Kacpar
Der Eigentümer des Gutshauses Karbow war ein Joachim von Northeim, wohnhaft in Frankfurt am Main. Kacpar hatte die Adresse und Telefonnummer von einem alten, verhutzelten Mann, der in einem Nebengebäude des Gutshofs ein trübes, einsames Dasein fristete. Es war nicht einfach gewesen, sich ihm verständlich zu machen, weil er schon halb taub war, Kacpar hatte schreien müssen. Als der Alte endlich begriff, dass der Besucher ein Kaufinteressent war, sagte er überlaut »Moment«, und verschwand in seiner dunklen Behausung. Kacpar stand sich eine Weile vor der Tür die Beine in den Bauch, dann tauchte der Alte wieder auf und drückte ihm eine Visitenkarte in die Hand.
»Sie sind schon der Zweite in dieser Woche!«, brüllte er und schob die Tür zu.
Die Visitenkarte war auf der Rückseite mit einem schreiend bunten Blümchenmuster geschmückt. Kacpar tippte auf weiblich, blond, mollig, um die dreißig, verheiratet, ein Kind. Als er die angegebene Telefonnummer wählte, meldete sich jedoch eine männliche Stimme.
»Bar ›Zum blauen Paradies‹, was kann ich für dich tun?«
Kacpar musste sich vor Überraschung erst einmal räuspern.
»Hallo, Woronski ist mein Name, ich würde gern Herrn von Northeim sprechen.«
»Am Apparat. Möchtest du einen Tisch bestellen? Wir haben heute Singleabend. Du bist doch Single, oder?«
Eine Schwulenbar! Das fing ja gut an. Kacpar wäre da gerne weltoffener gewesen, aber im Umgang mit Homosexuellen hatte er bislang keinerlei Erfahrung sammeln können und war daher entsprechend verunsichert. »Es geht um etwas anderes«, stellte er leicht verlegen fest. »Ich habe Interesse an dem Gutshaus Karbow.«
Am anderen Ende der Leitung waren jetzt mehrere Stimmen zu hören, von Northeim gab Anweisungen, wie die Tische aufzustellen waren. »… doch nicht so, Schätzchen. Weiter zum Fenster. Noch ein Stückchen … So ist das besser, da kriegen wir noch einen kleinen Tisch rein … Hallo, Woronski? Bist du noch dran?«
Kacpar holte tief Luft, um seinen Frust zu unterdrücken.
»Ja. Sie sind doch der Joachim von Northeim, dem der Gutshof Karbow gehört. Oder nicht?«
»Aber ja, Schätzchen, genau der bin ich. Und du willst den alten Kasten haben? Na, so was! Da kümmert sich Ewigkeiten kein Mensch um die Hütte, und diese Woche klingeln gleich zwei Kaufinteressenten durch!«
Kacpar verfluchte sich stumm, weil er so lange gezögert hatte. Er war einfach zu weichherzig, besonders wenn es um Jenny ging. Dabei wusste er, dass aus ihnen beiden nichts werden konnte, und hätte längst die Konsequenzen ziehen müssen. Wer zu spät kam, den bestrafte das Leben. Jetzt hatte er einen Konkurrenten am Hals, der den Preis natürlich nach oben treiben würde.
»Kann ich das Haus mal von innen besichtigen?«
Er vernahm ein verzerrtes Klirren und einen Aufschrei. »O Gott! Wenn man nicht alles selber macht … Lass das, Schätzchen, ich kümmere mich darum. Du schneidest dich sonst an den Scherben.«
»Hallo?«, beharrte Kacpar. »Hören Sie mich? Ich will wissen, ob ich das Haus …«
»Von innen? Aber sicher doch, Woronski. Der Bastian hat einen Schlüssel, das ist der Alte, der im Nebengebäude wohnt. Sag einfach, dass du von Jojo kommst und das Haus anschauen möchtest. Ist ein bisschen kaputt innen, aber mit etwas Tapete und Farbe kriegt man das leicht wieder hin.«
Kacpar schwieg. Er hoffte sehr, dass bei der Besichtigung keine allzu großen Schäden sichtbar werden würden. Er wäre ja schon zufrieden, wenn wenigstens die Substanz erhalten war.
»Haben Sie eine Preisvorstellung?«
Joachim stieß ein glucksendes Gelächter aus.
