3. KAPITEL

Speck is back

Joe und ich standen vor den »Drachenschaukeln des Todes«Schlange, als ich Sierra in der Menge entdeckte. Na gut, na gut.

Bringen wir es hinter uns. Ich habe das mit Sierra lange genug vor mir hergeschoben, weil, ihr wisst schon … Mädchen und so. Doch, ich mag Sierra ein bisschen, aber wenn ich über sie reden soll, möchte ich am liebsten meinen Kopf in einen Honigsumpf stecken oder irgendwas in der Art.

Sie ist schon toll, aber das ist noch nicht alles. Sie ist auch cool. Und clever. Und witzig. Sie schleppt dauernd so einen selbst gemachten kleinen Rucksack mit sich herum. Sie schreibt für den Schulblog und das Jahrbuch, und ihre Sachen sind immer super. Außerdem ist sie auch noch … das müsst ihr euch mal vorstellen … nett zu mir! Warum? Da bin ich mir nicht so sicher. Als Teil der Trollsippe haut mich unbegründete Freundlichkeit immer total um. Vielleicht ist es noch ein Überbleibsel aus der Zeit, als ihre Familie neu in unser Dorf gezogen ist. Wir waren damals in der zweiten Klasse. Wahrscheinlich war ich an ihrem ersten Tag irgendwie korrekt ihr gegenüber – hab ein paar Witze gemacht und so – und das hat sie nie vergessen. Oder so. Ich bin ja kein Gedankenleser.

Jedenfalls stupste Joe mich mit dem Ellbogen an.

Ich stupste zurück und murmelte leise: »Nenn mich nicht so.« In diesem Moment schaute sie herüber und entdeckte uns. Ihr Gesicht erhellte sich, sie lächelte und winkte uns zu.

Sogar hier trug sie ihren Rucksack. Offenbar hatte sie ihn als Kind aus einem verschlissenen alten Korb gebastelt. Er sah schon komisch aus – und wie! –, aber sie ging keinen Schritt ohne dieses Ding. Ich hatte beobachtet, wie die anderen Mädchen in der Schule sie deshalb ausgelacht hatten, doch sie trug ihn weiterhin mit sich herum, als ob sie auf der ganzen Welt nichts Lieberes hätte. Und diese Art von Verrücktheit muss man ja wohl respektieren.

Sierra stand mit ihrer Familie vor den Flatschfrucht-Slushys an (den Flashys, wie sie genannt werden). Sie fig an, wild zu gestikulieren und Gesichter zu schneiden, als ob sie es wahnsinnig eilig hätte und total genervt wäre, und Joe und ich lachten uns schlapp.

Sie schaute immer wieder auf ihre Uhr, stemmte wütend die Hände in die Hüften und trat von einem Fuß auf den anderen. Sie mimte, wie sie eine riesige Kanone lud und auf die Leute in der Schlange vor ihr richtete, was Joe und mich erst richtig fertig machte.

Da wandte ihre Mom sich zu ihr um, das pure Lächeln im Gesicht, um zu sehen, mit wem Sierra sich so nett amüsierte. Als sie mich entdeckte, verzog sie angeekelt den Mund. Sie packte Sierras Arm und drehte sie mit sanfter Gewalt von uns weg.

Sie bückte sich gerade, um Sierra etwas ins Ohr zu flüstern, als ein superbreiter Riese in einem verschossenen Pullover unserer Galante-Ritter-Schule zwischen uns trat und die Sierra-Show ein Ende hatte.

Joe hatte entweder gar nicht gesehen, was Sierras Mom getan hatte, oder er spielte mir zuliebe den Ahnungslosen.

»Vielleicht lad ich Sierra während des Feuerwerks ins Riesenrad ein«, platzte ich heraus. Es war ausgesprochen, bevor ich noch darüber nachdenken konnte.

Joe kräuselte die Nase, dann nickte er und die Glöckchen an seiner Narrenkappe bimmelten. »Okay … mach mal.«

In diesem Moment ertönte hinter uns ein lautes, ungehobeltes Schnauben. Mein Magen sackte kurz ab, als ich mich umdrehte und dicht hinter mir einen von Prinz Roqueforts Ungeheuern entdeckte. (Nicht Buddy. Das ist der Unhold, der einigermaßen in Ordnung ist. Nennen wir diesen hier einfach Fettie McMonsterfresse.)

