Er war für die Sinfonie – die damals viele für überlebt hielten – der entscheidende Neuschöpfer: Er erweiterte und steigerte ihre Architektur über das Maß Beethovens hinaus und legte damit einen der Grundsteine für die Sinfonik der Moderne. Seine Kirchenmusik setzte, für sein ursprüngliches Berufsfeld als Organist, neue Maßstäbe.
Er wurde in Ansfelden in Oberösterreich geboren. Sein Vater war Lehrer und Kirchenmusiker, der starb, als er 13 Jahre alt war. Daraufhin gab man ihn als Sängerknaben ins Augustinerstift St. Florian, wo er im kirchlichen Umfeld und unter der damals größten Orgel der Donaumonarchie erste musikalische und spirituelle Eindrücke empfing. Nach einer Ausbildung zum Lehrer 1840 bildete er sich autodidaktisch als Musiker weiter und arbeitete als Hilfslehrer – zuletzt 1845 wieder im Stift St. Florian. Seine Fertigkeiten als Organist und Improvisator machten ihn zum Hilfs- und zum provisorischen Stiftsorganisten. Zu einem Probespiel für die Stelle des Linzer Domorganisten 1855 musste man ihn überreden.
Dass er ausgewählt wurde und nach Linz übersiedelte, festigte seinen Entschluss, sich endlich professionell auszubilden. Dies gelang ihm einerseits bei einem Linzer Theaterkapellmeister, der ihm Wagners Musik und die Kunst der Instrumentation nahebrachte, und andererseits in einem Fernstudium bei dem berühmten Wiener Theorielehrer Simon Sechter. Er bestand trotz seines Alters und seiner Position auf kommissionelle Prüfungen. Nach dem Abschluss sagte einer der Professoren: »Der hätte uns prüfen sollen.« Nun komponierte er mit dem sich inzwischen angeeigneten Können seine drei großen Messen (1864 bis 1868) und die erste Sinfonie. Erst damit – im Alter von bereits 40 Jahren – begann sein eigentliches, bis heute gültiges Werk.
1868 erreichte ihn schließlich eine Berufung nach Wien, wo er am Konservatorium als Lehrer für Generalbass, Kontrapunkt und Orgel und ab 1875 an der Universität als Lektor für Harmonielehre und Kontrapunkt unterrichtete. Gleichzeitig war er einer der Organisten der Wiener Hofmusikkapelle. Konzertreisen als Organist und vor allem als Improvisator brachten ihn 1869 nach Nancy und Paris (Notre-Dame), 1871 nach London und 1880 in die Schweiz. Seine Begeisterung für Wagner führte ihn nach Bayreuth und motivierte ihn, dem Verehrten seine dritte Sinfonie zu widmen. Dass man Bruckner von nun an in die parteiischen Streitigkeiten um Wagner und dadurch in die Gegnerschaft zu Brahms hineinzog, kann wohl als Irrtum in einem musikalischen Parteienzank gelten. Die Welt Wagners und seiner Opern blieben ihm zeitlebens fremd – was ihn faszinierte, waren die Instrumentation und die harmonische Kühnheit in Wagners Werk.
Die Wiener Zeit brachte eine Abwendung von der Kirchenmusik und eine Hinwendung zur Sinfonie, die er als die Königsgattung aller musikalischen Formen ansah. Die nachträgliche Deutung seiner sinfonischen Musik als geistliche Musik – als »Messen ohne Text« – ist ein bigotter Irrtum. Die Umkehrung trifft zu: Die beiden großen Ordinarien in d-Moll und f-Moll kann man als sinfonische Messen bezeichnen. Die weitgespannte Architektur seiner Sinfonien und die neutönende Musiksprache brachten es mit sich, dass die Anerkennung lange auf sich warten ließ. Sie wurde Bruckner jedoch gegen Lebensende in hohem Maß zuteil. Über der unvollendeten – und deshalb nur dreisätzigen – Neunten Sinfonie starb Bruckner in Wien.
Die große Leistung seiner Linzer Jahre war wohl die sinfonische Kirchenmusik: zwei große Orchestermessen (d-Moll, f-Moll) verbinden den Gesang mit der Farbigkeit und Intensität eines romantischen Sinfonieorchesters. Daneben entstand für die Einweihung des ersten Bauteils des Linzer Doms eine festliche Messe für achtstimmigen Chor mit einem Bläserensemble (e-Moll). Hier gelang ihm eine interessante Synthese zwischen den kargen Idealen der Cäcilianer und den eigenen Klangvorstellungen. Seine Motetten gehören zum großen Chorrepertoire: »Ave Maria«, »Locus iste«, »Tota pulchra es, Maria«, »Os justi«, »Christus factus est«, »Virga Jesse«, »Vexilla regis«. Sein »Te Deum« ist eine der eindringlichsten Vertonungen dieses Textes. Sein weltliches Werk setzte in den neun großen Sinfonien, auch was die Länge – bis zu So Minuten – betrifft, Maßstäbe für die Sinfoniker des 20. Jahrhunderts. Der Kammermusik schenkte er ein schönes Streichquintett.
Meilensteine: 7. Sinfonie – Te Deum – die drei großen Messen
Legende: Seine persönliche Frömmigkeit brachte ihm den fragwürdigen Ruf eines »katholischen Sinfonikers« ein und führte sogar zum Versuch, seine Seligsprechung einzuleiten. Die Aufführungen seiner Sinfonien in akustisch unzulänglichen Stiftskirchen und Kathedralen sind der magische Rest eines solchen Aberglaubens. Er ließ sich in der Krypta unterhalb seiner geliebten Orgel in St. Florian begraben.