Kapitel 11

 

Nikolai

 

Den Rest der kurzen Fahrt zu Leahs Wohnung verbringen wir schweigend. Meine Laune ist mies, nach dem Anruf, den ich erhalten habe. Ich werfe immer wieder einen Blick in ihre Richtung, nur um festzustellen, dass sie aus dem Fenster starrt. Sie scheint über meine kurze Interaktion mit Rhett verunsichert zu sein. Ich werde mir mit Leah weiterhin Zeit lassen, aber ich habe kein Problem damit, dafür zu sorgen, dass jeder Mann in dieser Stadt weiß, dass sie zu mir gehört. Rhett scheint ein guter Mann zu sein. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich weiß um seinen Beitrag zu unserer Stadt. Dem Blick der Anerkennung nach zu urteilen, als ich meinen Namen nannte, hat er auch von mir gehört. Ich biege in die Straße ein, die zum Wohnkomplex führt, und umkreise das Gebäude, um nach etwas Verdächtigem Ausschau zu halten, bevor ich mein Auto parke. Leah schnallt sich ab und schwingt ihre Tür auf.

„Ich bin in ein paar Minuten zurück.“ Sie wirft sich ihre Handtasche über die Schulter.

„Ich komme mit dir.“ Ich stelle den Motor ab und stecke die Schlüssel ein. Bevor sie protestieren kann, bin ich aus dem Auto gestiegen und an ihrer Seite.

„Schlüssel.“ Ich halte ihr die Hand hin. Leah kramt seufzend in ihrer Tasche und reicht sie mir dann. Ich nutze die Gelegenheit, um ihr eine kleine, aber wichtige Lektion zu erteilen: „Halte deine Schlüssel immer in der Hand, bevor du dein Fahrzeug verlässt.“ Ich drehe den Schlüssel um und nehme das schmale, gezackte Ende zwischen meine Finger, sodass es wie eine Messerklinge herausragt. „Wenn du deinen Schlüssel so hältst, hast du eine Waffe. Wenn jemand versucht, dich zu packen, holst du aus und zielst auf sein Gesicht.“ Ohne mich zu bewegen, öffne ich meine Faust. „Zeig es mir.“

Leah tut, was ich verlange, genau wie ich es demonstriert habe. „Etwa so?“

„Gut“, erwidere ich. Während wir die Treppe hinaufsteigen, lege ich meine Hand auf ihren unteren Rücken. Drinnen angekommen, bleibe ich an der Tür stehen. Leah legt ihre Tasche auf einen Stuhl in der Nähe und wirft mir einen kurzen Blick über ihre Schulter zu.

„Bin gleich wieder da.“

Während ich warte, denke ich wieder an den Anruf von Maxim. Ich ziehe mein Handy aus der Tasche und rufe Jake an. Er nimmt nach dem dritten Klingeln ab.

„Nikolai. Wie geht es dir?“

„Jake.“ Mein Tonfall alarmiert ihn sofort.

„Was gibt’s?“

„Es heißt, es sei jemand in der Stadt, der Fragen über Leah Winters stellt.“

„Scheiße. Ich werde die Männer darauf ansetzen“, sagt Jake und ich habe keine Zweifel daran. Dieser Mann kennt fast jeden in unserer Stadt. Der Club wird den Wichser finden, der hier herumschnüffelt.

„Wenn du den Scheißkerl findest …“

„Du wirst es als Erster erfahren, Bruder.“ Jake beendet das Gespräch genau in dem Moment, als Leah in einem knielangen Sommerkleid ins Wohnzimmer tritt. „Alles in Ordnung?“

„Das wird es sein.“ Ich bin ehrlich zu ihr, ohne jedoch zu viel zu verraten. Sie zögert einen Moment, als wolle sie weiter nachhaken, tut es aber nicht. „Fertig?“, frage ich.

