Audacia

Es war Sommer geworden. Das Obst reifte, im Klostergarten wuchsen Dill und Kamille, Schnittlauch, Beifuß und Beinwell, außerdem Zwiebeln, Kohl und Rüben. Es versprach, ein reiches Jahr zu werden, denn die Vorräte vom Vorjahr waren noch nicht verbraucht, und Bogdan hatte berichtet, dass Hafer und Roggen auf den Äckern der Bauern kräftig gediehen. Auch das Vieh war satt, und die Karpfen im Teich wurden fett – Gott dem Herrn gefiel es in seiner Güte, für sie alle wie ein Vater zu sorgen.

Dennoch war die Äbtissin oft unruhig. Sie schlief in den Nächten schlecht, und manchmal fiel es ihr schwer, sich auf das Absingen der Psalmen einzulassen, ohne dass ihre Gedanken abschweiften. Es waren die sanften Augen der Novizin, die unablässig auf sie gerichtet waren, sobald sie sich miteinander im gleichen Raum befanden. Dieser beseelte Blick, der sie verwirrte und dem sie dennoch nicht entkommen konnte, vielleicht auch nicht wollte. Regula war nicht wie die anderen Frauen, sie taugte nicht zu harter Arbeit, und auch wenn sie selbst immer wieder darum bat, nicht geschont zu werden, ließ die Äbtissin sie nur hin und wieder im Garten Unkraut jäten. Zweimal war sie dabei bewusstlos geworden, sodass die Nonnen sie ins Refektorium tragen mussten, wo die Äbtissin sie mit kaltem Wasser und scharf duftenden Kräutern ins Leben zurückholte.

»Fallsüchtig ist sie«, hatten die Nonnen am Abend im Dormitorium getuschelt. »Ein böser Geist steckt in ihr, der sie quält, weil er herausfahren will. Wir sollten es dem Priestermönch sagen.«

Die Äbtissin hatte ihre Nonnen streng gemahnt, solch sündhafte Verdächtigungen zu unterlassen, denn wer von dem Bösen sprach, der redete es herbei und brachte damit Unglück über sie alle. Da hatten sie die Köpfe eingezogen und geschwiegen. Aber die Äbtissin wusste recht gut, dass der Verdacht sich in ihren Gemütern eingenistet hatte und beim geringsten Anlass herausschlüpfen würde, um Schaden anzurichten. Auch die Priorin Clara, die gemeinsam mit der Äbtissin über Regula wachte, war voller Sorge.

»Wir hatten noch Glück, dass sie nicht geredet hat«, meinte sie am Abend leise zur Äbtissin. »Aber es kann jederzeit geschehen, und dann wird niemand sie mehr schützen können.«

»Gott wird sie schützen, Clara!«

»Wenn es ihm gefällt, dann wird er es tun, Mutter Audacia.«

Die Äbtissin hatte sich den Kopf zerbrochen, um eine leichte Arbeit für die Novizin zu finden, die nicht den Neid der anderen Frauen erweckte, sie aber vor weiteren Anfällen bewahrte.

»Verstehst du dich auf das Sticken?«, fragte sie Regula nach dem Mittagsmahl. Der Abt des Bruderklosters hatte ihnen einen Ornat zur Verzierung gegeben.

Die Novizin stapelte die irdenen Teller aufeinander, um sie hinüber in die Küche zu tragen. Als die Äbtissin sie anredete, hielt sie in ihrer Beschäftigung inne und sah zu ihr auf. Wie weich die Züge des Mädchens waren, fast noch kindlich und zugleich engelhaft schön. Ein Schauder durchfuhr die Äbtissin, wider Willen lächelte sie und streckte die Hand aus, um der Novizin die Wange zu streicheln. Regula bewegte sich nicht, schlug auch nicht die Augen nieder, sondern fuhr fort, zu Audacia aufzusehen.

»Ich will jede Aufgabe, die Ihr mir gebt, mit all meiner Kraft erfüllen, ehrwürdige Mutter!«

Die Äbtissin besann sich und zog ihre Hand zurück. Der Gedanke durchfuhr sie, dass dieses engelhafte Wesen vielleicht doch ein Werkzeug des Bösen sein könnte, aber sie wies ihn zurück. Das Mädchen hing an ihr mit kindlicher Liebe – eine solche Liebe kam von Gott, sie war ein Geschenk, für das sie ihm danken mussten.

»Dann wollen wir es versuchen. Schwester Agnes wird dich anleiten.«

Nur wenige Nonnen waren momentan in der Lage, solch feine Stickereien anzufertigen. Die einen waren zu alt geworden, ihr Augenlicht hatte nachgelassen, andere, die noch gut sehen konnten, waren zu ungeschickt. Schwester Agnes war die Einzige, die nicht nur sticken, sondern auch die Muster entwerfen konnte.

Zwei Tage später bat die Priorin nach der Komplet um ein Gespräch.

