21. KAPITEL

Mission: Impossible

Was mich irgendwann wieder auf die Beine brachte, war Kevins sinnloses Gemurmel in der Ecke. Er brummelte etwas darüber, dass Wolfszähne nur so troffen vor gefährlichen Bakterien, und ich hatte schon Angst, er könnte endgültig den Verstand verloren haben.

Miss Flett gab sich alle Mühe, Kevins kleine Schwester Ima zu beruhigen.

Ima hatte ihre Faust um etwas geschlossen, und meine Kehle schnürte sich zusammen, als mir aufging, dass es die kleine Trollpuppe war, die ich ihr im Sommer geschenkt hatte.

Mrs. Kleinschwein streichelte Kevin den Rücken.

Ich kam mühsam auf die Füße, als Kevins Dad sich vorbeugte und meine Hand nahm.

Die Enttäuschung darüber, wieder in diesem Raum zu sein, die Schmerzen in meiner Kopfhaut und meiner Nase und die Aufrichtigkeit in Mr. Kleinschweins Stimme, das alles war zu viel für mich.

Das Zimmer verschwamm vor meinen Augen, als mir die Tränen kamen, und ich drehte mich schnell zum Fenster um. Irgendwie musste ich mich ablenken, sonst würde ich losflennen wie ein Baby.

Ich flüsterte meinem Handgelenk zu:

Niemand antwortete. Ich machte einen weiteren Versuch, hörte aber immer noch nichts. Ich steckte den Finger in mein Ohr, um den Stöpsel zu überprüfen – mein Ohr war leer. Panisch ließ ich mich auf den Boden fallen und fing an, danach herumzutasten.

»Mein Ohrstöpsel! Ihr müsst mir suchen helfen!«

Mr. Kleinschwein ließ sich ebenfalls auf die Knie nieder und suchte … aber der Ohrstöpsel war nicht da. Er war vermutlich herausgefallen, als ich mit der Nase zuerst die Treppe heraufgepoltert war.

Ich hätte es nicht für möglich gehalten, aber meine Stimmung sackte nun noch tiefer in den Keller. In einem Film wäre das der perfekte Augenblick für einen lauten Donnerschlag gewesen.

Wir waren ganz und gar auf uns selbst angewiesen.

Ich kletterte auf das obere Bett und bohrte mein Gesicht in eines der Kissen, um nachdenken zu können. Und, na ja, vielleicht auch, um ein paar Tränen abzutrocknen. Ich zitterte und sehnte mich nach der fetzigen Lederjacke. Als ich mich zudecken wollte, ging mir auf, dass es im Bett keine Decke und kein Laken gab. Ich lag auf einem unbezogenen Kissen und einer Matratze. Ich ließ meinen Kopf über den Bettrand hängen.

Kevin rieb sich den Rüssel und schaute langsam zu mir hoch. »Die haben alles mitgenommen, als sie unsere Handys und den ganzen Kram geholt haben. Auch alle Kleider aus dem Schrank. Eigentlich alles, was wir zusammenknoten könnten, um uns aus dem Fenster abzuseilen.«

Ich schaute zu dem schmalen dunklen Fenster hinüber. Verflixt. Diese Wölfe waren nicht so dumm, wie sie aussahen. Ich wusste, dass es von hier aus zwei Stockwerke hinunter auf den betonierten Hof ging. Und es waren keine normalen Stockwerke. Sondern Villenstockwerke, mit superhohen gewölbten Decken – also eher wie drei oder vier normale Etagen. Ich geh mal davon aus, an so was denkt man nicht, wenn man eine Villa plant.

Da lag ich nun und dachte über alles nach, während die Minuten vorübertickten. Na los, Gehirn! (Von einem Trollgehirn eine brillante Idee zu erwarten, ist allerdings, wie einen Fisch zum Joggen aufzufordern).

Dann hatte ich es plötzlich.

Ich sprang vom Bett herunter. »Okay, okay. Jetzt hört mal zu. Wir werfen die Matratzen aus dem Fenster in den Hof und springen drauf!«

Kevin schüttelte nur den Kopf und sah seine Füße an.