„Ich bin so weit.“

Zwanzig Minuten später sind wir wieder bei mir zu Hause und packen die Sachen aus, die Leah für das Abendessen braucht. Als sie die Küche durchquert, schaut sie aus dem großen Fenster auf die Bäume, die sich vom starken Wind draußen biegen.

„Sieht aus, als würde ein fieser Sommersturm heranziehen.“

Der Sturm, der sich schon vor Stunden zusammengebraut hat, ist nun endlich mit voller Wucht aufgezogen. „Ich sollte nach Hause gehen, bevor das Wetter noch schlechter wird.“ Leah wirft das Sofakissen, das sie auf ihrem Schoß hält, zur Seite und steht auf. Auf keinen Fall wird sie heute Abend noch irgendwo hinfahren.

„Du bleibst hier.“

Ihre Augen weiten sich. „Nikolai. Ich werde dir nicht noch einmal dein Bett wegnehmen. Ich muss nach Hause.“

Ich stehe auf. „So lasse ich dich nicht fahren.“ Ich zeige nach draußen, als ein Blitz den Nachthimmel erhellt, gefolgt von Donnergrollen, das die Fensterscheiben zum Vibrieren bringt.

„Ich werde langsam fahren und mir Zeit lassen.“ Leah schaut überall hin, nur nicht in mein Gesicht, während sie an ihrer Brille herumfummelt. Sie ist so verdammt süß.

„Fühlst du dich unwohl mit mir?“ Ich trete einen Schritt vor und schaue zu ihr hinab.

„Ein bisschen.“

Wenigstens ist sie ehrlich.

Ich fahre mit meinem Finger an ihrer Wange entlang, zeichne ihre Kieferpartie nach, hebe ihr Gesicht an und bringe sie dazu, mir in Augen zu schauen. Der süße Duft des Erdbeereises, das sie gerade gegessen hat, liegt noch in ihrem Atem. „Ich habe keine Probleme damit, dass du in meinem Bett schläfst, Malyshka.“ Die Art, wie sie nervös auf ihrer Unterlippe kaut, erzeugt ein Ziehen in meinem Schwanz. Verdammt! Ich will sie so sehr, dass es weh tut.

„Nikolai, ich …“ Leahs Stimme klingt etwas atemlos, ich scheine diesen Effekt auf sie zu haben. Die Frau hat keine Ahnung, was sie mit mir anstellt. Um mein Verlangen, jeden Zentimeter von Leahs Körper zu erobern, zu zügeln, trete ich einen Schritt zurück, um uns beiden den nötigen Raum zu geben. „Du kannst im Gästezimmer am Ende des Flurs übernachten, wenn es dir nichts ausmacht, aber du wirst hierbleiben.“

„Wenn es okay ist, werde ich mich dann hinlegen.“

Ich schnappe mir die Fernbedienung vom Couchtisch und schalte den Fernseher ein. „Ich bringe dich in dein Zimmer.“ Ich nehme ihre Hand und verschränke ihre Finger mit meinen. Oben angekommen, führe ich sie an meinem Schlafzimmer vorbei. Ich öffne die Tür und bringe sie in das Gästezimmer, das ähnlich aussieht wie meines, aber kleiner ist. „Du hast das Bad für dich allein“, sage ich ihr und sie sieht sich im Raum um. „Warte hier.“

Ich verlasse Leah und laufe in mein Zimmer, gehe an meinen Schrank und hole ein sauberes T-Shirt und eine Jogginghose aus einem der Regale. Als ich in ihr Zimmer zurückkehre, sehe ich Leah, die aus dem Fenster starrt und auf den See blickt. Sie sieht über ihre Schulter zu mir herüber. „Stürmische Nächte haben etwas Friedliches an sich.“

„Finde ich auch.“ Ich durchquere den Raum, stelle mich neben sie und lausche gebannt.

