Wir humpelten zu dem gefallenen Wolf, um den sich inzwischen Miss Flett und die Kleinschweins versammelt hatten. Mr. Kleinschwein hatte eine Zeltschnur von einem der Festzelte geholt und fesselte dem stöhnenden Wolf gerade die Riesenpfoten auf dem Rücken. Ich sah, dass er sie ganz besonders fest fesselte – er legte seine ganze Kraft in diese Aufgabe.
Ich hörte die Stimme meiner Mom, drehte mich um und sah, wie sie, mein Dad und Gramps aus dem Wald gerannt kamen – meine Mom hinterließ dabei eine Spur von benutzten Papiertaschentüchern. Sie weinte so sehr, dass ich kaum verstehen konnte, was sie sagte.
»Oh, Spotz. Wir sind sofort losgerannt, als wir gehört haben, was hier vor sich ging.«
Dann riss sie mich in eine gewaltige Umarmung.
Es war ein wunderbarer Moment, bis sie mich losließ und anfing, mit ihrer Handtasche auf mich einzuschlagen.
»Warum hast du mir das angetan? Ich schwöre, du wirst mir einen Herzanfall bescheren, noch ehe du die Oberstufe erreicht hast.«
Unter meinen erhobenen Pfoten hindurch sah ich meinen Dad und Gramps – die kurz davor waren, vor Stolz zu platzen. Mein Dad lächelte mich an und legte mir eine SQUAT-Decke um die Schultern, während Gramps meine Mom von mir wegzog.
»Ich glaub, der Jung hat genuch durchgemacht, da brauchste ihn nich auch noch mit deiner Handtasche totzuschlagen.«
Kevin kam angelaufen und drückte Sierra und mich wortlos an sich. Mir war das zwar ein bisschen peinlich, aber ich umarmte so fest zurück, wie mein geschundener Körper es zuließ.
»Du hast echt einen Wahnsinns-Wurfarm, Alter.«
Kevin trat einen Schritt zurück und zog seine Hose hoch.
Das war eine so unkevinhafte Bemerkung, dass ich lachen musste – obwohl das Lachen wehtat und mir klar wurde, dass ich vielleicht eine oder zwei Rippen gebrochen hatte.
Mr. Kleinschwein verschnürte gerade die Füße des Großen Bösen, als eine atemlose Stimme hinter mir auf dem Hang erklang. Ihr wisst schon – DIE Stimme. Die unerträgliche.
»Ich … ich befehle euch, diese Wolfsbestie sofort festzunehmen!
Auf meinen Befehl hin! Als Oberkommandant dieses Einsatzes.«
Ich zuckte zusammen und drehte mich um. Prinz Roquefort kam auf uns zugerannt – und ich traute meinen Augen nicht.
Alle starrten ihn an.
Er hatte sich noch nicht vollständig aus der Teekanne zurückverwandelt, was eine ziemlich zwerchfellerschütternde Wirkung hatte.
»WAS?!« Er sah wütend und vielleicht auch ein klein wenig panisch aus. »Was glotzt ihr denn alle so?«
Er nahm mich ins Visier.
Ich muss zugeben, es fiel mir ein wenig schwer, mein Lachen zu unterdrücken.
»Wenn ich Arme hätte, würde ich dich hier und jetzt erwürgen!« Und das reichte.
Wir prusteten alle zusammen los.
Ich bin dem Prinzen vorher und nachher nie dankbar gewesen, aber diese absurde Drohung löste die Spannung und wir alle brachen vor Lachen fast zusammen – was den Teekannenprinzen natürlich noch wütender machte. Er fing an, herumzustampfen und zu dampfen.
Als die Mitglieder des SQUAT-Teams von der Jagd auf die übrigen Wölfe zurückkamen, fanden sie einen gefesselten Oberschurken, einen vor Wut pfeifenden Halbkannenprinzen und einen Hof voller Leute vor, die auf dem Boden saßen und sich die Lachtränen abwischten.
Ich würde euch jetzt gern erzählen, dass wir am nächsten Tag in der Schule wie Helden empfangen wurden, aber ich glaube, ihr habt inzwischen verstanden, dass wir hier in Scherwutz anders ticken.
Nein, die Schule war ungefähr so wie immer – abgesehen von den Gerüchten, dass der Große Böse Wolf gesund und munter sei. Das machte alle ganz schön fertig.
Als ich zu meinem Schließfach ging, schlich Sten Vinders sich von hinten an und ließ mir einen lebendigen, wuseligen Klumpenschnapper in die Hose fallen.
Wenn die Sache mit dem Fisch in der Hose irgendeine tiefere Bedeutung hatte, dann ist mir das entgangen – aber Sten war nie als besonders geistreich bekannt. Ich dachte, auf eine seltsame Weise war das vielleicht die einzige Möglichkeit für ihn, sich erkenntlich zu zeigen …
Auf dem Weg zur nächsten Stunde bei Miss Flett traf ich Sierra wieder.
