Nikolai
„Scheiße!“ Ich schlage wiederholt auf das Lenkrad. Was zum Teufel denkt sie sich dabei? Mit einem Tastendruck rufe ich Maxim an.
„Sir.“
„Fahr nach Post Creek“, befehle ich.
„Schon unterwegs, Sir. Ich bin noch etwa zwanzig Minuten entfernt“, gibt Maxim zurück.
Ein ungutes Gefühl macht sich in meinem Bauch breit. Irgendetwas stimmt hier nicht. „Beeile dich“, füge ich hinzu, bevor ich den Anruf beende. Dann stelle ich sofort eine Verbindung zu meinem Bruder her. Es klingelt mehrere Male, bevor Logan endlich abnimmt.
„Hey, Bruder. Wie ist das Meeting gelaufen?“, fragt er.
„Leah wird etwas Schreckliches zustoßen“, platze ich heraus und drücke das Gaspedal weiter durch.
Ich höre Hintergrundgeräusche, gefolgt von Logan, der nach Jake ruft. „Du bist auf Lautsprecher. Wo ist Leah?“, fragt Logan.
„In Post Creek.“ Mein Griff um das Lenkrad wird fester. „Gegen meinen Willen ist sie zu ihrer Mutter gefahren.“
„Und wo bist du?“, fragt Jake.
„Ich bin auf dem Weg zu meiner Frau“, erwidere ich und setze ihn dann weiter ins Bild. „Ich weiß nicht, ob du es schon gehört hast, aber ihr Vater hat sich gestern bei Kings Construction blicken lassen und behauptet, Leahs Mutter sei krank geworden.“
„Wir haben davon gehört“, teilen mir meine Brüder schnell mit und ich bin nicht überrascht.
„Fragt mich nicht, woher ich das weiß, aber Leah ist in Gefahr. Ich fühle es tief in meinen Knochen.“
Jake wendet sich an meinen Bruder und sagt ihm, er solle sich mit den Männern in Verbindung setzen und meinen Vater benachrichtigen. „Wie nah bist du?“, fragt er mich dann.
„Fünfunddreißig Minuten.“
„Tu alles, was du kannst, um zu deiner Frau zu kommen. Meine Männer und ich werden nicht weit hinter dir sein.“ Er beendet das Gespräch und ich brause weiter über den Highway.
Es klingelt, als ein Anruf vom Maxim eingeht. Ich drücke die Taste am Lenkrad, um den Anruf entgegenzunehmen. „Sprich mit mir“, sage ich auf Russisch, mein Tonfall ist hart. „Sprich“, wiederhole ich, doch es herrscht Schweigen. In diesem Moment vernehme ich die ersten Anzeichen des sich anbahnenden Ärgers.
„Lassen Sie die Waffe fallen“, höre ich eine gedämpfte Stimme in meiner Muttersprache, aber nicht von Maxim. „Jetzt.“ Auf den Befehl folgt das deutliche Geräusch einer Waffe, die auf eine harte Oberfläche aufschlägt. Danach ist es still, es fühlt sich an, als würde Minuten verstreichen, aber in Wirklichkeit sind es nur Sekunden, bevor ich Leahs verängstigte Stimme höre.
„Nein. Lassen Sie ihn los.“ Ein hörbarer Schlag folgt auf ihre Worte.
„D’yavol selbst ist hinter dir her. Ty umresh’“, spottet Maxim. Dann fügt er hinzu: „Du hast gerade einen Krieg begonnen.“
„Wenn Volkov einen Krieg will, dann soll er den auch bekommen.“ Eine vertraute Stimme lässt mir das Blut in den Adern gefrieren. Novikoff. Auf seine Drohung folgt ein Schuss. Ich höre einen lauten Aufprall, bevor die Leitung unterbrochen wird.
Verflucht, ich halte die Luft an.
„Nein!“ Ich brülle so laut, dass meine Lunge brennt.
