anderes.« – »Das entscheidest Du nicht!« – »Das entscheide nur ich!« – »Und was bitteschön sollen die Mützen?« – »Na, Du weißt doch Bescheid. Die Mützen sind eine Reverenz an unseren Meister.« – »Welchen Meister?« – »Für Salinger und seinen Fänger im Roggen! Holden trägt doch auch so eine Mütze, und er schenkt sie seiner kleinen Schwester. Schon vergessen?« – »Nichts habe ich vergessen, gar nichts, und erst recht nicht den Fänger im Roggen!« – »Jaja, Du kennst auch dieses Buch auswendig, bis in jedes Detail. Aber …« – »Was aber?!« – »Aber Du hast es noch längst nicht kapiert! Da könnte ich wetten!« – »Den Fänger im Roggen soll ich nicht kapiert haben?!« – »Kein Wort! Hättest Du ihn kapiert, wärst Du ein anderer Mensch! Ein Jeans- und Schirmmützenträger! Ein lockerer, entspannter Typ, der auch einmal in ein buntes Hemd schlüpft!« – »Holden Caulfield ist weder locker noch entspannt, Du redest Unsinn!« – »Er ist etwa in Deinem Alter, aber er ist Dir meilenweit voraus. So einen wie ihn wirst Du nie einholen – und wenn Du tausendmal besser Klavier spielst oder die Odyssee rezitierst!«
Denis fühlte sich wieder einmal sehr überlegen. Es machte ihm richtig Spaß, Holden Caulfield gegen mich auszuspielen. Ich hätte gerne gewusst, was er an Holden so interessant fand, ließ es aber bleiben. Vielleicht später einmal. Jetzt lockte Griechenland – und nichts anderes mehr.
»Zieh mal so ein Hemd über«, sagte Denis, »um die Größe zu testen.« – »Ich denke nicht dran!«
Ich legte die Hemden wieder aufeinander und öffnete die Sporttasche, um sie wieder darin zu verstauen. Da wurde es ernst.
»Du hörst mir jetzt mal genau zu«, sagte Denis. »Ich habe mir ein paar Gedanken gemacht. Ich will nichts Böses, sondern nur Gutes, und noch mehr: Ich will nur das Beste! Dass Du vorankommst und die Welt lockerer siehst und Dinge mitbekommst, die Du nie mitbekommen würdest, wenn Du ein öder Klaviertitan bleibst. Es geht um ein Spiel, und es geht um Maskerade! Da macht man mit, aus Spaß und aus Jux! Und man spielt nicht trotzig den jungen Mann, der auf weißen Segelschuhen gut gepolstert durch Griechenland schleicht!«
Ich musste lachen, ja, ich lachte wirklich. »Aber was ist mit den Schuhen? fragte ich, »Du hast ja gar keine Schuhe dabei! Welche soll ich denn anziehen, Deiner oder Holdens Meinung nach?« – »Du wirst Sportschuhe tragen, Größe 44, das müsste passen!« – »Die hast Du auch schon aufgetan?« – »Ich habe mir von den Jungs am Heck geliehen, was immer ich brauchte. Sie waren alle dazu bereit, niemand hat, so wie Du jetzt, Theater gemacht! Sie wollen Dir helfen, verdammt noch einmal, kapierst Du das endlich?« – »Ich versuche, es zu kapieren. Warum gehen sie denn nicht selbst in diese wahnsinnig interessanten Clubs?« – »Einige gehen hin, die meisten haben aber was anderes vor.« – »Und was?« – »Was?! Du bist der Letzte, dem ich das auf die Nase binde.« – »Na toll. Hüte Deine Geheimnisse, Denis! Mich beeindruckst Du damit nicht. Und jetzt gib her. Ich probiere den Kram an. Dir zuliebe. Ein Spielverderber war ich noch nie.«
Ich begann, die bunten Hemden anzuprobieren. Sie passten nicht, weil sie wirklich sehr weit waren. Alle reichten fast bis zu den Knien, und sie schlodderten um meinen viel zu schmalen Körper. Ich kam mir vor, als wäre ich ein Fahnenträger (und mein Körper die Fahnenstange). Ich wagte nicht, mich in einem Spiegel zu betrachten, denn ich ahnte, wie lächerlich ich aussah. »Gar nicht so übel«, sagte Denis, »schön weit, Du wirst nicht ins Schwitzen kommen!« – »Und wieso sollte ich das?« – »Weil Du tanzen wirst – und das heftig!« – »Gut, dass ich auch das endlich erfahre!« – »Ich vermute, Du bist ein legendärer, begnadeter Tänzer. Jedenfalls zu Rhythmen von Bach und den anderen Langweilern.« – »Unbedingt. Zu Bach tanze ich so ziemlich am besten.«