»Einen Hunderttausender sollte das Schatzkästchen schon bringen, Woronski. Ich hab’s für meine Mama gekauft, weil die mich so sehr darum gebeten hat. Wegen der schönen alten Zeit, als sie noch ein kleines Mädchen war und da herumgelaufen ist. Du weißt ja, wie das ist mit den alten Leuten. Und dann ist mir die Mama letztes Jahr ganz plötzlich verstorben, hat eine Lungenentzündung gekriegt und zack, aus. Schrecklich war das für mich, ganz schrecklich. Tja – und jetzt mag ich das alte Gemäuer auch nicht mehr haben.«
»Verstehe«, sagte Kacpar leicht beklommen nach diesem Redeschwall. »Ich melde mich wieder. Schönen Tag noch.«
»Dir auch einen wunderschönen Tag, Woronski. Wenn du mal Langeweile hast, dann schau doch bei uns rein. Hier ist immer was los!«
Nach Frankfurt sollte er fahren. Ins »Blaue Paradies«. Der hatte doch nicht alle Tassen im Schrank.
Noch am selben Vormittag fuhr er nach Karbow und klopfte an die Tür des Nebengebäudes, das vermutlich einmal das Wohnhaus eines Angestellten gewesen war. Er hatte Glück. Der alte Mann, der Bastian mit Vornamen hieß, besaß nicht nur einen Hausschlüssel, sondern auch einen recht genauen Plan des Anwesens. Danach gehörten zum Haus fünftausend Quadratmeter Land, einstmals Garten- und Parkgelände, inzwischen zu einem Waldstück verwildert. Auch ein kleiner See, der von einem Bachlauf gespeist wurde, war vorhanden. Nicht übel.
Der Schlüssel passte zwar, ließ sich jedoch nur schwer im Schloss umdrehen. Er musste schließlich einen kleinen Stock zu Hilfe nehmen und fürchtete schon, den Schlüssel abzubrechen. Zu dumm. Warum hatte er nicht das Fläschchen mit dem Maschinenöl mitgenommen? Er wusste doch, dass diese alten Schlösser meist verrostet waren. Der Raum, den er jetzt betrat, schien einmal eine recht eindrucksvolle Diele gewesen zu sein, man konnte die schöne, reich geschnitzte Treppe sehen, die ganz sicher nicht für dieses Haus konstruiert worden war, denn es war eine Wendeltreppe, um einen soliden Eichenstamm herum gebaut. Vermutlich hatte man sie aus einem Schloss oder einem ähnlichen Gebäude hierherversetzt. Auch nicht übel. Sehr gut sogar. Er hatte eine Taschenlampe mitgebracht, mit der er nun das Holz untersuchte. Solide alte Eiche. Keine Holzwürmer. Ausgezeichnet. Er leuchtete ein wenig herum, stellte fest, dass die Decke aus festen Balken gemacht war, die kaum durchhingen. Der Fußboden allerdings war arg beschädigt, die Fliesen würde man herausschlagen und neue verlegen müssen. Er öffnete die seitlich gelegenen Türen, die zu verschiedenen kleineren Räumen führten, und stellte fest, dass auch hier nicht viel zu retten war. Aber Wände und Decke schienen in annehmbarem Zustand zu sein. In einem der nach hinten gelegenen Zimmer war die Stuckdecke heruntergekommen – vermutlich hatte man sie nachträglich von einem Stümper verlegen lassen. Er sparte sich den Keller für später auf und stieg die Treppe hinauf in den ersten Stock. Sie knarrte und knirschte, die schöne Wendeltreppe, was ihm nicht gefiel. Das Knarren war in Ordnung, das alte Holz durfte ein wenig knarzen, aber das Knirschen kam von der Befestigung an den Wänden, da würde man nachbessern müssen. Oben roch es muffig, einige Fensterscheiben waren zerschlagen, und der Regen hatte die Holzböden und Tapeten erwischt, die nun vor sich hin schimmelten. Er klopfte gegen die Wände. Der Putz taugte nichts, fiel überall herunter, teilweise lagen die Ziegel blank, aber so konnte man wenigstens sehen, dass die Mauern in Ordnung waren. Vom ursprünglichen Mobiliar waren nur zwei geschnitzte Bettgestelle übrig, außerdem drei heruntergekommene Kleiderschränke und zwei wackelige Stühle. Ärgerlich war, dass mehrere Fenstereinsätze derart verfault waren, dass sie ersetzt werden mussten. Aber man konnte wenigstens die alten Griffe abschrauben und wiederverwenden.