»Es scheint, als hätten wir den richtigen Platz für das Mädchen gefunden«, vermeldete sie. »Schwester Agnes hat mir berichtet, dass die Novizin die zierlichsten Stiche setzt, und damit nicht genug – sie zeichnet neue Muster, die sehr viel einfallsreicher sind als alles, was Agnes je zustande gebracht hat.«

Die Äbtissin war erleichtert. Bei dieser Arbeit würde sich Regula kaum überanstrengen und hoffentlich auch keinen Anfall erleiden. Falls es doch geschehen sollte, würde sie Schwester Agnes auftragen, kein großes Aufheben darum zu machen, sondern gleich nach der Priorin, besser noch nach der Äbtissin zu schicken. Doch sie sorgte sich umsonst, denn in den folgenden Wochen erfüllte die Novizin alle ihre Aufgaben zur vollen Zufriedenheit, auch wurde sie nicht krank, sondern war von einer ruhigen Heiterkeit erfüllt. Oft besuchte die Äbtissin die Stickerinnen, die jetzt im Sommer wegen des hellen Lichts im Freien arbeiteten, und lobte ihre Arbeit. Tatsächlich wurde der priesterliche Ornat sehr prächtig in bunten Farben bestickt, und Regula hatte schon neue, noch viel schönere Muster gezeichnet. Darin erkannte man Reiter und Burgen, verschlungene Ranken voller Rosen, Greife und Fabeltiere, auch ein zierliches Einhorn war zu sehen.

»Ich wünschte, ich dürfte auch für Euch ein solches Kleid besticken, ehrwürdige Mutter«, sagte sie zu der Äbtissin. »Es würde mir große Freude bereiten, Euch so geschmückt zu sehen.«

Was für eine Idee! Die Äbtissin erschrak über diesen kindlichen Ausspruch und wurde zornig.

»Wage nie wieder, so etwas zu sagen, Regula! Geh und bete, dass du nicht der Sünde der Hoffart und der Eitelkeit anheimfällst!«

Das Mädchen sah sie mit großen, tief erschrockenen Augen an, und die Äbtissin bereute auf der Stelle, dass sie sich zu solch zornigen Worten hatte hinreißen lassen.

»Du hast noch viel zu lernen, Regula«, sagte sie, sanfter nun. »Darum sei dir vergeben.«

Sie hielt ihr die Hand hin, und Regula kniete vor ihr nieder, um sie zu küssen. Sie schwieg, aber die Äbtissin spürte ihre warmen Tränen und zog die Hand eilig zurück.

Am Sonntag erschien wie immer der Priestermönch des Bruderklosters mit zwei Begleitern, um die Messe zu halten und den Frauen die Beichte abzunehmen. Da keine Fastenzeit war, wurde er anschließend mit den beiden Reitern bewirtet, und nach beendeter Mahlzeit überreichte ihm die Äbtissin den bestickten Ornat.

»Was für eine schöne Arbeit«, lobte der Priestermönch. »Wenn Eure Frauen solch prächtige Stickereien anfertigen können, werde ich Euch weitere Aufträge verschaffen.«

»Das ist sehr freundlich von Euch, Bruder Gerwig«, gab die Äbtissin höflich zur Antwort. Sie konnte derartige Aufträge nicht zurückweisen, aber es ärgerte sie, dass das Bruderkloster ihre Stickereien um den doppelten Preis weiterverkaufen und so mit der Arbeit der Nonnen Geld verdienen würde.

»Eine traurige Nachricht ist zu uns gelangt, Mutter Audacia«, fuhr der Priestermönch fort, während er den Ornat sorgfältig in ein Tuch einschlug. »Ein Pilger, der aus dem Heiligen Land zurück in die Heimat gelangte, hat am Schweriner Hof vermeldet, dass der junge Graf Nikolaus mit all seinen Begleitern bei einem Schiffbruch das Leben verloren hat. Gott sei seiner armen Seele gnädig, denn er starb ohne Beichte und bevor er das Heilige Grab gesehen hatte. Amen.«

Die Äbtissin erschrak. Also war der Traum seiner Schwester wahr geworden. Gewiss konnte das ein Zufall sein – viele Pilger überlebten die Überfahrt ins Heilige Land nicht, ihre Schiffe kamen in einen Sturm und sanken, oder sie wurden von Piraten überfallen, die die Pilger als Sklaven verkauften. Aber die Äbtissin hatte eine andere, schlimmere Vermutung: Regula hatte Wahrträume, sie konnte die Zukunft sehen. Entweder war sie eine Prophetin des Herrn oder eine Dienerin des Teufels.

»Ich sage Euch das, weil Ihr gewiss für die arme Seele des jungen Grafen beten werdet«, fuhr der Priestermönch fort. »Lebt nicht seine Schwester hier im Kloster?«

Die Äbtissin wappnete sich, denn sie meinte, etwas Lauerndes im Tonfall des Priesters vernommen zu haben.

»Gewiss. Es ist dieselbe, die den Ornat so prächtig bestickt hat.«

Bruder Gerwig zeigte sich erfreut und bat die Äbtissin, die Nachricht so schonend wie möglich zu überbringen, damit die Novizin nicht in ihrer Arbeit behindert würde.

»Vielleicht kann sie ja auch Miniaturen malen. Wir haben Schriften, die mit feinem Pinsel verziert werden müssen. Allerdings bedarf es dazu einer ruhigen Hand …«

Ihre Sorge war umsonst gewesen! Dem Priestermönch kam es nur auf den Gewinn an, den er aus der Arbeit der Nonnen ziehen konnte.

