INTERMEZZO

 

 

Neptun, die auf einem Felsen am Meer saß, blickte mit einem sanften Lächeln auf den Lippen zum Hologramm und beobachtete die Menschen.

Uranus gesellte sich zu ihr.

„Schau nur, Uranus“, sagte Neptun mit Freude in der Stimme, „wie glücklich unser Chris jetzt ist.“

„Er lässt ja wirklich nichts anbrennen, dieser kleine Casanova“, schmunzelte Uranus.

„Er genießt die Freude des schwulen Sexes.“

„Ihm scheint die neue Welt wirklich zu gefallen.“

„Vor allem die Freizügigkeit scheint er mehr als nur zu lieben.“

„Wir hätten noch viel mehr ändern sollen“, meinte Uranus.

„Was schwebt dir vor?“, wollte Neptun wissen. „Wir haben doch schon so viel fabriziert.“

„Aber noch nicht genug.“

„Ich bitte dich, Uranus. Wir haben die Natur geheilt, das Denken gegenüber Homosexuelle, die Bibel, Gott und der Freikörperkultur verändert.“

„Es reicht aber nicht, Neptun.“

„Wie kommst du darauf?“

„Schau doch“, sagte Uranus und zeigte auf das Hologramm. „Trotz der neuen Lebensweise sind einige Menschen immer noch unglücklich. Sie weinen, streiten, sehnen sich nach Liebe. Dabei gibt es für jeden Menschen auf dem Planeten mehr als nur einen möglichen Partner.“

„So sind die Menschen eben. Wir können nicht ihr ganzes Wesen ändern.“

„Warum nicht, Neptun?“

„Es sind Lebewesen, und jeder von ihnen hat ein Recht darauf, so zu sein, wie er nun mal ist. Wir haben die Missverständnisse aus dem Weg geräumt, damit jeder endlich glücklich sein kann.“

„Und dennoch sind sie es nicht.“

„Doch, Uranus. Nur kann man das Glück nicht erzwingen. Wir haben unser Bestmöglichstes getan. Mehr dürfen wir nicht unternehmen.“

„Ich würde zu gerne ein paar neue Gesetze entwerfen.“

„Und welche, Uranus?“

„Kein Alkohol mehr.“

„Aber sie werden daran doch nicht mehr sterben.“

„Trotzdem können sie betrunken werden, und wenn sie es sind, dann pöbeln sie gerne herum. Mir fällt es schwer, Neptun, sehr schwer sogar, mich manchmal zurückzuhalten.“

„Wie meinst du das, Uranus?“

„Sie nicht in die Dead-Zone zu verbannen.“

„Nur weil sie feiern gehen und hinterher betrunken sind?“

„Weil sie es übertreiben. Ich würde den Alkohol gerne abschaffen.“

„Nein, Uranus. Jedem Menschen bleibt es selbst überlassen, ob er trinkt oder nicht.“

„Und wenn er all seine Freunde aus genau diesem Grund verliert?“

„Dann ist es ganz allein seine Schuld. Wir können nicht jeden Menschen ununterbrochen glücklich machen. Selbst die Schwulen und Lesben streiten sich, aber so ist das Leben als Mensch nun mal.“

„Kann es wirklich Liebe sein, wenn man sich anbrüllt oder aus dem Weg geht?“

„So sind die Menschen, Uranus. Daran kannst du nichts ändern. Abgesehen davon streiten wir uns ja auch oft.“

„Nein, Neptun. Wir streiten uns nicht.“

„Ach nein?“

„Wir diskutieren nur.“

„In einem lauten Tonfall?“

Uranus seufzte. „Du hast ja Recht. Wir können die Menschen nicht komplett neu gestalten.“

„Unsere Aufgabe war es, den Menschen zu helfen. Ihnen den richtigen Weg zu zeigen, bevor sie sich selbst zerstören würden.“

„Keine Ausgrenzungen mehr. Freie Liebe für all diejenigen, die es wollen. Herkunft, Sexualität – alles ohne Bedeutung.“

„So, wie es auch sein sollte.“

„Zigaretten verpesten aber die Umwelt“, murrte Uranus weiter.