Leah legt ihre Arme um ihren Oberkörper, während sie weiter den Regen beobachtet. „Wilde Winde und starker Regen. Es fühlt sich an wie eine Spiegelung meiner selbst und des Chaos, das ich in mir spüre. Doch dann kommt der Moment nach dem Blitzeinschlag. Bevor das Gewitter einsetzt, weißt du?“ Leah seufzt und klingt ein wenig emotional. „Ich warte auf diese Momente des Friedens. Nicht auf die Ruhe vor dem Sturm, sondern auf die Ruhe im Sturm.“ Plötzlich hört Leah auf zu reden und sieht mich an. „Es tut mir leid“, entschuldigt sie sich und ich verstehe nicht, warum.

„Was tut dir leid?“

„Ich weiß es nicht.“ Ihr Blick fällt auf den Boden.

„Mach das nicht noch einmal.“

Leahs hebt den Kopf. „Was?“, fragt sie und ihre Augen weiten sich.

„Entschuldige dich nie dafür, dass du so bist, wie du bist. Du hast gerade etwas Schönes über dich und deine Gefühle erzählt. Das ist nichts, wofür du dich entschuldigen müsstest, Malyshka.“

Ich drücke ihr die Kleider in die Hand, die ich festhalte und sie sieht sie an. „Für dich, zum Anziehen.“

„Die werden nicht passen.“ Sie versucht, sie zurückzugeben.

„Doch, das werden sie.“ Mein Blick bleibt an ihr haften, und ich kann nur daran denken, wie sehr ich sie küssen möchte. Das Schlimmste ist, dass ich merke, dass sie es auch will. Ich kämpfe gegen mein Verlangen an und atme tief durch. Ich muss erst einmal Abstand zwischen uns bringen, bevor ich wieder klar denken kann. „Gute Nacht, Malyshka.“

„Gute Nacht, Nikolai.“

Anstatt in mein Zimmer zurückzukehren, gehe ich nach unten ins Büro, wo ich mich stundenlang einschließen und alle Informationen über Leahs Vater durchblättern werde, bis ich vielleicht auf etwas stoße, das ich oder jemand anderes übersehen hat, auch wenn es wohl aussichtslos sein wird. Ich werfe die Papiere auf den Schreibtisch.

Am gegenüberliegenden Ende des Zimmers gieße ich mir einen Drink ein. Leah wird sich erst dann sicher fühlen, wenn sie ihn für immer los ist. Bulle oder nicht, ich will den Bastard umbringen. Ich möchte ihn zur Rechenschaft ziehen und für all die Gräueltaten bezahlen lassen, die er meiner Frau angetan hat. Ich schalte das Licht aus, lasse mich in den Ledersessel sinken und starre aus dem Fenster. Ich versuche, meinen Kopf von allem freizubekommen, doch alle meine Gedanken führen zurück zu einer Person. Leah Winters.

Stunden später wache ich auf und stelle fest, dass ich eingeschlafen bin, meinen Drink immer noch in der Hand, die auf der Armlehne des Stuhls ruht. Plötzlich wird die Stille von sanfter Klaviermusik unterbrochen und ich springe auf die Beine. Was zum Teufel? Ich ziehe meine Waffe aus der Schreibtischschublade und halte sie fest in der Hand, während ich die Tür öffne und mir einen Weg durch die Schatten des Hauses bahne. Meine Schritte verlangsamen sich, als ich Leah an dem kleinen Flügel sitzen sehe. Gebannt von jeder Note, die sie spielt, beobachte ich, wie ihre Finger über die elfenbeinfarbenen Tasten tanzen. Ich sehe, wie ihr Körper zum Leben erwacht, während sie weiterspielt. Langsam und doch fesselnd dringt die Musik in meine Seele ein. Leise lege ich meine Pistole weg – mein Herz klopft mit jedem Tastenanschlag, während ich mich leise auf sie zubewege. Die wunderschöne Melodie strömt aus ihrem Körper, während sich ihre Fingerspitzen mit der Anmut einer erfahrenen Pianistin bewegen. Als ich sie anschaue, öffnen sich ihre gefühlvollen Augen und begegnen den meinen. Zu meiner Überraschung spielt sie weiter. Sie ist so verdammt schön. So etwas habe ich noch nie gehört. Leah erzählt mir ihre Geschichte von Schmerz, Kummer und Angst. Ich schaue ihr zu, bis sie den letzten schönen Ton verklingen lässt.