»Ich werde ihr auftragen, eine Zeichnung als Muster herzustellen«, schlug die Äbtissin vor. »Wenn sie Euch gefällt, werden wir uns auf einen Preis einigen.«

Er strich mit der Hand über sein vorquellendes Doppelkinn und grinste sie verständnisinnig an. Audacia war im Gegensatz zu ihrer Vorgängerin eine harte Verhandlungspartnerin.

»Wir werden einig werden, Mutter Audacia«, versicherte er ihr. »Vielleicht werden wir alle bald Mittel benötigen, um unserer Lehnspflicht zu genügen. Es wird geredet, dass sich die Slawen wieder zusammenrotten.«

Das beeindruckte die Äbtissin nicht übermäßig, denn die Gefahr aus dem Osten war immer gegeben. Die Herren von Schwerin hatten die slawischen Stämme vor über zwanzig Jahren vernichtend geschlagen und davongejagt. Seitdem wurde immer wieder gemunkelt, dass sie zurückkommen könnten. In diesem Fall würde das Kloster den Herren von Schwerin sieben Kämpfer stellen müssen, mit Hengst und Harnisch gerüstet – was eine teure Angelegenheit war. Und keinesfalls eine Garantie dafür, dass man bei einem Überfall ungeschoren davonkam.

»Dieser Bursche, den ihr hier durchfüttert – der ist doch ein Slawe, oder nicht?«

»Bogdan? Allerdings. Aber er ist uns treu ergeben, denn wir haben ihm das Leben gerettet.«

Der Priestermönch verzog das Gesicht.

»Er ist und bleibt dennoch ein Slawe, Mutter Audacia. Nehmt Euch vor ihm in Acht.«

Bruder Gerwig ließ sich und seine Begleiter so ausgiebig mit dem guten Bier der Nonnen bewirten, dass sie sich auf dem Rückweg zum Bruderkloster würden sputen müssen, um dort nicht die Vesper zu verpassen.

Am Abend ließ die Äbtissin Regula zu sich rufen.

»Ich habe eine schlimme Nachricht für dich«, sagte sie bekümmert. »Sie betrifft deinen Bruder Nikolaus.«

Die Novizin war zögernd eingetreten, in ihrem Gesicht, das wie ein offenes Buch vor der Äbtissin lag, stand große Angst. Nun aber belebten sich ihre Züge, sie lächelte traurig.

»Ich weiß, dass er tot ist, ehrwürdige Mutter. Ich sah es so deutlich, als stünde ich neben ihm, doch ohne ihm helfen zu können. Aber ich weiß auch, dass Gott der Herr meinen Bruder in sein ewiges Reich aufgenommen hat, denn ich sah ihn zwischen den Heiligen im Paradies umhergehen. Darum gibt es keinen Grund, um ihn zu weinen. Ohnehin werden wir bald miteinander vereint sein und uns nie wieder trennen müssen.«

Die Äbtissin war von diesen Worten sehr betroffen, bestätigten sie doch ihre Vermutung.

»Hast du schon früher solche Träume gehabt, Regula?«

Die Novizin hatte vor ihr gekniet, wie es im Kloster üblich war. Auf einen Wink der Äbtissin erhob sie sich jetzt und begann, mit kindlichem Vertrauen zu erzählen.

»Den ersten Traum hatte ich mit dreizehn Jahren, da sah ich drei himmlische Engel mit den Gesichtern meiner jüngeren Geschwister. Sie lachten und winkten mir zu, dann verschwanden sie, und es blieb nur ein großes Licht.«

»War das, als eine Krankheit im Schloss wütete und auch die gräflichen Kinder befiel?«

»Ja, ehrwürdige Mutter. Sie sind zwei Tage danach gestorben.«

»Hast du damals von deinem Traum gesprochen?«

»Ich habe ihn Nikolaus erzählt, aber er nahm mir das Versprechen ab, es niemandem, nicht einmal dem Priester, zu sagen.«

»Ein kluger Bruder«, seufzte die Äbtissin erleichtert. »Ich wünsche, dass du auch mir dieses Versprechen gibst, Regula. Es gibt Menschen, die solche Träume für Teufelswerk halten und dich als Ketzerin anklagen könnten. Aber sei beruhigt – ich werde dich schützen, so gut ich es vermag.«

Die Novizin streckte unwillkürlich die Arme nach der Äbtissin aus, und weil Audacia Sorge hatte, das Mädchen könne stürzen, fing sie es auf und hielt es an ihrer Brust.

»Als ich gerufen wurde, hatte ich solche Angst, Ihr könntet unzufrieden mit mir sein und mich schelten«, schluchzte Regula. »Aber nun bin ich überglücklich, und ich schwöre, alles zu tun, was Ihr mir auftragt, und sei es noch so schwer. Ihr seid mir eine Mutter und eine ältere Schwester. Ihr seid meine gütige Herrin, mein starker Schutz und Schirm. Meine inbrünstigen Gebete, meine feurige Liebe gelten Euch bis ans Ende meiner Erdenzeit und darüber hinaus, solange Gott der Herr es will …«

Die Äbtissin spürte den zarten Mädchenkörper voller Rührung, hielt ihn umschlungen und lauschte der Stimme, die so hell war, als stamme sie aus einem der himmlischen Chöre. Erst als ihr die Worte der Novizin gar zu eindringlich wurden, schob sie das Mädchen von sich und sagte streng: »Deine Liebe, Regula, soll weder Vater noch Mutter, weder Bruder noch Freundin kennen, sondern allein auf unseren Herrn Jesus Christus gerichtet sein. Darum sollst du täglich beten, denn nur dies wird dir einst das Tor zum Paradies öffnen.«

Regula sank wieder vor ihr auf die Knie und faltete die Hände.