Auch die hellblauen Jeans probierte ich an. Im Gegensatz zu den lockeren Hemdchen saßen sie viel zu eng, und ich kam nur schwer in eine von ihnen hinein. »Die sind perfekt«, sagte Denis, »die kleiden selbst Dich! Weil Du noch halbwegs mager und dünn bist. Dazu die Sportschuhe und dann noch die Mütze – und niemand wird Dich wiedererkennen!«
Ich zog alles aus, und Denis stopfte die Sachen in seine Tasche. »Mann«, sagte er, »nun schau doch nicht so! Als hätte ich Dir Gewalt angetan!« – »Ich habe so einen Kram noch nie getragen«, antwortete ich. – »Okay«, sagte Denis, »es ist nicht leicht für Dich, verstehe ich ja. Aber ich gebe Dir einen Tipp. Die Sache muss Spaß machen, richtig Spaß. Wir gehen weder zu einem Gottesdienst noch zu einer anderen ernsten Sache. Wenn Du nicht entspannt und gut drauf bist, lassen wir es! Und damit Du es bist, trinken wir vorher einen anständigen Schluck! Etwas Griechisches, Hartes! Dann fällt Dir alles leichter, und Du schlüpfst bester Laune in Deine Montur. Einverstanden, der Herr?« – »Mal sehen«, antwortete ich.
Er verschwand wieder, ich ging ein paar Schritte hinter ihm her, um zu sehen, wie er sich mit seiner Sporttasche den Weg zum Heck bahnte. Dort würde er den anderen Jungs erzählen, wie blöd ich mich angestellt hatte. »Mit dem ist rein gar nichts anzufangen«, würde er sagen und sich weiter über mich lustig machen. War es so?! Oder würde er »den Mantel des Schweigens« über unsere Anprobe breiten?! Beides war möglich, Denis blieb eben weiter »unberechenbar«.
Die bunten Hemden, die Jeans und die Mütze – das ganze Theater hatte mich noch unruhiger gemacht. Ich griff nach einem Liegestuhl und zog ihn hinüber zu dem von Papa (der weiter unbeirrt zeichnete). »Ist was?« fragte er (leise), als ahnte er genau, dass mich etwas beschäftigte. – »Ja«, sagte ich, »es geht um die Clubs von Patras, Du weißt schon.« – »Was ist mit den Clubs?« – »Denis sagt, es gehe dort auch ums Tanzen.« – »Ja und?« – »Ich bin kein großer Tänzer. Ich tanze nicht gern, wann habe ich schon einmal getanzt?« – »Als Kind! Da hast Du sehr oft getanzt!« – »Wie bitte?! Ich erinnere mich nicht.« – »Ich aber! Du hast in unserer Kölner Wohnung sehr oft getanzt. Allein. Zur Musik aus dem Radio.« – »Zu welcher Musik?« – »Zu französischen Chansons, wie Mama sie mochte. Zu Chansons von Juliette Greco, zum Beispiel. Und jedes Mal hast Du einen Hut getragen!« – »Einen Hut?« – »Ja, einen meiner Hüte. Sie waren Dir natürlich zu groß, das war Dir aber egal. Du hast Dich im Kreis gedreht, ununterbrochen, mit Hut und nackten Füßen. Es gibt sogar Fotos davon.«
Herrje, ich konnte (oder wollte?) es nicht glauben. Als Kind war ich ein Tänzer gewesen? Aber wieso? Und warum hatte ich ausgerechnet zu französischen Chansons so eifrig getanzt? Was Papa sagte, brachte mich noch mehr durcheinander. Ich schwieg eine Weile und blickte starr auf Papas Blatt, auf dem sich gerade ein gewaltiges Gebirge abzeichnete. Es saß auf der geduckt wirkenden Küste auf, als hätte eine griechische Gottheit es mit den Füßen locker beiseite und einige Kilometer nach hinten geschoben.