„Nein, Uranus. Sie enthalten keine schädlichen Stoffe mehr und schmecken obendrein sogar noch besser als vorher.“

„Aber sie sind nicht gesund.“

„Wen stört es?“ Neptun schmunzelte. „Sie sterben doch eh nicht daran.“

„Ja, weil ich alle Krankheiten außerhalb der Dead-Zone abgeschafft habe.“

„Denkst du etwa daran, sie wieder einzuführen?“, wollte Neptun wissen. Sie war alles andere als erfreut.

„Keine Angst. Ich schenke den Menschen doch nicht etwas und nehme es dann aus einer Laune wieder zurück. Das wäre nicht fair.“

„Ich dachte schon.“

„Außerdem will ich dich nicht verärgern. Obwohl ich es schon sexy finde, wenn du dich aufregst.“

„Du findest es also sexy, wenn ich mich aufrege?“

„Ja, irgendwie schon.“

„Du bist verrückt.“

„Ich weiß“, stimmte Uranus zu. Er versank kurz in seinen Gedanken. „Glaubst du, dass die Menschen wirklich glücklicher sind als zuvor?“

„Sie grenzen niemanden mehr aus. Sie können sich entfalten. Brauchen sich keine Sorgen mehr um ihre Zukunft machen. Sie alle verdienen genug Geld und die wenigen, die absolut keine Lust auf Arbeit haben, sind auch endlich glücklich. Das war dir doch so wichtig.“

„Mir war es in der Tat sehr wichtig, dass Spinner, wie die von der ARGE endlich mal leiden müssen.“

„Sei nicht so hart zu ihnen. Sie haben auch nur ihren Job gemacht. Viele von ihnen wären sicherlich auch gern einer anderen Tätigkeit nachgegangen.“

„Mag sein, aber viele haben es geliebt, andere zu schikanieren.“

„Das lag doch nur an diesen komischen Gesetzen, die von falschen Menschen gemacht wurden.“

„Ist dir schon mal aufgefallen, Neptun, dass die meisten Gesetze, die mit der Nacktheit und dem Sex zu tun hatten, von nicht sehr attraktiven Menschen kamen?“

„Wahrscheinlich waren sie neidisch auf das, was andere hatten. Viele fette Männer kamen eben nicht damit klar, dass gut aussehende Typen sich gerne halb oder ganz nackt zeigten. Deswegen gab es auch das Gesetz, dass Männer am Strand eine Dreiviertel-Hose tragen müssen, Frauen aber in einem Stringtanga auftreten durften.“

„Immer dieser Neid.“

„Was waren deiner Meinung nach die verrücktesten Gesetze?“

Uranus prustete. „Da gab es tausende.“

„Ich weiß.“

„Okay“, Uranus überlegte kurz. „Nackte Touristen in Barcelona, die den Blick auf La Rambla störten. Menschen, die in Badezeugs durch die Stadt liefen und mit einem Bußgeld von 300 Euro rechnen mussten. Castellammare di Stabia, wo Frauen keine kurzen Röcke tragen durften – 500 Euro Strafe. Der Vatikan, der meinte, Gottes Geschöpfe müssten das verbergen, was sie ausmacht. Bloß keine nackte Haut – es hätte ja jemanden verstören können.“

„Bei dir dreht sich alles um die Freikörperkultur, nicht?“

Uranus grinste. „So bin ich halt.“

„Ich habe ganz andere Lieblinge.“

„Ich sagte nicht, dass dies die Höhepunkte waren. Mir sind sie nur eben in den Sinn gekommen.“

„Dann solltest du mal deine Sinne schärfen“, meinte Neptun locker.

Uranus kratzte sich verlegen am Kopf.