»Ich will es versuchen, ehrwürdige Mutter«, flüsterte sie unter Tränen.

»Und denke immer daran, was du mir und deinem Bruder versprochen hast!«, mahnte die Äbtissin.

Am Sonntag erschien der Priestermönch Gerwig mit vier gewappneten Reitern und einem Packpferd. Darauf war eine Kiste geschnallt, die mehrere kostbare Stoffe für Ornate und einen Folianten enthielt. Dieses Mal sollten die Nonnen die Gewänder nicht nur besticken, sondern auch nähen, der Foliant enthielt die Abschrift eines Buches über heilende Kräuter. Gerwig trug den Frauen auf, vor jedem neuen Kapitel eine Malerei anzufertigen, außerdem sollten die großen Anfangslettern mit Figuren und Symbolen verziert werden. Die Äbtissin dankte dem Bruderkloster für das Vertrauen und versprach, die Arbeiten mit aller gebotenen Sorgfalt und Kunstfertigkeit auszuführen. Bevor sie die Verhandlungen um den Lohn führte, gab sie den Herren reichlich vom selbst gebrauten Klosterbier zu trinken und erreichte so mit Gottes Hilfe und eigener Klugheit, was sie sich vorgenommen hatte.

»Ihr seid hartherzig, Mutter Audacia«, jammerte Bruder Gerwig. »Der Abt wird mich schelten, weil ich euch zu viel zugesagt habe – aber ich tue es für das Gedeihen des Klosters und seiner Nonnen, die solch ein köstliches Bier brauen!«

»Gott der Herr wird Euch segnen, Bruder Gerwig. Darf ich nachgießen? Es ist noch ein Rest im Krug.«

»Nur her damit. Es wäre schändlich, eine solche Gottesgabe umkommen zu lassen.«

Als er mit seinen Begleitern schon im Sattel saß und die Beschließerin das breite hölzerne Tor weit geöffnet hatte, fiel dem Priestermönch noch etwas ein.

»Bevor ich es vergesse, Mutter Audacia: Der Graf bittet Euch, in der kommenden Woche auf der Burg vorzusprechen. Es geht um einige Dörfer, die der selige Graf Nikolaus vor seiner Pilgerfahrt seiner Schwester vermacht hat und die nun – so war es der Wille des Verstorbenen – dem Kloster Waldsee zufallen sollen.«

Das war eine weitere gute Nachricht. Die Äbtissin dankte und versprach, in den nächsten Tagen nach Schwerin zu reiten, um die Sache dort zu bereden und die Urkunden zu unterzeichnen. Froh gestimmt, eilte sie in die Kirche, um mit den Schwestern die Vesper zu singen, lauschte danach den Worten der Vorleserin während der Abendmahlzeit, und erst nachdem sie die Komplet gefeiert hatten, fiel ihr auf, dass Bogdan wieder einmal fehlte. Der Slawe ging in letzter Zeit seiner eigenen Wege, verließ das Kloster oft früh am Morgen, blieb die Nacht über fern und kehrte erst am folgenden Tag müde und mit zerrissener Kleidung in die schützenden Mauern zurück. Dort kroch er in der Scheune unter das frische Heu, um sich auszuschlafen, wobei er einmal die beiden Nonnen, die die Ziegen fütterten, zu Tode erschreckt hatte. Die Äbtissin hatte ihn mehrfach wegen dieser verbotenen Ausflüge gescholten, denn er vernachlässigte die Arbeiten, die er zu verrichten hatte, doch ihre Vorhaltungen konnten ihn nicht von seinem Treiben abhalten.

»Bogdan muss gehen, Spuren finden, lauschen wie Reh, riechen wie Fuchs …«

»Du bist doch kein wildes Tier, Bogdan. Du gehörst hierher ins Kloster, wir brauchen dich. Es ist nicht schön von dir, dass du uns im Stich lässt.«

Er sah tatsächlich zerknirscht aus, zog die buschigen Augenbrauen in die Höhe und vollführte seltsam ruckartige Armbewegungen.

»Bogdan gehört in Kloster. Bogdan ist dankbar in Ewigkeit. Will sterben für kleine Herrin. Schöne Herrin in Kloster …«

Womit der seltsame Tropf nicht etwa die Äbtissin meinte, sondern die Novizin Regula, für die er eine fast mystische, untertänige Leidenschaft entwickelt hatte. Wenn er sich im Kloster aufhielt, setzte er alles daran, sie wenigstens für eine kurze Zeit zu sehen zu bekommen, was momentan auch gelang, da die Stickerinnen im Freien arbeiteten. Regula selbst war von diesem merkwürdigen Bewunderer wenig angetan, sie reagierte niemals auf seine Gesten und Rufe, und einmal hatte sie der Priorin Clara gestanden, dass ihr der verrückte Slawe Angst machte.