Er stieg die schmale Treppe zum Dachboden hinauf, besah sich die ehemaligen Dienstbotenkammern, untersuchte das Gebälk, mit dem er zufrieden war, und staunte darüber, dass die alten Dachschindeln trotz Moos und Farnkrautbewuchs dicht gehalten hatten. Allerdings war der Dachboden von einer fröhlichen Mäusesippe bevölkert, deren mutigste Mitglieder sich den Spaß machten, dicht vor seinen Füßen vorbeizuflitzen. Er stieg auf eine alte Truhe, um aus dem Dachfenster zu sehen, und fand den Ausblick mindestens genauso eindrucksvoll wie den, den er aus seiner Wohnung in Dranitz hatte. Er konnte sogar den grünlichen See erkennen, der sich nördlich des Gutshauses befand, von Birken und wenigen Fichten umgeben. Dahinter erkannte man die Dächer eines einsamen Dörfchens und viel Acker- und Weideland. Über allem wölbte sich der Sommerhimmel in dunkelblauer Klarheit, und in weiter Ferne, dort, wo er die grünen Weiden berührte, musste die Welt wohl zu Ende sein. Kacpar kletterte von seinem Aussichtsplatz und wollte soeben die Bodentreppe hinabsteigen, als er plötzlich ein verräterisches Knirschen und Knacken vernahm. Jemand kam die alte Wendeltreppe hoch.
Entweder ist das der alte Bastian, dachte er, oder irgendein Herumtreiber, der sich zur offenen Tür hereingeschlichen hat. Möglicherweise sogar mein Konkurrent, der das Haus ebenfalls besichtigen will. Er überlegte kurz, dann beschloss er, oben an der Bodentreppe stehen zu bleiben, um den anderen zu beobachten, wenn er den ersten Stock betrat. Es war immer gut, den Feind im Blick zu haben, ihn einzuschätzen und sich dann seine Strategie zurechtzulegen.
Der andere nahm sich Zeit. Kacpar hörte, wie er die Treppe wieder hinunterstieg, im Erdgeschoss die Türen auf- und zumachte und die Wände abklopfte. Ging der etwa auch in den Keller, um sich die Wirtschaftsräume anzuschauen? Dann konnte es ein Weilchen dauern, bis er ihn zu sehen bekam. Kacpar setzte sich auf den Boden und verscheuchte mit einer Handbewegung zwei vorwitzige Mäuse, die seine Schuhe untersuchen wollten. Gleich darauf vernahm er zu seiner Erleichterung Schritte auf der alten Treppe, Putz rieselte irgendwo herunter, jemand stöhnte.
»Ach du liebe Güte!«
Überrascht sprang er auf. Eine Frau! Gleich darauf erblickte er einen roten Mantel und einen honigblonden Haarschopf und begriff, wer sein Konkurrent war.
»Total verschimmelt!«, schimpfte Evelyne mit Blick auf die Fenster vor sich hin.
Er beschloss, sich bemerkbar zu machen. »Nur an der Nordseite«, sagte er und stieg liebenswürdig lächelnd die Bodentreppe hinunter. »Im Süden und Osten sind die Fenster noch intakt.«
Sie war viel weniger erschrocken, als er befürchtet hatte. Sie zuckte kurz zusammen, dann hob sie den Kopf und erwiderte sein Lächeln.
»Sie sind das also!«, sagte sie. »Der Herr Architekt Woronski vom Gutshof Dranitz. Wollen Sie Ihrer Arbeitgeberin Konkurrenz machen und ebenfalls ein Hotel eröffnen?«
Sie war zwei Klassen über den Frauen, mit denen er normalerweise ein Verhältnis anfing. Schön und intelligent, eine erfahrene Geschäftsfrau und knallharte Konkurrentin. Allerdings hatte auch sie ihre Schwächen. Kacpar hatte mitbekommen, dass sie Ulli Schwadke nachstellte, bei dem sie nicht die geringste Chance hatte. Auch mit Simon Strassner schien nicht mehr viel zu laufen, was er sehr gut verstehen konnte. Wenn er sich also gegen sie behaupten wollte, musste er seinen männlichen Charme einsetzen. Das war die Stelle, an der sie sterblich war. Doch hoffentlich reichte sein Charme dafür aus.
