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April 1584

Die meisten Pflanzen, die Tom mitgebracht hatte, wuchsen und gediehen, seine kostbaren Vanillepflanzen jedoch nicht so gut wie die anderen, trotz des Frühbeets, das er für sie gebaut hatte. Eine hatte Knospen ausgebildet, und jeden Morgen hob er das Glas herunter und setzte es am Abend für die Nacht wieder auf. Er hoffte, einige Schoten zu erhalten und – was noch wichtiger war – Samen, mit denen er weitere Pflanzen anbauen konnte. Er war erneut zu den Lagerhäusern am Fluss geschickt worden, um zu versuchen, mehr Vanille zu besorgen, doch mit mäßigem Erfolg. Sie mussten den Bestand, den sie hatten, strecken und ausschließlich für die Königin verwenden. Wenn sie ihre eigene Vanille anpflanzen konnten, wären sie nicht auf Importe aus Übersee angewiesen.

Eines Nachmittags – Tom arbeitete gerade im Destillierraum – bekam er Besuch. Eines der Kinder eines Höflings litt unter Halsbräune, und Tom fügte gerade Anis und Pfeffer einer Kräuterteemischung mit Honig hinzu, die dem Kind Linderung verschaffen sollte, als ihn eine Bewegung an der Tür aufblicken ließ. Im Türrahmen stand eine Frau. Sie war schlank, kaum größer als ein Kind, auch wenn sie ihren Gesichtszügen nach älter war, vielleicht Mitte dreißig. Ihr Gewand war blassgelb, ihr Haar, das von einem Haarnetz im Nacken zusammengehalten wurde, schwarz wie die Raben im Tower, die Hugh ihm am ersten Tag, als sie am Fluss entlang zum Palast gegangen waren, gezeigt hatte. Sofort hielt Tom in seiner Tätigkeit inne.

Ihr Gesicht strahlte vom süßesten Lächeln, das er je gesehen hatte; Grübchen kräuselten sich um ihre Mundwinkel. Ihre Augen hatten den weichen Lilaton von Safranblüten. Er merkte, dass sie mit ihm sprach, deshalb konzentrierte er sich jetzt auf ihr Gesicht, um daraus abzulesen, was sie sagte. Er war so sehr damit beschäftigt gewesen, ihre Figur zu bewundern, dass er den ersten Teil bereits verpasst hatte. Als sie fertig war und verstummte, nahm er seine Tafel und bat sie schriftlich darum, das Gesagte zu wiederholen. Er war verärgert und verlegen, schämte sich plötzlich wegen seiner Behinderung.

Zum Glück schien ihr das nichts auszumachen; sie nickte und wiederholte die Worte langsam, gab ihm die Gelegenheit, ihren Mund zu beobachten, die schimmernden rosafarbenen Lippen. Sie stellte sich als Lady Isabel Downes vor, und dieses Mal verstand er sie perfekt, als sie die Kopfschmerzen beschrieb, die ständig hinter ihrer Stirn pochten. Er deutete auf einen Stuhl neben der Tür, ließ die Kräuterteemischung für das Kind des Höflings stehen und fing an, eine für sie zuzubereiten. Er hätte ihr gern erklärt, dass ihr Kopf wahrscheinlich von den engen Hauben schmerzte, die die Mode am Hof vorschrieb, aber er wusste, dass es als unfein galt, wenn ein Mann die Aufmerksamkeit auf irgendein Kleidungsstück einer Dame lenkte, deshalb fügte er dem Koriander und dem Fieberkraut, das er gerade zerstieß, noch eine Prise Salbei hinzu und schüttete das Pulver in einen Papierumschlag. Er bedeutete ihr, wie sie es in heißes Wasser geben sollte, und zeigte an, dass es, falls notwendig, für zwei Tassen ausreichte.

Bevor sie aufstehen und gehen konnte, schrieb er rasch »Tom Lutton« auf die Tafel und deutete auf sich selbst. Sie nickte lächelnd, und sein Herz schmolz dahin. Er sah ihr auf die Lippen, als sie »Leb wohl, Tom Lutton« sagte, und mit einem raschen Grinsen und einem kurzen Knicks war sie verschwunden. Ihm war nicht einmal die Zeit geblieben, mit einer Verbeugung zu antworten.

Er setzte sich auf den Stuhl, von dem sie gerade aufgestanden war, und spürte die Wärme, die ihr Körper dort zurückgelassen hatte. Er konnte ein breites Lächeln nicht unterdrücken. Sie war die schönste Frau, die er je gesehen hatte, und seine Gedanken überschlugen sich, während er fieberhaft nach einem Grund suchte, sie wiederzusehen. Doch das war unmöglich, das wusste er. Mit einem Kleid aus feinster Wolle und passenden seidenen Pantoffeln musste sie eine der Hofdamen der Königin sein; die höchstrangigen Menschen im Staat. Wohingegen er nur ein Apothekergehilfe war, der in einer winzigen Kammer hinten im Palast hauste: Für ihn gab es keinen Platz in ihrer Welt.