Wenige Tage später bereitete sich die Äbtissin auf den Ritt zum Grafenhof vor, ein beschwerliches Unternehmen für eine ungeübte Reiterin, wie die Klosterfrau es war. Der Graf hatte ihr ein Pferd und mehrere Reiter zur Begleitung geschickt, auch wollte sie Bogdan als ihren Knecht mitnehmen. Da es für den Slawen jedoch kein Pferd gab, musste er auf einem gehörnten Ziegenbock hinter ihnen herreiten. Die Sorge für ihre Nonnen hatte sie für die Zeit ihrer Abwesenheit der Priorin Clara anvertraut, die diese Aufgabe mit aller gebotenen Sorgfalt erfüllen wollte. Die Nonnen sprachen im Anschluss an die Vigil ein Gebet für das Gelingen dieser gefahrvollen Reise, baten Gott den Herrn, seine schützende Hand über ihre Äbtissin zu halten und sie heil zurück ins Kloster zu führen. Audacia sah voller Rührung, dass einige ihrer Frauen, besonders jene, die noch sehr jung waren, Tränen in den Augen hatten, weil sie sich ohne die Mutter Äbtissin schutzlos fühlten. Regula weinte nicht, doch ihr Gesicht schien beim Schein der Altarkerzen so starr und weiß, dass die Äbtissin schon fürchtete, sie könne wieder einen ihrer Anfälle erleiden. Was zum Glück aber nicht geschah.

Beim ersten Morgenlicht brachen sie auf. Zwei Reiter machten die Vorhut, dann folgten die Äbtissin und ein weiterer Reiter, der ihr zu Hilfe kommen sollte, falls sie mit dem Pferd nicht zurechtkam. Zwei Reiter bildeten die Nachhut, und hinter ihnen zockelte Bogdan auf seinem Ziegenbock. Der Slawe war Ziel so manch grober Scherzworte, die er jedoch, ohne mit der Wimper zu zucken, ertrug, sodass die Reiter schließlich glaubten, er sei der deutschen Sprache nicht mächtig. Nur Audacia wusste, dass Bogdan jedes Wort verstand. Mehrfach verbat sie den Männern, ihren Knecht zu beleidigen, doch die Reiter waren ein grobes Volk, sie kümmerten sich nicht um die Befehle einer Nonne.

Audacia vergaß ihren Ärger bald, denn der Ritt durch den sommerlichen Wald erweckte Erinnerungen in ihr, die noch aus ihrer Kindheit stammten und die sie lange vergessen hatte. Das flirrende Licht, das durch das Blattwerk schimmerte und die Augen blendete, die Sonnenstreifen, die wie goldene Schleier zwischen den Buchenstämmen standen und das Moos am Waldboden hellgrün leuchten ließen. Die aufgeregten Rufe des Hähers, der die Waldbewohner vor der Reisegesellschaft warnte, der Pferdegeruch, der Duft des pilzigen Waldbodens, die Kerzen des roten Fingerhutes, die Teufelskralle, die Türkenbundlilie, die die Rehe so liebten. Um die Mittagszeit machten sie in einem Dorf Rast, tranken frische Kuhmilch, die ein Bauer ihnen im Krug reichte, und aßen von den Lebensmitteln, die die Klosterfrauen ihnen mitgegeben hatten. Die Äbtissin war selbst erstaunt, dass sie weder die Terz noch die Sext vermisste, obgleich die Psalmen und Gebete doch seit vielen Jahren zu ihrem festen Tagesablauf gehörten. Das Reisen gefiel ihr. Die schmutzigen Dorfkinder, die die Reisenden neugierig und ein wenig ängstlich bestaunten, die niedrigen, strohgedeckten Häuser, der Ziehbrunnen, an dem die Frauen das Wasser holten, die kleinen Hunde, die sie neugierig beschnüffelten – das alles war Gottes Schöpfung, jedes Ding, jeder Mensch und jedes Tier hatte darin seinen Platz.

»Lasst uns weiterziehen, damit wir nicht in die Dunkelheit geraten«, schlug der Anführer der Reiter vor. »Sonst könnte es sein, dass uns die Wölfe jagen, weil sie Lust auf den Ziegenbock haben!«

Der Ritt dehnte sich bis zum Abend, und die Äbtissin war froh, als sie die Burg in der Ferne zwischen den Feldern und Wiesen sehen konnte. Erschöpft stieg sie im Burghof vom Pferd, spürte ihre Beine kaum noch und wollte sich doch von dem herbeigelaufenen Pagen nicht stützen lassen. Man wies ihr eine kleine Kammer in der Vorburg zu, verköstigte sie und ließ sie wissen, dass der Graf sie am folgenden Morgen erwartete. Audacia war froh, dass sie nicht schon am gleichen Abend vor den Burgherrn treten musste, denn sie war todmüde von all dem, was sie an diesem Tag gesehen und erfahren hatte. Nur undeutlich nahm sie wahr, dass sich der Slawe Bogdan vor ihrer Kammertür niederließ, um sie zu bewachen – dann war sie auch schon in tiefen Schlaf gesunken.