„Also, meine Höhepunkte waren ganz andere. Alabama zum Beispiel, wo sonntags das Dominospielen verboten war. Ein Ort, an dem Männer ihre Frauen nur mit einem Knüppel schlagen durften, die nicht größer waren als ihre Daumen. In Gegenwart von Damen durften Männer nicht auf den Boden spucken. Ein lokaler Richter, der die Todesstrafe aussprechen durfte, wenn man eine Prise Salz auf Eisenbahnschienen verstreute. Frauen, denen es gesetzlich verboten war, ein Sexspielzeug zu besitzen. Ehen zwischen Schwarzen und Weißen waren strengstens verboten.“

„Vergiss nicht, dass man nicht mit Bären ringen durfte.“

„Welcher normale Mensch würde schon auf die Idee kommen, mit einem Bären zu ringen?“

„Ich weiß es nicht, Neptun. Die Inzesthochzeit“, sagte Uranus spaßend.

„War erlaubt – ich weiß.“

„In Arizona durften Frauen keine Hosen tragen.“

„Das war eins der ersten Gesetze, die ich umgehend änderte. Jeder soll sich so kleiden, wie er oder sie es möchte.“

„Manchmal frage ich mich echt, wie verrückt ein Mensch sein muss, um solch einen Schwachsinn zu beschließen.“

„In Arizona hättest du niemals lang überleben können.“

„Wieso nicht? Vergessen? Ich bin ein Gott.“

„Aber als Mensch wärst du mit nur zwei Dildos Amok gelaufen.“

Uranus rollte die Augen. 

„Und in Arkansas wärst auch aufgeschmissen gewesen. Oralsex wurde dort mit Sodomie gleichgesetzt.“

„Und in Florida hättest du niemals nackt duschen dürfen“, konterte Uranus. „Wäre für dich doch die absolute Qual gewesen.“

„Welcher normale Mensch sich wohl daran gehalten hat?“

„Nicht viele“, erwiderte Uranus. „Aber was soll man schon erwarten, wenn es ein Gesetz gab, bei dem es Ratten verboten war, ein Schiff zu verlassen?“

„Genau so sinnlos, wie das Gesetz aus Hawaii, das einst verboten hatte, sich in der Öffentlichkeit in einer Badehose zu zeigen oder sich einen Penny ins Ohr zu stecken.“

„Was mir jedoch gefallen hat, war, dass weibliche Singles die männlichen Singles mit Meister anreden mussten.“

„Ja, das gefällt dir wieder, nicht, Uranus?“

„Zum Spaß ja“, antwortete er. „Aber als Gesetz völlig daneben.“

„Am schlimmsten fand ich jedoch die Gesetze zur Homosexualität. In Ägypten, wo eine Haftstrafe von drei Jahren verordnet wurde. Algerien ebenfalls drei Jahre. Botswana mit bis zu sieben Jahren, Burundi mit zwei Jahren, Gambia sogar 14 Jahre.“

„Hirnrissig fand ich Ghana. Lesbische Frauen waren erlaubt, schwule Männer hingegen nicht.“

„So war es auch in Kenia, Sambia, Pakistan, Bahrain, Nigeria, Simbabwe und Lesotho.“

„In Mauretanien gab es sogar die Todesstrafe für Homosexuelle.“

Neptun blickte hinauf zum Himmel. „In Sansibar mussten Homosexuelle mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 25 Jahren rechnen. In Sierra Leona gab es lebenslänglich. Im Sudan folgte der Tod. In Afghanistan 15 Jahre hinter Gittern, in Bangladesch bis lebenslänglich, Peitschenhiebe für die Frauen im Iran und den Tod für die Männer.“

„In Jemen folgte nach schwuler Liebe ebenfalls der Tod.“

„Ich weiß. In Malaysia gab es bis zu 20 Jahre für die Liebe zwischen zwei Männern oder zwei Frauen. Wie konnte es nur so weit kommen?“

„Ich weiß es nicht, Neptun. Ich weiß es wirklich nicht.“

„Es gab noch zig weitere Länder, die entweder Geld-, Haft- oder gleich die Todesstrafe aussprachen, wenn zwei Menschen gleichen Geschlechts sich liebten. Der Erdengott hätte es niemals so weit kommen lassen dürfen.“

„Vielleicht war der gute Herr einfach nur überfordert. Du hast ihn doch damals gesehen, wie fertig und ausgepowert er aussah. Kein schöner Anblick.“

„Und jetzt ist er verschwunden … auf ewig.“

„Wir schaffen es einfach nicht, ihn zu orten“, regte Uranus sich auf.