Nun weicht sie meinem Blick wieder aus und steht von der Bank auf. „Warum fühlst du dich verpflichtet, dich um mich zu kümmern – mich zu beschützen?“

Der Schmerz in ihrer Stimme schnürt mir die Brust zu. „Ich bin es nicht wert.“ Ihr Blick bleibt auf dem Boden haften.

Ich greife nach ihrem Handgelenk, ziehe sie zu mir und stelle sie zwischen mich und das Klavier. „Ich tue es, weil ich es will – weil ich es muss.“ Leah dreht ihren Kopf. „Sieh mich an.“ Langsam blickt sie mit ihren atemberaubenden Augen zu mir auf. „Du bist wertvoll, Leah.“ Unfähig, mich zurückzuhalten, nehme ich ihr Gesicht in meine Hände und lege meine Lippen auf ihre. Wie ich es erwartet hatte, schmeckt ihr Kuss so verdammt süß. Zuerst ist sie schockiert und zögerlich, aber bald schmilzt sie unter meiner Berührung dahin. Mit all meiner Willenskraft ziehe ich mich von ihr zurück, bevor ich weitergehe – bevor ich ihren süßen Hintern auf dieses Klavier hebe, ihre Beine spreize und sie dazu bringe, meinen Namen zu schreien.

„Wir sollten uns etwas ausruhen.“ Der fassungslose Blick ihrer großen Augen trifft mich, aber sie sagt kein Wort, also führe ich sie die Treppe wieder hinauf. Bevor sie an meinem Zimmer vorbeiläuft, wird Leah langsamer.

„Ich kann nicht schlafen.“

Ich sehe sie an und warte darauf, dass sie mir mehr erklärt.

„Albträume. Deshalb bin ich überhaupt erst nach unten gegangen“, gibt sie zu.

Anstatt sie ins Gästezimmer zu führen, gehen wir in mein Zimmer und ich geleite sie zu meinem Bett. Ich fange an, mein Hemd auszuziehen und bemerke, wie sie wie von der Tarantel gestochen aussieht. „Steig ein, meine Schöne.“ Leah zögert. Ich lasse meine Hose an, rutsche ins Bett und ziehe die Decke hoch. „Wir schlafen nur. Mehr nicht.“ Sie nimmt ihre Brille von ihrem Gesicht und legt sie auf den Nachttisch, dann schlüpft sie neben mich. Leah rollt sich auf die Seite und starrt mich an, wobei sie etwas Abstand lässt.

Stille herrscht zwischen uns. Kein einziges Wort sprechen wir.

Meine Augen werden schwer und fallen zu, als ich sehe, wie Leah schließlich einschläft. Es dauert nicht lange, bis ich selbst in den Schlaf gleite.

 

***

  

Kurz vor Sonnenaufgang am nächsten Morgen wache ich auf und sehe Leah halb über mir liegen, mit einem ihrer Beine zwischen meinen, ihr Oberschenkel an meinen Schwanz gepresst. Ihr leichtes Schnarchen veranlasst mich zu einem Kichern, das sie aus dem Schlaf weckt. In dem Moment, in dem sie merkt, dass sie eng an mich geschmiegt daliegt, versteift sie sich.

„Oh mein Gott“, flüstert sie und ich versuche, ein weiteres Lachen zu unterdrücken. Leah hebt langsam ihren Kopf. Gleichzeitig beginnt sie, ihr Bein zurückzuziehen. Ich kann mir ein Grinsen nicht verkneifen, als wir einander anschauen.

„Guten Morgen.“

„Hi“, sagt sie schüchtern und errötet vor Verlegenheit.