Das Aufwachen war schmerzhaft. Der ungewohnte Ritt hatte ihre Beine gelähmt, sie konnte sich nur mühsam vom Lager erheben, jeder Schritt war eine Qual. Dennoch ließ sie sich nichts anmerken, als man sie über den Hof zur Hauptburg führte und sie dort mehrere Treppen hinaufsteigen musste. Graf Gunzelin saß mit seinen Getreuen beim Morgenmahl, er grüßte die Äbtissin mit gebotenem Respekt und bat sie, an der Mahlzeit teilzunehmen. Es blieb ihr nichts anderes übrig, als eine Schale süßen Brei zu essen und einige Schlucke Wein zu trinken. Der Wein war mit Kräutern gewürzt und mit Wasser verlängert – dennoch zog sich ihr Mund beim Trinken zusammen, weil er so sauer war.

Erst nach einer Weile löste sich die Tischgesellschaft auf, die Frauen begaben sich an ihr Tagewerk, die Ritter stiegen hinunter in den Burghof, wo sich die jungen Knappen bereits im Pferdsprung übten.

»Kommen wir zu unseren Geschäften, Mutter Audacia«, sagte der Graf, nahm seinen Becher und setzte sich neben sie.

Graf Gunzelin war grau geworden, seitdem die Äbtissin ihn zuletzt gesehen hatte, sein Haupthaar wirkte durchscheinend, auch hatte er unter den Augen schwere Tränensäcke bekommen.

»Es geht um drei Dörfer, die nahe dem Kloster gelegen sind«, begann er seine Verhandlung. »Mein Sohn Nikolaus hatte sie aus dem mütterlichen Erbteil erhalten, und in dem Testament, das er vor seiner Pilgerfahrt verfasst hat, steht geschrieben, dass die Dörfer samt dem umliegenden Land an seine Schwester Regula fallen sollen.«

Das war der Äbtissin bereits bekannt. Sie hatte sich über diese Erbschaft gefreut, doch nun belehrte sie der Graf, dass sie wenig Grund dazu hatte.

»Wie Ihr sicher erfahren habt, ehrwürdige Mutter Audacia, droht uns wieder Gefahr aus dem Osten. Deshalb werde ich Kämpfer zusammenrufen, die mit Hengst und Harnisch gerüstet unsere Heimat verteidigen werden.«

Eigenmächtig hatte der schlaue Graf die Zahl der Ritter, die das Kloster zu stellen hatte, auf zwölf erhöht, und da die Äbtissin ihm erklärte, dass die Klosterfrauen nicht über die nötigen Mittel verfügten, um so viele Männer auszurüsten, unterbreitete er ihr einen perfiden Vorschlag.

»Die drei Dörfer sind recht klein und bringen nur geringe Abgaben – aber um das Kloster nicht zu schädigen, bin ich mit dem Handel einverstanden. Ihr bestätigt mir den Besitz der Dörfer, und ich werde zwölf Reiter für das Kloster ausrüsten.«

So war denn die Erbschaft dahin, der gierige Graf nahm sie ihr fort, damit sie ihrer Lehnspflicht Genüge tun konnte. Das war gewiss nicht im Sinn des jungen Nikolaus gewesen, aber so ging es in der Welt zu. Wer die Macht hatte, der hatte das Recht. Sie war nur eine Klosterfrau – wie hätte sie dem mächtigen Grafen Widerstand leisten können?

»Gott der Herr wird Euch die Güte lohnen«, sagte sie beim Abschied. Der Graf bedankte sich und entließ sie huldvoll. Die Ironie hinter ihren Worten hatte er nicht bemerkt.

Der Rückweg verlief weit weniger angenehm als der Hinweg. Der Himmel hatte sich bezogen, ein feiner Nieselregen durchdrang die Kleidung. Auch fehlte das helle, fröhliche Licht der Sonne, es war dämmrig unter dem Blätterdach der Wälder, schattenhafte Wesen schienen im Unterholz zu lauern, fremde Augen waren auf die vorüberziehenden Reiter gerichtet. Schon nach wenigen Stunden trennten sich die Reiter des Grafen von ihr – der Weg sei nun nicht mehr weit, sie könne recht gut ohne Begleitung zum Kloster gelangen. Das Pferd würde der Priestermönch am Sonntag mitnehmen, um es dem Grafen zurückzubringen.

Nun war sie allein mit dem Slawen Bogdan, der auf seinem Ziegenbock neben ihr herritt und bald zu ihrem Führer wurde.

»Nicht diesen Weg, Herrin. Hier entlang, glaubt Bogdan. Bogdan ist treuer Diener …«

Sie zögerte, denn er bog von dem üblichen Pfad ab, ritt quer durch den Wald zu einem anderen, ihr unbekannten Weg und folgte auch diesem nicht lange.