»Ich kann das nicht glauben«, sagte ich zu Papa, »ich meine, dass ich als Kind soviel getanzt haben soll. Warum? Warum habe ich das getan?« – Papa hörte auf zu zeichnen und nahm das Fernglas zur Hand. Er setzte es an die Augen und schaute (viel zu lange) hindurch. Und dann sagte er: »Du wolltest Deiner Mutter eine Freude machen.«
Ich wollte Mama eine Freude machen? Mit meinem Tanzen?! Ich musste schlucken, aber ich ließ nicht nach. »Das verstehe ich nicht«, sagte ich, »ich hätte ihr auch anders eine Freude machen können.«
Papa ließ das Fernglas nicht los. Er setzte es ab und schaute wieder hindurch und setzte es wieder ab. »Du weißt doch. Deine Mutter war manchmal sehr traurig. In solchen Momenten hörte sie französische Chansons. Und dazu hast Du zu tanzen begonnen. Um Deiner Mutter zu zeigen, dass diese Chansons so traurig nicht sind. Sie waren auch nicht heiter, nein, das natürlich nicht, aber sie waren eben auch nicht ausschließlich traurig. Man konnte sogar zu ihnen tanzen. Das wolltest Du ihr beweisen. Du wolltest ihr helfen, die Traurigkeit zu überwinden. So war das.«
Ich konnte es nicht glauben, und es fiel mir schwer, das alles ruhig anzuhören. Es war unendlich traurig und rührte mich sehr, doch es brachte mich auch in Verlegenheit.
Manchmal denke ich nämlich, dass ich das Kind, das ich einmal war, nicht mehr verstehe. Mit all seinen merkwürdigen Spielen, seiner Stummheit und seinen seltsamen Ritualen ist es mir fremd geworden. Seit ich es (auf Grund meines Alters) irgendwann hinter mir ließ, habe ich mir größte Mühe gegeben, nicht zu häufig an es zu denken. Das klappt aber nicht. Ich sitze allein irgendwo rum, und es erscheint, bleibt stehen, schaut mich an und verschwindet wieder.
Das Schlimme ist, dass dieses Kind, das ich war, noch immer lebt. Es kann jederzeit auftauchen, es altert nicht, nein, es möchte mich immer wieder an der Hand nehmen, um mit mir (verdammt, wie sagt man?) »durchs Leben zu gehen«.
Das Allerschlimmste aber ist, dass das Kind, das ich einmal war, mehr ahnt und erkennt als ich selbst. Es ist nur scheinbar viel jünger, in Wahrheit ist es mir weit voraus. Wodurch und warum – das ist eines der vielen Rätsel, die ich noch nicht gelöst habe. Ich weiß auch nicht, wie ich es lösen sollte, ich habe nicht die geringste Ahnung – und denke doch beinahe jeden Tag an so etwas wie eine »Lösung«.
Ich fragte Papa nicht weiter nach meinem kindlichen Tanzen, nein, es war wirklich genug. Schließlich bekam ich auch noch das Schlucken in den Griff, während Papa sein Spiel mit dem Fernglas fortsetzte. »Wie war das denn früher mit Dir?« fragte ich, »hast Du viel und gerne getanzt?« – »O ja!« sagte Papa (und setzte das Fernglas endlich ab), »viel und gern! Auf Dorffesten im Westerwald, in Köln, in Berlin, am Rhein – mein Gott, ich habe wirklich gerne getanzt!« – »Mit Mama?« – »Auch, aber nicht nur! Ich war ein gar nicht so schlechter Tänzer. Und ich war groß, schlank – und daher beliebt. Ich wurde häufig aufgefordert, stell Dir das vor!«
Wie sollte ich mir das vorstellen? Papa mit einer anderen Frau als Mama im Arm?! Das war schwer vorstellbar. Die beiden leben seit fast dreißig Jahren zusammen, und es kommt mir so vor, als hätten sie die ganzen Jahrzehnte auf dieselbe, enge Weise zusammen gelebt. Auch wenn sie einmal für ein paar Stunden (oder Tage) getrennt sind, haben sie immer das Bild des andern im Kopf. Sie sind eben ein richtiges Paar, durch und durch.