Ich lege meinen Arm um sie, halte sie in ihrer Bewegung auf und nehme ihren Anblick in mich auf, während sie über mir schwebt und ihre wilden Locken ihr schönes Gesicht umrahmen. „Da könnte ein Mann glatt schwach werden, bei dieser schönen Ansicht“, gestehe ich und ihr Gesicht färbt sich rosa. Ich will gerade ansetzen, ihre Lippen zu erobern, wie ich es letzte Nacht getan habe, als es an meiner Zimmertür klopft und wir unterbrochen werden.

„Nikolai“, ruft Maxim von der anderen Seite.

„Ich hoffe, du kommst mit guten Nachrichten, Maxim“, warne ich und wende meinen Blick nicht von meiner Frau ab.

„Dein Vater ist zu Hause.“

Er ist früher zurück als erwartet. Das kann nichts Gutes bedeuten. Ich lasse Leah von mir heruntergleiten und sehe zu, wie sie im Bad verschwindet, während ich aus dem Bett klettere. Ich schnappe mir mein Shirt, das ich gestern Abend weggeworfen habe, ziehe es mir über den Kopf und durchquere das Zimmer. Ich öffne die Schlafzimmertür und sehe Maxim davor warten. „Es ist noch früh, Maxim.“ Ich fahre mir mit der Hand über das Gesicht.

„Es gibt eine dringende Angelegenheit, die nicht warten kann.“ Die Dringlichkeit in seiner Stimme lässt mich aufschrecken. „Hat das irgendetwas mit Leah zu tun?“

„Nein“, beeilt sich Maxim zu versichern. „Sorg dafür, dass Leah gut nach Hause kommt.“

„Ja, Sir“, sagt Maxim und entfernt sich.

Als ich die Tür schließe, drehe ich mich um und sehe Leah vor dem Badezimmer stehen, mit einem besorgten Gesichtsausdruck, der mich wissen lässt, dass sie einen Teil meines kurzen Gesprächs mitgehört hat. Ich komme ihr entgegen, streiche ihr die Haare aus dem Gesicht und küsse ihre Stirn. „Ich muss mich um eine dringende Angelegenheit kümmern. Maxim wird dich nach Hause begleiten, sobald du bereit bist.“

„Ist es mein Vater?“, fragt sie mit zitternder Stimme und ich hasse es, dass der bloße Gedanke an ihn sie so verängstigt.

„Nein“, sage ich wahrheitsgemäß, aber ich kann an ihrer Körpersprache erkennen, dass mein Geständnis sie nicht gerade beruhigt. „Ich bin vielleicht für ein oder zwei Tage unpässlich. Wenn du etwas brauchst, versprich mir, dass du nicht zögerst, mich anzurufen.“ Leah antwortet nicht sofort, also beuge ich ihren Kopf zurück und sehe ihr in die Augen. „Versprich es mir.“

Leah schluckt. „Ich verspreche es.“

„Gut.“ Ich streiche mit der Daumenkuppe über ihre Unterlippe und ihre Augen glänzen. Ich senke meinen Kopf und meine Lippen berühren ihre ein zweites Mal.

Wenige Augenblicke später bin ich vollständig angezogen und habe die Waffe geholt, die ich unten gelassen habe. Ich stecke sie in mein Holster und treffe meinen Vater draußen am SUV, wo er bereits wartet. Ich hasse es, Leah so abrupt zu verlassen, aber da ich weiß, dass Maxim dafür sorgen wird, dass sie sicher nach Hause kommt, bin ich beruhigt. Kaum bin ich eingestiegen, fährt Victor auch schon los. „Wohin fahren wir?“

„Zum Gelände der Kings. Jake hat uns um Hilfe gebeten, um ein Problem zu lösen, das sie mit den Savage Outlaws haben“, entgegnet mein Vater und sieht dabei müde aus.

Die Fahrt ist kurz und Minuten später halten wir vor dem Clubhaus der Kings. Als wir das Gebäude betreten, entdecken wir die Männer, die an der Bar sitzen. „Ich habe gehört, dass ein paar Nichtsnutze in die Stadt gerollt sind, also bin ich gekommen, um meine Hilfe anzubieten.“ Mein Vater grüßt in die Runde, während wir den Raum durchqueren, und Victor folgt uns.