Wir blieben stehen, lächelten wissend und sahen einander einen besonders langen Augenblick an.
Sierra nickte. »Klar. Wir hoffen, dass meine Mom irgendwie erfährt, dass der Große Böse damals überlebt hat und jetzt gefangen ist – wo immer sie sein mag. Zurückkommen kann sie eh nicht. Es gibt noch immer eine Menge Wölfe und die sind nachtragender als eine Jubeljungfer aus der sechsten Klasse.«
»Ja, super.« Ich schluckte hart, als mir aufging, dass wir beide sicher ebenfalls irgendwo auf einem Wolfssteckbrief standen.
»Du musst also erst mal bei deiner Tante bleiben?«
Sie zuckte mit den Schultern. »Erst mal ja. Aber jetzt, wo das große böse Geheimnis heraus ist, will sie offenbar ein bisschen netter zu mir sein. Sie ist schon in Ordnung … Sie ist nur eben nicht meine Mom.«
Sierra streckte die Hand aus, boxte mir freundschaftlich gegen den Arm und ging zu ihrem Platz.
Ich lachte und ging hinter ihr her in unser Klassenzimmer und rieb mir den Arm, wo sie mich geboxt hatte, bis mir bewusst wurde, was ich da machte; da hörte ich auf damit.
Ich schaute zum Prinzen hinüber, aber er saß auf seinem Stuhl und starrte vor sich hin.
Miss Flett schwebte unmittelbar vor dem Läuten herein.
Sie stellte ihre Taschen und Ordner auf das Pult und drehte sich mit einem herzlichen Lächeln zur Klasse um. »Ihr könnt euch überhaupt nicht vorstellen, wie glücklich ich darüber bin, wieder hier sein zu können.« Dann wandte sie sich an Joe, Kevin, Sierra und mich. »Ich habe heute Morgen mit George gesprochen. Er ist wieder da und er sagt, er wird sich noch genau überlegen, wie er euch allen gebührend danken kann.«
Gerade da begann die Lautsprecheranlage zu knistern und zu quieken, und wir konnten hören, wie Schulleiter Haggard sich räusperte.
Ich will euch nicht mit der ganzen langen Rede anöden. Mr. Haggard bedankte sich bei allen, die daran beteiligt waren, den Großen Bösen sowie etliche andere Wölfe unschädlich zu machen. Er teilte mit, dass die SQUATisten einen Großteil des Wolfsrudels gefangen und den Rest bis hinter die Schnupfkissenberge zurückgejagt hatten – und denen, die entkommen waren, zum Andenken ein paar Pfeile in den Hintern verpasst hatten.
Die gefangenen Wölfe waren bis auf weiteres in die Kerker von Burg Niegelungen geworfen worden. Der Große Böse befand sich unter ständiger Überwachung im Hochsicherheitstrakt. Weitere Maßnahmen waren ergriffen worden, um sicherzustellen, dass er nie wieder freikommen würde.
Dann laberte Mr. Haggard noch eine Weile darüber, was für eine fantastische Schule wir hätten und was für einen Zusammenhalt unter den Schülern und blah, blah, blah.
Als er endlich fertig war, blieb Miss Flett noch eine Weile auf ihrem Tisch sitzen und lächelte uns an.
Endlich klatschte sie in die Hände und sprang auf. »Okay. Und jetzt zurück zum Alltag. Nehmt die Bücher heraus und schlagt Kapitel 15 auf.«
Ich öffnete die Klappe von meinem Tisch, um mein Buch herauszuholen, als ich zu meiner Rechten ein unterdrücktes Keuchen hörte. Ich schaute hinüber und sah, dass Prinz Roquefort in seinen Tisch starrte. Seine Züge verzerrten sich vor Wut, als er die Hand ausstreckte und einen Teebeutel herauszog.
Er griff in sein Pult und ließ Teebeutel um Teebeutel auf den Boden fallen. Irgendwer musste es buchstäblich damit abgefüllt haben. Prinz Roquefort nahm sein Buch hervor und dreißig Teebeutel fielen heraus.
Hinter mir ertönte Joes Stimme.
Im Klassenzimmer war es eine Sekunde lang ganz still. Ich drehte mich langsam auf meinem Stuhl um und sah Joe an. Er zwinkerte mir so schnell zu, dass ich es fast übersehen hätte.
Vor Überraschung klappte mir das Kinn herunter, als nun die gesamte Klasse losprustete – und Prinz Roquefort aufsprang und aus dem Zimmer stürzte.
Ich konnte es nicht fassen, aber ich musste es zugeben. Es war einfach so:
Joe wurde langsam lustiger!