Auch sein Adoptivvater war einmal ein Höfling gewesen, und Tom hatte damals eine gute Chance gehabt, in seine Fußstapfen zu treten, trotz seines Handicaps. Diese Chance hatte er aber schon vor langer Zeit verloren, als sein Vater zu Tode gefoltert worden war und sie nach Frankreich fliehen mussten.

Tom nahm eine Kerze und ging in seine Kammer. Auch wenn es nur ein besserer Schrank war, war er doch sehr froh, sie zu haben, ein kleines Stück Privatsphäre – für ihn von unschätzbarem Wert. Er entzündete die beiden anderen Bienenwachsstummel auf der Truhe. Er war versiert darin, sich die Stummel zu sichern, die aus den Wandleuchtern des Palastes stammten und weggeworfen wurden. Den Dienstboten war es erlaubt, sie sich zu nehmen und aufzubrauchen. Sie waren weit besser als die Talgkerzen, zu denen er sonst Zugang hatte, und verursachten nicht den beißenden Rauch, der seine Augen brennen und tränen ließ.

Er nahm sein Triptychon, das er auf seiner ganzen Reise durch Europa immer dabeigehabt hatte, aus der Truhe am Fußende seiner Pritsche. Es war sperrig und ziemlich schwer, und er hatte während der ganzen Reise in der ständigen Angst gelebt, dass jemand versuchen würde, es ihm zu rauben. Doch zum Glück hatte sein kräftiger, muskulöser Körperbau die Menschen davon abgehalten, es auf einen Kampf mit ihm ankommen zu lassen. Solange niemand seine Taubheit entlarvte, ließ man ihn meistens in Ruhe, doch kaum kam sein Handicap ans Licht, veränderte sich alles. Die Menschen waren argwöhnisch, wenn jemand anders war; Misstrauen und Angst traten nur allzu leicht an die Oberfläche. Das war dann immer der Zeitpunkt, an dem er weiterzog. Hier im Palast jedoch hoffte er, ein Zuhause zu finden.

Er klappte das Triptychon auf seiner Pritsche auf und kniete sich mit der Kerze davor, um es besser ansehen zu können. Jede Szene der inzwischen vervollkommneten linken Tafel zeigte sein Leben, bevor er nach England zurückgekehrt war. Seine frühen Erinnerungen an warme Tage und Felder voller lilafarbener Safranblüten, die in der Morgensonne leuchteten. An die Nacht, als er seiner Mutter half, die herzzerreißende Aufgabe zu erfüllen, ihr winziges Baby, das unmittelbar nach der Geburt gestorben war, in einem Priesterloch unter dem Boden zu verstecken, bevor sie von zu Hause durch das eisige Winterwetter ins sichere Frankreich flohen. In einem kleinen Haus in einem Dorf bei Lyon fanden sie Schutz, und wieder baute seine Mutter mit der Hilfe ihrer treuen Gefährtin Joan ihren Safran an und verkaufte ihn. Mit den Jahren führte sie ein angenehmes Leben in der Nähe einer Klostergemeinschaft, wie sie es auch als Kind gewohnt gewesen war. Der honigwarme Duft und die scharfe Würze des Safrans ließen ihn immer an sie denken. Auch sie war eine versierte Apothekerin gewesen, und er hatte so viel gelernt, als er mit ihr gearbeitet hatte. Penibel hatte sie alle Pflanzen und Gewürze, die sie benutzten, für ihn gezeichnet und den lateinischen Namen daruntergeschrieben.

Ohne sie wäre er niemals so weit gekommen. Ihre herausragenden Fähigkeiten hatten ihr ein gutes Leben beschert. Er wusste, dass sie seinen Vater auf ewig vermissen würde, doch sie hatte sich mit ihrem Schicksal abgefunden und gelernt, glücklich zu sein. Zufrieden mit ihrem ruhigen Alltag und der Liebe derer, die sie umgaben. Sie hatte ihm aufgetragen, immer weiterzuatmen und zu hoffen, dass alles gut würde.

Schließlich hatte er sich auf den Weg quer durch Europa gemacht und begonnen zu malen, in kleinen Szenen festzuhalten, was er alles erlebt und gemacht hatte. Den Anstoß hatte ein Besuch in einem Palast in Brüssel gegeben, wo er die Gelegenheit bekam, ein unglaubliches Triptychon zu sehen, das ihn dazu inspirierte, selbst eines anzufertigen. Und nachdem er die Aufzeichnung seiner Reise nach England beendet hatte – ein kleines Boot und ein Ausblick auf die herrlichen weißen Klippen bei ihrer Ankunft in Dover –, war es Zeit, mit dem mittleren Paneel anzufangen, um sein Leben bei Hofe zu dokumentieren. Die Bilder, die Gerüche und die Menschen: all das, was sein neues Leben mit sich bringen mochte.