»Frau Kettler ist nicht meine Arbeitgeberin«, meinte er, stieg die letzten Stufen hinunter und bemühte sich, möglichst lässig zu wirken. »Eher eine gute Freundin, der ich mit meinem Fachwissen ausgeholfen habe.«
Sie schwieg, und er sah ihr an, dass sie sich ihren Teil dazu dachte. Er folgte ihr in die Schlafzimmer, wies sie auf die solide Substanz der Wände hin, und sie nickte zustimmend. Er half ihr, eines der Fenster zu öffnen, damit mehr Licht in den Raum fiel, und sie standen nebeneinander, um die einströmende frische Luft zu atmen und die Wiesen und Äcker zu betrachten.
»Hat eine Firma aus Niederbayern gepachtet«, bemerkte sie und wies auf die grüne Gerste, die sich mit dem Wind bewegte wie Meereswogen.
»Drüben ist ein kleiner See, der zum Anwesen gehört«, erklärte er und zog die Karte aus der Innentasche seiner Jacke.
»Darf ich?«, fragte sie und streckte die Hand aus.
»Bitte sehr.«
Sie betrachtete die Karte mit gerunzelter Stirn, zuckte die Schultern und reichte ihm das zusammengefaltete Papier zurück.
»Wildromantisch«, bemerkte sie ironisch. »Da sind erhebliche Investitionen zu tätigen.«
»Gewiss.«
Sie strich das blonde Haar hinter die Ohren und sah ihn an. Ungewöhnliche Augen hatte sie. Hellgrau, ihr Blick war sehr direkt, etwas herausfordernd. Für schlichtere Gemüter wohl auch einschüchternd.
»Haben Sie tatsächlich vor, diesen maroden Kasten zu kaufen, Herr Woronski?«
Er hielt ihrem Blick stand und lächelte entwaffnend. Der einsame Junge mit den verträumten blauen Augen. Die meisten Frauen fanden, dass er etwas Rührendes an sich hatte. Er weckte ihren Beschützertrieb. Früher war ihm das unangenehm gewesen, inzwischen wusste er es zu nutzen.
»Warum nicht? Zumindest spare ich mir die Kosten für einen guten Architekten.«
»Das ist allerdings wahr!«
Erstaunlich, wie trittsicher sie in ihren hochhackigen Schuhen war. Sie stieg vor ihm die Treppe hinunter, blieb kurz an der Stelle stehen, wo man die schmiedeeiserne Wandbefestigung sehen konnte, und seufzte.
»Muss komplett erneuert werden«, sagte er. »Waren Sie eigentlich schon im Keller?«
Sie nickte. »Allzu schlimm sieht es eigentlich nicht aus. Kommen Sie mit.«
Kacpar folgte ihr. Unten zog sie eine Taschenlampe aus der Jackentasche, und auch er leuchtete in die verschiedenen Kellerräume. Alles schien trocken zu sein, die Räume waren allerdings recht klein, und die Schächte mit den Fenstern gaben kaum Licht.
»Für ein Restaurant nicht geeignet«, stellte Evelyne fest. »Höchstens für eine Kneipe oder Ähnliches.«
Er war anderer Meinung, aber es war klar, dass sie das Objekt herunterspielte, um ihn vom Kauf abzubringen.
»Tja«, meinte er nachdenklich, während sie in die Diele zurückkehrten. »Sehr fraglich, ob man sich in solch ein Abenteuer stürzen sollte …«
»Allerdings!«
Die Haustür stand einen Spalt offen, im eindringenden Lichtstreifen tanzten die Staubpartikel einen bunt schillernden Walzer. »Es sei denn, Sie lieben das Abenteuer, Herr Woronski …«
Das war die Eröffnung. Sie wollte mit ihm flirten. Glaubte, ihn als leichtes Opfer in ihr Spinnennetz einwickeln und verspeisen zu können. Aber er war auf der Hut.
»Haben Sie diesen Eindruck von mir gewonnen?«
Sie sah ihn abschätzend von der Seite an – eine eindeutige Herausforderung. Komm schon. Zeig mir, wer du bist. Ich will es wissen.
»Ich bin mir noch nicht sicher«, erwiderte sie gedehnt.
Er lächelte verlegen, gönnte ihr den Erfolg, ihn verwirrt zu haben, und überlegte zugleich, dass er jetzt Position beziehen musste.
»Nun – im Allgemeinen kalkuliere ich sehr genau, bevor ich mich auf ein geschäftliches Abenteuer einlasse.«
Sie begriff innerhalb einer Sekunde, dass sie ihn unterschätzt hatte.
Es schien ihr zu gefallen.