„Und die Energie von Chris können wir immer noch nicht zuordnen. Was ist das nur für eine Kraft, die er ausstrahlt?“

„Ich weiß es nicht, Neptun. Aber wir sollten es schnell herausfinden, bevor er stirbt.“

„Er ist doch erst 23“, gab Neptun seufzend zurück.

„Du weißt doch, dass Menschen, sobald sie das 18. Lebensjahr erreicht haben, ein anderes Zeitgefühl verspüren. Vielleicht nicht sofort, manchmal auch erst nach einigen Jahren, aber es ist so. Sie erleben Monate wie einst Wochen.“

„Ich weiß, aber dies sollte eigentlich nicht so sein. Irgendetwas hat einst Raum und Zeit so erschüttert, dass die Uhr der Menschen schneller tickt. Sie erleben es manchmal bewusst, oft unbewusst. Aber es ist nicht normal, dass sie sich in jungen Jahren bereits darüber unterhalten und sich Sorgen machen.“

„Eine Idee, was wir da machen könnten?“

„Ich schätze, da sind wir machtlos, Uranus.“

„Eine Schande.“

„Wir können ihnen das Leben nur angenehmer gestalten. Mehr ist einfach nicht drin.“

„Wir können stolz auf unsere bisherige Arbeit sein“, lobte Uranus sich selbst und legte seinen Arm um Neptuns Schultern.

„Ja, das können wir. Aber wir sind lange noch nicht am Ziel angelangt.“

„Ich weiß. Aber das werden wir.“

„Was macht dich da so sicher, Uranus?“

„Weil du Neptun bist und ich Uranus bin. Wir sind Götter, Neptun. Wir schaffen das schon.“

„Hoffen wir, dass du Recht behältst und wir herausfinden, was es mit dem Erdengott und Chris auf sich hat.“

Plötzlich vernahmen die beiden eine grausame Lache.

Erschrocken sprangen sie auf. Uranus ließ sofort sein Schwert erscheinen. „Wer ist da?!“, wollte er erbost wissen. „Wer wagt es, uns zu stören?!“ Das Meer verschwand und die beiden Götter standen in einer Art Galaxie – umgeben von Millionen von Sternen.

„Ihr Götter“, sagte diese grässliche männliche Stimme, „seid doch alle gleich. Denkt, ihr seid die Mächtigsten, doch das ward ihr noch nie.“

„Uranus“, sagte Neptun ängstlich. „Ich kenne diese Stimme.“ Auf einmal wurde alles um sie herum dunkel. Schnell ließ Neptun ihr Zepter der Macht erscheinen und Licht aufkommen.

„Ängstliche Götter“, flüsterte die Stimme, „ich liebe sie.“

„Neptun?!“, fluchte Uranus. „Wer ist das?“

„Das hört sich an wie …“, sie konnte ihren Satz nicht zu Ende sprechen, denn urplötzlich packte sie jemand am Knöchel. Neptun donnerte zu Boden und wurde blitzschnell davongezogen. Laut schrie sie auf.

„Neptun!“, brüllte Uranus in die Dunkelheit. „Na los! Zeig dich!“ Uranus war zum Angriff bereit, doch aufkommender und giftiger Nebel ließ ihn in Ohnmacht fallen.

Es wurde ein wenig heller und eine schattige Gestalt erschien. „Uranus und Neptun“, sagte er gehässig. „Ihr seid also auf der Suche nach dem Erdengott und habt seine Schützlinge versorgt. Dann lasst uns doch mal sehen, was ihr aus dem Planeten gemacht habt.“ Kurz betrachtete der Fremde das Werk der beiden Götter und brach dann in Gelächter aus. „Es wird Zeit für ein wenig Chaos.“ Schadenfroh lachte er.