»Du meinst also, tanzen ist gar nicht so schwer? Und Du glaubst, ich bekomme es hin?« fragte ich abschließend. – »Natürlich bekommst Du es hin. Und wenn nicht, denkst Du einfach an früher. Wie Du als Kind mit Hut getanzt hast! Dann wird es klappen!«
Ich ließ Papa in Ruhe zeichnen und machte mich auf den Weg zurück in unsere Kabine. Kapitän Reckling stand oben auf dem schmalen Ausguck und rief: »Noch zwei Stunden, höchstens!« Ich winkte ihm zu, und er lachte, und ich dachte (völlig sinnlos): ›Alles halb so wild!‹ Was aber wollte ich damit sagen, was genau?!
Ich war noch immer ziemlich durcheinander, und so setzte ich mich in unserer Kabine zunächst nicht auf einen Stuhl, sondern stellte mich an ein Bullauge und schaute lange hinaus. Papa machte es wieder richtig, er zeichnete Bild für Bild. Um es ebenfalls richtig zu machen, hätte ich ein Klavier benötigt. Und was hätte ich gespielt? Stücke von Erik Satie, sehr langsam, viel langsamer als sonst, Gehübungen, Vorbereitungen auf das Erkundungsgehen an Land.
Reisetagebuch (20. Juli, 11.05 Uhr)
Ganz in der Ferne ist bereits die Stadt Patras zu erkennen. Wir nähern uns einer breiten Bucht, an deren Ufer sie langgestreckt liegt. Hellgraue, neue Häuser, die älteren in Ockerfarbe oder in Beige. Ein diffuses Gemisch, die Häuser mal größer, mal wie kleine Brotkästen. In der Bucht liegen einige amerikanische Kriegsschiffe, wie auf Abruf. Griechenland wird von einer Militärjunta regiert. Immer wieder war bei Tisch davon die Rede. Dass man sich in Acht nehmen müsse. Dass das Regime hart und brutal durchgreife.
Vor lauter Aufregung hielt ich es schließlich nicht mehr aus. Ich ging wieder hinaus an Deck und sah, dass auch Papa sein Zeichnen aufgegeben hatte. Wir standen dicht nebeneinander an der Reling, Vater und Sohn, wie Helden eines alten Epos. Ja, mir war feierlich zumute, und es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte Papa einen Arm um die Schultern gelegt. »Wir haben es wirklich geschafft«, hätte ich laut gesagt, »gleich betreten wir den Boden von Hellas.« Papa hätte mich in so einem Fall aber seltsam angeschaut, daher schwieg ich lieber (und wusste nicht, wohin mit all meiner angestauten Feierlichkeit).
Wir erreichten die breite Bucht, und die Geschwindigkeit unseres Schiffes wurde stark gedrosselt. Schließlich machte die Albireo Halt, während das Boot mit dem Lotsen auf uns zukam. Eine Leiter wurde herunter gelassen, und er kletterte rasch an Bord. Ich hörte, dass er Englisch sprach, und ich wunderte mich, wie gut das Englisch von Kapitän Reckling war. Mühlenthal war nicht zu sehen, er schien sich auf der Kommandobrücke aufzuhalten.
Dann setzte sich unser Schiff wieder in Bewegung, Meter für Meter, sehr verlangsamt. Wir näherten uns dem Hafengelände, wo nur wenige Menschen auf uns zu warten schienen. »Welcome to Greece« stand in großen Lettern auf dem Dach eines Hochhauses direkt am Kai. Wir legten an (wie feinfühlig, dachte ich noch, zentimetergenau!), die Taue wurden ausgeworfen, die Gangway kam wieder zum Einsatz, und die Zollbeamten betraten das Schiff als erste. Danach einige Polizisten, zum Schluss der Agent.
Papa ging in unsere Kabine und holte unsere Ausweise. Er reichte sie herum und unterhielt sich eine Weile mit den Männern. Ich stellte mich ebenfalls vor, und der Agent fragte mich (auf Englisch), ob ich die Fahrt auf See gut überstanden hätte. »I’m okay!« sagte ich (betont ruhig), und er lächelte schwach (ich interessierte ihn nicht).
Es herrschte ein langes, zeremonielles Begrüßen, und Kapitän Reckling spielte seine Rolle vorzüglich. Er trug ein weißes, gestärktes Hemd mit langen Armen und eine weiße Hose, die Haare waren wieder gegelt, und er hatte es sich nicht nehmen lassen, seine alte Onassis-Sonnenbrille zum Einsatz zu bringen. Die Brille hatte seine Frau ihm einmal geschenkt, er mochte sie nicht, aber in Griechenland (hatte er bereits gesagt) wollte er sie tragen, weil sie in Griechenland (und nur dort) beeindruckend wirke.