Die Zeit scheint sich zu verlangsamen und zu einem schwarzen, leeren Loch zu werden, das mich zu verschlucken versucht. Ich habe keine Ahnung, wie ich schließlich zu meinem Zielort gelangt bin, denn ich erinnere mich an nichts mehr, nachdem das Telefonat beendet war und meine Welt zum Stillstand gekommen war. Ich weiß nur, dass ich jetzt in meinem Auto vor Leahs Elternhaus sitze. Ich reiße die Autotür auf und renne auf die Haustür zu, während ich meine Waffe aus der Tasche ziehe. Ich trete die Tür aus den Angeln, das Holz splittert. Dann stürme ich hinein, ohne über mögliche Konsequenzen nachzudenken. Vom Vorraum aus laufe ich ins Wohnzimmer und finde es verlassen vor. Nachdem ich die Küche durchsucht habe, gehe ich weiter in Richtung des Flurs, in dem sich die Schlafzimmer befinden.
Eine Tür am Ende des Flurs ist leicht angelehnt, also nähere ich mich vorsichtig. Mit erhobener Waffe stoße ich mit der Schulter gegen die Tür, doch sie bewegt sich nicht. Ich stemme mein ganzes Gewicht dagegen und drücke die Tür mit aller Kraft auf.
Als ich sie einen Spalt aufgeschoben habe, quetsche ich mich hindurch und betrete den Raum. Maxim liegt mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden, der Teppich unter seinem Körper ist blutgetränkt. Verdammt. Ich sehe mich weiter um und entdecke Mary Winters, die unbewegliche Gestalt von Leahs Mutter, zusammengeschlagen auf dem Bett liegen. Ich knie mich hin, drücke meine Finger an Maxims Hals und bete, dass ich einen Puls finde. Das tue ich. Als ich ihn auf die Seite drehe, stöhnt er vor Schmerzen auf. „Halt durch“, sage ich ihm.
„Novikoff hat sie“, stöhnt Maxim, während ich nach seiner Wunde suche. „Bleib ruhig liegen.“ Ich ziehe meine Anzugjacke aus und drücke sie gegen die Blutung. „Halte den Druck aufrecht.“ Ich lege seine Hand dorthin, wo meine war, bevor ich aufstehe.
Ich gehe auf das Bett zu und schaue auf Leahs Mutter hinunter. Ihr Gesicht ist blutunterlaufen, die Augen sind geschwollen, und ihr Kiefer scheint ausgekugelt zu sein. Ihr Brustkorb hebt und senkt sich mit flachen Atemzügen und aus dem gurgelnden Geräusch, das sie von sich gibt, schließe ich, dass sie auch innerlich verletzt ist.
Da ich nicht weiß, ob sie mich hören kann, beuge ich mich über sie. „Wo ist Leah?“ Alles, was ich von ihr vernehme, ist ein verzweifeltes Stöhnen. „Wenn Sie sich um Ihre Tochter sorgen, werden Sie Ihren Körper zwingen, zu atmen und mir zu antworten“, warne ich sie.
Mary wimmert. „Bitte. Sie haben sie mitgenommen.“ Es gelingt ihr, die Worte als Flüstern über ihre Lippen zu bringen. Das Knarren der Türbretter lässt mich herumwirbeln, das Ende meiner Waffe zielt auf Jake und meinen Bruder direkt hinter ihm im Flur. Maxim hustet und Jake blickt zu Boden.
„Logan.“ Jake ruckt mit dem Kopf und mein Bruder geht an ihm vorbei, kniet sich neben Maxim und kümmert sich um ihn.
„Er muss ins Krankenhaus“, sagt Logan.
„Mein Leben ist nicht wichtig.“ Maxim versucht sich unter größter Anstrengung zu bewegen.
„Wir lassen unsere Männer nicht zum Sterben zurück.“ Meine Worte klingen hart. Plötzlich erscheint mein Vater im Zimmer und bemerkt, dass sein treuer Soldat verwundet ist.