»Sehr gut«, lobte sie schmunzelnd. »So halte ich es auch. Und wie schaut Ihre Kalkulation in Bezug auf dieses Objekt aus, Herr Woronski?«
»Ich bin mir noch nicht sicher.«
Er senkte den Blick, während er ihr die Retourkutsche präsentierte, aber er spürte, wie sie sich vor Ärger ein wenig straffte.
»Es würde mich brennend interessieren«, beharrte sie.
Das konnte er sich denken. Schließlich war er Fachmann und konnte die anfallenden Renovierungskosten besser als jeder andere überschlagen. War sie tatsächlich so naiv zu glauben, er würde ihr seine Kalkulation verraten?
»Auch mir wäre Ihre Meinung wichtig«, gab er zurück.
Sie schwiegen einen Moment. Kacpar überlegte, wie viel sie wohl bieten würde. Auf keinen Fall hunderttausend, das war der kaputte Bau nicht wert. Auch der Grund und Boden nicht, denn man war hier weit ab vom Schuss, mitten in der Pampa, es gab nicht einmal eine geteerte Straße, von Bus oder Bahnanschluss ganz abgesehen. Vielleicht die Hälfte? Ein Viertel?
Während er noch grübelte, ging sie entschlossen zur Tür, stieß sie auf und drehte sich dann zu ihm um.
»Was halten Sie davon, wenn wir beide diese Angelegenheit in einem gemütlichen Café in Waren miteinander besprechen?«
Die Sache versprach tatsächlich ein Abenteuer zu werden.
»Davon halte ich viel. Treffen wir uns am Stadthafen?«
»Im Café Liedermann.«
»Perfekt!«
Während sie schon davonfuhr, kämpfte er mit dem verrosteten Schloss, bat den alten Bastian um ein wenig Öl, und schließlich gelang es ihnen mit vereinten Kräften, die Haustür abzuschließen. Um den Plan mitnehmen zu dürfen, bedurfte es einiger Überredungskunst, da der alte Zerberus das Papier nur ungern aus den Händen gab. Erst als Kacpar ihm versicherte, ernsthafte Kaufabsichten zu haben, überließ er es ihm.
Er fand Evelyne an einem Tisch im Inneren des Cafés, wo es wegen des schönen Wetters ziemlich leer war. Sie gönnte sich einen Eiskaffee und sah ihm erwartungsvoll entgegen, während sie an ihrem Strohhalm saugte. Er bestellte ein Kännchen Kaffee. Er brauchte jetzt einen Aufputscher, um ja keinen Fehler zu machen.
Doch kaum hatte er den ersten Schluck von der heißen Flüssigkeit getrunken, da verblüffte sie ihn auch schon mit einem ungewöhnlichen Vorschlag.
»Was halten Sie davon, wenn wir das Gut gemeinsam kaufen?«
»Gemeinsam?«
Er war sich bewusst, dass er kein schlaues Gesicht machte. Sie lachte. Es klang sympathisch, sie lachte hauptsächlich über sich selbst und diese verrückte Idee.
»Ja, gemeinsam. Zu gleichen Teilen. Ich kümmere mich um die Formalien, mache Vorschläge für die spätere Nutzung, sorge für die Zuschüsse. Sie sind für die baulichen Dinge zuständig.«
So dachte sie sich das. Er sollte die Arbeit machen, damit sie später den Profit davon hatte. Natürlich würde sie ihm ihren Anteil nach Fertigstellung der Renovierung teuer verkaufen.
»Kein Interesse«, lehnte er ab.
Sie war enttäuscht. Fischte in ihrem Eiskaffee nach dem Vanilleeis und löffelte ein wenig davon.
»Sie wollten das Gutshaus nach der Renovierung nicht verkaufen, sondern behalten«, stellte sie fest. »Sehe ich das richtig?«
Er nickte und nahm einen weiteren großen Schluck. Der Kaffee schmeckte nicht besonders, er hatte zu viel Milch hineingerührt.
»Ein Hotel? Restaurant? Geheimtipp für diskrete Firmenkonferenzen oder Zusammenkünfte finanzstarker Clubs?«
»Was auch immer …«
Sie wischte sich einen Klecks Schlagsahne von der Oberlippe, wobei ihr Lippenstift die Papierserviette rot färbte. Sie hatte hübsche, volle Lippen. Sie war überhaupt eine ansehnliche Person.