Miss Flett aber sagte: »Selbst wenn die Matratzen durch das Fenster passen würden, was ich bezweifle, gibt es überall auf dem Hof Bewegungssensoren. Die Scheinwerfer würden aufleuchten, sowie wir die Matratzen fallen ließen. Der Hof würde innerhalb von drei Sekunden zu Wolf-City werden.«

Kevin fing an, wie ein kaputtes Nebelhorn zu heulen. »Oooh … Wir sind gefangen wie Schwammratten in einem Käsemoor!«

Mrs. Kleinschwein mahnte ihre Kinder zur Ruhe. »Ich fürchte, Kevin hat da diesmal nicht unrecht, Spotz.«

Ich merkte, wie alles in mir nach unten sank, als mir klar wurde, dass dies den Tatsachen entsprach. Es gab ganz einfach keinen Ausweg aus diesem Zimmer.

Bis jemand an das Fenster klopfte.

Ich gebe zu, dass ich ganz leicht zusammenzuckte.

Ich rannte zum Fenster und erblickte zu meiner Verwirrung Sierra, die mir verkehrt herum zulächelte.

Sie gab mir mit Zeichen zu verstehen, das Fenster zu öffnen. Das tat ich, so leise ich konnte, und half ihr über die Fensterbank herein.

Kevin sprang vom Bett und riss die Augen auf.

Sierra legte Kevin die Hand auf die Schulter und sagte, so ernst sie konnte: »Ja, ding-dong, ich bin Supergirl. Hab ich dir das nie erzählt?« Sie lächelte ihn herzlich an, um ihn ein bisschen zu beruhigen. »Aber ernsthaft, wir müssen abhauen, und zwar dalli.« »Wie hast du …? Was …? Wie zum …?« Ich war so geplättet, dass ich keinen vernünftigen Satz zustande brachte.

Sie lächelte erneut und streifte sich ihren Korbrucksack von den Schultern.

(Ich meine, ernsthaft, wollte sie jetzt Hausaufgaben machen?!)

»Hört zu. Goldie hat mit ihrer Armbrust den Schuss des Jahrhunderts gelandet, als die Wölfe durch euch abgelenkt waren. Es ist wirklich unvorstellbar, aber sie hat ein Lasso über ein Entlüftungsrohr auf dem Dach geschossen. Wir haben ein Seil gespannt, und weil ich die Leichteste von uns bin, kam ich rüber. Guckt doch mal.«

Ich schaute aus dem Fenster.

Das Seil führte vom Dach oberhalb unseres Fensters hinüber zum Riesenrad, das vielleicht zwanzig Meter vom Haus entfernt stand. Ich sah in der Dunkelheit Bewegungen und erkannte die Silhouetten von Joe und Goldie gegen den Nachthimmel, die uns aus dem Riesenrad zuwinkten.

Als ich mich wieder umdrehte, war Sierra schon voll am Werk. Sie zog einen Packen dicker Handschuhe aus dem Rucksack und warf sie den anderen im Zimmer zu. »Die sind vielleicht ein bisschen groß, aber ihr könnt euch damit besser am Seil festhalten, wenn, ihr wisst schon … Ein Absturz wäre schlecht.«

Ich beobachtete aufmerksam Kevins Gesicht, als er diese Nachricht verdaute.

»Sekunde mal.«

Zum Glück war es ein geflüsterter Schrei, aber wir mahnten ihn trotzdem alle zum Schweigen.

Sierra legte ihm besänftigend die Hand auf die Schulter. »Cool bleiben, Kevin. Nur so können wir die Bewegungssensoren im Hof austricksen. Wenn wir auf einem anderen Weg zu fliehen versuchen, erfahren es die Wölfe sofort.«

Kevin – mit offenem Mund und riesengroßen Augen – schaute uns der Reihe nach an, als ob er endgültig an unserem Verstand zweifelte.

»Was, wenn die Wächterwölfe zufällig mal … hm, ich weiß nicht … nach oben schauen?«

Sierra ging zu Kevins Nachttisch und schob ihn als Trittbank unter das Fenster.

»Na … lass uns einfach ganz, ganz fest hoffen, dass sie das nicht tun werden.«