Alle sprachen Englisch, die Polizisten sogar untereinander, als wollten sie der Welt an Deck beweisen, wie gut sie diese fremde Sprache beherrschten. Maro schaute von seinem Funkerhaus auf uns herab, lässig mit beiden Armen auf die Reling gelehnt, und Denis wirbelte zwischen den Gruppen der Männer umher und bot laufend Getränke an. (Auch ihn hörte ich Englisch sprechen, ja, er sprach Englisch, und weiß Gott gar nicht schlecht.)
Das ganze Hin und Her mit Begrüßen und Reden und Diskutieren dauerte mindestens eine halbe Stunde, und es war erst beendet, als plötzlich Erwin Mühlenthal erschien. Unser Erster Offizier trug kein weißes, gestärktes Hemd, sondern ein hellblaues unter einem dunkelblauen Sacco, dazu eine graue Krawatte und eine schwarze Hose. Er wirkte unter all den redenden und (nur scheinbar) betriebsamen Männern wie ein merkwürdiger Fremdling, den alle erstaunt beäugten. Wie schon bei unserer eigenen Begrüßung (vor vielen Tagen, in Antwerpen) ging er rasch auf jede Person zu, gab ihr die Hand und tat so, als gäbe es Wichtiges und Dringendes zu tun.
Alle waren davon überrascht, wie elegant Mühlenthal Griechisch sprach. Er sprach es sehr laut und prononciert und anscheinend völlig perfekt, denn die Griechen an Bord sprachen mit einem Mal auch wieder Griechisch, als wäre ihr kurzer Ausflug ins Englische endgültig vorbei. Mühlenthal gab einige Zeichen, dirigierte herum, sprach (anscheinend) vom Verladen und winkte der Mannschaft, die plötzlich am Heck auftauchte. Er rief den Jungs etwas auf Deutsch zu, wechselte wieder ins Griechische, schaute mehrmals auf die Uhr und gab zu erkennen, dass er ab sofort das Ausladen und Verladen (und überhaupt alles) in die Hand nehmen würde.
Ich beobachtete Kapitän Reckling. Musste ihm Mühlenthals Auftritt nicht zusetzen, da es doch so aussah, als hätte ausschließlich Mühlenthal das Sagen an Bord?! Anscheinend nein. Denn Reckling kümmerte sich um die Polizisten und lud sie in den Salon, er gab Denis ein Zeichen, Sekt zu servieren, und er plauderte mit dem Agenten, als spielte er das Staatsoberhaupt, das nun seinen repräsentativen Pflichten nachkommen würde.
Auch Papa wandte sich noch einmal an den Agenten und übergab ihm die Post für Mama, die wir zusammengestellt hatten. In einem großen Kuvert befanden sich meine vielen »Briefpostkarten« und außerdem ein Brief sowie die (viel kleineren) Karten, die Papa an Mama (eher im Telegrammstil) geschrieben hatte.
Der Agent tat erfreut (als wäre die Post an ihn gerichtet) und übergab Papa einen Luftpostbrief von Mama. »Bereits vorgestern eingetroffen«, sagte er und tat wieder erfreut (als hätte er persönlich für das rechtzeitige Eintreffen gesorgt). Wir bedankten uns, Papa hielt Mamas Brief in der Hand, und ich sah ihm an, wie glücklich er darüber war, von ihr einen Brief erhalten zu haben.
»Wir können gehen«, sagte Papa dann zu mir. – »Was?« fragte ich (blöderweise). – »Wir können jetzt an Land gehen. Es steht dem nichts mehr im Wege. Also los! Lass uns gehen.«
Es war der 20. Juli 1967, hoher Mittag. Die Sonne schien bei ungefähr hundert Grad. Wir nahmen nichts mit auf unseren ersten Landgang, keinen Rucksack, nicht einmal einen Fotoapparat, nichts. Ich trug lediglich eine kleine Umhängetasche, und in ihr hatte ich einen Block, Zeichenblätter (für Papa), Stifte, einen Stadtplan und Mamas gerade übergebenen Brief verstaut. Die Tasche sah unauffällig aus, wie eine Schultasche, nichts Besonderes und keineswegs touristisch. Wir hatten uns vorgenommen, so schlicht wie möglich an Land zu gehen. Arglos, ohne Hintergedanken. Zwei Entdecker und Erforscher der Fremde. So in etwa.