»Ich wäre dabei, Herr Woronski!«
Sie rechnete ihm vor, dass sie bei kluger Verhandlungsführung das Anwesen günstig erwerben könnten, vorausgesetzt, sie würden sich einig. Dazu ging der Kaufpreis durch zwei. Ebenso die Renovierungskosten.
»Ich bin viel unterwegs, Herr Woronski. Das hat den Vorteil, dass ich über Beziehungen und einen guten Überblick verfüge. Beides käme uns zugute.«
Tatsächlich war der Vorschlag gar nicht so schlecht. Er würde sein Bankkonto vorerst schonen und konnte in Bezug auf die Nutzung von ihren Beziehungen profitieren – gut zahlende Kunden, die eine abgelegene Lage bei erlesenem Komfort zu schätzen wussten. Allerdings gab es da einen Punkt, der ihm nicht gefiel.
»Sie wissen, was ein guter Architekt und Bauleiter kostet?«
Auch daran hatte sie gedacht.
»Sie stellen am Ende eine Rechnung, von der ich die Hälfte tragen werde. In Bezug auf meine Aufwendungen werde ich das Gleiche tun.«
Da steckte vermutlich der Pferdefuß. Er hatte keine Ahnung, was da auf ihn zukommen würde. Auf der anderen Seite war ihm längst klar geworden, dass das Projekt seine eigenen Mittel weit überstieg. Er würde einen Kredit aufnehmen müssen, an dem er vermutlich bis an sein Lebensende abzahlte.
»Lassen Sie mich eine Nacht darüber schlafen«, schlug er vor und stellte seine Tasse ab.
»Gern«, sagte sie und schob das leere Glas zurück. »Bei dir oder bei mir im Hotel?«
Der Vorschlag kam nicht ganz unerwartet, dennoch war er überrascht, was sie sehr amüsant fand. Er entschied sich für das Hotel, es wäre ihm peinlich gewesen, wenn man auf Dranitz seine Eskapaden mit Simon Strassners Freundin bemerkt hätte. Sie gingen am Ufer der Müritz spazieren, wo sie ihm erzählte, dass ihre Beziehung zu Simon Strassner schon seit Längerem rein geschäftlicher Natur sei. Sie habe ihm viel zu verdanken, er sei in gewisser Weise ihr Lehrmeister und väterlicher Freund gewesen, deshalb habe sie sich eine gewisse Anhänglichkeit an ihn bewahrt. Dann erfuhr er, dass sie klassische Musik liebte, vor allem Johann Sebastian Bach, dessen Gesamtwerk sie auf Schallplatte besaß. Kacpar gestand, kein großer Musikkenner zu sein – er liebe jegliche Art von Musik, gleich ob U oder E. Dafür konnte er mit seinem Wissen über Malerei punkten, er wusste sowohl bei den alten Meistern als auch in der Moderne gut Bescheid. Beide vermieden Gesprächsthemen, bei denen sie sich dem anderen offenbarten, ihre Sehnsüchte, Enttäuschungen, Hoffnungen und Verletzungen hielten sie voreinander verschlossen. Gegen Abend besuchten sie eines der Restaurants, und er fühlte sich verpflichtet, sie einzuladen, was sie dankend akzeptierte. Sie bevorzugte Steak und Salatvariationen – wenigstens in diesem Punkt kamen sie zusammen, auch er liebte eine gute Fleischportion, allerdings medium, während sie ihr Steak fast roh zu sich nahm. Nach dem Essen besuchten sie eine Bar, genehmigten sich verschiedene Cocktails, und schließlich nahm sie ihn mit in ihr Hotelzimmer.
Am nächsten Morgen weckte ihn das Rauschen der Dusche. Es war schon nach acht, er fühlte sich nach der langen Nacht wie gerädert und griff nach seinem Unterhemd, das neben dem Bett auf dem Boden lag. Er spürte Ernüchterung – die übliche Empfindung, nachdem er mit einer Frau geschlafen hatte. Und wie immer versuchte er sich einzureden, dass seine Partnerin auf ihre Weise liebenswert war, auch wenn er sie nicht wirklich liebte. Evelyne trat im langen weißen Bademantel aus Frottee ins Zimmer, ein Handtuch um das nasse Haar gebunden. Ohne Schminke erschien sie ihm sanfter, verletzlich, beinahe liebenswert. Doch ihre Frage bewies ihm, dass sie dies keineswegs war.
»Sag mal, hast du deiner Frau Baronin eigentlich deine Rechnung präsentiert? Das muss doch nach fünf Jahren ein ganz hübscher Betrag sein …«