„Bringt ihn ins nächste Krankenhaus“, sagt er zu den beiden Begleitern, die Maxim auf die Beine heben und aus dem Haus tragen. Der Zorn meines Vaters ist deutlich spürbar, als er mich ansieht. „Wer?“
„Novikoff.“ Dieser Name hinterlässt einen üblen Geschmack in meinem Mund und der Gesichtsausdruck meines Vaters verhärtet sich. „Er will Krieg“, knurre ich mit zusammengebissenen Zähnen. „Wieder einmal hat es jemand auf unser Imperium abgesehen und er benutzt meine Frau“, ich schlage mir auf die Brust, „um es zu bekommen.“ Ein rasendes Inferno in mir droht auszubrechen. Ich bin kurz davor, zu explodieren. Ich spüre es. Dieser Wichser hat meine Frau und es kostet mich jedes Quäntchen Beherrschung, nicht völlig durchzudrehen und diese Kleinstadt in Schutt und Asche zu legen, bis ich sie wiederhabe.
„Seht mal, wer sich im Schuppen versteckt hat“, sagt Quinn grinsend und wir drehen uns alle zu ihm um, während er einen sich wehrenden James an den Haaren herbeizerrt. So wie er aussieht, hat ihn jemand übel zugerichtet. Quinn wirft ihn in die Mitte des Raumes.
Er mustert die Männer, die ihn ebenfalls anstarren. „Du kommst zu spät.“
Ich richte meine Waffe auf seinen Kopf und befehle: „Auf die Knie, du wertloses Stück Scheiße.“ Leahs Vater sinkt auf den Boden. „Wo ist sie?“ Sein Blick schweift zum Bett, auf dem seine Frau liegt. „Deine Frau liegt im Sterben und deine Tochter wurde aus deinem Haus entführt“, zische ich, doch er antwortet nicht. „SPRICH!“, brülle ich.
„Novikoff hat mehr Macht, als du dir vorstellen kannst, und egal, was du tust, ich werde nicht reden.“ Er blickt zu seiner Frau, die kaum noch atmet. „Meine Frau wird sterben und ich werde bestimmt nicht im Gefängnis verrotten. Du kannst mir also genauso gut eine Kugel verpassen.“ Er hebt trotzig das Kinn.
„Du bist ein Feigling“, höhne ich. „Feiglinge haben es nicht verdient, so einfach zu sterben. Du wirst mir sagen, was ich wissen muss.“ Ich trete näher an ihn heran, verpasse ihm einen Schlag auf den Hinterkopf und sehe zu, wie er vor meinen Füßen zu Boden sinkt. Ich blicke zurück zu den Männern hinter mir. „Ich muss euren Keller beanspruchen“, sage ich zu Jake, der grinst.
„Geht klar.“ Ohne ein Wort zu sagen, heben Quinn und mein Bruder James’ schlaffen Körper hoch. Ich werfe Logan meine Schlüssel zu. „Leg ihn in den Kofferraum meines Wagens.“
„Was ist mit der Mutter?“, fragt mein Vater.
„Gib einen anonymen Anruf bei den zuständigen Behörden auf. Von diesem Moment an ist sie nicht mehr mein Problem.“ Meine Worte sind kalt und distanziert.
Kurze Zeit später sind wir am Clubhaus angekommen und Gabriel lädt unseren Ehrengast aus dem Kofferraum meines Wagens aus. Mein Vater gesellt sich zu mir, als wir das Clubhaus betreten. „Gibt es etwas Neues von Maxim?“
„Nur, dass er in diesem Moment in den OP gebracht wird. Weitere Einzelheiten wollten sie nicht bekannt geben.“ Mein Vater tritt zur Seite und lässt mich zuerst in den Keller gehen, wo die Kings auf uns warten.