»Wir kommen viel zu weit nach Westen, Bogdan. Wenn wir so weiterreiten, werden wir das Kloster verfehlen.«

»Besser verfehlen, als Leben verlieren.«

»Was redest du für Unsinn, Bogdan? Wer sollte uns etwas zuleide tun?«

»Nicht fragen. Bogdan führt seine Herrin gut.«

Sie war ihm ausgeliefert, denn er kannte sich in den Wäldern aus, fand die Wege, als seien sie in sein Gehirn eingebrannt, während sie selbst schon längst die Orientierung verloren hatte. Gegen Abend, als sie eigentlich das Kloster hätten erreichen sollen, tauchten zwei verlassene Hütten auf einer Lichtung auf, und Bogdan erklärte, dass sie hier übernachten würden.

»Nicht Feuer machen. Hier im Haus schlafen. Bogdan wacht …«

Sie teilte die letzten Vorräte mit ihm und verbrachte eine unruhige Nacht auf feuchtem Moos zwischen allerlei Ungeziefer, das ihr den Schlaf raubte. Als sie am Morgen aus der Hütte trat, war Bogdan verschwunden. Zuerst erschrak sie, dann sah sie, dass ihr Pferd und auch der Ziegenbock ruhig grasten, und beruhigte sich. Tatsächlich kroch der Slawe kurz darauf aus dem Unterholz, grinste zufrieden und sattelte ihr Pferd.

»Weg ist frei. Bogdan hat klug geführt.«

»Dann führe mich jetzt endlich zum Kloster!«

Dieses Mal gehorchte er. Sie ritten kaum eine Stunde, dann erkannte sie schon die Mauern des Klosters zwischen den Bäumen, und bald darauf standen sie vor dem Tor. Im Kloster herrschte große Sorge, denn man hatte die Äbtissin schon gestern erwartet.

»Es ist nicht geheuer im Wald«, sagte die Pförtnerin. »Man sieht die Vögel erschrocken auffliegen. Auch flüchtete ein Rudel Rehe gestern zu den Klostermauern, als werde es von Wölfen gehetzt. Gott sei gelobt, dass Ihr heil und gesund zu uns zurückgekommen seid, ehrwürdige Mutter Audacia!«

Die Äbtissin dachte sich ihr Teil und wollte Bogdan für seine kluge Führung danken, doch der Slawe hatte sich schon längst in der Scheune verkrochen, um unter dem Heu gründlich auszuschlafen. Noch vor der Sext um zwölf Uhr mittags berichtete die Äbtissin der Priorin Clara über ihren Besuch am Grafenhof. Die beiden Frauen waren zornig über den Betrug.

»Der Herr wird ihn strafen«, bemerkte die Priorin. »Dürfte ich nur das Werkzeug in seinen Händen sein!« Dann erfuhr die Äbtissin, dass die Novizin Regula sehr krank gewesen war und zwei Tage im Siechenhaus verbracht hatte. Die Priorin hatte ernsthaft um das Leben des Mädchens gefürchtet, doch heute Morgen, als die Äbtissin mit Bogdan vor dem Klostertor stand, war Regula auf geheimnisvolle Weise genesen.

»Ich glaube fast, sie hat Euch vermisst, ehrwürdige Mutter, und ist darüber krank geworden.«

»Hat sie einen Anfall gehabt?«

»Nein, sie war nur sehr schwach und konnte nicht stehen.«

Die Äbtissin seufzte. Noch vor wenigen Tagen war sie voller Freude und Hoffnung gewesen, nun häuften sich die schlechten Nachrichten.

Sie fand Regula in der Kammer neben der Schneiderei, das Mädchen hatte mehrere Farben gemischt und malte eine Zeichnung bunt aus, die sie mit feinen Strichen in das Pergament des Buches geritzt hatte.

»Du darfst dich nicht zu sehr anstrengen«, mahnte die Äbtissin lächelnd und bewunderte die entstehende Miniatur, die eine Burg hinter einer verschlungenen Pflanzenranke zeigte.

»Es geht mir gut, Mutter Audacia«, sagte das Mädchen. »Jetzt, da Ihr wieder bei uns seid, bin ich stark und voller Freude. Seht, dieses kleine Bild habe ich für Euch ganz allein gemalt. Es soll Euch an mich erinnern, wenn ich einmal nicht mehr bei Euch sein kann.«

Sie zog ein kleines Stückchen Pergament unter dem Buch hervor, ein schmaler Schnipsel, der beim Schneiden der Blätter abgefallen war. Darauf hatte sie mit großer Kunstfertigkeit eine zarte Rose gemalt. Die Äbtissin seufzte, doch sie wollte nicht schelten und nahm das Geschenk an.

»Nur dieses eine Mal, Regula«, sagte sie leise und strich dem Mädchen sanft über das gesenkte Haupt. »Weil ich froh bin, dich gesund und heiter anzutreffen.«

Doch das Unheil näherte sich dem Kloster mit stetigen, leisen Schritten, und es gab keinen Weg, ihm zu entkommen. Am Sonntag, als der Priestermönch die Messe zelebrierte, geschah, was die Äbtissin und die Priorin schon lange befürchtet hatten: Während Bruder Gerwig das Hochgebet sprach, sank die Novizin Regula in sich zusammen, und gleich darauf klang ihre helle Stimme durch den Kirchenraum.