Er grinste mich so höhnisch an, dass mein Trollblut ein bisschen ins Brausen kam.

Wie viel er wohl mitbekommen hatte?

Einen Moment lang versuchten wir, uns gegenseitig in Grund und Boden zu starren, dann zog er sein Handy hervor und schrieb eine SMS. »Sierra Scarlet und ein Troll«, kicherte er dabei. »So was Komisches hab ich seit Wochen nicht mehr gehört!«

Irgendwann stießen wir wieder auf Kevin. Er hatte sich ein Hammeleis geholt, und das war offenbar genau das, was er brauchte, um sich ein bisschen zu beruhigen.

Ihr könnt mir glauben, weder Joe noch ich hatten vor, ihm etwas über die Smammelsache zu erzählen. Ein entspannter Kevin muss unbedingt in diesem Zustand bestätigt und ermuntert werden. Kevin erzählte uns, dass sein Dad ihn ordentlich zusammengestaucht hatte, weil er den Festgästen wegen des Essens Angst gemacht hatte.

Ich hörte, dass Gramps das Pastetenwettessen um Haaresbreite gegen einen zwei Meter siebzig großen Unhold namens Breitdarm verloren hatte, dann aber satt und glücklich neben dem Würstchen-im-Schlafrock-Wagen eingeschlafen war.

Wir fuhren mit den meisten Karussells und spielten jedes Spiel, das auf dem Festplatz im Angebot war. Unser Lieblingsspiel war wie immer die »Tauchden-Wolf«-Bude, wo ein verkleideter Schausteller in einem verrückten Wolfskostüm sitzt. Seine einzige Aufgabe ist es, euch zu beleidigen, bis ihr einen Volltreffer landet und ihn in eine Art Aquarium unter ihm stürzen lasst. Wer auch immer heute in dem Kostüm steckte, er machte das mit den Beleidigungen besonders gut. Vor allem, als Kevin mit einem frischen Stoß Wurfbällen erschien.

Kevin streckte sich und ließ seine Gelenke knacken. Die Sonne zog sich gerade hinter die Hügel zurück und überall auf dem Festplatz wurden Lampions in Form von Stroh-, Holz- und Ziegelhäusern angezündet.

Normalerweise hätte ich mir Sorgen darüber gemacht, dass die Anspielung auf seine Körpergröße Kevin runterziehen könnte – er ist da total empfindlich –, aber ich wusste seit Jahren, wie viel Spaß er immer an dieser Bude hatte. Je schlimmer die Beleidigungen waren, umso besser wurde offenbar Kevins Zielfähigkeit. Er stand einfach da und wartete wie ein Zenmeister auf die richtige Gelegenheit.

Kevin holte tief Luft packte seinen ersten Ball und feuerte. Er traf daneben, aber nur haarscharf.

Kevin ließ einen zweiten Wurf los, der laut »ping« machte. Der Ball hatte den Rand der Zielscheibe getroffen. Fast ins Schwarze. Eine kleine Zuschauermenge hatte sich um uns versammelt, als die Beleidigungen des Wolfs lauter und lauter wurden.

»Ich werde husten und pusten und mir ein feines kleines Schinkenbrot aus dir machen, du Winzling!«

Das reichte.

Mit einer einzigen fließenden Bewegung nahm Kevin einen letzten Ball, fegte ihn durch die Luft – und hätte die Zielscheibe damit fast aus den Angeln gerissen. Der »Wolf« konnte gerade noch »oha« murmeln, ehe er mit einem lauten Platsch in dem Aquarium unter ihm verschwand. Die Zuschauer jubelten los, schlugen Kevin auf die Schultern und gratulierten ihm.

Auch Rebb Glumfort, ein etwas sonderlicher Zauberlehrling aus unserer Klasse, kam zu uns herüber und tätschelte Kevins Kopf. Rebbs Haare und sein Umhang sahen aus, als ob er sich gerade erst aus dem Bett gewälzt hätte.

»Gut gemacht, Schwein«, sagte er.

Dann ging er einfach weg, auf diese typische, sonderbare RebbTour.

Als wir uns ebenfalls zum Gehen wandten, hörte ich, wie der triefnasse Typ im Wolfskostüm Wasser spuckte und uns lachend hinterherrief: »Guter Schuss, Kleiner!«