Um die Mitte des 20. Jahrhunderts galt er noch als Kleinmeister, heute steht er in der ersten Reihe. Er genoss das besondere Interesse Johann Sebastian Bachs, der Vivaldis Musik für Orgel und für Cembalo bearbeitete und gerne selbst spielte. Sein Name steht aus guten Gründen für das Temperament, die Sinnlichkeit und die Lebensfreude des italienischen Barocks. Als ausgezeichneter Geiger prägte er die Frühgeschichte des Violinkonzerts.
Er stammte aus Venedig und war seit 1703 Priester, ließ sich allerdings schon früh von den Verpflichtungen des Klerikers entbinden und verbrachte die meiste Zeit als Musikpädagoge an einem angesehenen Mädcheninternat Venedigs, dem Ospedale della Pietà. Für die jungen Frauen dieses Instituts ist auch ein beachtlicher Teil seiner Werke entstanden. Dort wirkte er mit Unterbrechungen durch Reisen und auswärtige Verpflichtungen, die ihn nach Mantua, Amsterdam, Wien und Prag führten. 1724 spielte er vor dem Papst. Auch wandte er sich dem Musiktheater zu und schrieb zahlreiche Opern. Für seine Schülerinnen schrieb er vor allem geistliche Musik von glänzender Wirkung und hoher Kunstfertigkeit.
Seine Instrumentalmusik kennt Formationen für alle möglichen Saiten- und Blasinstrumente. Nach derzeitigem Wissen gibt es etwa 500 Solokonzerte, davon 350 für ein Instrument, davon 230 für Violine, etwa 150 für zwei oder mehrere Instrumente. Die meisten dieser Konzerte sind dreisätzig (schnell – langsam – schnell). Von etwa 50 Opern weiß man – mehr als die Hälfte ging verloren. Beinahe 100 Werke sind Kammermusik, also Sonaten, Trios und ähnliche Stücke. Seine Kirchenmusik enthält nur ein Messordinarium (»Sacrum«), aber mehrere große Einzelsätze (Gloria, Credo), eine Reihe von Psalmen, Kantaten, Hymnen und Motetten. Ein Oratorium handelt von der Judith im Alten Testament (Juditha triumphans).
1737 warf ihn ein Skandal aus der Bahn. Ein Kardinal verbot eine von Vivaldi vorbereitete und vorfinanzierte Opernproduktion im Kirchenstaat – nach Vivaldis Angabe deshalb, weil er als Priester keine Messe lese und eine »amicizia« zu einer Sängerin habe. Vivaldi verkaufte »una molto portione di concerti«, verließ fluchtartig Venedig und reiste über Graz nach Wien, wo er – verarmt – verstarb und begraben wurde. Die Eintragung in den Büchern von St. Stephan in Wien wurden erst im 20. Jahrhundert gefunden.
Nach damaligem Brauch gab Vivaldi nur den im Druck erschienen Werken Opuszahlen (von 1 bis 12). Darunter in op. 8, 1–4: »Die vier Jahreszeiten« – Violinkonzerte nach vier jahreszeitlichen Sonetten. Sie sind wohl Vivaldis berühmtestes Werk. Ähnlich beliebt sind vor allem Konzerte mit Beinamen: »La notte« (Flöte), »Il tempesta di mare« (Violine), »La Caccia« (Violine) – oder mit ausgefallener Besetzung (zwei Mandolinen). Unter den geistlichen Werken werden die beiden großen Gloria-Vertonungen (etwa als 12-teilige Kantate) oder ein solistisches »Stabat Mater« (Sopran und Streicher) gern aufgeführt.
Meilenstein: Die vier Jahreszeiten (aus den Violinkonzerten op. 8)
Legende: Vivaldi hatte sich schon in jungen Jahren aus (angeblich) gesundheitlichen Gründen vom Messelesen dispensieren lassen. Er verstand sich wohl eher als Musiker denn als Geistlicher. Dennoch ging er als »prete rosso«, als der Priester mit den roten Haaren, in die Musikgeschichte ein.