Logan tritt vor, zieht unseren Vater in eine Umarmung und tut dasselbe bei mir. „Danke, dass du gekommen bist.“

Gerade als Jake ankündigt, dass er auf ein paar weitere Männer wartet, stellt er sein Bier ab und zieht sein Handy aus der Tasche. „Unsere Gäste sind da“, grinst er.

Das unverwechselbare Dröhnen der Harley-Motoren lässt alle Männer aufblicken. Einer nach dem anderen gehen wir nach draußen. Mehrere Kerle parken gerade ihre Motorräder neben den anderen, die im Hof abgestellt sind. Allesamt tragen sie das Abzeichen der Kings of Retribution. Derjenige, der das Präsidenten-Patch aufgenäht hat, streicht sich den Staub aus dem Gesicht und reicht Jake die Hand. „Ich hoffe, wir sind nicht zu spät zur Party“, grinst er.

„Gerade noch rechtzeitig, Bruder.“ Jake dreht sich zu meinem Vater und mir um. „Demetri, Nikolai, das hier sind Riggs, Fender und Kiwi. Sie sind Mitglieder unseres Louisiana-Chapters. Männer“, er schaut zu seinen Clubmitgliedern, „das sind Demetri und Nikolai Volkov.“ Es folgt eine Runde Händeschütteln unter uns.

„Ich habe schon von euch Volkovs gehört. Schön, euch kennenzulernen“, sagt Riggs, während Jake alle nach drinnen führt, wo wir uns für Drinks an der Bar niederlassen. Einige der Frauen kommen aus der Küche, um zu sehen, wer eingetroffen ist. Während ich ein kaltes Bier trinke, höre ich zu, wie Jake Sams Frau und Riggs einander vorstellt und sie in die Entscheidung des Clubs einweiht, ein anderes Mädchen, der sie geholfen haben, mit Riggs nach Louisiana zurückzuschicken. Luna läuft Gefahr, von ihrer Vergangenheit eingeholt zu werden. Die Tatsache, dass sie nicht spricht, macht es nicht einfacher. „Bringt sie her“, höre ich Riggs rufen.

Ein paar Minuten später kommt Sofia die Treppe hinunter, mit einer verängstigten Luna an ihrer Seite. Die Art und Weise, wie sie unter Riggs hartem Blick zusammenzuckt und den Augenkontakt mit ihm vermeidet, erinnert mich an Leah. Das arme Mädchen ist völlig verzweifelt, nachdem man ihr gesagt hat, dass sie ihr neues Zuhause hier nun für ein anderes verlassen wird. Noch dazu mit einem Mann, den sie gerade erst kennengelernt hat. Ich glaube, ich kann mit Sicherheit sagen, dass so ziemlich jeder Mann im Raum verdammt schockiert ist, als Riggs sich von seinem Stuhl erhebt und anfängt zu gebärden, während er mit Luna kommuniziert. Er spricht seine Worte auch laut aus und versichert ihr, dass sie bei ihm und seinen Männern sicher sein wird. Er verspricht, sie zu beschützen und für ihre Sicherheit zu sorgen. Wie die meisten Frauen mag Luna es nicht, wenn man ihr sagt, was sie tun soll, und ihre Hände bewegen sich fieberhaft, um Riggs zu entgegnen, was sie davon hält.

Riggs kichert über ihre Entrüstung. „Sieht aus, als hätte ich das gerade getan, Süße.“

Luna will weiter protestieren, aber Jake mischt sich ein. „Also gut. Das reicht jetzt.“

Quinn, der immer sagt, was er denkt, wirft ein: „Jetzt komm schon, Prez. Wo ist das Popcorn. Die Sache wird langsam interessant. Ich will sehen, wie’s weitergeht.“

Der Rest von uns kichert. Quinn ist einzigartig und findet immer einen Weg, eine angespannte Situation aufzulockern. Riggs folgt Luna mit seinem Blick, als sie sich nach oben zurückzieht. Bald sind wir alle wieder beim Trinken und Jake stellt seinen Angriffsplan gegen die Savage Outlaws vor.