»Sie werden kommen mit Schwertern und Spießen und unsere Häuser mit Feuer niederbrennen, die Männer erschlagen, die Frauen versklaven. Helles Blut wird fließen, gerechte und ungerechte Seelen werden gen Himmel steigen …«

Die Priorin beeilte sich, das Mädchen aufzuheben, zwei junge Nonnen halfen ihr, sie aus der Kirche hinüber ins Dormitorium zu tragen. Der Priestermönch hatte das Hochgebet unterbrochen, nun sprach er weiter, und die Messe nahm ihren üblichen Verlauf. Doch weder die Äbtissin noch die Priorin Clara waren in der Lage, sich in die heiligen Texte und die Gebete zu versenken, denn sie fürchteten, dass der Priestermönch den Vorfall im Bruderkloster melden würde.

Ihre Sorge war nur zu berechtigt. Nach dem Mittagsmahl, dem die Gäste heute nur mäßig zusprachen, fragte Bruder Gerwig sie mit entsetzter Miene, ob sie nicht bemerkt hätten, dass das Böse aus diesem Mädchen redete.

»Sie ist erst kürzlich zur Frau geworden, wenn Ihr wisst, was ich meine, Bruder Gerwig«, sagte die Äbtissin. »Das lange Stehen erschöpft sie, dann wird ihr schwarz vor Augen, und sie fällt in Ohnmacht. In einem halben Jahr wird es damit vorbei sein. Gebt mir Euren Becher, damit ich Euch eingießen kann.«

Aber Bruder Gerwig ließ sich heute nicht einmal mithilfe des guten Klosterbieres überzeugen. Er beharrte hartnäckig darauf, dass die Novizin besessen sein müsse. Man habe den Dämon laut und deutlich durch ihren Mund reden hören.

»Ein böser Geist hat sich in ihr eingenistet, Mutter Audacia. Wir müssen ihn aus ihr heraustreiben, damit er sich nicht im ganzen Kloster breitmacht. Ich werde dem Abt berichten, er wird sie abholen lassen.«

»Das werden wir nicht zulassen, Bruder Gerwig«, hielt die Äbtissin dagegen. »Wenn an der Novizin ein Exorzismus ausgeübt werden muss, dann soll es hier im Kloster geschehen. Wir werden sie nicht von hier fortgeben.«

»Das wird sich finden, ehrwürdige Mutter. Es steht Euch nicht zu, eine Frau zu schützen, die vom Bösen besessen ist. Also übt Euch in Gehorsam und Gottesfurcht!«

Der Priestermönch stellte den geleerten Bierkrug ab und erklärte, jetzt aufbrechen zu müssen. Auch seine Begleiter hatten heute kein Sitzfleisch, sie standen bereits im Hof bei den gesattelten Pferden.

Der Abschied war kurz und wenig freundlich, und als die vier das Klostertor hinter sich gelassen hatten, gaben sie ihren Tieren die Sporen und verschwanden eilig zwischen den Bäumen.

»Das Unheil wird seinen Lauf nehmen«, sagte die Priorin leise. »Wenn Gott Regula nicht schützen will, können wir nicht mehr viel für sie tun.«

Die Äbtissin war anderer Ansicht. Sie würde das Mädchen den Mönchen nicht zu einem Exorzismus ausliefern, denn sie wusste, dass daraus schnell ein Ketzerprozess werden konnte. Sie stieg ins Dormitorium hinauf, um nach Regula zu sehen, und fand sie mit offenen Augen auf ihrem Lager liegend vor, am ganzen Körper starr und steif.

»Sie werden sterben«, flüsterte sie. »Keiner wird entkommen. Ich sehe die Axt, die den Schädel des Mönchs spaltet, ich sehe ihn vom Pferd stürzen … Sie sind über ihm, so zahlreich wie die Ameisen.«

War auch das ein Wahrtraum? Die Äbtissin überließ das Mädchen der Fürsorge einer Nonne und eilte zur Kirche, um auf den Turm zu steigen. Die Pförtnerin hatte die Wahrheit gesprochen, sie sah erschrockene Vögel aus den Baumkronen auffliegen, auch flohen mehrere Hasen zum Kloster hinüber, als sei der Fuchs hinter ihnen her. Auf einmal sah sie zwei Männer aus dem Dickicht schleichen. Sie inspizierten die Klostermauer, huschten ein Stück daran entlang und tauchten wieder in den Wald ein. Audacia hatte die slawischen Krieger vor Jahren gesehen; sie waren klein, trugen einfache Panzer aus Leder, als Waffen dienten ihnen Beile und Spieße, manche hatten auch Pfeil und Bogen.

Die beiden Männer waren Späher, dachte sie und versuchte, ihre aufsteigende Furcht zu bezwingen. Die Slawen sind hier, sie haben es auf das Kloster abgesehen. Wir müssen einen Boten zum Grafen schicken, damit er uns mit seinen Rittern beisteht.

Sie kletterte vom Turm und eilte hinüber zum Stallgebäude, um nach Bogdan zu suchen.

»Der ist davon«, sagte die Nonne, die die Ziegen versorgte. »Gleich nach der Messe ist er über die Mauer gestiegen, und fort war er, der Schelm.«

»Er ist und bleibt ein Slawe«, hatte Bruder Gerwig gesagt. »Nehmt Euch vor ihm in Acht!«