Die Luft in dem Raum ist warm, feucht und riecht nach Tod. Ich kremple meine weißen Hemdsärmel hoch und beobachte meine Beute, während ich langsam im Kreis laufe. Jake und seine Männer, zusammen mit meinem Vater, stehen als mein Publikum um das Geschehen herum. Ich schaue James in die Augen, der an den Knöcheln und Handgelenken an einen Stuhl in der Mitte des Raumes gefesselt ist. James beobachtet jede meiner Bewegungen. Ich trete an ihn heran und schlage ihn mit dem Handrücken.
Damit er sich nicht erholen kann, greife ich in sein Haar, reiße seinen Kopf zurück und vergrabe meine Faust in seinem Gesicht. Ich spüre das Knirschen seiner Zähne an meinen Fingerknöcheln. Der Rausch des Schmerzes lässt mich den Vorgang noch ein paar Mal wiederholen, bis sein Gesicht blutig ist und seine Nase in einem unnatürlichen Winkel steht. Ich lasse ihn los und lockere meine Schultern.
Ich gehe zu einem Regal in der Nähe, in dem verschiedene Werkzeuge liegen. Ich nehme einen Schraubenzieher in die Hand, stecke ihn in meine Gesäßtasche und nehme noch einen anderen Gegenstand aus dem Regal. „Wo hat Novikoff Leah hingebracht?“, frage ich, während ich mit einer Gartenschere in der Hand auf ihn zugehe. Als ich nah genug bei ihm bin, spuckt James mir ins Gesicht. „Fahr zur Hölle.“
Ich ergreife seine Hand, hebe seinen Zeigefinger und platziere ihn zwischen den Klingen. In Sekundenschnelle sind von zehn nur noch neun Finger übrig. James schreit. „Verdammtes Weichei. Wir haben kaum angefangen und du quiekst schon wie ein gestochenes Schwein.“ Ich lasse die Schere fallen, ziehe den Schraubenzieher aus meiner Tasche und treibe ihn in seinen Oberschenkel, drehe und wühle in seinem Fleisch herum, bevor ich ihn wieder aus dem Körper reiße. Seine gequälten Schreie geben mir Genugtuung, während ich das Gleiche mit seinem anderen Bein mache, und ihm keine Zeit lasse, mich anzuflehen, aufzuhören.
„Verzeih mir“, schluchzt James wie ein Weichei, Rotz läuft ihm aus der Nase, während er anfängt zu schluchzen. „Ich hab’s versaut.“ Blutige Spucke rinnt aus seinem Mund. „Ich hab’s versaut, und Leah war der Preis, den ich zahlen musste.“ Er lässt den Kopf hängen.
„Du gibst deine einzige Tochter an einen Mann, der Frauen an den Höchstbietenden verkauft, nur um dein eigenes wertloses Leben zu retten.“
„Verzeih mir“, wiederholt er.
Ich beuge mich vor, nehme sein Gesicht in meine Hand und drücke zu. „Wo ist sie?“ Ich koche.
„Sie ist schon lange weg. Du kommst zu spät.“ Er ringt darum, mich anzusehen.
„Wo?“ Ich treibe ihm den Schraubenzieher in den Magen, sodass seine Augen hervorquellen.
„Russland!“, schreit er vor Schmerz. „Er bringt sie nach Russland.“
Meine Frau ist fort, entführt von einem Menschenhändler, in ein Land, das tausende Kilometer entfernt ist, und das alles wegen der Sünden ihres Vaters. Dass sie nun meine Ehefrau ist, wird sie eine Zeit lang am Leben erhalten, aber nicht lange. Er wird sie nicht verkaufen, bevor er nicht bekommen hat, was er will – mein Imperium.
„Bitte, ich habe dir gesagt, was ich weiß. Habt Erbarmen.“ James beginnt, um sein Leben zu betteln.
„Erbarmen? Wo war deine Barmherzigkeit für deine Tochter?“ Ich drücke ihm das Laufende meiner Waffe zwischen die Augen. „Hier wirst du keine Gnade finden.“ Dann jage ich ihm eine Kugel in den Kopf.