 

Stunden später bricht im Clubhaus das Chaos aus. Mein Vater und ich schnappen uns unsere Waffen und stürmen nach unten, um zu sehen, was da los ist. Es stellt sich heraus, dass Luna und Sofia entführt wurden. Alle Männer versammeln sich um Reids Computer, auf dem er das Sicherheitsvideo aufruft. Luna hatte sich durch die Hintertür aus dem Clubhaus geschlichen und war im Begriff sich aus dem Staub zu machen. Aber was sie nicht wusste, war, dass Sofia ihr gefolgt war. Bevor sie Luna zur Rückkehr überreden konnte, traten ein paar Männer aus dem Nebel jenseits der Baumgrenze hervor und nahmen sie mit vorgehaltenen Waffen fest.

Während wir uns auf einen Angriff gegen die Männer vorbereiten, die sie entführt haben, mache ich mir Sorgen um Leah. Die aktuelle Situation bringt sie zwar nicht in unmittelbare Gefahr, aber sie erinnert mich daran, dass sie sich ebenfalls vor einer Bedrohung versteckt.

Nachdem ich gebeten wurde, die Straßen nach Hinweisen abzusuchen, in welche Richtung sie verschwunden sein könnten, steigen mein Vater, Victor und ich in den Geländewagen und brechen auf. Die Straßen sind dunkel, während wir Ausschau halten. Es dauert nicht lange, bis ich auf der Straße in der Nähe der alten Papierfabrik etwas entdecke. Ich wende mich an Victor: „Halte hier an“, und er schaltet die Scheinwerfer ein und fährt an den Straßenrand. Ich zeige durch das Fenster. „Siehst du, was ich sehe?“

„Biker“, sagt mein Vater und holt sein Handy aus der Tasche. „Wir haben ihren Unterschlupf im Visier – die alte Papierfabrik. Von hier aus zählen wir mindestens dreizehn Savage Outlaws. Wir bleiben an Ort und Stelle, bis ihr eintrefft.“ Mein Vater beendet das Gespräch.

Wir halten Wache und warten.

Jake und seine Männer stürmen an uns vorbei, direkt auf die Savage Outlaws zu und wir bleiben im Hintergrund. Schüsse ertönen und Kugeln streifen die Seite unseres Geländewagens. „Sieht aus, als hätten wir einen Flüchtigen!“, brüllt Victor über den Lärm hinweg. Durch die Windschutzscheibe sehen wir, wie der Biker, der die Frauen der Kings mit einer Waffe bedroht hat, auf ein Motorrad steigt, um vor dem Gemetzel zu fliehen.

„Folge ihm“, befiehlt mein Vater und Victor fährt ihm hinterher.

Der Motorradfahrer gibt Gas, als er merkt, dass er verfolgt wird. In einer scharfen Kurve auf einem Feldweg verliert er die Kontrolle über seine Maschine und legt sich auf die Seite. Er schleudert mehrere Meter weit, bevor er zum Liegen kommt. Victor bringt das Fahrzeug zum Stehen und ich öffne die Hintertür. Der Wichser versucht, sein Bein unter dem schweren Bike herauszuziehen.

Ich ziehe meine Waffe und richte sie auf seinen Kopf.

„Drück ab, du Arschloch!“, spuckt der Mistkerl aus.

„Ich werde nicht derjenige sein, der dich umlegt“, gebe ich zurück, bevor ich ihn mit meinem Stiefel gegen den Kopf trete und außer Gefecht setze.

„Ladet ihn auf“, weist mein Vater an. Victor und ich heben den schlaffen Körper vom Boden auf, werfen ihn auf den Rücksitz und fahren das Arschloch als kleines Gastgeschenk zurück ins Clubhaus der Kings.